Freitag, 30. Januar 2015

Was man nicht im Kopf hat

Es gibt so Tage, da möchte man die Augen schließen und hoffen, dass diese ganz schnell vorbei sind. Bei mir war es dieses Mal gleich die ganze Woche, die ich am liebsten wegschnipsen würde.
Die zwei Tage vor Ort im Büro sind immer Stress. Immer. Der Tag beginnt viel zu früh und endet zu spät nach meist 17 Stunden. 17 Stunden, die derart angefüllt sind, dass die Synapsen kollern und vibrieren, wo ich kaum zum Nachdenken, eher nur zum Reagieren komme. Ein guter, handfester Plan gibt so ein bisschen wie Struktur, der Rest ist Improvisation.
An diesen beiden Tagen gibt es einen derartigen Informationsfluss, dass ich Mühe bekomme, diese Informationen zu sortieren in "Wichtig" oder "Nebensächlich". Rechnet man dann doch die Komponente hinzu, dass ich eben ein Mensch bin und keine Maschine, kommt irgendwann doch mal, was kommen muss: Ich mache einen Fehler.
Diesen Fehler einer unglücklichen Aneinanderkettung von Zufällen (an die ich ja eigentlich nicht glaube) zuzuschreiben, macht ihn vielleicht nachvollziehbar (was ich können muss, um zu verhindern, dass mir sowas noch mal passiert), aber eben nicht ungeschehen.
Ergebnis war, dass Chef derart an die Decke ging, dass ich ihn zwar verstand und auch seiner Argumentation folgen konnte: "Das ist eigentlich eine Abmahnung wert!", ich dann aber doch abseits ein paar Tränen nicht aufhalten konnte. Tränen über die eigene Trotteligkeit, Tränen der Wut auf mich selbst und Tränen der Fassungslosigkeit. Gepaart mit der Erkenntnis: Ich lasse mich einfach immer zu leicht ablenken, dann wird es in Zukunft kein "Guck mal hier mit drauf" geben, während ich gerade was anderes mache (vorzugsweise Online-Überweisungen oder Versenden von E-Mails mit nicht unwichtigem Teilnehmerkreis), oder "He, hör du mal mit zu, du verstehst doch auch was davon", während ich eben mit anderen, nicht unwichtigen Dingen beschäftigt bin. Dann wird eben auch der Chef in Zukunft mal warten müssen, bis ich zumindest einen wichtigen Geschäftsakt erledigt habe. (Gerade überkommt mich so die Idee, ob solche Dinge die Firmen veranlasst, junge, dynamische, geistig bewegliche und vor allem flexible Leute einzustellen? Vielleicht werde ich doch langsam zu... äh... unbeweglich? Na ja nee, eigentlich nicht, aber vielleicht werd ich mich das wohl doch mal fragen müssen?)
Er hat sich noch am Abend und auch noch mal am nächsten Tag bei mir entschuldigt, doch wie gesagt: Vom Grundsatz her hatte er vollkommen recht, das hätte mir nicht passieren dürfen.
Am nächsten Tag dann bin ich heimgefahren. Meine erste Erfahrung mit dem ADAC-Reisebus für 12,90 Euro. Mein Fazit? Kann man durchaus empfehlen gerade für Zeiten wie diesen, wo es wahlweise draußen gefriert oder - wie heute morgen - Schneesturm gibt. Punktgenaue Abreise, punktgenaue Ankunft, zwei Pausen zwischendrin von jeweils ca. 12 min, es gibt Kaffee für 1 Euro und Snacks für rund 3 Euro. Leider nur in den beiden Pausen, ansonsten ist die Kaffee-Küchen-Bar leider verschlossen. Aber wenn mans weiß, ist es okay. Auch die Sitzlehnen verstellbar, was wirklich angenehm ist bei immerhin sechs Stunden Fahrt - und das ist der einzige Wermutstropfen: Die Reisezeit, die mit bis zu 2,5 Stunden länger ist als mit dem Auto. Dafür aber reist man unerreichbar günstig und vor allem sicher. In M selbst kriegte ich fast einen Koller: Der ZOB grottig ausgeschildert, die Straßenbahn mit nur zwei Waggons derart brechend voll, dass sie nicht alle Fahrgäste mitnehmen konnte. Mit so nem schweren Seesack (da war unter anderem ein neuer Laptop mit an Bord) auf dem Buckel wird das für jemanden wie mich dann doch zu ner... nun sagen wir... Nervenprobe. Was hilft dagegen? Genau - ein Coffee to go. 
Nach sieben Stunden endlich zu Hause angelangt, hatte ich mich bereits eine Stunde später ins Nirvana hinübergeschlafen - für geschlagene 12 Stunden. 
Gestern und heute hätte ich eigentlich frei, das Stundenkonto ist bereits voll, aber na ja, wenn man weiß, da gibts noch was zu tun... Ich drücke mich da nicht. Was jedoch im konkreten Falle bedeutete, dass ich gestern den Rechner erst am Nachmittag startete. Und sah, dass jemand Geburtstag hatte. 
Als der Chef aus seiner Besprechung raus war und sich auf den Weg zur nächsten machte, befragte ich ihn, ob er über diesen Termin von meiner Vertretung schon informiert sei. War er nicht.
"Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?"
"Doch... Hast du ihn denn heute schon gesehen?" fragte ich beklommen.
"Nein, aber trotzdem!"
Hmpf. Nu ja. Aber es war ja immer noch Geburtstag, war also noch nix passiert? 
Heute musste ich dann zu meinem Entsetzen auch noch feststellen, dass ich, um Rechnungen bezahlen zu können, ein entscheidendes Utensil in der fernen Stadt liegenlassen hatte. Ohne dem ist eine Ausführung nicht möglich - aber man kanns hier in jedem Technikladen kaufen. Was ich morgen auch machen werde - auf eigene Rechnung freilich. Da lasse ich mir nix nachsagen. (Genauso wenig wie "Euer Geld wollt ihr alle immer pünktlich haben, aber dann nur so Scheiße machen!" Pffff. Die Gehälter der Kollegen habe ich, soweit möglich, überwiesen. Meins noch nicht. Das sitze ich aus. Da habe ich meinen Stolz. Denn wenn ich mich fürs Pünktliche stark mache, dann vor allem auch für die Leute, nicht für mich allein. Wenn die Leute ihm abwandern, weil sie unzufrieden sind, hat keiner was gekonnt.) 
Prompt (Papa sagt zu sowas immer: "Der kann Katzenscheiße im Dunkeln riechen", was bedeutet, dass jemand das Timing beherrscht, genau dann was zu wollen, wenn es eben gerade nicht geht) rief Chef noch an und fragte, ob ich mal eine Überweisung für ihn ausführen könnte, trotz des freien Tages. Trotzdem ich heute noch ein Projekt korrekturgelesen und ein Leistungsverzeichnis geprüft und für die Unternehmer versandbereit hergestellt hatte. Was man eben so macht an freien Tagen. (Chef sagt immer, er sei viel zu gut und viel zu blöd, und so falsch ist das nicht - aber für einige seiner Mitarbeiter gilt das auch, aber das zählt dann eben nicht.) Und nein, ich konnte es eben nicht, weil ich eben noch nicht in der Stadt gewesen war, um besagtes Technikteil zu kaufen.
"Also Mensch, ganz ernsthaft, du musst dich auch mal bisschen konzentrieren!"
Ja genau. Weil ich jeden Tag 10 Stunden lang Arbeit und Kollegen und Chef im Kopf rumtrage, selbst an Wochenenden, wo der Liebste immer schon fragt, ob ich wirklich glaube, dass das alles gut so sei. Weil mein Job nicht nur zum Geldverdienen ist, sondern auch mein Herzblut mit drin steckt. Weil mir ja jeden Tag die Sonne aus dem - sorry - Arsch scheint, mit oder ohne Home Office.
Ich, die gerade vollgepackt nach Hause gekommen war, auf dem Telefon zwei unbeantwortete Anrufe, die noch Arbeit bedeuteten, im Kopf dazu die Sorge um beide Eltern, denen es beiden aktuell überhaupt nicht gut geht (Mum, du kannst reden wie du willst, ich kann zwischen deinen Zeilen lesen und vor allem kenne ich den Klang deiner Stimme aus dem Effeff, da weiß ich genau, was die Uhr geschlagen hat - und auch der Papa war ungewöhnlich still, viel zu still!), die Gedanken um Junior II, der ernsthaft erwägt, so kurz vorm Ziel die Ausbildung abzubrechen, und die Gedanken an Junior I, der am Dienstagabend so am Boden zerstört war, dass er fast geweint hatte. Eine ganze Stunde lang hatte ich ihm zugehört und ihn dann dazu gebracht, doch etwas zu Abend zu essen. Essen und Trinken hält eben doch manchmal Leib und Seele zusammen - und anschließend ging es ihm dann auch wieder viel besser. 
Und dann: "...du musst dich auch mal bisschen konzentrieren!" Als wäre ich so eine Schluse, die sich hier nen faulen Lenz macht und der alles nicht so wichtig ist, das nichts mit ihr zu tun hat.
Da bin ich - zugegeben - heftig geworden. Garantiert unangemessen heftig, und ich habe mich anschließend auch entschuldigt. Doch Chefs Argument "Es ist mir einfach zuviel Arbeit" betrifft auch uns. Auch für uns wird es mehr und mehr und man fragt sich, wie man alles koordinieren kann, ohne eben Stockfehler zu wiederholen. Neues Personal wurde eingestellt und wird auch weiter eingestellt, aber das muss sich auch erst warmlaufen. Es ist viel - ja, aber das ist es für uns alle.
Na ja... Wir haben uns dann gegenseitig gesagt, dass wir am Limit seien und dass wir es beide nicht so meinten. Auch habe ich mich für meine Heftigkeit entschuldigt, die mir einfach auch nicht zusteht. Und dann habe ich noch seine Frau zurückgerufen und ein paar Dateien nach ihren Wünschen umgeändert. Danach habe ich meine Waschmaschine bestückt und mir einen Kaffee gemacht.
Besser fühle ich mich immer noch nicht.
Im Gegenteil.
Irgendwie fühle ich mich total beschissen.
Eine scheiß kack Dreckswoche. Die nur ein was Gutes hat: Sie ist zuende. Morgen kommt der Liebste nach Hause. Dann ist Wochenende, und wehe, das funzt nicht. 

11 Kommentare:

Sonja hat gesagt…

Au weia, Du Arme! Das klingt ja mehr als bescheiden ...
Ich denk an Dich und drücke ganz dolle die Daumen, dass das Wochenende absolut deins wird. ♡

Alles Liebe,
Sonja

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, aus dieser Mühle raus zu sein, wenn ich deinen Text so lese.
Am Montag hat sich hoffentlich dann einiges beruhigt und eingerenkt - halte die Ohren steif, liebe Helma-Connie!
Liebe Grüße

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma, ich kann das sooo gut nachvollziehen! Da reißt man sich an vier Stellen gleichzeitig den Hintern auf und kriegt als Dank nur nen Tritt da rein.
Wir sind eben einfach Menschen, die manchmal auch ein echtes Privatleben haben und nach Feierabend nicht nur zum Aufladen an die Strombuchse gehen. Doch das wird meistens von den Firmen nicht akzeptiert. Fehler passieren dann zwangsläufig, das musste ich auch für mich mühsam akzeptieren lernen, sonst hätte ich mich mit meiner strengen Anspruchshaltung an mich selbst kaputt gemacht. Trotzdem ärgert man sich natürlich schwarz, wenn dann sowas Gravierendes passiert. Du hast mein vollstes Verständnis dafür.

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Ach Helma, das war ein Fehler dieser Sorte in wieviel Jahren? Den würd ich mir großzügig verzeihen und dem Chef imaginär nen Stinkefinger zeigen (auch wenn er Recht hat, aber einer zuverlässigen Kraft mit Abmahnung zu drohen wegen einem Fehler, das ist sowas von Ar***lochgehabe!).

Hab ein schönes und vorallem erholsames Wochenende!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Sonja, ich danke Dir sehr. Ich hoffe das auch, und jetzt habe ich mir erst mal ein Weinchen eingegossen und schaue mir einen Film an. So komme ich dann doch noch auf andere Gedanken.

Liebe Clara - doch, ich glaube Dir das sogar sehr! Du ahnst gar nicht, wie oft ich manchmal wünschte, ich wäre auch 20 Jahre älter, um nur noch das zu machen, was mir Spaß macht. Aber dann sage ich mir wieder.... Neee... Diese 20 Jahre will ich auch noch Spaß haben :)
Ja, bis Montag ist mit Sicherheit alles wieder gut.

Liebe Angarasu, genau das ist es: Man hat selber auch noch ein Privatleben, dass nicht immer eitel Trallala ist, und trotzdem gehe ich nicht in die Firma und lasse es an den Kollegen aus.
Ich will mich andererseits aber auch nicht mit dem Druck und Stress des Chefs vergleichen, die Verantwortung, die er nicht nur für sein Personal trägt, auch für vieles anderes und am Ende eines Tages dankt es ihm kaum jemand. Das ist schon ein hartes Stück Brot, so als Einzelunternehmer, und manchmal denk ich, ok, er verdient dafür wesentlich mehr als wir - aber Geld ist eben auch nicht alles.
Und ja, es ist diese Anspruchshaltung an sich selbst, die man hat und wegen der man sich so zerfleischt, wenn man Scheiße baut, die noch nie passiert ist, weil man eigentlich jeden Schritt selber noch mal kontrolliert, bevor man ihn geht. Und machst es einmal nicht, weil du abgelenkt bist... Meine Konsequenz hab ich draus gezogen, auch wenn ich jetzt schon weiß, dass es dafür andere Fehler geben wird. Unfehlbar ist niemand.

Liebe Clara II :) na ja, es passieren ab und an schon Dinge, die ich übersehe oder überlese, weils manchmal einfach zuviel ist. Aber bislang warens Bagatellen, nichts, was sich nicht sorglos korrigieren ließ. Doch diesmal wars einer, durch den zwar nichts passiert oder der Geld oder Ansehen kostet, aber einer, der fremden Menschen Einblicke verschaffte, die sie nicht unbedingt haben müssen.

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma,
Och weiss genau wie du dich fühlst!
Mein Mann sagte immer zu mir, ich sei genau so eine Nummer für den Chef wie alle anderen. Ich wollte ihm das nie glauben. Doch mittlerweile glaub ich es ihm.
Ich weiss auch, dass jeder zu ersetzen ist, aber man muss menschlich dabei bleiben. Meine Arbeit ist/war alles. darüber lasse ich nichts kommen. Wie oft bringe ich mir unnötige Arbeit mit nach Hause, nur damit es dann voran geht, nur damit die Kollegen besser arbeiten können... Habe jetzt die Quittung bekommen.
LG Noemie/Niggelo

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Noemie, ja, auch für mich ist eben der Job nicht nur diese Geldeinnahmequelle, damit man ein Leben führen kann, das man führen möchte.
Da steckt mein Herzblut mit drin, so war ich immer schon. Wenn es nicht so war, habe ich gekündigt, denn dann war es nicht "meins".
Aber Du hast da was ganz Wichtiges gesagt: Herzblut hin oder her, man muss begreifen, dass man vor allem sich selbst Grenzen setzen und diese vor allem auch akzeptieren muss.

ganga hat gesagt…

Liebe Helma,
wir sind alle nicht fehlerfrei. Und Fehler werden immer wieder mal vorkommen. 80% der arbeit läuft fehlerfrei und 20% sind Ausfall.
Ich hoffe, dein Chef hat sich wieder beruhigt bis Montag.
Und eine Sache nach der anderen machen. Auch wenn Frauen Multitasking können, es ist eine Falle in die ich immer wieder tappe.

Habe noch ein schönes Wochenende
ganga

Wirrkopf hat gesagt…

Hey, mach dir keinen Kopp. Das sind Phasen die man in unserem Alter einfach hinnehmen muss. ;-)

Bär-Bellinda hat gesagt…

"17 Stunden, die derart angefüllt sind, dass die Synapsen kollern und vibrieren, wo ich kaum zum Nachdenken, eher nur zum Reagieren komme."

Es sind die Umstände, suche nicht bei dir persönlich.... und unschuldige Chefs gibt es nicht. Schließlich sorgen sie auch für die Arbeitsbedingungen.

Liebe Grüße

Anonym hat gesagt…

*umärmel*