Samstag, 5. April 2014

Das Leben im Konjunktiv

  

Ich würde echt gern mal wieder was Lustiges posten, was Leichtes, was Sonniges.
Ich würde mich gern wieder entspannter und leichter fühlen.
Ich würde mich gern... ach scheiß drauf.

Letztlich will ich ja kein Leben im Konjunktiv - ich will ein echtes, reales mit seinen Höhen und Tiefen. Und genau das lebe ich ja auch - auch wenn ich wünschte, dass es zwischendrin auch mal ruhig etwas längere Pausen zum Luftholen gäbe. 
Zu Euren letzten Kommentaren wollte ich noch sagen: Ich danke Euch wirklich und bis gestern Nachmittag hat mir das auch auf die Beine geholfen. Bis dann die schriftliche Kündigung im Briefkasten lag. Die Kündigung der Zeitarbeitsfirma. Unser Haus-und-Hof-Anwalt hatte noch mit Blick auf den Vertrag gemeint: "Die lehnen sich an den Manteltarifvertrag der iGZ an und der besagt unter anderem, dass sie ihn auch dann weiterbezahlen müssen, wenn ein Einsatz beendet ist und bis ein neuer beginnt. Es ist das Risiko, das immer das Personaldienstleistungsunternehmen trägt."
Ja, so weit das eine. Das andere ist eben, dass im Vertrag eine sechsmonatige Probezeit fixiert ist und innerhalb derer, das weiß ja jeder, kann man jederzeit und ohne Angabe von Gründen kündigen. 
Sohnemann war gestern trotzdem noch mal arbeiten - für eine solche Einstellung zur Arbeit und zum Leben liebe ich ihn doppelt. Wenn man weiß, dass man draußen ist, gehen die wenigsten trotzdem wieder in die Arbeit. Jedenfalls von denen, die ich kenne, tat das keiner. Er schon. Und er hat noch mal mit ihnen geredet, der Teamleiterin und wohl noch anderen. Man bescheinigte ihm durchaus Fortschritte innerhalb der 6 Wochen, die er dort gearbeitet hat, man bescheinigte ihm ein absolut fehlerfreies Arbeiten und dass er menschlich sehr in das Team passe. Aber er sei am Telefon noch zu unsicher und in diesem Wechsel zwischen Datenbank - Dokumentation - Telefonat mit Patienten noch zu langsam. Man sähe absolut sein Potential und auch seine Entwicklung, aber aktuell reiche es eben nicht, es tue ihnen aber sehr leid.
Als er mich gestern Nachmittag anrief und fragte, ob er Montag mein Auto bekommen könne, er müsse Montag nun aufs Arbeitsamt, sagte er auch, dass er am Dienstag noch mal in die Zeitarbeitsfirma kommen solle. Warum, das wurde ihm nicht gesagt. Nur, dass er zu einem Gespräch kommen solle. Ob sie nun mit ihm lediglich auswerten oder einfach nur das Porto für die Rückgabe seiner Unterlagen sparen wollen - wir werdens wissen, am Dienstag Mittag. 
Ich sagte, ich sei schon auf dem Heimweg und in etwa 15 min da und er sagte: "Ich auch." Und da Junior II ausgeflattert war und ich noch einkaufen fahren wollte, wartete ich die paar Minuten vor dem Haus, bis er kam. Er wurde vom Vater gebracht und als ich das sah, spürte ich förmlich, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. Insbesondere als ich sah, dass Miss Piss auf dem Beifahrersitz hockte. Am liebsten hätte ich gleich die Beifahrertür aufgerissen und mir diese Dame vorgeknöpft, aber ich weiß mich ja zu beherrschen. 
Als Junior seine Tasche aus dem Kofferraum nahm und dem Vater fürs Bringen dankte, da sagte der: "Ja... Nun... Dann denk dran, was ich dir gesagt habe." Und zu mir gewandt sagte der Typ: "Tut mir einen Gefallen, keine Zeitarbeitsfirmen mehr. Das wird nichts. Die wollen Leute, die auf Zack sind, da wird er immer wieder rausfliegen. Du bist eben einfach viel zu langsam. Für sowas haben die keine Zeit, die wollen nur Geld verdienen. Und guck dir mal seine Botten an, er hat so schöne neue Schuhe und zieht die ausgelatschten Turnschuhe in der Firma an. So kann man eben keinen guten Eindruck machen. Und die Haare! Wie oft habe ich gesagt, geh zum Friseur und sogar dein Bruder hats dir schon gesagt, aber du willst ja immer nur dein Ding machen und nicht auf mich hören."
Mal nebenbei bemerkt: Die Turnschuhe waren sauber, ordentlich, ich konnte da zunächst nichts Anstößiges finden, aber ich musste mich dann doch sehr beherrschen, in völlig ruhigem gelassenen Ton zu sagen: "Weißt du, ich finde es sehr beschämend, wenn man auf jemanden, der eh schon am Boden liegt, immer noch einen draufhaut, sehr aufbauend, wirklich." Die engstehenden Augen des Vaters weiteten sich in Aggression, er trat einen Schritt zurück  und begab sich in diese Ich-greif-dich-an-und-zugleich-wehre-ich-dich-ab-Haltung: "Wieso draufhauen? Ich hau doch nicht drauf, ich sag doch nur die Wahrheit?"
(Habe ich irgendwie schon mal gehört, diese Worte.)
"Was denn für eine Wahrheit?" habe ich ihn gefragt, immer noch ganz ruhig und aber irgendwie doch mit einem Lächeln in den Mundwinkeln, weil ich, wenn ich ihn ansah, immer an die Worte von Junior denken musste: "...ein kleiner pummliger Busfahrer". Ich hatte ihn wohl gut ein Jahr nicht mehr gesehen, vielleicht auch länger nicht und gestern wurde mir auch wieder bewusst, wie gut ich daran tat, mich diesem Anblick und diesem "Dunstkreis der negativen Einstellung" konsequent zu entziehen. "Meinst du die Wahrheit, dass er überall rausfliegt, weil er aussieht wie ein Assi? Meinst du die?" 
"Das habe ich nie gesagt." 
"Vielleicht gestern nicht. Aber frag mal deine Miss Piss auf deinem Beifahrersitz!"
"Bitte streitet euch nicht", warf Junior ein - und er hatte recht. Was redete ich überhaupt mit einem Menschen, der jeglichen Anstand und Respekt anderen gegenüber vermissen ließ und dem noch nicht mal bewusst war, welchen Verbaldreck er stets von sich gab.
Also sagte ich nichts mehr und nahm dafür kopfschüttelnd zur Kenntnis, dass Junior sich doch mal bei BMW bewerben solle, so wie es ein Bekannter getan hätte, der dort völlig ungelernt angefangen habe und trotzdem richtig Geld verdienen würde.
"Und was soll er jetzt bei BMW?" fragte ich - und meinte diese Frage nicht mal ironisch.
"Das machen andere auch! Auch ungelernt!"
"Ich will von dir wissen, was er bei BMW machen soll, deiner Meinung nach?"
"Na... der andere is am Fließband und verdient aber rund 1.400 netto!"
Da konnte ich mir ein nun doch ironisches Lächeln nicht verkneifen: "Aha. Ihr sagt, er ist in allem zu langsam - und dann soll er allen Ernstes an ein Fließband? Hauptsache, erst mal wieder in Lohn und Brot? Für drei Wochen oder wie? Und das nur, weil du Angst hast, dass der Junge kein Geld verdient und du ihn versorgen musst?"
"ICH habe keine Angst", tat er entrüstet und da hätte ich ja gerne laut gelacht, mich dann aber entschieden, nur den Kopf zu schütteln, Junior meinen Wohnungsschlüssel in die Hand zu drücken: "Ich fahr erst mal was einkaufen, geh du erst mal hoch und entspann dich. Wir reden dann noch mal in Ruhe."

Ich bin nicht sicher, ob man von einem noch völlig unbeleckten Berufsanfänger erwarten kann, nach knapp 6 Wochen schon eine adäquate Schnelligkeit an den Tag zu legen. Schnelligkeit hat ja in gewissem Maße auch was mit Routine zu tun, und woher soll die schon kommen, wenn man ihm nicht die Möglichkeit dazu lässt? Er wurde bezahlt in einer Entgeltgruppe, die laut Tarifvertrag eine besondere Anlernzeit berücksichtigt. Ist die schon nach 6 Wochen aufgebraucht? Auf das Gespräch am Dienstag bin ich wirklich gespannt - und werde mit Junior das an diesem Wochenende mal üben. Ihn vorbereiten. (Danke da noch mal für Deine Tipps, Suse)
Chef hat gestern Juniors Unterlagen mitgenommen und will sie einem Klinikvorstand mitnehmen, weil die gerade neue Kliniken aufgekauft haben und sich so vielleicht neue Möglichkeiten eröffnen. Ein anderer Kollege will bei seiner Tochter nachfragen, die in einem medizinischen Zentrum hier in der Nähe arbeitet. 
All diese Dinge empfinde ich als Hilfe. Wenn aber jemand lediglich zu mir sagt, er habe es ja kommen sehen und man hätte nur auf ihn hören müssen und vielleicht sei Junior auch irgendwie selber schuld an dieser Situation, dann kann ich darin keine Hilfe, keinen Beistand sehen, so leid mir das auch tut. Weder mit noch ohne Brille.

Gestern fühlte ich mich den ganzen Tag wie betäubt, ich habe Fehler im Job gemacht oder besser gesagt: Ich habe manche Dinge gar nicht gemacht, sie schlichtweg versäumt. Ist nichts passiert dadurch, dennoch... 
Als am Abend meine Mum anrief und sich nach uns erkundigte, ich ihr von Mittwoch und von Junior erzählte, da sagte sie: "Ach Mensch, das tut mir wirklich leid für ihn. Aber er soll jetzt bloß nicht den Mut verlieren", da sagte ich nur "Ja" und hätte fast geweint und sie sagte: "Ist grad ganz schön viel, oder?" und ich sagte: "Ja, irgendwie schon" und ich hätte gerne auch gesagt, dass ich mich grad ziemlich alleine fühle. Dass die Menschen um mich herum immer sagen, sie seien nur ehrlich - und vertragen es dann nicht, wenn ich genauso ehrlich meine eigene Meinung dazu äußere. Dass von mir immer wieder erwartet wird, dass ich mich rege, dass ich tue, dass ich drauf zugehe. 

Ein Leben im Konjunktiv... Wenn ich könnte, dann würde ich.
Ein Leben im Präsens: Was ich kann, das tue ich genau jetzt. Ich werde erst mal Frühstück machen, bisschen Ordnung in die Bude bringen und dann die Bewerbungsfotos anfertigen lassen. Die letzten sind 7 Jahre alt. Will ja mit offenen Karten spielen :) Und dazu höre ich weiter die heute präsentierte Musik. 
Passt auch irgendwie - passagenweise "I ran... I ran so far away... I ran all night and day..."

6 Kommentare:

DerSilberneLöffel hat gesagt…

Grüße!
Na, ich sehe das ja auch alles von der Chef-Seite her. Die Wahrheit liegt bei Euch irgendwo dazwischen.

Was spricht denn dagegen, sich bei BMW zu bewerben? Wenn der die Chance bekommt und kommt gut klar - vielleicht ist das ein Einstieg? Wenn nicht, so hat er einen Verdienst und hat es für sich probiert. Bewerben kann er sich auch, wenn er am Band arbeitet. Und wenn er Schwierigkeiten mit der Anfangsgeschwindigkeit hat, dann kann es nicht schaden, anfangs wenige Handgriffe zu machen.

Zu "seinem Ding". Sehe ich ähnlich wie der Vater. Wenn er sich etabliert hat, kann er "sein Ding" durchziehen. Kann er auch jetzt, das ist klar. ABER: Dann muss er auch damit leben, dass er aneckt und Konsequenzen bekommt. Nein, ich bemühe jetzt nicht den Ponyhof-Spruch. Den hat er ja gespürt.

Also. Hintern zusammenkneifen, jede Chance als Sprungbrett sehen und sich "hochdienen". Und wenn das vom Band bei BMW aus geht - warum nicht. Wer weiß? Vielleicht werden ihm da Chancen geboten, die seinen Fähigkeiten entsprechen? Gerade die großen Firmen habe eine Vielfalt an Berufen.

Ich drücke Euch die Daumen, dass es klappt. Aber den Junior nur in Schutz nehmen, das bringt ihn nicht weiter. Ab und zu brauchen junge Männer mal einen Tritt in den Allerwertsten aus dem Heimatnest heraus, um in die Hufe zu kommen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Gruß. Holger

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Hey Holger. Was ich mich frage: Kann man in einer Firma, die Dich an ein Fließband stellt, denn "anfangs wenige Handgriffe machen"? Geht sowas? Ich frage in ehrlichem Interesse. Denn wenn er ein Problem mit der Anfangsschwierigkeit hat - ist denn dann nicht das Scheitern an der Stelle vorprogrammiert?
Ich frage es wirklich in ehrlichem Interesse, denn es hebt einen ja auch nicht gerade an, wenn man gleich am Anfang mehrmals scheitert.

Du hast recht - es bringt nichts, ihn nur in Schutz zu nehmen. Tu ich das? Ich meine.. schützen will ich ihn letztlich nur vor den Verbalattacken des Vaters und dessen Freundin. Weil ihn das nicht weiterbringt, sondern nur runterzieht.
Er weiß ja auch, wo seine Defizite liegen und es ist auch nicht so, dass wir nicht darüber sprechen, dass ich nicht auch offen Dinge anspreche. Nur gestern und vorgestern.. Wenn du grad einen Tritt in den Magen bekommen hast, ist der zeitgleiche Tritt in den Allerwertesten aus meiner Sicht eher destruktiv als konstruktiv. Oder denke ich da zu sehr als Mutter?
Wie sagte doch mal meine Schmerztherapeutin? "Die Menschen neigen dazu, sich immer auf das zu konzentrieren, was sie nicht können. Sie sollten sich darauf konzentrieren, was sie gut können, wo ihre Fähigkeiten liegen und darauf aufbauen."
Sohnemanns erster Chef in der Elektronik sagte "Seine absoluten Stärken liegen im Dokumentieren - nur das brauchen wir hier in der Elektronik nicht." Und so kamen wir zum medizinischen Dokumentationsassistenten. Klar, er war inzwischen 4 Jahre älter, aber man spürte von Beginn an der Ausbildung: Das liegt ihm, da findet er sich wieder. Dieser 1. Job war für ihn die Erfüllung. Sollte man jetzt aufgeben, auf die letzte Ausbildung pfeifen und an ein Fließband gehen? Natürlich spricht nichts gegen BMW an sich, und wenn man da in die Dokumentation käme - warum nicht? Ich hatte gestern Abend auch noch eine andere Idee hinsichtlich des Dokumentierens, und die Chancen stünden vielleicht nicht mal schlecht. Ist dann eben nichts Medizinisches, aber es wär sicherlich ein guter Job und ich denke, auch einer, wo er lernen könnte.

Aus dem Heimatnest raus... Das ist es ja: Der Verlust des Jobs war schon zerschmetternd für ihn, auch für sein geringes Selbstwertgefühl. Aber am schlimmsten ist für ihn, dass es nun mit seiner Wohnung nichts wird, er sollte nächste Woche bescheid sagen. Arbeitslosengeld steht ihm nur bis Juli zu, obs bis dahin mit nem neuen Job geklappt hat, weiß ja noch keiner.
Er WILL raus und er MUSS raus. Und grad hängts wieder an dem kack Geld. Denn unterstützt wird das erst ab dem 25. Lebensjahr. Da muss er noch 1 Jahr warten... Theoretisch.

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Liebe Helma,

ich finde es richtig, dass Du den Junior in Schutz nimmst! Ihn den Verbalattacken seines Vaters auszuliefern und noch mit drauf zu schlagen im übertragenen Sinn - das wäre doch total krank und vollkommen falsch. Der Junior hat doch nichts falsch gemacht - was kann er denn dafür, wenn der Arbeitgeber seine Geschwindigkeit zu langsam findet und ihn nach nur 6 Wochen deshalb rauswirft?

Das Problem hier ist doch, dass der Vater seinen Sohn ständig runtermacht - und somit die Probleme in der Arbeit vorprogrammiert waren und sind. Wer sich nicht vollwertig fühlt, wird auch im Arbeitsleben Probleme bekommen (und nicht nur da).

Die Frage ist doch viel mehr, wie könnte man noch am Selbstwert des Sohnes arbeiten? Vielleicht könnte hier auch therapeutische Hilfe etwas bringen?

Das Problem ist nicht, dass der Junior "sein Ding" durchziehen will oder dass er angeblich nicht flügge wird, sondern eher, dass der Vater ihn von klein auf so geprägt hat, dass er jetzt dermaßen unsicher ist und sich das auf die Arbeit auswirkt.

Du könntest den Junior auch mal fragen, ob er weiss, warum er nicht schneller war bei der Arbeit? Hat er seine Arbeitsschritte vielleicht zu oft kontrolliert? Gerade wenn man unsicher ist, neigt man ja dazu, mehr Zeit auf die Kontrolle zu verwenden oder alles langsamer zu machen um ja keine Fehler zu machen - das könnte auch ein Grund sein.

Wie auch immer - lass Dich mal nicht verunsichern. Ich finde, Du bist hier die einzige, die das richtig macht mit dem Sohn. Ihr werdet das noch hinbekommen!

Und Dir wünsche ich, dass es wieder ruhiger wird und es Dir wieder besser geht!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, grad könnte ich echt heulen, wirklich. Weil ich das Gefühl habe, dass Du die Probleme meines Sohnes völlig auf den Punkt gebracht hast: Ja er ist zu langsam und er weiß es auch und er weiß nur noch nicht, wie er das verbessern kann: weniger genau sein, dafür in Kauf nehmen, dass man 1 - 2 Faselfehler einbaut, aber erst mal schneller wird? Er ist sehr penibel in der Ausführung, ob es daran liegt, dass er zu langsam ist? Dass er diese Dinge noch nicht vereinen kann: Genauigkeit und Schnelligkeit?
Und ohne ihn damit zu entschuldigen wollen (was ihn ja letztlich auch im Berufsleben nicht weiterbringt), aber genau darin liegt auch der Grund: Seit seinem 3. Lebensjahr wird er niedergemacht "was will denn der, kann der sich nicht mal vernünftig ausdrücken, weißt du vielleicht, was der von mir will?" bis hin zu den Jahren, in denen er begann, den Jungen zu verprügeln, verbal und körperlich (das Körperliche wagt er inzwischen nicht mehr), verbal und körperlich zu schlagen, wo die eigenen Argumente ausgingen und die eigene Angst zu groß, irgendwann selber in die Pflicht genommen zu werden. Wenn man so groß wird, wenn man in der Ausbildung begleitet wird mit den Worten: "Dein Chef lacht über dich" oder "Du taugst eh nix" oder "Das schaffst du sowieso nie" oder "so ein Job wie deiner kann jeder Plebs, das ist doch gar nichts" oder eben jetzt "die wollen dich nicht mehr, weil du rumrennst wie ein Asi und dir alles scheiß egal ist" - wo soll dann die Kraft, die Energie, das Selbstbewusstsein herkommen und er sich völlig auf den Job einlassen können? Gestern ist er trotz der Entlassung noch mal in die Firma gegangen; er glaubt mir nicht, dass die das dort und sicherlich auch die Zeitarbeitsfirma wohlwollend zur Kenntnis nehmen werden. Dass sie auch sehen, ihm ist nichts egal, er macht alles, das er tun kann - und er hing dennoch durch und erzählte in der Raucherpause seiner Teamleiterin die wahren Hintergründe zu Hause, wie das alles dort lief und läuft und wie voll zuweilen sein Kopf ist. Er hat es nicht gesagt, weil er was damit bezweckte, aber es musste wohl einfach nur raus.
Sie hat zu ihm gesagt, dass es ihr sowieso leid tat, dass man so entschieden hätte, dass es ihr nun aber doppelt leid täte.
Kann er sich nix von kaufen, klar. Ich habe vorhin beim Essen nur gesagt, dass er jetzt nicht den Mut verlieren darf, es war jetzt die erste Niederlage und jetzt muss man sich eben aufrichten und weitermachen. Dass er weiß, wo seine Defizite liegen und er Wege finden muss, an sich zu arbeiten. Notfalls auch mit einem entsprechenden Training.
Therapeutische Hilfe? Hat er gehabt, während der 1. Ausbildung. Weil sein Chef da schon realisierte, dass die Probleme, die Junior mit sich rumschleppt, vor allem auch in der Psyche verwurzelt sind. Nur hat Junior sich da in der Therapie nicht geöffnet, nicht gesagt, wie tief es wirklich geht und was vor allem die Zweifel an sich selbst bewirkt haben. Das weiß auch niemand außer ich, er hat es mir vor 2 oder 3 Jahren gestanden, nachts, als er völlig am Ende war und so verzweifelt, dass ich spürte: Da läuft grad was richtig, richtig schief.
Solche Dinge sind ein schlechter Begleiter und es hilft ihm im Berufsleben nicht, auch darf er sich auf sowas nicht ausruhen. Er MUSS was tun, er MUSS da ansetzen, wo er weiß, dass es ihn weiterbringt. Alles, nur nicht hängenlassen und aufgeben. Das wärs Schlimmste und Verkehrteste.
Dazu besteht auch gar kein Grund.

DerSilberneLöffel hat gesagt…

Helma, mir ist wichtig, dass Du meinen Beitrag nicht als "niedermachen" verstehst.

Ich plädiere IMMER für eine Lehre vor einer Existenz als ungelernte Kraft an einem Band. ABER! Was spricht dagegen, wenn er sich am Band ein Erfolgserlebnis holt? Und trotzdem weiter eine Lehrstelle sucht? Und wer sagt, dass das Band bei BMW nicht DIE Möglichkeit birgt, dort in eine Lehre übernommen zu werden? Ich habe einen Kumpel, der war in der Schule und Leben irgendwie verpeilt. Langsam, hat ihn alles nicht so interessiert, destruktiv im Denken, dieses, wie Du schreibst "Die Menschen neigen dazu, sich immer auf das zu konzentrieren, was sie nicht können. Sie sollten sich darauf konzentrieren, was sie gut können, wo ihre Fähigkeiten liegen und darauf aufbauen." war sein Ding. Alles, aber auch alles wurde darauf geschoben, schließlich wurde ihm von seiner Mutter gesagt, sie wüsste ja, dass er langsam ist. Dass er empfindsam ist. Und? Hat es ihm was gebracht? Nein, denn sie hat ihm suggeriert, dass er langsam und für die Arbeitswelt nicht geeignet ist. Auch sowas schleift sich ein. Positiv gemeint, aber nicht konstruktiv. Er ist schon immer an die Arbeit mit einem "Ach, das werde ich nicht schaffen!" Und siehe da, er ist mal wieder gescheitert, die Mama hat sein Lieblingsessen gekocht, hat mit Verständnis geholfen, anstatt ihm mal in den Hintern zu treten, sich aufzuraffen und eine Konzentration an den Tag zu legen, die im Arbeitsleben gefordert wird.

Uns war klar, er kann, wenn er etwas findet, was ihm entspricht. Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann ist die Mutter weggezogen, mit dem neuen Mann nach Dänemark. Junior stand da und wusste nur, dass es sich ändern wird. Ändern muss.

Beim Amt hieß es, dass eine Stelle im Krankenhaus als Hilfe offen wäre. Wenig Geld, viel Arbeit, das war klar. Aber auch, dass wir uns sicher waren, dass er scheitern wird. Wie immer. Weil seine Grundhaltung schon diese war. Auch da: nachlässige Kleidung, das Äußere: naja. War eben "sein Ding". Nur, dass er damit angeeckt ist, das wollte er nicht sehen.

Eines Tages dann, er war längere Zeit nicht mit uns fort, hatte sich rar gemacht. Wir dachten, er wäre mal wieder in der eigenen Vorhersehung aufgegangen. Nix wars, der Mann hat seine Berufung gefunden. Hat sich dort so gut eingelebt, war der Liebling der Schwestern, hat seine Ausbildung gemacht. Und nun ist er dabei, auf einem alternativen Weg, eine Ausbildung zum Facharzt zu beginnen.

Hätte seine Mutter immer weiter an seiner Seite gestanden, ihn immer und immer wieder aufgefangen und ihm alles ausgeredet, er wäre nie da, wo er heute ist. Verheiratet, ein Kind, beruflich im Leben und angekommen.

Er, der Mann, der sich in Handwerksberufen beworben hatte und immer gescheitert ist, hat durch eine Fügung seine Bestimmung gefunden.

Warum soll es bei einem BMW-Band nicht auch funktionieren?

Einfach mal was wagen, auch wenn es außerhalb der Reichweite zu liegen scheint.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Lieber Holger, oh Gott, nee, also als Niedermachen habe ich Deinen Kommentar NICHT empfunden! Du kannst mir echt glauben, ich bin wirklich offen für andere Gedanken und Sichtweisen, weil sie ja auch den eigenen Horizont erweitern - solange es eben sachlich und konstruktiv bleibt.
Und versteh mich nicht falsch: Ich hindere ihn nicht daran, sich bei BMW oder wo auch immer zu bewerben, denn ich sage nicht zu ihm: "Mein armer Junge, ist halt, wie es ist, schauen wir mal."
Ich halte auch meinem Ex nicht vor, dass er in diese Richtung denkt bzw. den Jungen versucht, da hinzulenken. Als ich ihn fragte, was er bei BMW soll, war das eine ernstgemeinte interessierte Frage von mir. Und prinzipiell ist Sohnemann wohl auch besser in einer größeren Firma aufgehoben, weil in einer kleinen die eigenen Nicht-Fertigkeiten, die man (noch) nicht hat, viel schwerer ins Gewicht fallen.
Bitte versteht mich auch nicht so, dass ich dem Jungen jetzt nur den Bauch streichel, sein Lieblingsessen koch und ihn sich munter an der Playstation abreagieren lass. Es ist auch nicht so, dass er jetzt phlegmatisch durchhängt und sich sagt: "Tja das wars dann wohl.."
Natürlich ist er traurig, dass es dort nicht geklappt hat - aber er ist nicht mutlos.
Als er sagte: "Scheiße, jetzt klappt das mit der Wohnung nicht", da sagte ich gestern: "Das war jetzt die erste Niederlage, du weißt, woran es lag, dann bewirb dich neu und arbeite an dir. Beweise dich." Klar hat er Zweifel, aber Holger, die sind anerzogen. Wenn du 20 Jahre lang hörst, dass du nichts kannst, nichts drauf hast, nichts taugst, dann glaubst du das irgendwann.
Ich hab dasselbe durch, mir hat er das 16 Jahre lang erzählt und ich hab erst jetzt, 11 Jahre nach dem Ehe-Ende dieses Muster abgelegt. Heute weiß ich, worin meine Stärken liegen, was ich kann und was ich auch nicht kann.
An was Soziales... würde ich bei Junior eben auch glauben... Darin ginge er sicherlich auf. Aber er ist 24. Er hat ja 2 Berufsabschlüsse, wenn auch artfremd. Ich dachte z. B. an das Pflegeheim, hier, wo Junior II war. Die nehmen ja auch Branchenfremde. Aber das soll er selber entscheiden. Er ist alt genug. Ich kann ihm zuhören und Tipps geben - gehen muss er seinen Weg allein. Wie Du so schön sagtest und was ich selber auch immer sage: "Arschbacken zusammenkneifen und los gehts." Dass er Donnerstag, als er vom Ende erfuhr, und Freitag, als die Kündigung kam, mental durchhing, sei ihm aber, denk ich mal, gestattet. Mir tut es leid, das weiß er, aber jetzt muss der Kopf wieder hoch und der Schritt nach vorn.

Ach und was ich unbedingt noch sagen wollte: Wenn Junior I zu Hause ist, dann ist ihm egal, wie er aussieht, ob das Haar 2 Tage nicht gewaschen wurde oder er den ganzen Tag in Sweathosen rumläuft. So what? Wenn er aber in die Arbeit ging oder vorher in die Berufsschule, da habe ich nie niemals erlebt, dass er nachlässig mit sich war. Im Gegenteil. Und er war so oft bei mir, dass ich das wirklich beurteilen kann. Nur weil man der Vorstellung des Vaters nicht entspricht, heißt das doch nicht, dass man nachlässig ist??
Und Junior II.... Der rennt alle 3 Wochen zum Friseur und blockiert morgens ewig das Bad. Der braucht mehr Zeit als ich ;) - insofern...
Sie sind unterschiedlich, die beiden, aber jeder ist gut so wie er ist. Mal abgesehen davon, dass sie beide noch viel, viel lernen müssen und werden im Leben. Aber ist das nicht auch normal?