Donnerstag, 31. Dezember 2015

Und dann wollte ich noch sagen...

"Rauchen Sie?"
"Nein, noch nie."
"Trinken Sie Alkohol?"
"Selten."
"Irgendwelche Drogen? Egal wann?"
"Ach herrje, nein, nie."
Als ich gestern derart abgefragt wurde, musste ich im Nachhinein schmunzeln, weil ich dachte: "Wenn du diese Laster nicht hast, kannste ja nicht mal neue Vorsätze fassen."
Doch rechtzeitig fiel mir ein: Ich habe nie Vorsätze gefasst. In kein einziges neues Jahr bin ich mit dem Gedanken gegangen, dieses oder jenes nicht mehr oder anders zu machen.
Eher habe ich es empfunden wie mit jedem neuen Tag:
Es ist ein neuer Anfang. Der Beginn eines neuen Jahres mit einer Fülle an Ereignissen, die wir jetzt noch nicht wissen - und manchmal denke ich, dass das auch gut so ist. Früher habe ich mir oft einen Spiegel gewünscht, in den ich schauen und zumindest schon mal einen kleinen Ausblick erhalten könnte für die Zeit, die da kommt.
Heute denke ich: Bloß gut, dass es diesen nicht gibt.
Sehen wir etwas Negatives, können wir die Zeit bis dahin nicht mehr genießen, weil wir ja wissen, was uns noch bevorsteht.
Sehen wir etwas Positives, können wir die Zeit bis dahin aber auch nicht mehr genießen, weil wir es nicht mehr erwarten können, bis es soweit ist.
Es ist vielleicht aber auch so wie mit der Puppe, die ich mir als Kind so gewünscht und beim heimlichen Herumkramen im Schrank entdeckt hatte. Für diesen Moment hatte ich mich gefreut und den Schrank mit glücklich klopfendem Herzen wieder geschlossen. Doch als es soweit war und ich die Puppe überreicht bekam, da... konnte ich mich irgendwie nicht mehr freuen. Und nicht lange danach saß diese Puppe unbeachtet auf dem Bett, bis meine Mum mich fragte, ob sie sie mit anderen Puppen mit in den Kindergarten nehmen könne. Und ich gab sie alle her, auch diese eine.

Lassen wir uns also überraschen, was das Jahr 2016 für uns bereithalten wird.
Ich nehme die Hoffnung aus 2015 mit hinüber, dass es ein gutes Jahr wird, ein besseres in mancher Hinsicht nicht nur für mich und meine Familie. Ein Jahr, das vielleicht die Erfüllung eines großen Wunsches bereithält. Ein Jahr, in dem manches leichter wird. Anders vielleicht, aber leichter.
Wie hieß es doch im wunderbaren Film "Best Exotic Marigold Hotel"?
"Angst macht uns nur, dass alles so bleibt wie es ist. Also sollten wir Veränderungen feiern  [...]"
Denn darin, so empfinde ich es, liegt ja immer auch eine Fülle von Möglichkeiten.
Egal ob nun morgen oder im ganzen kommenden neuen Jahr.
Und um es mit den Worten von Dieter Nuhr in dessen Jahresrückblick zu sagen:
"Hört endlich auf, euch verrückt machen zu lassen. Alles, was geschieht, hat es immer schon gegeben. Es gab nur eins damals nicht: die Medien."
Mag sein, das ist nicht die Antwort auf alles. Aber es macht ruhiger. Entspannter. Gelöster. Und uns freier im Umgang mit uns selbst und den anderen.
Ich wünsch Euch was.

Dienstag, 29. Dezember 2015

Wenn ein Schwan singt

                              Es neigte ein Schwan seinen Hals auf das Wasser hinab.
          Sein Gefieder war weiß wie am ersten Tag,
rein wie Sirenenton. Und im Glitzern der Morgensonne sieht er in den Spiegel der Wellen hinein,und mit brechenden Augen weiß er: Das wird sein Abschied sein. 
Wenn ein Schwan singt, schweigen die Tiere. Wenn ein Schwan singt, lauschen die Tiere. Und sie raunen sich leise zu, raunen sich leise zu: Es ist ein Schwanenkönig, der in Liebe stirbt.

Lieber Opa, 
nun hast Du die einhundert Jahre doch nicht mehr geschafft.
Heute Morgen haben wir erfahren, dass Du die Nacht nach der OP nicht überstanden hast.
Niemand von uns weiß, wo Du jetzt bist - aber in allem Abschiedsschmerz wissen wir, dass Du ein langes, erfülltes Leben hattest. Dass Dich bis zuletzt Menschen begleitet und umsorgt haben, die Dich von Herzen lieben. Dass Dir langes Quälen erspart geblieben ist - und dass Du zwei Tage vor der OP auf der Wachstation Kuchen genascht und Kinderlieder gesungen hast. Du Schleckermäulchen.

Ich bin sehr dankbar, dass ich Dich noch kennen lernen konnte.
Dich und Dein verschmitztes Lächeln.
Dich und Deine liebevollen Küsschen.
99 Jahre. Eine so lange Lebenszeit - und so ein kurzer Abschied, in dem trotz allem auch ein Trost liegt.
Als mein Sohn noch klein war, fragte er mich, ob wir nach dem Tod wiederkommen - und als was.
Und er befand, dass er nicht als Blume wiederkommen möchte, weil "dann habe ich ja gar keine Augen und kann nichts sehen."
Auch als Hase wollte er nicht wiederkommen, weil "dann werde ich ja gejagt und vom Jäger totgeschossen."
Lieber Opa, ich weiß nicht, ob es so etwas gibt. Ob es einen Raum für die Seele gibt, wenn wir gegangen sind. Ob die Seele in etwas "Neues" schlüpft und so zu uns zurückkehrt.
Ich bin nicht spirituell und ich bin auch nicht esoterisch.
Aber eins weiß ich: Für uns bleibst Du immer hier bei uns.
Leb wohl, kleiner Opa.


Montag, 28. Dezember 2015

Brasilianer können nicht nur Fußball, dachte ich! Und ich kann Steuer, dachte ich!

Genau genommen dachte ich das bis heute Abend.
Und glaubte bis zu diesem Moment, dass (für mich) die Brasilianerinnen am schönsten mit all dem wackeln können, das ihnen von der Natur und ansonsten vom Schnitt-/Füllmeister gegeben wurde - und dass es auch gute Schriftsteller unter ihnen gibt.
Paulo Coelho ist sicherlich einigen Leuten ein Begriff. Mir jedenfalls, seit ich vor Jahren mal ein Büchlein von ihm geschenkt bekam "Unterwegs - Der Wanderer" mit einigen (guten, wie ich finde) Geschichten darin. Von denen mir insbesondere die Geschichte mit dem Wagenheber in Erinnerung geblieben war. Weil die Realität selbst in meinem engsten Familienkreis selbiges immer wieder mal aufzeigt. Kannste staunen manchmal und auch den Kopp schütteln manchmal.
Insofern amüsierte mich im Blog der Brüllmaus eine sehr ähnliche Story - nur eben diesmal von jemand anderem, von dem ich erst seit heute Abend weiß (ein Hoch auf Wikipedia!), dass der nicht nur um etliche Jahre älter als der Brasilianer, sondern vermutlich auch der Urheber der eigentlichen Geschichte war: ein österreichischer Wissenschaftler namens Paul Watzlawick, von dem ich im Gegensatz zu Coelho noch nie gehört bzw. gelesen hatte.
Ja. Wer hätte das gedacht. Dass ein Brasilianer von nem Ösi abschreibt und das millionenfach verkaufen lässt, während der andere... Aber ich will mich jetzt gar nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen und schon wieder mit Halbwissen glänzen, denn noch habe ich nicht genügend über Watzlawick nachgelesen. Nur weil ich den bis heute Abend nicht kannte, heißt das ja nicht, dass die Welt ihn nicht kannte ;)
Was lerne ich also daraus? Erst mal genauer informieren, bevor ich was sage.

Ähnliches dachte ich übrigens, als ich die Post der letzten zehn Tage durchschaute (war ja sieben Tage nicht hier vor Ort und zwischen den Weihnachtstagen fand ich auch nicht die richtige Muße dazu) und den Brief des hiesigen Finanzamtes öffnete.
Tja.
Hätte ich mich mal vorher genauer informiert, bevor ich die Formulare zur Steuererklärung 2014 ausfüllte. Besser gesagt: Hätte ich mich mal rund eineinhalb Jahre VOR Erstellen der Erklärung informiert!
Im Gegensatz zu den sächsischen Finanzbeamten jedenfalls wurden hier sämtliche Arztkosten bis auf den letzten Cent anerkannt - sogar die zur Empfängnisverhütung - und das ist einem Bundesland mit dem zweitgrößten Anteil an Katholiken (jaaaaa, freilich habe ich dieses Mal recherchiert!) *kreisch*
Dafür stand jedoch in Zeile "Unterhaltsleistungen nach § 33a Abs. 1 EStG" eine schlappe... Null. Nix. Niente. Nada. Waaa? Wieee? Wieso Null?
Also belas ich mich im Internet nach diesem blöden Paragraphen. Immerhin - laut meiner Aufstellung - belaufen sich die Kosten auf eine stattliche Summe, die der Obergrenze doch recht nah kommt.
Dass die Kosten der Berufsausbildung, also sprich: der Fachschule, nur zu 30 Prozent anerkannt werden, wusste ich. Auch wenn ich das nicht gerecht finde, zumal ich ja für diese Kosten immer allein aufkommen musste. Aber egal.
Dass ich aber - wie ich nun las - keine Unterhaltsleistungen geltend machen kann, weil ich das Kindergeld bezogen habe, das finde ich wirklich ungerecht. Zumal ich gewissenhaft mit 12 Kontoauszügen nachgewiesen hatte, dass ich dieses Kindergeld Junior 1 zu 1 weitergereicht hatte.
Doch das interessiert den Fiskus ganz offensichtlich nicht.
Gemeldet bei der Familienkasse bin ich - seit der Geburt dieses Sonnenscheinchens.
Wer die Behördenunwege kennt (hallo Juliane! :)), der wird verstehen, dass ich oder wir wenig Lust auf großartiges Prozedere mit eben dieser Familienkasse hatten - und es einfacher fanden, einen Dauerauftrag an das anspruchsberechtigte Kind einzurichten.
Und das rächt sich nun.
Ich darf zahlen, es aber nicht geltend machen. Obwohl alle Ausgaben nachweislich bei mir lagen.
Tja.
Blöd gelaufen.
"Hätteste mal..." bekam ich prompt zu hören.
Hätte hätte Fahrradkette.

Was lerne ich daraus? Dass ich wieder was gelernt habe!
In meinem nächsten Leben werde ich Finanzbeamtin mit Apotheken-und-Arztdiplom-Hintergrund! Damit dürften alle wesentlichen Säulen meines kümmerlichen Daseins abgedeckt sein. Inklusive das der Jungs.

Sonntag, 27. Dezember 2015

Aber-Glauben

Man sagt so vieles über Weihnachten.

Über Paare, die nirgends so oft streiten wie im Urlaub oder in den Weihnachtstagen, und die sich nicht selten anschließend trennen.
Nur über das Warum lassen sich die Gazetten eher weniger aus. Soll ich also annehmen, dass Menschen heutzutage kaum mehr in der Lage sind, es ein paar Tage lang miteinander auszuhalten, die nicht von Job oder Terminen durchbrochen werden? Also von Zeiten, die man nicht miteinander verbringen kann - oder muss?
Wenn das der Grund ist - warum ist das dann so?
Weil man sich mit den Jahren verändert?
Weil aus dem geliebten Mausezähnchen mit den Jahren eine "mürrische Alte" und aus dem James Dean-Verschnitt mit der zerdrückten Papierblume im Knopfloch von einst inzwischen ein "selbstgerechter, selbstgefälliger Arsch" geworden ist? Wahlweise mit Fönwelle und gefärbtem Haar oder mit Bierbauch und Platte, auf der sich die letzten Specklocken tummeln - und der sich trotzdem immer noch für unwiderstehlich hält?
Wird in den ununterbrochenen Tagen eines Urlaubs im Frühjahr, Sommer oder eben zu Weihnachten deutlich, dass man sich eigentlich gar nichts mehr zu sagen und vor allem auch nichts mehr zu geben hat? Dass Männer ihren Frauen ein Kochtopfset oder das Hightech-Bügeleisen kaufen, während sie ihm zum wiederholten Male eine Krawatte schenkt, obwohl er nie Krawatten trägt?


Über Kinder, die erst ungeduldig und quengelnd die Bescherung herbeisehnen und anschließend heulend das "falsche" Geschenk in die Ecke feuern.
Wie kommt es eigentlich, dass Kinder eine solche Erwartungshaltung an den Mann mit dem Rauschebart und dem roten Mantel haben?
Dass es vor allem darum geht, den Wunschzettel so gut als möglich "abgearbeitet" zu haben - bevor es Geschrei unter den grünen Zweigen gibt?
So wie Eltern das fünfte und sechste Smartphone in die Pfandleihe geben, nur damit sie die heißbegehrte Playstation 4 oder den dritten Fernseher kaufen können?
Natürlich habe auch ich immer versucht, meinen Kindern, als sie noch klein waren, ihre Wünsche zu erfüllen. Ohne mich dabei zu verschulden oder in einen Konsumrausch zu verfallen, der eine Übersättigung einfach nach sich ziehen muss? Weil ich ihnen eine Freude machen möchte mit dem, das ihnen am Herzen liegt. Und nicht mit etwas, von dem ich glaube, dass sie einen Nutzen daraus ziehen könnten.
Das, was ich mir ausdenke, kommt von Herzen. So handhabe ich es grundlegend. Aber... auch dann ist nicht sicher, dass man nach einem solchen Abend keine heimlichen Tränen ins Kissen weint. Die Mutter. Nicht die Kinder.

Vor vielen Jahren herrschte ebenso der Glaube vor, dass man sich nicht am Heiligen Abend streiten solle - man würde die Zwistigkeiten somit bis zum nächsten Heiligen Abend (er)tragen müssen. Dann ziehe ich gleich auf eine einsame Insel. Mit Laptop. Und Telefon. Kann man alles nach Belieben ausstellen. Ohne dass es weh tut.
So wie man an Heiligabend möglichst auch nicht erkrankt sein dürfe: Im folgenden Jahr sei man durchweg geplagt. Hallelujah! SO alt bin ich dann wiederum auch noch nicht!
So wie es heißt, dass all das, was man in den 12 Nächten, die dem heiligen Abend folgen, träumt, auch in Erfüllung gehen würde. Nun. Drei Nächte sind rum. Drei Nächte voller Verfolgungen, Morddrohungen, Bedrängnis. Nein, ich habe nicht ins Traumdeutungsbuch geschaut.
Ich wäre nunmehr nur geneigt, in ein paar Tagen gleich mit dem Jahr 2017 zu beginnen.

Glücklicherweise bin ich realistisch genug, dem Aberglauben nicht zu erliegen. Aber man wird sich ja noch so seine Gedanken machen dürfen.

Mittwoch, 23. Dezember 2015

An die Brotbüchsenfee




"...ich fand unsere Redenacht wieder sehr schön - auch, Dein Runterkommen zu spüren und Deine Fähigkeit zu reflektieren. Deine letzten Monate waren schwer, die kommenden werden nicht minder anders - sie werden Dir Licht in so manches Dunkel bringen und dafür drück ich Dich und alle Daumen! Deine Entwicklung über die Jahre begleiten zu dürfen, ist spannend und immer auch mit viel Herzschmerz zu den vielen Themen verbunden. Du bist daran jedoch gewachsen und nicht gebrochen - Respekt! ..."


Mit diesen Worten an mich wurde mir einmal mehr bewusst, was ich erst vor kurzem geschrieben hatte:
Was sind wir ohne Partner? Singles!
Was sind wir ohne Freunde? Nichts!

Als die Entscheidung fiel, von L fortzugehen, den Job aufzugeben (was zunächst so geplant war) und vor allem auch die Menschen hier aufzugeben, an denen ich hänge, da war mir schon bewusst, was ich hier aufgebe. Was ich bereit bin zu geben. Vermutlich habe ich auch mit dieser Entscheidung in Kauf genommen, dass die eine oder andere Bindung damit zerbrechen wird. Dass diese die Distanz nicht aushalten werden oder können. Vermutlich auch sind diese dann immer Bindungen, die nicht tief genug gegangen sind, egal, von welcher Seite.
Noch vor einigen Jahren glaubte ich, dass es gut und wichtig sei, viele Menschen zu kennen, mit etlichen Menschen befreundet zu sein. Gleichwohl erkannte ich mit der Zeit: Man ist nicht wirklich mit vielen Menschen befreundet. Nicht jeder meint es gut mit einem, auch wenn er es sagt.
Wirklich befreundet ist man nur mit den Menschen, die einen Platz für Deine Seele haben. Die Dir die Tür öffnen, ganz gleich, wie lange das letzte Mal her ist. Die dir den Sessel anbieten, in den Du Dich fallen lassen kannst wie in eine Umarmung, die Dir zuhören, ohne Dich zu ver- oder zu beurteilen, die Dir zuhören, Freude und Schmerz in jedem Augenblick mit Dir teilen und Dir dennoch nie das Gefühl vermitteln, dass Du selbst... versagt hättest. Dass Du als Mensch, als Frau, als Freundin untragbar seist.
Nicht, weil Jahresende ist und viele von uns sentimental werden.
Sondern weil das vergangene Wochenende hier in L erst wieder gezeigt hat, wie kostbar ehrliche Bindungen sind. Weil mich heute diese Zeilen erreichten, die mich nicht berühren, weil sie mir schmeicheln. Sondern die mich berühren, weil ich mich so... respektiert fühle. Mich mit meinen Ecken und Kanten, in einer so bedingungslosen Freundschaft, dass mir DAS eher Tränen in die Augen treibt.
Seit vielen Wochen lese ich in verschiedenen Blogs den Wunsch nach Liebe, nach Partnerschaft, nach Miteinander da, wo Freundschaft aufhört. Manchmal frage ich mich, wie meine Posts wohl aussehen würden, was sie beschreiben würden, lebte ich auch als Single. Vermutlich klängen sie genauso. Oder ähnlich. Ich weiß es nicht. Es hat Zeiten gegeben, da war der Wunsch nach einem Partner schier übermächtig. Nicht, weil ich nicht allein sein konnte. Sondern weil ich nicht wusste, wohin mit all der Liebe, die ich geben wollte.
Es hat Zeiten gegeben, da war mir bewusst, wie wertvoll Freundschaften sind - aber immer noch stand der Wunsch nach erfüllter Liebe darüber.
Wie ist die Zeit heute? Kann ich diese Frage noch objektiv beantworten, wenn ich seit Jahren ein Miteinander lebe? Bin ich dann noch glaubwürdig, wenn ich sage: Es ist vor allem wichtig, dass man wirkliche, echte Freundschaften hat? Die, die Du zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen könntest, wenn es die Situation verlangte. Die, die Dir ihre Tür zu jeder Tages- und Nachtzeit öffnen, ganz gleich, ob montags, donnerstags oder samstags. Die, die Dir eine Decke über die Beine breiten: "Bleib doch da, wenn du magst, du musst nicht wieder heimfahren." Die, die nichts fordern und nichts aufrechnen.

Und ich antwortete Dir.
"...Du bist einfach da und hörst zu, äußerst Gedanken, die niemanden angreifen und niemanden verletzen. Respekt vor den Menschen und Situationen - ich sehne mich so sehr danach!! Nach Akzeptanz! Dafür danke ich Dir so sehr! Ich denke nicht darüber nach, was das kommende Jahr bringen wird. Ich wünsche mir für den Moment einfach nur... ein wenig mehr Ruhe in meiner Seele als es in diesem Jahr gegeben hat..."

Ich bin so dankbar, dass Du ausgerechnet meine Freundin bist!

Dienstag, 22. Dezember 2015

Ein bisschen Schwund ist ja immer

1.
Das Telefon von Junior II ist defekt. Hat er wieder eins geschafft, nach nur einem Jahr. Bei seinem Dauergebrauch sicherlich auch nicht wirklich verwunderlich.
Er hat sich ein neues zu Weihnachten gewünscht. Jedoch das muss jetzt warten: Für eine Ausbildung ab 1. Februar hat er einen Führerschein vorzulegen - und die Kosten dafür strecke ich ihm vor. 
Ein bisschen lachen musste ich ja: 
180 Euro Grundgebühr
  45 Euro Gebühr für Bücher und Unterlagen
  80 Euro Gebühr für die Anmeldung beim Ordnungsamt
Da haste noch gar nix gemacht bzw. bekommen - und bist erst mal schlappe 305 Euro los. So lustig wirds wohl die nächsten Wochen weitergehen.
Tschüss Weihnachtsgeld! 

2. 
"Hast du zufällig einen oder zwei Euro in der Tasche?" frage ich Junior, während ich selber Taschen und Portemonnaie ergebnislos durchwühlte. In Zeiten, wo man inzwischen beinah überall mit Plastikkarte bezahlen kann, braucht man ja fast kein Bargeld mehr.
Es sei denn, ein Einkaufswagen verlangt danach - und der zwölfunddrölfigste Chip ist auf Nimmerwiedersehen versenkt. 
Es sei denn, black Beauty verlangt nach einer Wäsche - und sei es in der SB-Stätte.
Am selben Abend besuchte ich eine Freundin.
Als ich später wieder auf die Straße trat, war Black Beauty derart zugekackt von den Raben, die im Baum über Black Beauty saßen, dass ich erst fassungslos staunte, alsdann aber in herzhaftes Lachen ausbrach. Was vermutlich recht merkwürdig geklungen haben muss, denn

3.
mein Stimmvolumen lässt noch immer auf sich warten.
Selber schuld.
Wer sich nicht die Zeit nimmt, die Erkrankung auszukurieren und stattdessen ins Büro und zur Jugend eilt und macht und tut, der muss sich auch nicht wundern. Und sich beklagen erst recht nicht.

4.
Das Bügeleisen der Jugend. Hach ja. Macht sich vor allem dann gut, wenn man morgens das Eisen an die Stromquelle knispelt und das Shirt bügeln MUSS, weil man so nicht ins Büro gehen kann.
Hatte echt Schwein, dass das einzige Blusenshirt, das ich in letzter Sekunde noch mit in die Tasche geworfen hatte, bügelfrei ist. Ansonsten hätte ich mir ein Sweatshirt von Junior I ausborgen müssen. Was sich auch nicht unbedingt einfach gestaltet hätte: Die meisten lagen im Wäschekorb. 

5.
Der Wasserkocher ist leckgeschlagen. Vermutlich Materialermüdung. Irgendwo tritt Wasser aus. 
Also ein defektes Bügeleisen ist schon blöd - aber ein defekter Wasserkocher ist ein NO GO! Hier gibts schließlich keine Kaffeemaschine, Kaffee trinke ich zu Hause immer türkisch! Ein defekter Wasserkocher bedeutet also im schlimmsten Falle: keinen Kaffee. Waaahhhh!
Zunächst ist die Wasserdurchlassstelle aber noch so mini, dass ich ausreichend Zeit erhalte, für Ersatz zu sorgen. Und morgen fahren wir ja erst mal gen Süden.

6. 
In mein Haus kommen keine Gummibärchen mehr. KEINE! Erst recht keine, die sich Lachgummis nennen. Pah! Lachen! Mir war eher zum Heulen! Bei der ersten Hälfte dieser Kack-Tüte brach mir vor etwa drei Wochen links oben ein Viertel-Backenzahn weg. Die Restauration wurde überschattet von der Tatsache, dass Frau Zahnfee mich halb ins Koma spritzte - und die Betäubung trotzdem nicht wirkte. 
Beim Rest der Tüte brach mir nur eine Woche später links unten ein Viertel-Backenzahn weg. Fragt nicht, wie ich geflucht habe und entsprechend wütend, wenn auch sinnfrei auf diese blöden Tüte eintrat. Die Restauration Anfang der Woche beschied mir selbiges Glück: Trotz zweier "Spritzen, die ausreichen, ein Pferd zu narkotisieren" passierte bei mir nicht viel. Erst drei weitere kleine Spritzen direkt an den Zahn brachten Erleichterung.
Ich hoffe doch nun ganz stark, dass mir selbiges bei der OP im Januar nicht auch passiert.
Habe ich nämlich vor zwei Tagen bei einem Gespräch zwischen zwei Frauen mit angehört, als die eine der anderen erzählte: "Hast du deine OP gut überstanden?" - "Ja, ging auch alles soweit gut. Bin nur mittendrin aufgewacht aus der Narkose."
Aaaaahhhh!!! Das ist mein ganz persönlicher Horror! Demnächst steht ja das Anästhesiegespräch an. Ich werde sehr, sehr eindringlich mit dem- oder derjenigen reden :)

Apropos OP: Musste heute Abend doch lachen. Hatte am Nachmittag mit einer Nähnadel hantiert - im Zimmer von Junior I und auf dessen Sofa, wo ich für gewöhnlich übernachte, wenn ich hier bei ihnen bin. Aber mir war völlig entfallen, wohin ich die Nadel anschließend gelegt hatte. Ums mal so zu sagen: Mir war die Nadel entfallen.
Junior hat aufgestöhnt: "Ooooaaarrr neeee! Reicht wohl nicht, dass meine Mutsch so ein Teil im Fuß hat, jetzt soll das wohl auch mir passieren? Ich renn hier IMMER barfuß rum."
"Ich doch auch."
"Ja, aber ich jeden Tag im Monat! Du nur an vier Tagen im Monat."
Wir haben dann beide gesucht.
Wo fand ich sie? Auf dem Sofa.... Da, wo ich für gewöhnlich sitze und schreibe - oder nachts schlafe.
"Ach herrje", entfuhr es mir, "da hätte ich ja im Fall eines Falles nicht nur eine Nadel im Fuß gehabt, sondern vielleicht noch eine im Allerwertesten." Da hätten sie ja ordentlich zu tun bekommen im Januar! :)

Nicht umsonst schließlich liebe ich dieses Video aus dem Post vom 12. Dezember. Der Typ darin, das bin soooooo ich! 
Dennoch wäre es ganz nett, wenn sich der Rest dieses Jahres ohne größere Ereignisse von mir verabschieden täte. Es war auch so... anstrengend genug. Die Söhne bleiben bis 27. bei uns, und ich habe noch bis 6. Januar Urlaub. Aktuell plane ich, diese Tage ausschließlich im Bett zu verbringen. Da dürfte mir dann eigentlich nichts passieren. Eigentlich! Man denke ja nur wieder an das Video :D

Freitag, 18. Dezember 2015

Mit Augenzwinkern: Der Zwilling im Jahr 2016



Es ist vollbracht.
Heute war der letzte Arbeitstag - der letzte Tag auch gemeinsam mit meinen Kollegen. Zumindest für dieses Jahr.

In diese letzten 10 Tage hat wer auch immer alles gepackt, das reinzupacken ging. Leid und Leiden, Kummer und Sorgen, Stress und Bewegung. Aber auch Erfolge und Freude.
Als würde es das alte Jahr auf die letzten Meter noch einmal ganz genau wissen wollen.
Als würde es das alte Jahr noch einmal drauf ankommen lassen - so unmittelbar vor dem bevorstehenden Urlaub und dem Wechsel in ein neues Jahr.
Was wünsche ich mir?
Ehrlich gesagt... Nichts Konkretes.
Einfach nur ein wenig... Erleichterung. Ein bisschen mehr von der Unbeschwertheit, die eigentlich in meiner Seele zu Hause ist. 

Junior I geht es wieder etwas besser. "Er hat sich gefangen", würde man sagen. 
Junior II hat den Einstellungstest bei der Polizei bestanden. Voraussetzung für eine Ausbildung ab 1. Februar ist jedoch der Führerschein. Trotz allem und auch trotz der immensen, nicht geplanten Ausgabe freue ich mich einfach nur für ihn. Wenn es das ist, was er unbedingt tun möchte, dann soll er es tun. Hauptsache, es geht IHM gut und er geht seinen Weg. 

Ich habe die Hoffnung, dass das kommende Jahr tatsächlich etwas mehr Erleichterung bringt. Weniger schlaflose Nächte. Weniger Reibungen und etwas mehr Ruhe in der Seele. Und als ich heute Abend bei der Recherche nach etwas ganz anderem justament über die Vorhersage für 2016 stolperte, die bitte schön nicht bierernst genommen werden sollte, konnte ich mir ein befriedigtes Lächeln doch nicht verkneifen:

"Dann kann das Jahr 2016 doch jetzt eigentlich kommen, oder? S kommt ja sowieso."


Das hier, fand ich, beschreibt mich dann doch ziemlich gut. Um nicht zu sagen: sehr, sehr gut - in jeder Hinsicht. Wirklich lachen musste ich unter anderem am Punkt "Sie verhören Einwände..." Habe schon oft zu hören bekommen: "Kannst du nicht einfach mal so stehen lassen, was ich sage?!" Nö. Kann ich nicht. Jedenfalls nicht, wenn ich eine andere Auffassung dazu habe und gerne verstehen möchte, warum mein Gegenüber anders denkt und handelt.
Oder das da: "Sie haben ein gutes Gedächtnis, was ihre Erlebnisse und Erfahrungen betrifft." Schweizer Uhrwerk, sage ich nur. Ist auch schon oft beklagt worden. Andere Stimmen bezeichnen das auch als selektives Gedächtnis. Ich vergesse nämlich buchstäblich sofort, wo ich gerade noch die Nagelschere hingelegt habe. Oder die Zahnarztrechnung. Pillepalle, wen kümmern denn solche unnötigen Details?
Am lustigsten aber fand ich "Sie ergeben sich nur in den hoffnungslosen Situationen."
Hier habe ich laut lachen müssen! Das ist sowas von wahr! Erst wenn man mir hieb- und stichfest das Gegenteil meiner Ansicht, Auffassung und was auch immer beweist, erst dann gebe ich mich geschlagen. Ungern, übrigens. ;)

Aber ob nun Zwilling, Widder, Waage, Krebs und was es sonst noch gibt: Am Ende eint uns alle dasselbe. Dass wir lieben und geliebt werden wollen. Auch wenn wir phasenweise auch sehr gut mit uns allein klarkommen. 
Und ich wünsche Euch von Herzen, dass Euch das Jahr 2016 bringt, was Euch glücklich fühlen lässt. Mit einem Funkelstrahlen in den Augen. Mit einem Lächeln im Gesicht. Mit dem Gesicht in der Sonne und dem Schatten hinter Euch.

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Nähe und Distanz



Danke Nono, für diesen Einstieg zum Nähe-und-Distanz-Verhalten.

Er erinnerte mich an eines dieser unmöglichen Rollenspiele, in denen immer zwei Patienten, verbunden durch ein imaginäres Gummiband, ihr Nähe-Distanz-Verhalten austesten sollten. Mein Gegenüber eine bis dahin völlig unbekannte Frau. Nicht unsympathisch, aber fremd. Fremden gegenüber verhalte ich mich schon von Haus aus sehr zurückhaltend. "Nordisch unterkühlt", hat es ein Kollege einst bezeichnet. Mit ihrem Wunsch, mir räumlich näherzukommen, verletzte sie meine selbstgezogene Grenze. Mit meinem Bestreben, sie möglichst noch weiter von mir fernzuhalten, verletzte ich ihr Bedürfnis nach Nähe.
"Das ist genau das, worunter ich immer gelitten habe", sagte sie im Anschluss. "Ich will die Nähe, aber man lässt sie nicht zu. Ich wurde immer abgewiesen." Sie tat mir leid, aber ich konnte für sie nichts tun. Es war auch nicht meine verdammte Aufgabe.

Es erinnerte mich an einen Nachmittag im Gymnastikraum, in dem zwei Patienten einander zugeteilt wurden. Einer legt sich auf die Matte, der andere streicht über die Arme, die Hände. Und was weiß ich. Ein absolutes No-Go für mich. Von Fremden lasse ich mich nicht anfassen und schon gar nicht so. Sodom und Gomorrha auf Krankenschein - hallo? Gehts noch?
Ich bin aufgestanden: "Tut mir leid, das geht für mich nicht."
"Und wenn ich die Rolle einnehme?" bot die Therapeutin an. Nein, auch dann nicht.
Sollten sie doch in ihren blöden Bericht schreiben, was sie wollten.

Er erinnerte mich daran, warum ich am liebsten mit dem Auto unterwegs bin: Ein Raum ganz allein für mich.
Er erinnerte mich an meine Aversion gegen die U-Bahn: Es gibt kaum ein Verkehrsmittel mit so vielen Menschen auf engem und engstem Raum. Die dir unaufgefordert den Streit mit dem Freund, der Freundin erzählen, weil du dich dem ungeniert lauten Telefonieren nicht entziehen kannst.
Die dir ungefragt ihre Parfüm- oder sonstigen Körpergerüche quer durchs Hirn schicken und selbiges zu vernebeln drohen. Die dir entschuldigend die Hand auf das Bein, den Rücken, manchmal auch den Hintern legen, weil sie einfach gerade nicht woanders hinkönnen: Hallo Sardinenbüchse!
Es erinnerte mich daran, wie erleichternd ich es finde, wenn ich ein Abteil betrete, in dem ich mich spontan für einen freien Viererplatz entscheiden kann. Interessanterweise wählen Menschen einen freien Platz in der Regel nicht neben jemandem, solange sie noch eine Bank für sich ganz allein finden.
Es erinnerte mich an den Mann, dem ich mich vor einigen Tagen in der U-Bahn gegenübersetzte. Er trug Badelatschen ohne Socken, die den Blick auf dicke, wächsern scheinende, gelbe Zehennägel und dunkelrote Füße freigaben. Er trug einen grauen Anzug und sein langes, graues Haar war zu einem sehr sorgfältigen Zopf gewunden. Er saß vornübergeneigt, schaute niemanden an, schaute nur zu Boden.
An diesem Tag fiel mir zum ersten Mal auf, dass ich trotz Auswahl hier freiwillig einen Platz gewählt hatte, mit dem ich einem Menschen allein durch seine Körperhaltung erlaubte, meinen Distanzbereich zu überschreiten. Obschon er auf den ersten Blick merkwürdig anmutete. Sonderbar. Und ich stellte fest, dass er ganz wunderbar und unaufdringlich nach irgendetwas duftete. Und während er auf den Boden starrte, kramte er aus seinem Jackett eine Salbe, setzte sich einen Klecks zwischen Daumen und Zeigefinger - und diesen hielt er so, ohne ihn zu verreiben, bis er noch vor mir ausstieg.


Nähe und Distanz.
Ich erinnere mich, wie ich selbst immer nach Nähe, nach Zuwendung gesucht habe. Von Menschen, an denen mein Herz hing. Es konnte gar nicht nah genug sein.
Nur... Je näher dir jemand kommt, desto größer ist der Riss, wenn derjenige wieder geht.
Nähe zulassen bedeutet für mich, mich verwundbar zu machen.
Mich zu öffnen bedeutet für mich, mich verletzbar zu machen.
Heute achte ich bewusster darauf, wem ich mich öffne. Wessen Nähe ich zulasse. Vertraue meinem Instinkt. Meinem Bauchgefühl. Es schützt nicht vor Schmerz, aber es bereitet vor. Ist es der Wunsch nach Kontrolle? Vielleicht. Ich weiß nicht. Wer lässt sich schon freiwillig immer wieder in den Magen treten?
Manchmal... braucht es keine Worte, keine Gesten, kein Tun. Manchmal... so wie bei dem Mann in der U-Bahn... da spürt man einfach, dass... keine Gefahr droht. Dass hier kein zu-nah-kommen entstehen würde. Keine Grenzverletzung. Kein Schmerz. Und dann kann ich es. Mich annähern. Vorsichtig.
Wir Menschen sind schon komisch.

Dienstag, 15. Dezember 2015

Eigentore

Junior II hat ein neues Profilbild bei whatsapp. Ein bisschen verschluckt am Kaffee habe ich mich ja, als ich das sah. Nee, der war nicht nackt. Der rauchte. Blies mir buchstäblich diesen fiesen Qualm ins Gesicht.
"Ha! Wette verloren!" schrieb ich. Denn sein Vater raucht - schon immer. Der große Bruder raucht - seit rund sieben Jahren [Das kann ich nur schätzen. Er war noch in der ersten Ausbildung, als ich eine Schachtel Zigaretten auf dem Regal liegen sah. "Du rauchst wohl?" hatte ich gefragt und er bestritt glühend: "Nein! Ich doch nicht! Die ist für einen Kumpel als Dankeschön, weil der mich mal mit dem Auto mitgenommen hatte!" Als ich unmittelbar danach wieder eine Schachtel fand, diesmal aber bereits angebrochen und zur Hälfte verbraucht, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen: "Interessant! Du testest die wohl für deinen Freund?"]
Junior II vertrat hier dieselbe Ansicht wie ich: Rauchen ist scheiße, Zigarettenqualm stinkt und es macht ne hässliche Haut. Als waschechter Skorpion hat er seinem Vater freilich jeden gescheiterten Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören, pieksend untergerieben. Woraus irgendwann die Wette entstand: "Was willst du Pimpf, irgendwann rauchst du selber!" - "Niemals!" - "Lass uns wetten!"
"Ist doch nur Shisha, Hase", whatsappte Sohnemann jedenfalls heute Abend an mich zurück.
Ich bin mal gespannt, wie sich das mit der Wette ausgeht. Tabak ist schließlich Tabak.

In meiner Familie haben früher alle geraucht. Vater, Mutter, Verwandte, Freunde. Ich habe ja zwei Brüder. Wer sich damals ähnlich übers Rauchen mokierte und mit wem ergo genauso gewettet wurde, weiß ich nicht mehr. Einer von beiden wars. Die Wette wurde jedenfalls verloren - irgendwann hingen sie alle dran am Stängel. Tja. Hätten sie mal auf MICH gesetzt! Ich fasse diese Stinkstängel bis heute nicht an. Aber mich fragte ja keiner.

Ein Eigentor ganz anderer Art schoss sich am Wochenende Herr Blau. Er weiß es nur noch nicht.
Samstagabend kündigte er an: "Morgen muss ich früh raus."
"Aber es ist doch Sonntag?"
"Ja, aber acht Uhr beginnt eine neue Schlacht. Game of War. Die geht acht Stunden."
"ACHT Stunden?"
"Sei froh. Andere Schlachten gehen vierundzwanzig Stunden."
Nun ist dieses Onlinespiel ja ein Strategiespiel, keins dieser Ballerdinger, die derzeit bei den Söhnen über den TV flimmern. Aber: Für jemanden, der die glühende Auffassung vertritt, dass die Söhne zuviel spielen (was ich übrigens auch so sehe), selber aber auch tagtäglich gefangen ist und das nun auch noch satte acht Stunden lang.....
Ich habe nix gesagt. Aber gegrinst. Diabolisch gegrinst.

Montag, 14. Dezember 2015

Ein zwölf-Jahre-Rückblick


Im Dezember neigen viele Blogger, auch ich, dazu, einen Blick auf das vergangene Jahr zu richten. Zu schauen, was war, was ist - und wie es weitergeht, vielleicht.
Im Gedanken daran fiel mir auf, dass dies passenderweise für mich auch zu einem  Zwölf-Jahres-Rückblick werden könnte. Wie ich es ja schon mal ausdrückte: Das Zurückschauen bedeutet für mich nicht, einen Schritt zurückgehen zu wollen - sondern zu sehen, wie weit ich gekommen bin.
Den Entwurf, den ich gestern vorbereitete, habe ich allerdings wieder geändert - ich glaube, er war zu detailliert. Was nicht bedeutet: Zuviel Text. Sondern was bedeutet: Zu  sehr Persönliches. Was dann problematisch wird, wenn es nicht nur mich betrifft ;)

Aber vielleicht... gelingt mir dennoch ein... wie soll ich sagen... fassbarer Rückblick?


Das Jahr 2003 Es ist Januar. Ich ringe mich endlich zur Entscheidung durch und ziehe aus meinem Zuhause aus zu einer Freundin. Noch zwei Wochen bis zum Ortswechsel und neuem Job. Drei Tage vorher platzt dieser Arbeitsvertrag. Kein Job, keine Wohnung, keine Existenz.
Das einzige, das für mich so gar nicht in Frage kommt: Der Weg zurück. Also aktiv werden - in jeder Hinsicht.Trotz allem ein wunderbar befreiendes Gefühl. Wie bei einem Vogel, der zum ersten Mal zaghaft die Flügelchen ausbreiten will und noch nicht dran glaubt, dass diese ihn auch tragen werden. Und einen neuen alten Job habe ich auch. Manchmal öffnen sich Türen dort, wo man sie einfach nicht erwartet.
Herr Blau und ich begegnen uns im Herbst zum allerersten Mal, an einer Autobahnabfahrt; ich in einem irren Cordmantel, er in Jeansjacke und Shirt. Das ist es - geht es mir durch Hirn, Herz und Bauch bis direkt in die Knie. Sechs wunderbare, erfüllte Wochen später trennen wir uns.


Das Jahr 2004 Bewegte Zeiten, bewegtes Leben. Mittendrin noch immer im Rosenkrieg, fassungslos, sprachlos - und über jeden, der mich grüßt, wundere ich mich: "Der hat sicherlich noch nicht mit meinem Ex gesprochen, sonst wäre der nicht so freundlich zu mir."
In einer Nacht im April verunglücke ich mit dem Auto, ich schlafe ein am Steuer. Bereits hier erkenne ich: Was sind wir ohne Partner? Singles! Was aber sind wir ohne Freunde? Nichts!
Der zweite Versuch mit Herrn Blau im Sommer misslingt. Er versteht meine Lebensart nicht. Ich verstehe ihn nicht.
Der Dezember hats irgendwie in sich - jedes Jahr im Dezember werde ich krank. "Sie sind vermutlich nur überarbeitet, ich verordne Ihnen ein paar Tage Ruhe, dann haben Sie eh Urlaub und dann wirds auch wieder gut." Die Wahrheit wird sich acht Wochen später zeigen.
Mein damaliger holländischer Chef wird aus dem Projekt gefeuert, eine Woche vor Weihnachten. Unerwartet, vollkommen überraschend. Wir waren ein echt eingespieltes Team - ohne jeden Hintergedanken.
Er - am Fenster des Mehrstöckers stehend und rausschauend: "Was würdest du eigentlich machen, wenn ich hier rausfalle?"
Ich - am Computer tippend und ohne aufzusehen: "Ich würde mich vergewissern, dass du dort unten ordentlich aufgeschlagen bist."

Das Jahr 2005 ...geht schon gut los: Am ersten Arbeitstag erhalte ich meine Kündigung. "Wenn der Chef geht, muss auch die Assistentin gehen", ist dort das ungeschriebene Gesetz. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos, glücklicherweise nur für zwei Monate.
Gleich darauf: Meine Großmutter stirbt nach einer verpfuschten Herzklappen-OP. Eine Woche später fahre ich auf die Insel, um sie mit zu verabschieden. Am Morgen ihrer Beerdigung sind beidseits alle meine Gelenke geschwollen und schmerzen richtig böse.
Drei Tage später das Ergebnis des Bluttests: "Sie haben eine Angina verschleppt." "Wann soll die gewesen sein?" frage ich verblüfft.
"Vor sechs, acht Wochen."
Rechnen kann ich noch. Von wegen überarbeitet, du Sack.
Ich bekomme drei Wochen lang zwei Antibiotika. Die Schwellungen gehen zurück. Der Schmerz in der linken Körperhälfte bleibt. Er bleibt bis heute. Fühlt sich an wie Zahnschmerzen im linken Körper.
Die Ärzte sind machtlos. Ich auch.
Im Sommer ist Herr Blau ist zu Besuch, erzählt von seiner neuen Freundin. Wir trinken Tee, essen Kekse, die ich gekauft hatte. Rote Herzkekse. Ich hänge immer noch an ihm, aber das sage ich nicht. Höre ihm zu und will mich für ihn freuen. Wir verabschieden uns. Ich erbreche all den Tee und die scheiß Herzkekse.

Das Jahr 2006 Dates. Das Treffen ist nett, ich bin und bleibe fasziniert, wir lassen uns zaghaft aufeinander ein. Wochen später erfahre ich von anderen, dass er zeitgleich auch seine Ex beglückt, vier Jahre nach deren Trennung. Zum Reden habe ich keinen Bedarf, er darf aber seine Sachen wiederhaben.
Wenigstens bin ich seit 8 Wochen geschieden. Endlich, nach 3 Jahren.
Erleichterung nach dem Gerichtstermin. Trotzdem sitze ich zwei geschlagene Stunden auf dem Sofa, mit Mantel und in Stiefeln, und starre die weiße Wand an.
Der Frühling kommt und mit ihm: Herr Blau. Irgendwie gehts nicht mit und irgendwie gehts nicht ohne. Wir versuchens nun doch noch mal.
Auf dem Weg zum neuen langweiligen Job verunglücke ich im Sommer schwer. Keine Macht mehr über die Lenkung, keine Macht mehr über das Auto. Bevor es knallt, schließe ich die Augen und denke: "OK, das wars."
"Deine Zeit war noch nicht gekommen", sagt mein Vater später.
Zwei Wochen später trennen Herr Blau und ich uns.
Vier Monate später lege ich die Kündigung auf den Tisch, kaum dass ich wieder begonnen habe zu arbeiten. Den einstündigen Fahrweg über die Autobahn - ich schaffe das nicht mehr, ich kann nicht mehr.

Das Jahr 2007 Ein neuer, besserer Job (dachte ich). Doch der wird zur Zerreißprobe für mich - vier Jahre lang. Zum Glück weiß ich das damals noch nicht.
Ich habe mich auf eine neue Beziehung eingelassen. Strohhalm? Anker? Netz mit doppeltem Boden? Ich weiß es nicht. Ich habe nichts mehr, kein Urvertrauen, kein Vertrauen, ich bin bis oben hin voll mit Selbstzweifeln, Angst und Unsicherheit. Ich glaube nichts und niemandem mehr, auch mir selbst nicht. Wohl auch deshalb gehen wir irgendwann wieder getrennte Wege.
Frei sein... Frei fühlen... Das geht immer nur am Meer. Irgendwie.
Und dann sehe ich Herrn Blau wieder, nach zwölf Monaten. Wie kann das sein, dass man glaubt, man habe sich nur ein paar Tage nicht gesehen? Und ist sich sofort wieder vertraut? Wie geht sowas? Aber Neubeginn? Daran glaube ich nicht.


Das Jahr 2008 Ich muss zum ersten Mal in eine Schmerzklinik, man kommt nicht mehr weiter. Aber irgendwie muss diesem Zustand doch beizukommen sein. Es wird ein Aufenthalt für acht Wochen - und ohne Ergebnis. Dafür eine Menge an aufgerissenen, unbearbeitet zurückgelassenen Schubladen voller Seelenschmerz. Und der Erkenntnis, dass die Ereignisse auch aus dem August 2006 ein Trauma ausgelöst haben, das bis zu dem Zeitpunkt nicht mal im Ansatz bearbeitet, geschweige denn verarbeitet wurde.
Es wird ein schwieriger Abschluss in diesem Jahr. Ich kämpfe wie irre. Weil ich muss und weil ich unbedingt will.
"Verloren ist etwas erst, wenn man es selber aufgegeben hat."



Das Jahr 2009 ist ein Jahr des Kampfes. Im Job. Privat. Mit mir. Auf allen Fronten. Puh.
Ich will mich anlehnen, ich würde mich gerne anlehnen.
Ich will mich geliebt fühlen. Bedingungslos, möglichst. Das wollte ich doch immer, danach hatte ich immer gesucht.
Ich will mich respektiert und beachtet fühlen. Den Mittelpunkt darstellen, so n Scheiß brauche ich nicht. Aber beachtet werden.
Ich finde, das ist ein mächtiger Unterschied.
Das Jahr 2009 ist ein Jahr, in dem ich mich ähnlich allein fühle wie schon 2003. Allein, nicht einsam. Ich begreife: Verlassen kann ich mich nur auf mich selbst. Fühlt sich nicht gut an. Für mich.


Das Jahr 2010 Kampf mit Behörden, Ämtern, Krankenkassen kenne ich inzwischen. Kann ich inzwischen. Die in Aussicht gestellte Rente beantrage ich nicht. Die können mich mal!
Da muss es doch noch mehr geben!
Da muss doch noch mehr gehen!
"So wie du aussiehst, kann es dir gar nicht so schlecht gehen", höre ich. Bei sowas muss ich kotzen. Klar könnte ich mich genauso gehenlassen. Mich nicht mehr waschen, nicht mehr zurechtmachen, mich vernachlässigen und am besten mein Zuhause, meine Söhne gleich mit! Mich jeden Tag in die Ecke legen und rumflennen. Anderen was vorjammern. Und dann? Wem wäre dann damit geholfen? He?! Was wäre damit erreicht?!

Das Jahr 2011 ist rückblickend das letzte Jahr der kleinen und großen Krisen, die innen und die außen. Ein Jahr, das alles noch mal auf den Kopf stellt, hinterfragt, das rüttelt und nicht zur Ruhe kommen lässt.
Das zerreißt und zerreißen lassen will - und mich wieder und wieder vor die Frage stellt:
"WAS VERDAMMT willst du JETZT tun? Wohin willst du? Mit wem willst du?"
Meine Fresse, ich will doch auch nur... leben. Lieben. Und geliebt werden. Na gut, vielleicht will ich ab und an auch ein Stück Schokolade zum Frühstück.


Das Jahr 2012 wird das Jahr der Erleichterung. Stück für Stück.
Schritt für Schritt.
Ich fühle mich glücklich. Nach so langer Zeit wirklich glücklich.
Auch wenn ich dem Frieden nicht traue.
Es ist das Jahr, in dem echte Pläne geschmiedet werden. Pläne für das Jetzt und Hier und auch für das Morgen.
"Chasing Cars" verbinde ich auf immer und ewig mit einem ganz besonderen Moment auf einem Ledersofa. Dieses Konzert ist der Höhepunkt dessen.

Im Jahr 2013 ist meine kleine süße Wohnung richtig schön geworden. Dass wir nicht mehr darüber nachdenken, ob wir zusammenziehen, sondern wann, erfüllt mich vor allem mit Beklommenheit: Wir lieben beide unsere Freiheit, wir haben beide so lange allein gelebt. Nach unseren eigenen Vorstellungen, unseren eigenen Maßstäben.
Ob das alles so passt und geht, wenn aus zwei Wohnungen eine wird? Und wo? Bei mir oder bei ihm?
Am liebsten bei mir, in meiner Stadt. So war der Plan.
Herr Blau stammt doch schließlich auch von hier, auch wenn er schon längst hier fort war, als wir uns kennen lernten.


Das Jahr 2014 ist das Jahr des - genau genommen dritten - großen Umbruchs in meinem Leben. In der Firma lege ich bereits im Januar die Kündigung auf den Tisch - auch wenn ich das jetzt noch nicht müsste, denn gehen will ich erst Ende August. Aber ich empfinde es als fair, innerhalb dieser Monate einen Ersatz für mich zu finden.
"Den gibt es nicht", erhalte ich auf diese Weise mein Arbeitszeugnis.
Und nach Wochen der Überlegungen den Vorschlag zum Home Office. Probeweise erst mal für ein halbes Jahr. Ich nehme dankbar an. Sehr dankbar. Manchmal muss man doch einfach auch nur ein bisschen Glück haben.
Und das Zusammenleben?
Wir sind beide überrascht, wie gut wir immer noch harmonieren, auf kleinem, nunmehr geteilten Raum. Ich vermisse meine Kinder, meine Freunde, mein altes Zuhause wie verrückt - aber ich liebe es auch, beim Herzensmann zu sein.

Das Jahr 2015 hat mir und auch uns da schon mehr abverlangt. Öfter als gedacht sind wir an Grenzen gestoßen, mit denen wir erkennen: Wir brauchen wenigstens einen größeren Lebensraum. Nur... Das Wo und Wie kann nicht klar abgesteckt werden, aus verschiedenen Gründen. Noch treibt uns nichts, aber wir wissen, dass wir aktiv werden müssen, wenn wir nicht wollen, dass es uns auseinander treibt.
Es ist auch das Jahr, in dem sich zeigt, wie krank mein großer Sohn wirklich ist. Ein Jahr der Sorge, der Tränen, des Kummers und einer unendlichen Belastung in jeder Hinsicht.
Wir haben Dezember, das Jahr ist fast rum. Wie irgendwie jedes Jahr im Dezember bin ich krank. Richtig krank. Ein bisschen warte ich gerade noch auf etwas Erleichterung. Dennoch: Ich sehe die Sonne - und das ist das Entscheidende.

Was ist mein Fazit nach diesem Rückblick?
Als ich 2003 auszog, hatte ich nicht mal eine Vorstellung von dem, das auf mich wartete. Über all die Dinge schreiben zu wollen, würde tatsächlich ein Buch füllen. Ich frage mich nicht, ob ich den Weg sonst nicht gegangen wäre: Ich weiß es nicht. Vermutlich aber schon! Ich bin zwar (mittlerweile) ein etwas ängstlicher Mensch - aber ein Feigling bin ich nicht.
Manchmal aber dachte ich, dass ich jetzt besser verstünde, warum viele Menschen diesen Weg nicht wagen. Auch die Reise ins Ich nicht wagen.
Als einsamer Mensch hätte ich diesen Weg vermutlich nicht zuende gehen können. Aber ich hatte das wirklich große Glück, kaum jemals wirklich einsam gewesen zu sein. Mir ist es anfangs sehr, sehr schwer gefallen, um Hilfe zu bitten. Ich kannte das nicht - und ich war so auch nicht erzogen worden. Mein Leben war all die Jahre so bewegend im Sinne einer bewegten See, dass ich mich mehr als einmal nach etwas mehr Ruhe und sogar Gleichmut gesehnt hatte.
Manche Menschen habe ich kennen gelernt, andere verabschieden müssen. Manche vermisse ich noch immer, jeden einzelnen Tag.
Ich glaube, im Jahr 2015 bin ich ein bisschen stehen geblieben. Habe angehalten. Wie wenn man im Schaukelstuhl ein Bein herausstreckt, um stehenzubleiben, trotzdem man sitzt.
Und ich genieße es. Es ist mir gar nicht möglich, es momentan anders zu handhaben. Natürlich bin ich sehr dankbar, dass Herr Blau das versteht - und im Augenblick es auch selber so haben möchte.
Trotzdem frage ich mich manchmal, ob ich in diesem Jahr ein langweiliger Mensch, ein langweiliger Partner war. Dann wieder denke ich: Es kommt nicht darauf an, dass man immer nur gibt. Es ist auch nicht entscheidend, dass man immer nur gibt. Für mich denke ich, dass entscheidend ist, dass wir uns glücklich fühlen. Dass wir mit uns selber im Reinen sind - ganz gleich, ob wir jemanden an unserer Seite haben oder nicht.
Vielleicht kam das in diesem Kurz-Rückblick nicht so rüber - aber das ist genau das, was ich fühle: mit mir im Reinen zu sein. In meinem eigenen Gleichgewicht, mit meinem eigenen Ruhepol.
Und wenn ich ganz ehrlich zu mir selber bin, ist es vor allem das, wonach ich immer gesucht habe.
Vor vielen Jahren habe ich mal gesagt: "Wie soll ich dich glücklich machen, wenn ich es selbst nicht bin?" Den Weg bis dahin habe ich mir so vielleicht nicht vorgestellt. Aber ich bin wirklich froh drum, ihn gegangen zu sein.

"Werden Sie bleiben?"
"Ich weiß es noch nicht. Nichts von dem, wie ich es mir vorgestellt habe, ist auch so gekommen."
"Das mag sein. Aber das, was wir stattdessen bekommen, ist manchmal ein richtiger Knüller."



Samstag, 12. Dezember 2015

Show Me Love - Du, ich und die anderen



Wenn ich zwei, drei Tage nichts mehr von mir hören ließ, dann nicht der stummen Fassungslosigkeit der vorherigen Tage wegen. Über Nacht, buchstäblich von einem Tag auf den anderen, war mir zunächst die Stimme abhanden gekommen, einen Tag darauf das Vermögen, aufzustehen. Die selbstdiagnostizierte Virusinfektion ist in Wahrheit eine handfeste Bronchiengeschichte, die in Begriff ist, auf die Lunge überzugehen. Deshalb verordnet: absolute Ruhe, viel trinken und die halben Apothekenbestände der Stadt.
Lesen, Schreiben, Kommentieren war mir zuviel, gleichwohl... kam ich über einen Artikel über Jelena und Paul nicht hinweg. Zwei Menschen, die sich lieben - auf ihre eigene Weise, innerhalb einer offenen Beziehung, die er nur aus einem Grund mitträgt: damit er sie nicht verliert.

Er ist aufgewachsen mit dem Ideal der großen Liebe. »Man muss denken: Das ist für immer. Und alles investieren.« Wie auf den Zetteln in der Schule. Willst du mit mir gehen? Ja oder Nein. Kein Vielleicht. 

Ich war eigentlich zu müde, den Artikel zu lesen. Eigentlich ermüdete es mich, auch nur eine einzige Zeile zu lesen. Dennoch vermochte ich nicht aufzuhören zu lesen.
Ich vermochte auch nicht, in dem Blog aufhören zu lesen, der diesen Artikel verlinkt hatte (was ich im Gegenzug nicht tun kann, weil die Leseberechtigung nur wenigen gehört).
Ich las darin die Frage, ob eine offene Beziehung das Richtige ist. Ob man es dem anderen geben kann - oder warum man es nicht kann. Ob man einen Seitensprung, eine Affäre, überhaupt einen anderen Menschen neben dem Partner ertragen, aushalten kann.
Ob man dann vernünftig reagieren könnte. Reden könnte statt schreien oder weinen.
Manchmal schob ich das Pad von mir weg, legte mich zurück auf den Rücken und schloss die Augen. Las erneut und schob es wieder zur Seite.
Ich kenne sie, diese beiden Seiten.

Ich habe einen anderen Mann geliebt, im letzten Jahr meiner Ehe. Als ich das meinem damaligen Ehemann sagte, erwartete ich den Sturm aller möglichen (berechtigten) Gefühle. Die allererste Reaktion jedoch war eine ganz andere: eine fassungslose Bestürzung. Er forderte das bedingungslose sich auseinandersetzen - und ich stellte mich dem. Er wollte die Ehe retten, ich nicht. In diesem einen letzten Jahr war die Erkenntnis bis hin zur Entscheidung gereift, dass ich lieber allein leben wollte als in dieser kranken Ehe. Natürlich hatte ich Angst vor der Zukunft, wahnsinnige Angst. Aber noch mehr Horror empfand ich vor dem Gedanken, in dieser Ehe zu bleiben.

Ich war sehr viel später mit einem Mann zusammen, der mich faszinierte. Habe ich ihn geliebt? Heute sage ich: Nein - aber ich war fasziniert und ich war sehr gern mit ihm zusammen. Bis ich feststellte, dass sich etwas veränderte. Man spürt es, man fühlt es, aber es gelangt nicht in das Bewusstsein und es lässt sich nicht in Worte fassen. Aber es ist da. Jeden Tag, jeden Moment - und es quält und es zerreißt die ständige Frage: "Was geht hier ab?" und man kommt nicht auf das Naheliegendste. Nicht weil man selber glaubt, dass das einem nicht passieren kann. Ist man zu nah, wenn man auf das Naheliegendste nicht kommt?
Wie habe ich reagiert, als ich die Wahrheit erfuhr? Dass er mich mit seiner Ex-Frau betrog? Und das noch nicht einmal von ihm selbst? Noch heute weiß ich, dass es ein Abend im Winter war, es war dunkel und ich mit dem Auto unterwegs.
Ich musste nicht anhalten, ich brach auch nicht in Tränen aus. Ich legte nur das Telefon zur Seite, auf den Beifahrersitz. In mir war mit einem Mal völlige Ruhe: die Ruhe, die das Ende der Seelenqual bedeutet; die Ruhe der Gewissheit. Geweint habe ich erst viel später.
Am nächsten Tag ließ ich mir das lange Haar abschneiden (ich habe keine Ahnung, wieso dies meine erste Aktion war), sammelte seine wenigen Habseligkeiten in einem großen Umschlag, fuhr in sein Büro und warf es ihm auf den Tisch. "Das hast du noch bei mir vergessen." Eine Krawatte und ein Buch über mathematische Formeln, harhar. Miteinander gesprochen haben wir erst zwei Monate später. "Ich kann dich nicht vergessen", hat er im Aufzug zu mir gesagt. "Vielleicht könnten wir uns auf einen Kaffee treffen und in Ruhe reden?"
Einen Tag später erfuhr ich, dass seine nun-nicht-mehr-Ex-Frau zu dem Zeitpunkt schwanger und bei ihm wieder eingezogen war - und klappte dieses Buch ohne auch nur ein einziges weiteres Wort an ihn zu.

Herr Blau und ich. Wir haben uns nichts geschenkt. Auge um Auge, Zahn um Zahn, wir haben gelitten, geweint, geflucht, wir sind abgehauen und wiedergekommen. Er hat sich gestört an meinem zu jenem Zeitpunkt unrunden Leben, daran, dass "bei dir immer irgendwas passiert". Während ich ihn verfluchte für seine zu jenem Zeitpunkt unfassbare Arroganz, mit der er Menschen und Dinge wahrnahm. Doch wo auch immer wir waren und mit wem auch immer wir waren, irgendwie schien eines immer klar:

»Meine Liebe zu Paul war immer in einem Bild fassbar«, sagt Jelena, »und das gilt weiter: Wenn ich am Ende, mit grauen Haaren und Falten, im Schaukelstuhl am See sitze, dann sitze ich neben Paul. Neben niemand anderem. Und wir halten Händchen.« 
Er könnte allein den Gedanken, es gäbe neben ihm noch jemanden, nicht aushalten.
Ich würde allein den Gedanken, dass er nach einer anderen Frau riecht oder schmeckt, dass er eine andere Frau berührt wie er mich berührt, dass er sie küsst wie er mich küsst, dass er mit ihr tut, was wir miteinander tun, nicht ertragen.

»Vielleicht ist die offene Beziehung der Kommunismus der Liebe«, sagt Paul. Eine große Idee. Eine Utopie. Die nicht funktioniert. Weil der Mensch nicht gut ist. Weil er besitzen will, nicht teilen. Weil er, besonders in der Liebe, ein Kapitalist ist. Weil der eine immer mehr will, der andere ihn aber nicht hergibt.

Sind Herr Blau und ich also Kapitalisten der Liebe?
Diese Frage hat sich mir so nie gestellt - und sie stellt sich mir auch immer noch nicht. Ich bin nicht mit ihm zusammen, um ihn zu besitzen. Niemals, zu keinem Zeitpunkt habe ich ihn als mein Eigentum, als eine Selbstverständlichkeit empfunden oder betrachtet.
Ich erhoffe mir bedingungslose Offenheit für den Moment, wo er dem Reiz des Neuen erliegt. Kein nach-und-nach-herausfinden-müssen. Keine Erkenntnis nach zu langer Zeit, dass man es eigentlich von einem gewissen Zeitpunkt an gewusst hat. Vermutlich auch ein Auseinandersetzen über die Gründe, über die Beweggründe.
Aber es wäre dennoch für mich vorbei.
Tatsächlich, wie in jenem Traum vor einigen Tagen, habe ich eine Vorstellung von dem, wie ich mein Leben fortsetzen würde, mein Leben ohne ihn. Völlig losgelöst davon, ob dies dann tatsächlich so wäre oder doch ganz anders. Nur eins ist sicher: Dann wäre es ein Leben ohne ihn.
Wenn unsere Körper nachts nackt beieinander liegen, möchte ich die Vorstellung haben, dass es auch nur mein Körper ist, den er berührt.
Wenn wir uns gegenseitig erkunden, möchte ich die Vorstellung haben, dass es auch nur unsere Körper sind, die wir entdecken.
Wenn wir uns küssen, möchte ich die Vorstellung haben, dass er nur mich sieht, wenn er dabei die Augen schließt.
Wir liegen nicht beieinander, weil wir uns brauchen. Ich brauche ihn nicht und er braucht mich nicht. Wir liegen beieinander, weil wir es trotzdem so wollen. Ein Zauber, in den kein Dritter passt. Ein Zauber, der bricht, wenn es einen Dritten gäbe.

Ich verurteile keine offenen Beziehungen. Wohl eher bewundere ich die Menschen, solange sie  dies auch ehrlich leben. Aber nicht nur die offene Beziehung hat ihre Daseinsberechtigung, auch wenn diese immer öfter - heimlich oder nicht heimlich - praktiziert wird. Die monogame Beziehung hat genauso ihre Berechtigung und ihre Einzigartigkeit, für die man sich nicht verbiegen muss. Sofern sich die "richtigen" Menschen hierfür gefunden haben.

Montag, 7. Dezember 2015

Liebe vorweihnachtliche Zerrissenheit


Wenn ich an Weihnachten zurückdenke, als ich noch klein war, dann denke ich an liebevoll in Seidenpapier gewickelte Orangen mit ihrem zarten Duft. An Heimlichkeiten und Vorfreude. An den Geruch von frischer Tanne. An Nachmittagen, die wir mit Trickfilm schauen verbrachten, selbstgebackene Kekse aßen und "den guten Kakao" tranken. (Die gezuckerte Variante, die sich in kalter wie warmer Milch auflöste, gab es nur zu diesen besonderen Tagen.)
Weihnachten war für mich als Kind, so klein ich damals war, etwas Besonderes. 
Ich habe früh geheiratet und Kinder bekommen. Über die Jahre hin verlor sich dieses Besondere. "Es muss teuer aussehen und wenig gekostet haben", war das Credo, das mir die Freude am Freude bereiten verdarb. Das allem einen schalen Beigeschmack vermittelte. Passend dazu der Weihnachtsbaum aus Polyester. Weil es so wenig mit dem wirklichen Freude bereiten zu tun hatte. Hauptsache, es gab etwas zu verpacken und zu verschenken. 
Im Januar 2003 zog ich aus.
Weihnachten 2003 verbrachte ich völlig allein. Nicht freiwillig allein, aber eben allein. Ich ging sehr früh zu Bett, ich glaube, ich hab nicht mal ferngesehen. Nur Rotwein getrunken und ein bisschen geweint bis zum Einschlafen.
In den folgenden Jahren danach entwickelten sich die Weihnachtstage wieder zu dem Besonderen, wie ich es als Kind empfunden hatte. Tannenzweige habe ich im Wald gesammelt und mir so den frischen Duft mit nach Hause geholt. Den Geruch der roten Weihnachtsäpfel auf dem Teller, eingebettet in die Nüsse und Mandarinen. Den samtigen Geruch der Vanille- und Karamellkerzen. Backen und Kochen mit Liebe. (Klingt pathetisch, aber die Dinge verändern sich tatsächlich, wenn man sie einfach nur aus bzw. mit Liebe macht.)
Und ich sorgte dafür, nie wieder ein Weihnachten einsam verbringen zu müssen. So wie es mir auch wichtig war, diese Zeit, diese Tage vor allem mit meinen Söhnen zu verbringen. 
Überraschungen vorbereiten, von denen ich zumindest immer wünschte, sie mögen diesen einen besonderen Glanz in die Augen zaubern. Diese Seligkeit, die ich als Fünfjährige empfand, als ich mein sehnlichst gewünschtes Puppenhaus bekam. So ganz schlicht und einfach zwei nebeneinanderliegende Zimmer aus Holz und Pappe gebaut, echte Tapete aufgeklebt, wenig Mobiliar, aber vor allem der winzige Puppenwagen dazu.
Es gibt Dinge, die vergisst man einfach nicht, auch die guten nicht.
Das war es, was ich mir immer irgendwie wünschte: Etwas von mir geben, das berührt, das freut - und das im Herzen bleibt, weil es von Herzen kommt. 
Ja, ich gebe zu, ich habe da meine eigene verklärte Auffassung. Aber ich lebe die Dinge, die ich liebe - wie sollte ich es auch anders tun? 
Inzwischen sind meine Söhne erwachsen, und woran es jetzt auch immer liegt - aber ich genieße die Verbundenheit, die sie insbesondere in diesen Tagen am ehesten zu mir führt. Zu uns mittlerweile.
Ich möchte nicht darüber nachdenken müssen, ob das eine oder andere Geschenk angebracht, angemessen ist oder "es nichts Wichtigeres gibt". (Natürlich muss nicht alles Geld kosten; ich genieße ebenso auch Zweisamkeit, das Zusammensein mit der Familie als Geschenk. Aber ich liebe es auch, für jeden meiner Liebsten mir etwas ausgedacht zu haben.) Ich möchte nicht darüber nachdenken müssen, ob Platz in der kleinsten Hütte ist oder nicht. Ich möchte nicht darüber nachdenken müssen, wann es zu früh oder zu spät sein wird, nach Hause zu kommen. 
Aber ich muss darüber nachdenken - und es zerreißt mich im Inneren und es treibt mir das Wasser in die Augen.
Aus Rücksicht muss ich und will ich auch darüber nachdenken - und tue es auch - und weiß trotzdem nicht, wie der richtige Weg ist. 
Wenn das Zusammensein mit der Familie nicht mehr als Geschenk, sondern als Abringen der Gemeinsamkeit empfunden werden kann.
So viele Hoffnungen und Erwartungen von mehreren Seiten, von denen ich keine Ahnung habe, wie ich ihnen gerecht werden kann. Ohne dass auch nur ein einziger geliebter Mensch sich so fühlt wie ich mich Weihnachten 2003 fühlte.