Donnerstag, 3. November 2011

Ein Mensch mit zwei Gesichtern?

...Man sagt man ja dem Zwilling nach, der hätte diese Eigenschaft.
Ich jedoch kann nur sagen: "Nur zwei? Wie langweilig! Zehn - aber mindestens!"
Mal ehrlich: Es wäre doch langweilig, wenn nicht nur Du selbst, sondern auch Dein Partner alles von Dir weiß, oder? Wie mein Ex-Mann mal zu mir sagte: "Ich denke immer, ich kenne dich, aber dann kommt immer irgendwas, wo ich merke: Ich kenn dich eigentlich gar nicht." Also ich fand das super! Alles andere hätte selbst mich zu Tode gelangweilt und ich finde es ja wirklich ziemlich schlimm, wenn Du immer genau weißt, was Dein Partner sagen will, wenn er nur zum Sprechen ansetzt; wenn Du weißt, was er denkt, obwohl er grad gar nicht da ist; wenn Du weißt,was er Dir in zehn Jahren zum Geburtstag schenkt und wie Dein Leben mit ihm in fünf Jahren freitags siebzehn Uhr aussieht. Nennt das hier einer Seelenverwandtschaft? Also ich nenn das laaaaangweilig!
Überhaupt wird ja, so finde ich, heutzutage das Wort "Seelenverwandtschaft" schneller in den Mund genommen, als Du es aussprechen kannst und ich wette um mindestens eine Kiste Champagner, dass die Hälfte dieser armen Irren nicht einmal weiß, das genau das eigentlich bedeutet.
Ich meine, zu spüren, wie sich Dein Partner fühlt, auch wenn er gerade nicht bei Dir sein kann; zu wissen, was in ihm vorgeht, wenn Du ihm ins Gesicht schaust oder Du nur den Klang seiner Stimme hörst - dann ist das natürlich nicht langweilig - sondern schon etwas wunderbar Vertrautes und Inniges. Aber ich glaube, das hätte ich jetzt nicht extra anfügen müssen, das versteht sich ja von selbst, oder?
Und ich finde es wichtig, immer noch irgendwie spannend, aufregend und sich dennoch unendlich vertraut zu sein - auch nach zwanzig Jahren. Nicht zu wissen, ob Dir Deine Frau gerade das Bier bringt oder es doch lieber selber trinkt oder aber auch lieber tanzen geht, während Du gramgebeugt Dein Testament entwirfst, weil Du bei Wikipedia gelesen hast, dass Dein Halskatarrh auch ein bösartiger Kehlkopfkrebs sein könnte.
Es ist allerdings - und das muss ich zugeben - gar nicht so einfach, in einem einzigen Menschen all die schillernden Persönlichkeiten zu finden, die man so für alle Lagen des Lebens so braucht: eine Schulter zum Anlehnen, einen Körper zum Anschmiegen, eine Hand zum Anfassen, ein Ohr zum Zuhören und - last but not least: ein aufmerksames Auge für Deine Person und ein wachsames Auge, das all die Töpfe auf dem Herd sorgsam im Blick hat, weil Du gerade lieber Deine Gäste unterhältst. Und - liebe Männer - es ist jetzt kein Vorwurf, dass all dies und noch mehr kaum zu bewerkstelligen ist in ein und derselben Person - denn mit uns Frauen geht es Euch ja, so nehme ich mal an, nicht viel anders :)
Ergo kompensieren wir es, indem es nur einen gibt, den wir lieben, aber noch genügend andere Leute kennen, mit denen wir abends ausgehen, Prosecco auf der Terrasse trinken, shoppen gehen oder uns die Waschmaschine hochtragen oder ein neues Klosett anbauen lassen. Also zumindest geht mir das seit nunmehr neun Jahren so oder genauer gesagt: Seit dem Einzug in mein erstes eigenes Reich und den Beginn eines anderen Lebens. Damals kannte ich ja so gut wie niemanden und ließ mich schlussendlich zum ersten Internetauftritt überreden und kann heute nur sagen: Das war das Beste, das mir passieren konnte. Die meisten Menschen, die ich heute auch im Realen kenne, habe ich im Internet kennen gelernt und bin noch heute dankbar für jede einzelne Begegnung. Na ja fast jede :) Erstaunlicherweise lernt man ja vor allem auch Menschen kennen, mit denen Du quasi Tür an Tür wohnst und erst im world wide web feststellst, dass sie genauso einsam oder so sind wie Du.
Insofern halte ich noch heute den meisten Kontakt übers Internet und bin froh darüber, nicht dreißig Jahre eher auf die Welt gekommen zu sein, wo das Telefon noch eine heiß begehrte Rarität war (jedenfalls bei uns im Osten) und Brieffreundschaften das Tagesgeschäft belebten. Ich meine, so ein handgeschriebener Brief ist schon was richtig Schönes - aber für jeden... mache ich das heute nicht mehr ;)


Heute gibt es Facebook, Twitter & Co., gibt es web.de, gmx.de oder auch googlemail - wo man super chatten kann, und das, wenn man das Spiel beherrscht, auch gerne mal gleichzeitig. Also es gab Zeiten, da hatte ich schätzungsweise vier bis sechs Chat-Fensterchen gleichzeitig geöffnet, überall blinkte und leuchtete es, so dass ich mir selber oft vorkam wie eins dieser Ami-Häuschen zu Weihnachten, die dank ihrer Lichterketten an nur einem Abend die Kosten meines Jahresstromverbrauchs wieder einfuhren -  und ich konnte die Chatter "bedienen", ohne dass einer vom anderen etwas merkte. Jedenfalls nahm ich das an - bis vorgestern Abend, als man mir schrieb: "Wenn alle deine online-Fenster in ein Haus müssten...bräuchtest du ein Schloß...vom Sonnenkönig...um allen Leitern zum fensterln...einen Platz zu bieten!"
Nun ja... Früher war ich der Meinung, es ist doch schön, viele Leute zu kennen. Heute - im inzwischen leicht gereiften Alter - ist mir das zum einen viel zu anstrengend geworden und zum anderen habe ich am Weine der Erkenntnis genascht, dass weniger... in der Tat mehr ist!
Qualität statt Quantität!


Quelle Foto: http://wirtschaft.t-online.de/b/43/50/58/54/id_43505854/tid_da/mietrecht-mieter-duerfen-ihre-mietwohnung-mit-lichterkette-oder-weihnachtsmaennern-dekorieren-foto-dpa-.jpg

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