Montag, 18. Mai 2015

Die Spitze des Eisberges

"Unser Bewusstsein, das, woran du denkst, was du noch weißt, was gegenwärtig in deinem Kopf ist. Doch das alles das ist nur die Spitze eines Eisberges. Das, was unterhalb der Wasseroberfläche in die Tiefe ragt, unser Unterbewusstsein, das ist viel, viel größer. Es ist nicht weg, nur weil du es nicht mehr weißt. Es ist immer da."
An diese Worte eines Menschen, den ich sehr schätze, musste ich heute morgen denken, als ich mich - zugegeben, mit Bauchschmerzen - an einen Vertragstext setzte, den es von Englisch in Deutsch zu übersetzen galt.
Für die Menschen, bei denen Englisch ein Alltagsbegleiter ist, mag das alles ein Klacks sein.
Jedoch ich habe vor zehn Jahren zum letzten Mal englisch gesprochen, übersetzt. Damals war ich schon ein wenig stolz auf mich. Vertragstexte, Bedienungsanleitungen für technische Anlagen - es war ja nicht so, dass ich die gelesen habe wie einen deutschen Text, aber ich konnte es. Es lag mir.
"Mit jeder Seite wirst du immer besser", hatte mein damaliger Chef zu mir gemeint.
Schon meine Englischlehrerin damals sagte: "Ihr Notenschnitt ist eine Drei. Aber auch nur deshalb, weil Sie mit tausend anderen Dingen nebenbei beschäftigt sind [andere sagen ja auch faule Socke dazu]. Sie können es. Sie können viel mehr."
Also gab sie mir eine Zwei. Verdient oder nicht. Würde vermutlich heute so auch nicht mehr passieren. Eher andersrum, wenn ich so an die Erfahrungen mit meinen Jungs oder deren Klassenkameraden denke.
Im Urlaub in Italien zum Beispiel habe ich immer den Liebsten reden lassen. Nach ein paar Jahren des Nicht-sprechens weiß man vielleicht noch die einen oder anderen Vokabeln, aber man ist einfach soooo unsicher! Allein der Gedanke, man steht vor der Bäckerin oder im Lokal und eiert sich einen ab, bloß weil man Angst hat, sich zu blamieren - oh Gott nee. Wozu hat man schließlich einen Mann?
Heute Morgen jedenfalls nutzte mir das nix. Die letzten vier Tage hatten wir frei - und die haben wir auch genutzt, ohne an die Arbeit zu denken, ohne an Pflichten zu denken. Sich treiben lassen, doch das war wirklich schön. Und entspannend.
Und nun stand ich da, der Liebste war los ins Büro, ich konnte niemanden fragen und Chef pochte auf die Uhr: "Bis Mittag brauch ich das, muss doch wissen, ob ich unterschreiben kann oder nicht!"
So fing ich an. Vertiefte mich. Nur ein einziges Wort, das mir so gar nicht mehr gegenwärtig war, schlug ich nach. Eine einzige Wortwendung war enthalten, von der ich wusste "Das wird so nicht übersetzt, das ist ein Begriff für irgendwas - nur für was?"
[Wer von Euch weiß, wie man "gegengezeichneten transfer-acceptance deeds" übersetzt?? Hat was mit Abschlagsrechnungen zu tun. Danke :) ]
Bei allen anderen Worten, die ich sicherheitshalber noch mal im Wörterbuch nachlas, lächelte ich: "Na bitte, stimmt doch, geht doch."
Das tat mir irgendwie gut. Zu fühlen, dass ich doch noch mehr konnte als ich mir selber zugetraut hatte. Zu sehen, dass ich doch noch nicht alles vergessen hatte.
Es ist wie mit der Stenografie: Jahrelang nicht praktiziert - aber man vergisst sie nicht. Sobald man beginnt zu schreiben, fällt einem alles wieder ein.
Mein Unterbewusstsein. Ausgegraben aus den Tiefen eines Eismeeres. Eingefroren, aber nicht abgestorben. Und darauf jetzt einen heißen Kaffee!

3 Kommentare:

Nicola Hinz hat gesagt…

Im Prinzip ist das eine Annahmebescheiningung, oder? Eine "Übertragungs(annahme)urkunde"? Würde mich ja brennend interessieren, wie du du es am Ende mit dem Begriff gelöst hast.

Liebe Grüße
Nicola

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Nicola - ich habs noch gar nicht gelöst ;) Zum Chef nur gesagt, dass dies vermutlich ein Bankbegriff ist, irgendwas Banktechnisches, ne Bestätigung sozusagen, dass Gelder transferiert werden dürfen.
Dass ich es aber - wie gesagt - nur vermute, aber nicht weiß. Er wird es beim Auftraggeber nachfragen, dann sag ich es Dir :)

lautleise hat gesagt…

Diese Formulierung ist Bestandteil jeder Inkasso-Massnahme, ruf Deine Hausbank an, die müssen das wissen!!!
Oder eine internationale Spedition, dort sitzt immer Eine, die das mit Links erledigt.
Ich war dort derjenige, der das mit Rechts erledigte.
Also der Chef. War ja klar...
LG - Wolf