Sonntag, 27. April 2014

Life in Motion

Zwei Stunden schlief ich in der Sonne.
Nix mit Lesen.
Außerdem hatte ich die Sonnenbrille vergessen - und die Wasserflasche auch.
Ich erwachte, weil ich glaubte, vom Regenguss erwischt worden zu sein - aber nein. Neben mir schüttelte ein Riesenmonster von Hund sein frisch seegebadetes Fell aus. Örks. Und die Hundemutter stand zehn Meter hinter mir und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Hättste ihn mal besser gerufen, den Fiffi.

Und dann stellte ich fest, dass mir der Rücken schmerzte: Zwei Stunden im Sand liegen is wohl nix mehr für mich.
Die ersten Mutigen waren auch baden - ich gehörte nicht dazu. Aber es war schön am See. Es war ruhig. Und es war friedlich. Nicht sooo viele Leute wie befürchtet.
Ich hatte meine Musik in den Ohren und hing meinen Gedanken nach. Sortierte, analysierte, verwarf, ordnete neu...
Und das Auto... Gestern mailte ich der Werkstatt meines Vertrauens die Fotos. Aber na ja - mit Handy aufgenommen vom geschockten Sohn und dann auch noch bei Nacht, da war mir selber klar: "Viel sieht man nicht." Also bleibt mir erst mal nur, morgen mit diesem Abschleppdienst zu klären, ob denen die Kostenübernahmeerklärung der Versicherung genügt oder ob sie erst das Geld haben bzw. überwiesen haben wollen, eh sie New Blue rausrücken - und dann wird es von unserer Firma abgeholt und in die Werkstatt im Nachbarort gebracht. "Ich nehm ihn mal hoch und gucks mir an", sagte er. "Die Karosserie ist kein Problem und dass der Gang nicht mehr rein geht, kann auch was Simples sein. Dass irgendwo was rausgesprungen ist durch den Aufprall. Wenn der andere ihn aber voll aufs Rad getroffen hat, dann sag ich Ihnen gleich, siehts schlecht aus." Diese Frage kann mir Junior nicht beantworten, es ging wohl zu schnell. Doch wenn ich mir die Fotos betrachte... Vielleicht haben wir Glück im Unglück und er hat ihn mehr auf der Scheinwerferecke getroffen, so wie es aussieht. Aber das... sieht man dann eben doch erst, wenn er oben auf der Bühne hängt.
"Gehts dir besser?" fragte mich heute meine Freundin.
Ich weiß das gar nicht so genau. Ja vermutlich schon.
Ich denke viel nach, vor allem auch über mich selbst. Über mich als Kind, über mich als junge Frau, über mich als Mutter - und nicht zuletzt über mich als Partnerin. Als Kind war ich extrem schüchtern und ängstlich, habe mir meine Phantasiewelt aufgebaut und teilweise darin gelebt.
Als junge Frau war ich immer noch sehr schüchtern und ängstlich, aber dann bekam ich meine Kinder - und an dieser Aufgabe wuchs ich.
"Deine Kinder haben dir echt gut getan in deiner Entwicklung", hat mir mal vor rund 15 Jahren einer gesagt. Was ich absolut nicht hatte, war ein Selbstbewusstsein oder ein Durchsetzungsvermögen und konsequent war ich auch nicht. Das lernte ich im Grunde erst, als Junior I in die Schule kam und wo es schon seit Jahren hieß, er habe schwere Absencen und auch eine Infektallergie. Mit ersterem sei er maximal hilfsschulfähig, mit letzterem bei jedem Infekt in Lebensgefahr.
Es hat sich beides nicht bestätigt - und in diesen Jahren habe ich auch sehr viel über mich gelernt und auch, mich durchzusetzen, mich zu behaupten, mir bewusst zu werden, dass auch mein Wort etwas galt.
Und nach der Ehe... Es war ein langer Weg für mich von damals bis hierher und ich weiß nicht, ob ich glücklich bin mit mir selbst. Ich zweifle an mir und hadere an mir, und die einzigen, die immer bedingungslos zu mir standen, waren eine Freundin von mir und meine Mum.
Es fällt mir sehr, sehr schwer, um Hilfe zu bitten. Meist versuche ich es immer erst im Alleingang, aus eigener Kraft. In der Ehe habe ich nie niemals Hilfe oder Unterstützung bekommen, es musste einfach immer aus eigener Kraft gehen und daran hatte ich mich irgendwie gewöhnt. Für das Ende dieser kack Ehe habe ich wahnsinnig viel (Lehr)-Geld bezahlt, und eigentlich werde ich erst jetzt mit dem Abbezahlen fertig. Mir ist das oft vorgehalten worden, von Freunden und Familie, und ich habe gearbeitet wie ein Pferd. Das hat mir dann irgendwann endlich auch Anerkennung im Job gebracht und viel mehr Verantwortung. Das ist eine Last mitunter, von der ich nicht weiß, ob ich sie auf Dauer tragen kann, und es ist eine Last, die mich beginnt zu verändern. Ich habe heute weniger Zeit für andere Menschen - und nehme sie mir auch nicht immer. Nur wenns brennt. Ich bin unduldsamer geworden und Schwächen lasse ich weniger durchgehen. Kritik äußere ich offener und direkter und nicht mehr so diplomatisch wie früher. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Kollegen inzwischen von mir sagen "arrogante Kuh" - und vielleicht haben sie auch recht damit. Auch wenn sie wissen, sie können immer zu mir kommen und ich regle die Dinge dann schon. Trotzdem...
Nein, ich bilde mir weiß Gott nicht ein, irgendwas Besseres zu sein oder zu können, echt nicht. Aber ich lasse mir auch nicht mehr alles sagen und behaupte meinen eigenen Kopf. Dann fahre ich anderen auch mal über den Mund.
Und so... Tief in mir drin vermisse ich etwas von mir. Etwas von früher, ich weiß nicht mal genau, was das ist. Früher war ich sanft und anschmiegsam - und heute? Ja, ich bin das irgendwie immer noch - aber ich hab andererseits auch.. eine harte Seite bekommen. Eine, die hart ist zu sich selbst und aber auch zu anderen - nur nicht zu den eigenen Kindern. Ich fühl mich wie ein Mutterschiff, das die beiden trägt, mehr als es wohl sein sollte. Objektiv sind Mütter vermutlich alle nicht - und ich auch nicht. (Wobei, meine eigene Mum kann mir durchaus schon auch klare Ansagen machen, und das ist ja auch gut so ;)) Es hat unerträglich viel Kummer im Leben der Jungs gegeben seit der Trennung, und wohl aus meinem (vielleicht falsch verstandenen) Schuldgefühl heraus trage ich wohl mehr als ich sollte? Oder bin ich prinzipiell eher immer der liberale Mensch gewesen, der eher Freundin denn Mama war? Ungerechtigkeiten zerfressen mich, und wenn Stärkere Schwächere bedrängen, sehe ich rot. Materielles bedeutet mir nichts, zumindest nicht soviel, dass es mein tägliches Denken und Handeln bestimmt. Was ich habe, teile ich immer und immer gern. Früher als Kind, wenn meine Oma vom Osten in den Westen zu ihrer Schwester fuhr und Pakete schickte, war immer viel für uns Kinder dabei: Kaugummis von Fix & Foxy (kennt die noch einer?), Schokolade und so, und dann sagte sie zu mir: "Das ist aber wirklich nur für dich, verschenk nicht immer alles." Ich habs trotzdem gemacht - weil meine Freundinnen sowas nicht hatten. Mir war egal, dass ich in den elf Jahren des Alleinlebens mit den Kindern nicht im Urlaub war - außer auf der Insel. Mir war wichtiger, dass wir für uns  ein gutes Leben hatten - und dass Junior II vor zwei, drei Jahren zu mir sagte: "Ich hatte eine richtig schöne Kindheit." Jetzt ist er 18, wird in diesem Jahr 19 und wird mit der ersten eigenen Wohnung auch in sein eigenes Leben starten.
Und ich sitze hier, grübele über mich und mein Leben nach, über mein Auftreten und meine Erziehung und frage mich, ob es vielleicht besser ist für sie, dass ich hier weggehe? Damit sie sehen und wissen, dass ich nichts mehr für sie lösen und regeln kann - und sie eben selber ran müssen? Etwas, das sie eigentlich längst hätten lernen sollen? Habe ich sie ausgebremst in ihrer Entwicklung? Ja, vermutlich habe ich das. Und es ist egal, ob ich es gut gemeint habe. Ich glaube, ihnen hat einfach der Vater gefehlt - oder eben eine Vaterfigur. Als Mama... neigt man wohl doch eher dazu, zu weich zu sein, zu liebevoll, zu nachsichtig. Keine Ahnung, irgendsowas.
Junior I habe ich gefragt, warum er sich so hängenlässt, seitdem er wieder ohne Arbeit ist. Er kann es mir nicht beantworten. Vielleicht weiß er es ja wirklich nicht und es läuft eher unbewusst bei ihm ab. Ich für mich habe jedenfalls beschlossen: Ich werde ihn nicht mehr jeden Tag nötigen und auffordern, ihn nicht mehr an seine Termine erinnern. Erinnert habe ich ihn lediglich daran, dass ich ab August nicht mehr hier bin - und sein Bruder in einer eigenen Wohnung. Er also keinen Rückzugspunkt mehr hat vom unerträglichen Zusammensein mit dem Vater. Es also ganz allein bei ihm liegt. Entweder er tut was und "bewegt" sich - oder er muss die Konsequenz tragen. Ich glaube schon, dass ich sehr deutlich war. Ob es etwas bringt... wird sich zeigen.
Und ich? Wie fühle ich mich denn jetzt nun? Besser als gestern? Ich habe immer noch keine Ahnung. Es arbeitet in mir.
Und dann muss ich morgen  vor allem auch meine Gynäkologin anrufen und fragen, ob der Befund da ist - und dann den Kontrolltermin für Mai ausmachen. Life goes on.

7 Kommentare:

greebo hat gesagt…

Liebe Helma,

ich kann dich sehr gut verstehen.

Am 14.02. habe ich einen Unfall gebaut. Frontal auf einen stehenden LKW aufgefahren, als ich auf dem Weg zu meinem Bruder war, der mit Verdacht auf erneute Hirnblutung ins KH eingeliefert wurde. Ich war in der Notaufnahme des gleichen KH und wusste nicht, was mit ihm ist... mir ist nichts passiert! Bei ihm hat sich der Verdacht bestätigt.
Jetzt geht es darum, dass ich seine Betreuung übernehme, weil er in vielen Bereichen nicht fit ist. Entscheidungen, für alle Beteiligten sehr wichtige Entscheidungen, sind zu treffen.
Früher konnte und wollte ich solche Entscheidungen nicht treffen, weil ich viel weicher/zerbrechlicher und auch unfähiger war.

Heute nachmittag saß ich mit meiner herzbesten Freundin (seit mehr als 30 Jahren) im Garten und wir redeten und redeten, besuchten meinen Bruder und ich bekam eine neue Perspektive. Neue Möglichkeiten aufgezeigt.

Man muss immer Entscheidungen treffen. Ob sie immer die richtigen sind... das weiß man immer erst viel viel später.
Aber es ist gut, dass man Menschen an seiner Seite hat, denen man am Herzen liegt und die in guten wie in schlechten Zeiten an deiner Seite sind.

Dass deine Kinder und meine Kinder offen mit uns reden, dass sie sich melden, wenn Not am Mann ist, dass sie sich aber auch melden, wenn etwas wirklich Schönes passiert.. all dies zeigt uns, dass wir auch verdammt viele gute und richtige Entscheidungen getroffen haben.

Das Sinnieren, wie man war, wie man sich verändert hat, was man an sich vermisst... das mache ich auch und dann stelle ich fest, es ist wie es ist. Ich bin die Summe meiner Erfahrungen, Entscheidungen und Erlebnissen.. und es ist gut so.

greebo

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Greebo, ja, wir sind die Summe unseres Erlebten, ich bin nur noch nicht ganz soweit, das alles an mir auch gut zu finden. Manchmal werden irgendwie auch Entwicklungen provoziert, die man eigentlich nie haben wollte.

Ich wünsche Deinem Bruder wirklich von Herzen alles Gute und ehrlich, ich freu mich für ihn, dass er Dich hat. Als mein Sohn im Februar sein Praktikum im Pflegeheim machte, waren dort auch Menschen im mittleren Alter, die durch Herz- oder sonstige Erkrankungen zum Pflegefall wurden, und die oft nicht mal Besuch von der Familie bekommen. Da schluckt man schon schwer.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Und nicht vergessen zu sagen wollte ich: Gut, dass Dir nichts passiert ist bei diesem Unfall. Ich hab auch schon einige Bruchlandungen hinter mir, der letzte 2006 war der schlimmste. Sowohl körperlich, aber auch seelisch. Ich knabber heut noch dran. Am seelischen.

greebo hat gesagt…

Danke.
Wenn Ruhe eingekehrt ist, wird das Seelische bei mir auch kommen.

Wir müssen nicht alles gut an uns finden, manchmal genügt es doch, dass wir uns so akzeptieren wie wir sind.

Anonym hat gesagt…

ach Helmalein, mir gehts auch so wie dir, im Bezug auf das "Ggeglucke" um die erwachsenen Kinder.
Geht wohl jeder liebenden Mama so, oder ähnlich.
Ich manage auch noch immer alles für meine Kinder - sie fragen, ich mache.

Selbst für meine Tochter bei der Gyn. anrufen wegen eines Rezeptes, oder für den Sohnemann einen Zahnarzttermin vereinbaren, weil er nicht so gern telefoniert. (außer mit Freunden natürlich, lachh).
Für meine Tochter die weißen Arbeitsblusen bügeln, damit sie länger schlafen kann.
Für meinen Sohn in die Apotheke fahren, damit er was gegen Lippenherpes bekommt.
Oder für ihn mal schnell die 10 Euro Strafmandat überweisen, weil er keine Kohle mehr hat.....

Und weißt du was? Ich tue es gerne. Ich liebe meine Kinder und behüte und betüddele sie.
Sie aber wissen, dass sie mit jedem Problem zu mir kommen können, haben Vertrauen und die absolute Sicherheit.
Wenn sie mal ausziehen, kommen sie schon alleine klar. Bin ich ja auch. Und zur Not gibts ja das Telefon.
Ich sehe es gelassen.

Ganz liebe Grüße!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Suse, ja ich bin da genauso wie Du und meine Mum macht es auch nicht anders.

Anonym hat gesagt…

Hallo Helma,
erst mal "Danke", dass du uns an deine Gedanken teilhaben lässt.
Ich glaube, wir Mamas von erwachsenen oder fast erwachsenen Kindern sind doch alle gleich. Sie fragen, sie rufen - wir machen, wir kommen schnell gelaufen, gerannt! Es ist genau, wie Suse es beschrieben hat.