Dienstag, 31. Dezember 2013

Der Kitzel nach mehr

Noch keiner meiner Lieblingsblogs hat dieses Thema aufgegriffen, aber ich denke, wir alle haben inzwischen vom Skiunfall Michael Schumachers gehört oder gelesen. Man kommt ja irgendwie auch nicht dran vorbei, selbst wenn man wollte: Die TV- und Online-Nachrichten überschlagen sich und selbst in Märchen- oder Kinofilmen läuft neuerdings ein Schumacher-Ticker.
Ganz offen gesagt: Mit jeder neuen Meldung zieht sich meine Augenbraue ein Stück höher und zeige ich mich nachhaltig verwundert über den neuerlichen Hype, der da angerollt ist und über die Zuschauer und Zuhörer hinwegwalzt. Ein persönliches, schweres Schicksal ist immer etwas, das mich berührt - auch in diesem Fall und auch dann, wenn man bei allem Respekt eines nicht vergessen darf: Schumacher ist abseits der erlaubten Piste gefahren, er, der jahrelang Risiko auf dem Asphalt kalkuliert hat, wird gewusst haben, worauf er sich einließ. Warum er es dennoch riskierte, bleibt seine ureigenste Sache und hinterlässt bei aller Tragik einen schalen Beigeschmack: Er hätte es allen ersparen können, sich selbst, seinem Umfeld - und vor allem seiner Familie. Ich will echt nicht klugscheißern, aber was mich an solchen Geschichten immer am meisten betroffen macht, ist vor allem die Situation, in der sich insbesondere seine Familie jetzt befindet. Das Bangen, das Hoffen, der Kummer.
Die gelben Seiten meinten trocken: "Seine Frau sollte ihm nachträglich noch eine runterhauen dafür" und ich sagte: "Sie wird einfach nur froh sein, wenn er wieder da ist und gesund wird."
War es nun Dummheit?
War es nun der Kick, der Kitzel, dieser unaufhaltsame Drang nach eben diesem?
So wie er auch die Rennfahrerei an den Nagel hing und dann doch wiederkehrte, weil es ohne eben nicht ging? Ein Mensch im Geschwindigkeitsrausch, weil das Leben danach als zu langsam erscheint?
Bis wohin ist es Sportsgeist und ab wann beginnt der.. äh.. Größenwahn? Oder als was auch immer man das bezeichnen wollte?

Wenn ich ehrlich sein soll: Es gibt Sportarten, denen kann ich einfach nix abgewinnen. Ich meine, was ist sportlich daran, dass zwei Leute sich - mit Verlaub - die Fresse einschlagen, während das Publikum johlt und pfeift, je doller, desto besser? Egal, ob Boxen, Wrestling oder was weiß ich - ich kann damit nix anfangen - und daran hat auch "Rocky" mit der versuchten Romantik nix geändert.
Vielleicht hats ja auch was mit meiner persönlichen grundlegenden Einstellung zur Gewalt zu tun: Ich lehne sie ab.

Und ich habe Angst vor Geschwindigkeiten. Seit ich in einem Auto saß, dessen Lenkung versagte und mich irgendwo aufklatschen ließ, habe ich jegliches Vertrauen in die Technik verloren. Die Angst fährt nicht mehr bewusst mit, aber sie erwacht in jedem Moment neu, in dem es mir zu schnell wird zum Beispiel. Ich habe Angst vor Höhe, seitdem ich als Kind kopfüber vom Doppelstockbett fiel oder vom Baum stürzte, weil ich, als ich endlich oben saß, nicht mehr wusste, wie ich runterkommen sollte.

Junior I habe ich erst vor zwei Monaten die Ohren gehörig langgezogen, als er des Nachts an mir vorbeigeknattert ist - in meinem Wagen und mit seinem Tempo, das mir den Mund trocken werden ließ. Nur weil er sich zu spät von Freundin Playstation lösen konnte und nun befürchtete, zu spät zum Treffpunkt zu kommen, um seine Mama nicht in der Dunkelheit allein stehen, frieren und warten zu lassen. Es ist nicht nur die Angst, die man um das eigene Kind hegt. Es ist auch die Angst, dass er anderen, völlig Unschuldigen schadet - und was das dann für alle Beteiligten bedeuten würde.
Von Junior II muss ich Derartiges vermutlich nicht befürchten, der kommt ganz nach mir: Legst du den gechillt in eine Ecke mit Kissen und Süßem, steht der für den Rest des Tages nicht mehr auf.
Von wem ich wiederum diese Eigenschaft habe, davon konnten sich die gelben Seiten zu Weihnachten selbst ein Bild machen. Nu ja. Ich war wohl immer schon ein Papa-Kind ;) Auch wenn ich sagen muss, dass ich in den letzten Jahren deutlich mehr Eigenschaften meiner Mama übernommen habe.
Vor einer Woche war ich mit Junior II in der Stadt unterwegs, letzte Besorgungen machen und so. Dort ist uns so ein uraltes Ömchen begegnet, ein krumm gebeugter Rücken, eine zarte schmale Gestalt, das Gesicht zerknittert und verwittert und ihre Kleidung verwahrlost. Sie lief, eine Blechbüchse in den krummen Fingern, am Stock hin und her, völlig unaufdringlich, aber unübersehbar. Als ich ihr Geld in die Dose legte, schaute Junior mich an: "Du weißt aber schon, dass das oft nur Leute sind, die vorgeschickt werden?" Und ich schaute ihn an und sagte: "Ja ich weiß das. Ich weiß aber auch, dass es mindestens genauso viele Menschen gibt, die einfach nichts mehr haben im Leben." Vielleicht denke ich zu pauschal und vielleicht zu klischeebeladen, aber jungen Menschen, die auf der Straße hocken, denen gebe ich kein Geld. Sie sind jung, sie sind gesund, vielleicht sind sie nicht einfach nur faul - aber worin auch immer die Gründe liegen: Sie haben immer noch die besten Chancen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Viel mehr als so ein uralter Mann oder eine uralte Frau.
In Junior II mochte das etwas bewegt haben. Er, der an Bettlern immer vorüberging, schaute sie sich genauer an - und da, wo er auf sein Bauchgefühl vertraute, legte er Geld in die Hand. Nicht viel, aber es war die Geste, die für mich zählte.

Na ja, nun bin ich vom Thema abgekommen. Oder doch nicht?
Ich vermisse oft, dass die kleinen Dinge im Leben nicht mehr geschätzt werden - oder zu wenig gewürdigt. Dass es immer noch besser, schneller, weiter, höher gehen muss und viele Menschen mit dem, was sie erreicht haben, immer noch nicht zufrieden sind. Gut, mir ist bewusst: Zufriedenheit an sich kann auch hinderlich sein. Zufriedenheit fördert möglicherweise Stillstand. Weil man den Status beibehalten, nichts mehr ändern möchte und glaubt, alles müsse nun so bleiben wie es ist.
Ich glaube, dass es ganz gut ist, sich immer wieder mal zu hinterfragen, die eigene Persönlichkeit, eigene Ziele, Träume, Wertvorstellungen und dass auch nix Falsches dran ist, immer mal die Richtung zu ändern. Solange man sich selbst treu bleiben kann.

Ich weiß immer noch nicht, was den Menschen Schumacher dazu veranlasste, außerhalb der erlaubten Pisten den Berg hinabzurasen und ich würde ihm nie niemals absprechen wollen, dass er diese Kleinigkeiten im Leben nicht schätzt - ich kenn ihn ja gar nicht. Irgendwas wirds gewesen sein - aber vielleicht ist es ja auch nicht das Verkehrteste, auch mal darüber nachzudenken, was das eigene Verhalten für die Menschen bedeutet, die einen lieben.

Und nun sage ich an dieser Stelle meinen Lesern das, was ich vorhin auch meinen Söhnen am Telefon sagte: Kommt gut in das neue Jahr, ich hoffe und wünsche Euch alles Liebe für 2014 und dass es Euch das bringen möge, wonach Ihr Euch am meisten sehnt. Passt gut auf Euch auf, so und auch so. Schätzt, was Ihr habt. Liebt, was Ihr habt. Denn manchmal will man vielleicht zuviel - und verliert dabei alles...


9 Kommentare:

Sadie´sGedankenfülle hat gesagt…

Liebe Frau mit dem roten Kleid, mit deinem Posting sprichst du mir aus der Seele. Ich wollte schon gestern dieses Thema ansprechen, auch auf die Gefahr hin, dass man gesteinigt wird, weil man soooo gar kein Verständnis hat.
Aber wer spricht von den Unfällen, den Schicksalsschlägen, die sich tagtäglich zutragen und nicht in den Medien ausgeschlachtet werden?
Es ist immer schlimm, wenn einem Familienmitglied, Freund, Bekannten usw. etwas passiert. Nichts desto Trotz kann ich nicht umhin dieses zu bekritteln, dass man seine Kinder auch in Gefahr bringt, wenn man glaubt ohne Kick geht heute gar nichts mehr.
Natürlich hoffe ich, dass sich alles zum Guten wendet.

Für dich ein glückliches, neues Jahr 2014
LG Sadie

DerSilberneLöffel hat gesagt…

Erst einmal wünsche ich auch Dir und Deinen Lieben ein wunderschönes Jahr 2014.

So, was aber bringt einen Mann dazu, sowas zu tun? Ganz einfach: Der Gedanke "wird schon gut gehen!". Nicht mehr, nicht weniger. Bei Schumacher vielleicht noch die Sucht nach dem Adrenalin. Beweisen muss er niemanden mehr was.

LG, Holger

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Deine Leser und ich sind uns weitestgehend einig: Vielleicht hätte dieser Unfall verhindert werde können. Wer an Schicksal glaubt, der denkt dann: Wenn nicht das, dann wäre ihm an diesem oder einem anderen Tag was anderes passiert, was sein Leben gefährdet.
Vielleicht ändert es ihn grundlegend, wenn er es überlebt - vielleicht aber auch nicht.
Ich finde nur schlimm daran, dass es ja auch seinen Sohn hätte treffen können, denn der war ja bei ihm.
Ich konnte schon damals kein richties Mitgefühl mit dem jungen Mann empfinden, der sich bei "Wetten dass" eine Querschnittslähmung geholt hat. Es ist wohl so, dass diese Leute, die die Gefahr förmlich suchen, auch ab und an darin umkommen.
Eine gute Zeit für dich!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

liebe sadie, vielen dank für deine worte. ich muss zugeben, beim schreiben dachte ich mir auch so, wie mich wohl nicht nur schumi fans "zerreißen" würden für meine gedanken, die eben nicht nur das unglück bedauern. am ende jedoch hat ja jeder ein recht auf seine eigene meinung. solange man sich nicht im ton vergreift. und ich sehs wie du: tagtäglich werden menschen mit schweren schicksalsschlägen konfrontiert, aber da reichts dann, wenn überhaupt, nur für die blöd zeitung in einer fragwürdigen darstellung (berichterstattung zu sagen, widerstrebt mir bei dieser art des publizierens).

lieber holger, danke für deine wünsche. und ja, vielleicht wars auch diese art der gedankenlosigkeit. nur auch dann änderts nix am resultat. dass er jemandem etwas beweisen müsse, sehe ich auch nicht so. aber das muss niemand, auch die nicht, die in ihrem leben keine siebenfachen weltmeister geworden sind. zumindest empfinde ich das so :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

liebe clara, eben das meine ich: was auch immer er dachte: an die, die ihn lieben, eben nicht. dem jungen ist äußerlich nichts passiert, aber er hat seinem vater hilflos zusehen müssen.
versteht mich nicht falsch: ich wünsche natürlich dieser familie sehr, dass alles wieder gut wird. aber es bleibt selbst gewähltes, vermeidbares leid.
und der junge aus "wetten dass..." dieses höher, schneller, weiter, immer noch doller als der andere - die grenze zwischen sportlich und größenwahnsinnig verschwimmt immer mehr. hauptsache, die quote stimmt.

Frau K. aus P. hat gesagt…

Tragisch, ja. Schlimm für die Familie. Und alles Geld der Welt kann es nicht verhindert. Aber gerade als Familienvater muss man auch besonders vorsichtig sein, oder?
Was ich aber etwas übertrieben finde, ist die Tatsache, dass eine Meldung dazu in beinahe jeder Nachrichtensendung zu hören ist. Über die vielen anderen Verunfallten verliert niemand auch nur ein Wort. Auch das sind tragische Schicksale.
LG Susann

Anonym hat gesagt…

So ein Thema würde ich mit Sicherheit auch nicht aufgreifen. ;)

Ich wünsche ihm, dass er wieder auf die Beine kommt, so wie ich es (fast) jedem wünsche, der einen Unfall erleidet, egal ob selbst verschuldet oder nicht.

Diese permanente Dauerberichterstattung ist allerdings total daneben und was da vor dem Krankenhaus abgeht, ist pervers. Das ist ein Krankenhaus und kein Rummelplatz. Denkt mal irgendwer an die anderen Kranken/Verletzten und dere Familien? Die sich durch dieses Theater vielleicht massiv belästigt fühlen? Offenbar nicht....

Um ein paar mildere Worte anzustimmen: Ein frohes Neues wünsche ich dir! ;))

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Hey Anna - versöhnlichere Worte? Ich fühlte mich nicht angegriffen :)
Und ich wünsche auch Dir ein wunderbares 2014 und dass es Dich so sein lässt wie Du wirklich bist und sein möchtest ;)
Und ja, selbstverständlich wünsche ich ihm auch, dass er wieder gesund wird und das alles möglichst unbeschadet übersteht - für die Zukunft.
Es ist jedoch dieser Hype, den ich nicht nachvollziehen kann und/ oder möchte. OK, er ist eine "Person öffentlichen Interesses", wie das unlängst in der Berichterstattung gesagt wurde. Aber rechtfertigt das alle Mittel? Rechtfertigt das, was da - wie Du auch sagst - vor dem Krankenhaus und überhaupt in den Medien abgezogen wird? Fast läge mir jetzt auf der Zunge zu sagen: "Bei jedem anderen -No name- würde man maximal sagen: Selber schuld, man fährt halt nicht abseits der Pisten", aber ach... Grad war ich in Bavarias Hauptstadt unterwegs und auf verschiedenen Titelblättern irgendwelcher Zeitschriften in Zeitungsschaukästen konnte man lesen: "Er hatte gerade erst einem Kind geholfen." Ach so. Klar.

Anonym hat gesagt…

Helma, da sind wir wieder bei meinem Lieblingsthema, warum ich Zeitungen& Co weitgehend meide... wobei du dir da in Fällen wie diesen ein Loch im Wald buddeln musst. Ätzend ist das.

P.S. Versoehnliche Worte doch nur, weil ich im neuen Jahr nicht gleich so negativ sein wollte. Würde dich doch niemals angreifen. Wie käme ich denn dazu? ;))