Samstag, 21. März 2015

Geerdet

In manchen Momenten merke ich schon noch, dass und wie fremd ich mich hier in der neuen Stadt fühle, und manchmal auch, wie allein.
Dass ich den ganzen Tag allein zu Hause bin, von hier aus arbeite und der Tag lediglich unterbrochen wird von diversen Anrufen des Chefs, Albernheiten am Telefon, wenn der Dienst erledigt ist, genieße ich. Ich genieße die Ruhe dazwischen, kein ständiges Kommen und Gehen im Raum, den sich drei Miezen teilen, keine ständigen Paralleltelefonate und Rufe wie "Komm mal mit her, schau dir das mal mit an" oder "Komm mal mit her, hör mal mit zu" oder "Komm mal mit zu mir, ich brauch mal eine objektive Meinung".
Aber... Ich bin allein. Am Tag - und wenn der Liebste nach der Arbeit zum Sport, zum Essen, zum Stammtisch geht, dann bin ich auch allein. Es macht mir insofern nichts aus, wenn ich die Rahmenbedingungen kenne. Wenn ich weiß, wann er heimkommt. So ungefähr wenigstens.
Und dann warte ich.
Es wird acht und in mir breitet sich süße Unruhe aus: Noch drei Minuten? Oder fünf? OK, vielleicht auch zehn?
Ab der fünfzehnten Minute mischt sich leiser Missmut in diese Unruhe und ich schaue immer öfter auf die Uhr, weil sich die Minuten anfühlen, als hätten sie dreihundertzwanzig Sekunden. Gefühlt.
Natürlich kann ich mich mit mir selbst beschäftigen, aber das ist es nicht: Es ist die Vorfreude auf den Mann, der Wunsch, die Erwartung, mit ihm zu sprechen, ihn zu berühren - oder einfach nur mit ihm herumzublödeln. Der Wunsch nach Leben, nach Gemeinsamem.
Ich kann das alles allein - wenn ich weiß, dass ich allein bin. Dann kann ich mich darauf einstellen und damit umgehen.
Ich will das alles aber nicht allein - wenn ich weiß, dass ich es eigentlich nicht müsste.
Diese hässlichen Abendstunden, in denen sich das Warten ausbreitet.
In solchen Momenten genügte mir sogar eine kleine Mitteilung: "Es wird heut bisschen später."
Dann weiß ich es, dann kann ich mich darauf einstellen.
Doch wenn die nicht kommt, wenn ich es nicht weiß, dann dehnen sich die Minuten endlos - und dann werde ich irgendwann so sauer, enttäuscht, dass ich bis in die Nacht rein Krimis schaue und irgendwann auf dem Sofa einschlafe, auch kein Verlangen danach empfinde, aufzustehen, hinüberzugehen und mich zu ihm zu legen.
"Es war doch nur eine Stunde länger", rechtfertigte er sich, "muss ich mich denn immer an- und abmelden?"
"Nein, natürlich nicht", habe ich geantwortet und dabei irgendwas gemacht, nur damit er meine Augen nicht sah. "Ich glaube schon, behaupten zu können, dass du nach wie vor alle deine Freiheiten hast und genießen kannst. Ich bin nicht so eine, die dich nur für sich haben will und dir keinen Freiraum lässt. Aber ich hasse es zu warten. Ich hasse diese Momente, in denen ich denke, dass du jeden Augenblick zur Tür reinkommst - und du kommst eben nicht. Was ich mir wünsche, ist dann lediglich ein Zeichen: Es wird heut bisschen später. Mehr will ich gar nicht."
Jetzt ist er grad unterwegs zu irgendwas - und es ist für mich auch total okay. Auch dann, wenn mir im Gegenzug meine Freundin abgesagt hat, weil sie erkrankt ist. Unerwartet frei gewordene Zeit für mich, von der er sagt: "Hätte ich das gewusst, hätte ich für heute nicht dem anderen zugesagt."
Doch das... ist gar nicht das, was ich will. Er soll die Zeit für sich haben, die er haben will. Solange das WIR nicht zu kurz dabei kommt. Und solange er dann wenigstens so weit an mich denkt, mir zu sagen, dass es eben später wird.
Er ist jetzt weg und ich bereite mir noch einen Kaffee und lese die neuen Blogposts, unter anderem den von der Brüllmaus.
Und frage mich, wie bekloppt ich eigentlich bin und ob mir nicht bewusst ist, wie gut ich es habe und wie gut es mir geht?
Eine Stunde zusätzliches Warten auf den Mann ist so gar nichts im Vergleich zu den Menschen, die eine Stunde warten, dass sie sich wie früher nach dem Krieg mit Essensmarken anstellen und darauf hoffen müssen, dass auch der Letzte von ihnen noch etwas Ordentliches zu essen zugeteilt bekommt. Von den Initiatoren der Tafel ist das gut gemeint, doch wenn ich mir das Prozedere anschaue... Dann zieht sich mir der Magen deutlich zusammen und dann hoffe ich, dass ich bitte, bitte niemals in so eine Situation kommen möge.
Ich bin geerdet, gerade.

12 Kommentare:

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Liebe Helma, ich weiss aber auch nicht, was so schlimm daran ist, Dir mal eine SMS zu schicken, dass es später wird? Vergisst er das dann, weil er schon zu lange alleine lebte und niemandem Bescheid geben musste?

Ich selbst habe das "Warten" ansich aufgegeben. In dieser Zeit beschäftige ich mich anderweitig und egal auf was oder wen ich da warten würde (wenn ich es täte), wenn es da ist, ist es da. Wenn nicht, bekomme ich meine Zeit auch anders gefüllt. Letztendlich wird es vom warten ja auch nicht besser, der andere steht deshalb nicht schneller in der Tür. Und man bekommt nur schlechte Laune.

Bei der Tafel war ich auch schon und zwar als "Kundin". Ich kann Dir sagen, dass es kein Spaß ist und ich froh bin, dass ich das nicht mehr muss. Vorallem gibt es zwei Seiten - die derer, die gerne helfen und die Menschen auch gut behandeln und jene derer, die nur helfen um sich selbst gut zu fühlen und Dich als Kunden wie Dreck behandeln.

Als ich krank wurde und keine andere Wahl mehr hatte, da hab ich mir geschworen, sollte ich jemals wieder gesund genug werden zum arbeiten, dann tue ich alles, um dort nie wieder hin zu müssen.

Seitdem weiss ich, wie unwichtig so manches Problemchen im Vergleich dazu sein kann.

Hab ein schönes Wochenende!

Liebe Grüsse
Clara

Anonym hat gesagt…

"Wie gut es mir geht"... ja, der Gedanke erdet mich auch immer wieder. Klar sind da viele Baustellen. Job, Wohnung, Absicherung für später, um nur einige zu nennen, Und das Alleinsein kenne ich auch. Allerdings ist es eher bewusst gewählt. Die einstigen "Freundschaften" haben die harten Zeiten nicht überstanden und mit zunehmendem Alter war mir klar, dass ich nicht mehr nur die sein will, die hilft, verständnisvoll ist und wenn du selbst mal ein offenes Ohr brauchst, sind alle beschäftigt. Bin da mittlerweile sehr sensibel, was diese Balance zwischen Geben und Nehmen angeht und auch weitaus weniger kompromissbereit.

Gut, aber das Wissen darum, wie gut es einem geht und der Wunsch, dass manche Dinge ein klitzekleinwenig anders sind, das ist doch menschlich, oder? Ausserdem ist frau an einigen Tagen/ in einigen Phasen anlehnungsbeduerftiger als an anderen. ;))

Anonym hat gesagt…

Nachtrag: Schönes Bild. Erklärt auch, woher das Blog seinen Namen hat. Fehlt nur der Kaffee. ;D

Anonym hat gesagt…

Oh, das kenne ich so gut. Das ist bei uns seit 18 Jahren das leidige Thema.
Männe macht sich da gar keine Gedanken drüber, dass ich Zuhause sitze und warte – sei es mit dem Essen, weil irgendwas passiert ist und ich mit ihm reden muss oder es mir einfach nicht gut geht. Wenn er weggeht und eine Zeit sagt, kommt noch hinzu, dass er sich in 80% der Fälle nicht daran hält (gerade am WE, wenn er zu seinem Kumpel fährt) und erst sehr oft drei, vier Stunden später nach Hause kommt – wenn ich Glück habe. Es kann auch mal morgens halb acht werden. Ohne vorherige Nachricht, oder dass er an sein Handy geht, wenn ich anrufe.

Wie oft habe ich schon die ganze Nacht wach gelegen, mir die schlimmsten Dinge ausgemalt, die ihm passiert sind, oder halb wahnsinnig vor Angst durch die Wohnung getigert bin. Das ist allerdings auch ein echter Knacks, den ich aus Gründen aus meiner Kindheit behalten habe und einfach nicht wegbekomme. Es ist zwar inzwischen viel besser geworden in den letzten 5 Jahren, aber es kommt manchmal unvorbereitet wieder. Er weiß das auch, kann aber nicht nachvollziehen, dass ich dann in solchen Bagatell-Situationen so irrational reagiere. Sobald er dann nach Hause kommt, bin ich nämlich nicht mehr seine Freundin, sondern ein feuerspeiender Drache, der in seiner unbändigen Wut nur noch verbrannte Erde übrig lässt. Das kann er dann so gar nicht vertragen, fühlt sich in die Ecke gedrängt und dann gehts erst richtig rund.

Dabei gönne ich ihm den Spaß, den er hat. Es geht einfach nur darum, dass ich mich auf ihn verlassen können will, wenn er eine Uhrzeit nennt. Dass immer mal was dazwischen kommt, oder es generell 1 Stunde später wird, ist ja noch in Orndung und inzwischen von mir eingeplant, aber irgendwann hört's eben doch auf, wenn er stundenlang nicht erreichbar ist und auch nicht nach Hause kommt.
Ganz schlimm ist es, wenn wir was vorhaben und er vorher noch was anderes erledigen will/muss. Dann kommt er auch fast immer zu spät.
Von daher ist dein Verhalten noch das geringste in solchen Situationen. ;-)

Anonym hat gesagt…

Oh... das, was Angarasu da schreibt... stimmt, das ist auch ein Grund, warum ich genaue Uhrzeiten möchte. Und warum ich, bei allem Verständnis ausraste, wenn der Junior festgelegte Zeiten nicht einhält und per Handy nicht erreichbar ist. Immer wieder eine ständige Herausforderung, die Gedanken im Zaum zu halten und den Dämonen nicht das Ruder zu überlassen... aber man wächst an seinen Aufgaben. ;)

(So, genug für heute. *g* Habe einen freien Nachmittag und drücke mich vor dem Hausfrauenkram.)

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Mit großem Interesse habe ich die Kommentare von meiner "Namensschwester" und von Anna gelesen. - Na gut, eine Stunde wäre in meiner Toleranzgrenze sicher noch mit drin. Aber früher, als wir noch keine Handys hatten, und mein Freund eingeladen war - ich hatte Geburtstag, Besuch war da - er angeblich im Büro, wo es Telefon gab - und dann kam er ca. 3 Stunden zu spät. - Warum er das eigentlich überlebt hat, frage ich mich bis heute :-)
Das passt zu meinem heutigen Artikel: Etwas tun oder etwas lassen - und ich finde, Männer (oder auch Frauen) sollten verdammt noch mal Bescheid sagen, wenn es sich verzögert - das macht die Achtung vor dem anderen notwendig.
Das Foto von der Rot-Gekleideten ist sehr hübsch!

Goldi hat gesagt…

Ich kann Dich glaube ich ganz gut verstehen. Mir geht es ähnlich. Ich freue mich auf die gemeinsame Zeit und bin enttäuscht wenn ich warten muss. Dabei bin ich auch wirklich gerne und viel allein und freue mich für ihn, wenn er alleine irgendwas tolles macht. ABER und dieses ABER ist bei mir noch größer als groß, wenn es später wird ist das nicht schlimm, ich muss es nur wissen, denn sonst dreht mit der Enttäuschung auch die Schraube "es ist was passiert" durch und diese Schraube ist übel. Ich habe es schon besser im Griff, früher habe ich nachdem ich übers Handy niemanden erreicht habe, nach einer Stunde angefangen die Krankenhäuser der Umgebung anzurufen - nicht wirklich lustige Panikattacken. Zu erklären das es nichts mit Kontrolle zu tun hat sondern mit Rücksicht und Achtsamkeit ist ziemlich schwer (die Diskussion hatten wir am vergangenen WE auch mal wieder) aber ich denke ein "es wird später" ist in Zeiten von Whatsapp, SMS und man kann tatsächlich mit den Dingern noch telefonieren, nicht zu viel verlangt.

Bohli hat gesagt…

Vielen Dank für diesen Blick Helma. Ich habe soeben etwas verstanden das ich aus diesem Winkel noch nicht betrachtet habe - Danke dir.

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma,
es ist halt anders für dich in einer neuen Stadt, in der du noch wenig "eigenes" hast. Wäre er zu dir gezogen, dann wäre es vielleicht umgekehrt? Aber so ... Home Office und noch keine eigenen Freundschaften ... da ist es normal, dass du auf ihn wartest. Und die Sache mit der zeitlichen Verlässlichkeit ... die lässt sich vielleicht irgendwann einspielen ...
Liebe Grüsse
Rollringelpiez

P.S. Ich komme evtl. im Herbst in deine jetzige Stadt (hab eine Tante an der S1-Strecke) ... bestell schon mal einen Macchiato für mich mit ;-)

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma, ich kann dich absolut verstehen. Du bringst es so gut auf den Punkt. Was wir wollen ist nicht "immer und überall aufeinander hocken", nein. Aber eine winzige Nachricht. Das wäre was. Die Gedanken beim Warten lassen sich eben nicht einfach abstellen... ich kenne das zu gut. Und ich wünsche dir, dass es besser wird. Du entweder Nachrichten bekommst oder aber lernst anders damit umzugehen... obwohl Letzteres so schwer ist.
Liebe Grüße von Summer

AnnJ hat gesagt…

Liebe Helma,
ich kenne dieses "Verflixt, wo bleibt der Kerl bloß!" auch sehr gut. Nein, das hat absolut nichts mit Kontrolle und Aneinanderkleben zu tun, sondern damit, dass wir Zeiten und Umstände abschätzen und uns ab einem gewissen Punkt einfach SORGEN machen. Um einen geliebten Menschen. Um jemanden, der uns wertvoll und teuer ist. Dem weiß der Himmel was passiert sein könnte.
Auch der Mann mit Hut reißt viele Tausende Autobahnkilometer ab. Er ist ein sehr, sehr guter Autofahrer, aber außer ihm sind ja noch andere unterwegs - und die sind oft genug Dappschädel.
Inzwischen klappt die Unterwegs-Kommunikation aber sehr gut. Deshalb: Dranbleiben, irgendwann wirkts!
Liebe Grüße
AnnJ

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma,
Ich möchte mal gerne wissen, wieviele Stunden ich damit verbracht habe, auf meinen Besten zu warten...
Wenn wir irgendwo einen Termin haben, dann sag ich ihm schon immer, eine falsche Uhrzeit, dann weiss ich, dass er zeitig da ist.
Aber das schlimmste an dieser abendlichen Warterei, an diesem abendlichen Alleinsein oder an den einsamen Wochenenden, wo er noch hier und da etwas für seinen beruflichen Ausgleich tun muss, ist, dass ich mich schon daran gewöhnt habe. Wenn er dann mal zufällig da ist, dann wundere ich mich, natürlich freue ich mich, aber manchmal bringt er meine Pläne, meinen Tag ganz schön durcheinander. Wenn er sagt, dass er in einer Stunde zu hause ist, dann weiss ich, dass es zwei Stunden sind. Wenn er sagt 10 Minuten, dann sind es 20 Minuten,..da kann ich drauf gehen. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Aber wehe, er muss mal auf mich warten!!!
LG Niggelo