Donnerstag, 7. Mai 2009

Unser Wildes Kinderzimmer

Nun, unsere wilden Kinder würde es wohl besser treffen... Kam ich heut um halb vier Uhr heim, nach der Schmerztherapie noch schnell ein wenig Brot und Milch und Joghurt eingekauft und im Arm schleppend, suchte ich nach dem Schlüssel, als wie aus dem Nichts heraus mein Sohn mit einem Grinsen vor mir stand, der Böses schwanen ließ... Keine Jacke, kein Helm, noch in Sportklamotten ob des Sporttages heute, keine Tasche und mit Rad unterwegs... Das konnte nur bedeuten... Na klar - Schlüssel vergessen. Lehrgeld muss aber schließlich gezahlt werden - also hatte sich das Kind heute sage und schreibe etwa drei oder vier Stunden in den Straßen unserer Stadt herumgetrieben. Ich hoffe nur, es bekommt keinen Sauerstoffschock oder wenigstens Pusteln von vier Stunden Sonne... Doch das dicke Ende folgte auf dem Fuße...
"Mutti, ich muss dir was sagen. Der Nachbar heute hat uns wieder vom Hof gejagt. Und wir haben diesmal nicht mal Fußball gespielt." Ich horchte auf. "Ach nein? Was denn dann?" Hier muss vielleicht noch hinzugefügt werden: Der Hof besteht aus einer mittelgroßen, mit Steinplatten ausgelegten Fläche, eingerahmt von Mauerwänden und einer Garagenzeile. Wenn die Jungs dort Ball spielten, geriet der Fußball entweder auf den Balkon einer Nachbarin oder auf das Dach der Garagenzeile. Abgesehen von dem Krach, den der Prall des Balles auf dem Betonboden hinterließ... Entsprechender Unwille war bereits schon vor eineinhalb Jahren, unmittelbar nach unserem Einzug bei einem der liebensgewürzigen Nachbarn aufgekommen. Der sich auch mir gegenüber einst ziemlich laut und mit zweifelhaften Argumenten mir gegenüber Luft gemacht hatte. Der sich der gelassenen, aber freundlichen Gegenargumentation meinerseits nicht zu widersetzen vermochte, seitdem nichts mehr zu mir sagte, aber auch nicht mehr grüßte. 
"Mutti, der hat mich auch in den Bauch geschlagen."
Mir fiel fast der Einkauf aus der Hand.
"Wie bitte? Der hat was?"
Ich glaubte doch, mich verhört zu haben.
"Der kam runter, hat erst mir in den Bauch geschlagen und dann den anderen vom Boden hoch gezerrt. Dabei haben wir nur unsere Rucksäcke hingelegt und Slalomrennen gemacht. Das macht ja nicht mal Krach."
Nun weiß ich ja, dass sowohl mein Sohn als auch insbesondere sein Freund keine Unschuldslämmer sind - doch was auch immer vorgefallen war: dass ein Fremder die Hand gegen die Kinder erhob - das war zuviel.
"Den knöpf ich mir jetzt vor", mutierte ich in Sekunden zur Löwin und stieg entschlossenen Schrittes die Treppen hoch. "Machs nicht, Mama", wandte das Kind zaghaft ein, "wer weiß, was der mit mir macht, wenn du nicht da bist!"
"So ein Quatsch", wedelte ich den Einwand zur Seite, "der ist unbeherrscht, aber nicht gemeingefährlich."
Das Kind stieg schnell noch die Stufen höher zu unserer Wohnung, bei dem Vorknöpfen wollte er augenscheinlich nicht dabei sein, stand jedoch die ganze Zeit über im Türspalt und hörte zu.
Die Frau Nachbarin öffnete und ich erkundigte mich höflich, ob ihr Mann zu sprechen sei.
"Worum geht es denn?" fragte sie und es lag völlig auf der Hand, dass sie bestens informiert war.
"Es geht darum, dass es heute zwischen Ihrem Mann und meinem Sohn als auch dessen Freunden eine Auseinandersetzung gab. Ich habe nichts dagegen, wenn die Kinder Bescheid bekommen, wenn sie sich nicht korrekt verhalten. Aber die Kinder zu schlagen - das verbitte ich mir."
Die Frau versuchte die Dinge zu rechtfertigen: ein Angriff auf mich, ein Angriff auf die Kinder und als ihr die Argumente ob der Handgreiflichkeiten ausging, erschien prompt der Mann auf der Bildfläche. Bezeichnete meinen Jungen als ein "Schwindelschwein", bis er schließlich zugab, die Jungen "angefasst" zu haben, aber "...das war doch nichts Richtsches, das war doch gar nichts!" 
Helma in Action - ich sags Euch. Mehrmals dazu aufgefordert, damit der Mann ob seiner Schwerhörigkeit auch alles verstehen könne, sprach ich lauter wie gewohnt und schon bald kam mir das Ganze wie ein Hausgezeter vor, das ich nur noch beenden wollte.
"Mein Mann ist für Gerechtigkeit!" verteidigte die Gute ihren Gatten. Fehlte nur noch, dass sie die Faust geschüttelt und "Freiheit für Rentner!" gerufen hätte. 
"Ich habe nichts gegen Gerechtigkeit und kuschen müssen Sie wegen mir auch nicht. Was gesagt werden muss, muss gesagt werden - aber bevor es das nächste Mal ausartet, erwarte ich, dass Sie zu mir kommen."
"Pah!" rief der Nachbar aus. "Mich wundert sowieso, was Sie für Geld haben müssen. Wir haben uns oft genug bei der Hausverwaltung beschwert! Und wenn sich das nicht bald ändert, bringe ich das zur Anzeige!"
Fast hätte ich laut gelacht - fast. So ein bisschen Contanance besitze ich ja nun auch. 
"Entschuldigung, aber seit ich hier wohne, habe ich noch nicht ein einziges Mal ein Schreiben oder wenigstens einen Anruf der Hausverwaltung erhalten."
"Weil es die gar nicht kümmert!" schrie er erbost und ich dachte: Hoffentlich fallen ihm jetzt nicht die falschen Zähne aus dem Gesicht. Und freilich lag mir auf der Zunge: Die wissen schon, warum die nicht reagieren.
Aber auch das verkniff ich mir. 
Die Frau lenkte schließlich ein: "Wolfgang, wir haben das jetzt geklärt und ich finde diesen direkten Weg auch gut. Dabei wollen wir es belassen und das nächste Mal, wenn etwas ist, kommen wir zu Ihnen."
"Das nützt doch gar nichts! Der macht doch sowieso, was er will - bei der Mutter" rief er wiederum aus und beinah kam ich mir schlussendlich vor wie in einer dieser unsäglichen Gerichtssendungen á la "Barbara Salesch" und hob die Hände: "Moment mal, wir wollen doch hier nicht persönlich werden. Ich denke, es ist auch alles gesagt. Entweder regeln Sie es beim nächsten Mal direkt mit den Kindern oder mit mir. Doch wenn Sie die Kinder noch einmal anfassen, werde ICH weitergehen!" Sprachs, wünschte hoch erhobenen Hauptes einen schönen Abend und schritt königlichen Ganges hinauf zu meiner Wohnung, wo ich mir zunächst meinen Jungen zur Brust nahm.
"Ich hab nichts gemacht, ich stand nur daneben!"
"Mitgehangen - mitgefangen", schnaubte ich. "Es sind deine Freunde und wenn ihr euch hier nicht benehmen könnt, trägst du in dem Moment die Verantwortung. Ich werde auch mit den Eltern sprechen. Und entweder, ihr merkt euch das endlich in Zukunft, oder dein Freund kommt nicht mehr hierher. Punkt!" Das verstand sogar mein pubertierendes, entsprechend großmäuliges Kind, das ganz klein mit Hut zu Mama Helma kuscheln kam und sich nebenbei noch einen Bonbon zwischen die Zähne schob.
Inzwischen hat es seine Schulaufgaben erledigt, der Abend ist noch recht jung, draußen scheint wieder die Sonne und wahrscheinlich muss ich morgen nicht mal in die Arbeit.
Na dann... Mal tief durchgeatmet und zur Ruhe gekommen :-)
Eure Helma

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