Montag, 25. August 2014

Mission: Completed

Irgendwie war es ungewohnt, gestern Abend den Wecker gar auszustellen und nicht mal - wie für gewöhnlich - auf 6 Uhr zu stellen, damit das "Fresspaket" für die Jugend geschnürt und ich mich auch noch ausreichend duschen und zurechtmachen konnte, bevor der eigentliche Tag, also der Arbeitstag, begann.
Ich war in den letzten Jahren so oft in dieser Stadt, bin so oft hier eingeschlafen und wieder erwacht - aber so gut wie nie an einem Montag - und jetzt bin ich irgendwie... in so nem komischen Zwischengefühl "nicht Fisch, nicht Fleisch", weil es eben Montag ist und ich meine Taschen auspackte und nicht wieder ein. Ich erwache und das erste, was ich sehe, ist mein Kleiderschrank. Hier. In einer nunmehr doch fremden Stadt.
Oh mein Gott, ist das alles noch komisch?!
Noch merkwürdiger wurde mir, als ich meinen Ausweis und den neuen Schlüsselbund an mich nahm und fast wie ein wenig schutzsuchend nach der Hand der gelben Seiten griff: "Dann lass uns mal zum Amt gehen."
Da, wo ich grad herkomme, ist ein Mensch, der sich neu in Deutschland anmelden möchte, eher eine Seltenheit.
Da, wo ich mich heute morgen angemeldet habe, redete die Mehrheit russisch, türkisch, sogar chinesisch. Und ich dazwischen, irgendwie wie verloren und ein bisschen vergrießgnaddelt darüber, dass die gelben Seiten lieber am Fenster stehen bleiben wollten, um in Ruhe dienstlich zu telefonieren, statt bei mir zu sitzen und mir so ein bisschen.. äh.. Geborgenheit zu geben.
Menno.
Fünfundvierzig Jahre und benimmt sich wie Heidi, die das erste Mal in ner großen Stadt ankommt.
Na und, was solls. Man kann ja nicht immer die Starke sein. Punkt.
Und der Typ bei der Anmeldung war dann auch ganz nett. "Aaaah, Sie kommen von Rügen? Und bleiben jetzt für immer hier?" "Nie niemals", wispere ich leise, aber entschieden über den Tisch. "Aber sagen Sie das nicht meinem Mann, der sitzt grad zwei Tische weiter und meldet ein Auto ab."
Er hat gegrinst und dann nichts mehr gefragt.
Auch nicht, dass ich mir ungefragt zwei Organspendeausweise in die Tasche steckte.
Ich hab ja - offen gestanden - zum allerersten Mal so einen in der Hand gehalten und mir diesen entsprechend auch zum allerersten Mal durchgelesen. Das Thema ist ja nicht neu, auch nicht für so ne Heidi wie mich, aber kann ich behaupten, ich hätte mich ausgiebig mit diesem Thema befasst? Vermutlich nicht. Sicher ist nur, dass mich wohl die größten Ängste der meisten Menschen plagen: Dass man "vorzeitig" für tot erklärt wird, nur damit man im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlachtet werden kann. Dass nicht mehr genug für mich getan wird, weil man an meine Ersatzteile ran will. Dass ich vielleicht auch "nur" im Locked In festhänge und die nicht hören können, wie ich innerlich Zeter und Mordio schreie. (Andererseits gestehe ich auch, dass ich Angst davor hab, ungewollt lebendig begraben zu werden - und dann in der Gruft erwache. Huch nee! Man lege mir also bitte eine Taschenlampe, eine Säge und ein paar Flaschen Fertigkaffee mit in den Sarg. Oder wenigstens ein Mobiltelefon mit Standby-Akku für mindestens zwei Wochen - danach is dann auch wirklich alles vorbei. Oder doch lieber verbrennen lassen? Hmm, na dann hoffe ich mal, dass ich vorher nicht beim Mexikaner speisen war und dort ein paar Maiskolben vertilgte!)
Andererseits... Wie würde ich denken, hinge vor allem das Leben meiner eigenen Kinder, meines Partners von einem fremden Organ ab? Es würde mich in tiefstes Gefühlschaos stürzen, das weiß ich - aber unterm Strich würde ich mir natürlich vor allem wünschen: dass mein Kind überleben kann - und darf.
Und irgendwie hat mich eines auf diesem Ausweis beruhigt: Ich MUSS mit diesem Ausweis nicht automatisch alles hergeben. Ich kann verfügen, dass man erst meinen Partner (oder meine Kinder) befragt, ob und was sie nehmen dürfen. Wobei... Brauche ich dann wirklich auch den Ausweis? Fragen würden sie meine Angehörigen ja dann sowieso. Und wer würde auch schon nachzählen wollen, ob in meinem Inneren noch alles vollzählig ist?
Okay, ich gebe zu, das alles sind schon etwas.. heftige Gedanken zum Montagmorgen. Was so eine Anmeldung in der neuen Stadt doch alles bewirken kann, was? Was einem da so alles durch den Kopf geht, was? Na aber ich kann ja auch nix dafür, dass überall auf den Tischen solche Ausweise rumliegen, frei nach dem Motto: "Hast du dich jetzt schon bis hierher getraut, kannste auch gleich noch nen Schritt weitergehen!"
In diesem Sinne: Ich muss jetzt mal in die Tiefgarage, ich vermisse das Netzkabel zu meinem eigenen Laptop. Und dann bereite ich mir als Amtshandlung erst mal einen ordentlichen Pott Kaffee.
Jedenfalls.
Ich bin jetzt umgezogen, ich bin jetzt auch amtlich angemeldet. Mission abgeschlossen. Zunächst.

9 Kommentare:

Nicola Hinz hat gesagt…

Ha, wie aufregend! Und wie gründlich du bist...bis zu meiner letzten Ummeldung am neuen Wohnort dauerte es ca. 1 Jahr. ; ) Und stimmt ja, zu dem Pott Kaffee bin ich heute auch noch gar nicht gekommen...
Viele Freude im neuen Leben!
Liebe Grüße
Nicola

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich dank Dir!! Wenigstens bin ich mittlerweile in einem Alter, wo ich mir sage: "Mal gucken - und wenns nicht klappt, dann geh ich eben woanders hin."
Klar natürlich, dass das nie niemals so einfach wäre wie es jetzt hier steht. Klar ist aber eben auch, dass das Leben nicht zuende wäre. Wär ja auch noch schöner. ;)

Zigeunerblut hat gesagt…

Oh, eine Rüganerin! Deshalb lese ich so gern bei dir.
Liebe Grüße von der Insel.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Hey Zigeunerblut - dass Du gerne bei mir liest, geht mir natürlich runter wie Öl, aber sag mal: Bist Du etwa auch Rüganer/in?? :)

Zigeunerblut hat gesagt…

Ganz richtig.
Vollblut-Rüganerin :-))

Puschkalina hat gesagt…

Hallo Helma,
ich mag deinen Blog sehr und lese so gerne deine Posts. Für den Neuanfang wünsche ich dir alles Liebe, lg Puschi

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Puschi - das freut mich aber echt wirklich, und herzlich willkommen bei mir!
Hab grad mal in Deinen Blog geschaut, bin aber erst mal schnell wieder raus... Das weckt momentan zu schnell, zu sehr Heimweh. Eine Woche nach dem Umzug bin ich (natürlich) noch nicht "fertig" mit der Umgewöhnung, die vor allem in der Seele stattfindet. Ich vermisse mein Zuhause, meine Söhne natürlich - und wenn ich vom Norden lese, von der Küste, vom Meer.. Dann verstärkt sich dieses Heimweh, weils ja letztlich doppeltes Heimweh ist :(
Ich komm später noch mal zu Dir!!
Übrigens, Deine Teetasse finde ich richtig, RICHTIG schön :)

lady_bright hat gesagt…

Ich habe schon länger einen Organspendeausweis. Und ich gebe alles her, was noch irgendwie sinnvoll eingesetzt werden kann. Selbst die Netzhaut. Stell dir nur vor, ein Mensch der blind ist kann dadurch wieder sehen! Die Welt durch deine Augen betrachten sozusagen. Ist das nicht fantastisch?!
Ich glaube daran, daß die Seele Energie ist, die nach dem Tod mit allen anderen Seelen zu einer Art universellen Energie verschmilzt. Der Körper, der uns durchs Leben getragen hat, ist dann nutzlos geworden. Wozu also unbedingt ein totes Herz behalten und begraben wollen, wo doch vielleicht nur ein paar Häuser weiter Eltern um das Leben ihrer Tochter oder ihres Sohn bangen, oder eine Frau für ihren Mann hofft.

Für dich hoffe ich, daß sich ganz schnell geborgene Heimatgefühle einstellen werden in deiner neuen Stadt.
(Vielleicht ist es in deinen neueren Einträgen ja schon so, muss noch alles nachlesen) :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Lady, seltsamerweise denke ich beim Thema Organspende immer an meinen Jüngsten (ich weiß echt nicht wieso??!!) - und die Vorstellung, dass man ihn so völlig... auseinandernimmt.. Ich weiß nicht, der Gedanke macht mich richtig fertig. Andererseits frage ich mich eben dann genauso oft: Was wäre, wenn ER etwas braucht, woran sein Überleben hängt???
Ich bin dem Thema nicht unverschlossen, eher.. unentschlossen..