Sonntag, 8. Januar 2017

Jahrmarkt der Eitelkeiten



Ich liebe Inspiration. Ich liebe Kopfkino. Ich liebe es, wenn die Phantasie anregende Blüten treibt.
Dazu muss man mir nicht alles sagen oder zeigen - es genügt die Andeutung.
Das ist für mich wie mit einem nackten Körper. Komplett entblößt reizt er mich nicht.

Ähnlich empfinde ich es beim Schreiben und beim Lesen anderer Lebensgeschichten.
Ich wünsche mir, eintauchen zu können in die fremde Welt, die mir dargeboten wird. Aber ich will gar nicht alles wissen, nicht alles bis in das letzte Detail. Die komplett entblößte, nackte Seele reizt mich nicht. Sie lässt mir keinen Raum für Interpretation mehr, für das Spiel in meinem eigenen Kopf.
Damit erhebe ich natürlich keinen Anspruch auf die Rechtmäßigkeit meiner Interpretation - doch darum gehts mir auch nicht. Weil ich nicht bewerten, sondern mitgenommen werden möchte. Für einen Moment lang entführt in eine Welt, die mir möglicherweise fremd oder doch nicht so fremd ist, die anders ist vielleicht als meine oder auch nicht, in der ich aber immer etwas von mir wiedererkenne - oder glaube zu erkennen. Ich möchte lesen von anderem Denken, anderem Tun, möchte mich hineindenken, mich hineinfühlen können. Es gibt immer irgendetwas, das man für sich selbst mitnimmt. Das den Zugang zu den ureigensten Gedanken und Wünschen freilegt..

Über die Jahre des Schreibens und insbesondere Lesens hinweg überkam mich hin und wieder das Gefühl, auch das Schreiben, das Spiel mit dem Wort und die damit gekonnte Inszenierung von Gedanken und Gefühlen in anderen Köpfen gleiche zuweilen auch beinah einem Politikum. Manchmal verwunderte es mich, aber irgendwann verstand ich diese Form des Gedankenaustauschs letztlich auch als das sich Befinden inmitten von Menschen, die die Dinge nicht so sehen und empfinden müssen wie der Autor selbst. Dann liegt es an unseren Eigenschaften, nicht zuletzt auch an unserer Erziehung, wie wir darauf reagieren. Insofern ist es wie im realen Leben auch: Je erfolgreicher jemand ist, desto mehr gibt es Menschen, die es neiden. Je weniger erfolgreich man ist, desto eher neigt man zum Assimilieren, schlüpft in eine (Kunst-) Figur, die es so nicht gibt, aber dem Mainstream entspricht und damit eine möglichst große Zahl an Lesern lockt.
Ist es das, was ich sehen möchte?
Mir muss niemand folgen, nur weil ich mich bei ihm eintrug.
Ich entfolge niemandem, nur weil er bei mir nicht (mehr) liest.
Ich lese, was mich interessiert, und ich höre auf damit, wenn es mich nicht mehr interessiert.
Zugleich fehlt mir irgendwie.. immer mehr dieses.. wie soll ich es beschreiben.. wunderbar Normale. Ich vermisse den gleichnamigen Blog von Miss Friederike, den es nicht mehr gibt. Ich vermisse ihren Blog "Latenerezza", den es auch schon so lange nicht mehr gibt. Vermutlich hatten sie niemals den Anspruch darauf, etwas Besonderes zu sein - und war es womöglich gerade deshalb. Weil ihre Autorin es wie kaum jemand verstand, ihre Gedanken und Empfindungen des Alltags in Seidenpapier zu verpacken und einem beinah liebevoll über den Ladentisch zu reichen.

Stattdessen begegnen mir immer öfter Blogs, die sich in ihrer bis zum Perfektionismus getriebenen Ironie, ihrem geübten Zynismus gefallen und zu überschlagen versuchen, dabei längst real verblichene Autoren zitieren (wenn ich noch mal irgendwo Bukowski lese, erbreche ich mich!) oder sich auf ihn berufen, weil das jetzt einfach mal den Zeitgeist trifft - und nicht, weil sie ihn, respektive seine Werke tatsächlich kennen UND schätzen. Es mag zunächst faszinierend klingen, gekonnt auf alles und jedes zu schimpfen, alles und jeden zu diskreditieren - mich persönlich jedoch (und ich kann ja auch immer nur für mich selber sprechen) langweilt es. Weil es mir zu unecht ist. Weil es nichts auslöst. Worin ließe sich auch Inspiration finden, tagtäglich mit den Füßen in einem Eimer Gülle zu stehen und immer wieder eine weitere Kelle Abfall dazugeschüttet zu bekommen?
Für meine Inspiration kann ich mir natürlich selber meine Quellen auswählen.
Auch kann ich selber darüber entscheiden, ob ich meine Füße tagtäglich in Gülle baden will oder nicht.
In der Welt der mittlerweile unzähligen "lauten" Blogs fehlt mir nur immer mehr genau dieser Feingeist einer Miss Friederike oder einer Lou oder einer Elise, dieses Gespür für die Verbindung von Wort und Gedanken. Diese "stillen", aber unfassbar schönen Blogs der empfindsamen Menschen mit ihrer schönen Seele.
Die sich wohltuend abheben. Weil nicht jeder laut und schmutzig sein muss. Ständige Stille wäre wenig aushaltbar, das ist richtig. Ständige Schreierei aber auch.

13 Kommentare:

A. hat gesagt…

Liebe Frau Z., du schreibst mir aus der Seele. Aber sowas von. Mir gingen gestern Abend ähnliche Gedanken durch den Kopf, ich konnte sie nur nicht so gut formulieren oder hätte - wenig zielführend- voll auf Ironie gesetzt. War so ein Tag, an dem ich von einer Blogroll zur nächsten hüpfte, mich in verschiedenen Blogs festgelesen hatte... und irgendwann am liebsten wegen akuter Seelenvergiftung Antidepressiva eingeworfen hätte. Schade um die verschenkte Zeit. Füße im Eimer Gülle... treffender geht's nicht. Und dazu sind wir alle so wahnsinnig cool u. abgebrüht und haben immer einen bissigen Spruch auf den Lippen - Idioten sind immer nur die anderen. Nur Selbstironie oder Humor (oder gar mal ein bisschen Herz?), die sind leider nicht vorrätig. Ganz ehrlich? Das macht mich krank. Ich verabscheue Castingshows u. schaue mir auch sonst keinen Schrott an, der nur darauf abzielt, andere für die Quote abzuwerten, also werde ich mein Leseverhalten anpassen.

Glaube, ich lese wieder mehr Bücher. Besser für die Seele - wenn's die richtigen sind. Kennst du Ivana Jeissing? Die Frau schreibt -ich kann es nicht anders sagen- zauberhaft. Könnte evtl. auch was für dich sein.

Schönen Abend für dich!

Anonym hat gesagt…

Dem ist nichts hinzuzufügen

LG
Mechthilda

Goldi hat gesagt…

Ich kenne die von dir genannten Blogs nicht, aber ich glaube ich verstehe was Du meinst. Eben weil ich nicht ständig in der Gülle lesen möchte, habe ich schon vor einiger Zeit div. Blogs aus meiner persönlichen Leseliste gestrichen und dann durch Kommentare und andere Blogrolls neue Blogs gefunden in denen es auch nicht immer schön ist, aber in denen Respekt vor anderen Lebewesen geschätzt wird.

Du bist übrigens auch eine von denen, die Worte ganz zauberhaft verpacken können und manchmal einfach auf all das verpacken *sch...*, es einfach rauslässt und genau das finde ich an Dir so zauberhaft, neben all den ähnlichen Gedanken und den Worten aus Deinen Fingern :-*

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Anna, nein, Ivana Jeissing kenne ich nicht - und beim ersten Nachschauen bei Amazon musste ich leider auch feststellen, dass es keine Leseprobe gibt. Auf die dortigen Rezensionen mag ich mich eher nicht verlassen - Geschmäcker sind insgesamt zu verschieden und haben mich beim Buchkauf in der Form noch nie überzeugen können.
Ich werde das einfach mal in der Buchhandlung nachschauen! Danke für den Tipp!
Insgesamt musste ich dennoch lachen: "Glaube, ich lese wieder mehr Bücher." Ich persönlich glaube, dass wir das tatsächlich tun sollten ;) Mich selbst inspirierte Dein Kommentar zu einem Post, der gerade noch in meinem Kopf arbeitet. Da aber heute auch mein erster Arbeitstag nach der Weihnachtspause ist, muss das da wohl noch ein bisschen arbeiten ;)
Nur eins noch: Castingshows habe ich zuletzt geschaut, als die Jungs noch "klein" waren und daran glaubten, dass sie mit Anrufen bei der DSDS Hotline tatsächlich ihren "Liebling" favorisieren könnten.
Und was das Herz betrifft: Ich glaube, das ist genau das, was ich in immer mehr Blogs vermisse. Es scheint einfach nicht mehr "modern", eben dieses zu zeigen. Ob es daran liegt, dass manche so "verschwurbelt" schreiben, dass zum Beispiel ich mir gar nicht sicher bin, worüber sie konkret nun eigentlich schreiben? Und muss ich das jetzt gut finden, nur weil es drei Millionen andere auch tun? Nein! Ich kauf mir ja auch kein Buch, dessen Zeilen ich mindestens zwei-, dreimal lesen muss, um den Sinn erfassen zu können. Da konnte ich mich zB in einem der letzten Posts des Herrn MiM des Grinsens nicht erwehren, als er sinngemäß im Kommentarfeld erwiderte, man möge doch einfach so mit ihm reden, dass auch er es verstünde ;) Menschen, die ihr Geschreibsel in möglichst viele Fremdworte packen, sind mir ohnehin suspekt und erinnern mich an etwas, über das ich im Zusammenhang mit dem "Buch" im nächsten Post aufschreiben möchte. Spiel mit dem Wort - ja, das liebe ich. Aber man kanns auch übertreiben, in der Realität redet so ja auch kein Mensch.

Liebe Mechthilda - danke!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Huch, Goldi, Dein Kommentar erschien mir grad, als ich auf die anderen beiden antwortete ;)
Die Blogs von Miss Friederike und Elise kann ich nicht verlinken, weil sie entweder gelöscht oder deaktiviert wurden. Die Verlinkung zu Lou habe ich im Post nachgeholt, das war mir gestern Abend entfallen.
Oh und weißt Du, ich hab gerade in den letzten zwei, drei Tagen auch mal "ordentlich" in meiner Leseliste aufgeräumt.
Es geht mir ja auch gar nicht darum, immer nur Schönes zu zeigen. Das wäre irrational - so verblendet bin selbst ich nicht. Es ist aber eben auch nicht alles immer nur schlecht und scheiße und was weiß ich. Und ich persönlich finde es auf Dauer ermüdend und langweilig, wenn man sich darauf beschränkt, nur Negatives zu skizzieren im angesagten und von ihnen perfektionierten Zynismus, am liebsten noch mit der Fluppe in der einen und dem Bourbon in der anderen Hand und sich dabei so lässig vorzukommen wie meinetwegen Bukowski. Wenn es dann darin gipfelt, sich einen verbalen Schlagabtausch in den jeweiligen Blogs zu liefern, der für mein Empfinden nur eine Werbung für den jeweils anderen darstellt (deswegen erspare ich mir auch das Verlinken, ja, so gemein bin ich ;)), dann ist das in meinen Augen einfach nur kindisch und vor allem unecht.
Das aber, und ich glaube, ich möchte das auch noch mal betonen, ist nur meine ganz persönliche Auffassung! Es gibt immer welche, die etwas mögen, das für andere gar nicht geht. Das ist okay. Nur angesichts diverser Blogs und Blogrolls überkommt mich immer öfter die Geschichte vom Kaiser mit seinen neuen Kleidern. Und das Gefühl, dass wir nicht zu uns stehen, sobald es nicht aktuell zeitgemäß ist. Das finde ich schade.
Danke Goldi :*

A. hat gesagt…

Du hast mich auch zu einem Post inspiriert. Aber den muss ich erst entschärfen, das dauert. *g* Und diese verschwurbelte Schreibe ist ja nochmal ein ganz anderes Ding. Davon kam mir in den letzten Tagen so viel unter, dass ich mich am Ende des Tages nicht mal mehr getraut habe, "Piep" zu sagen. Andererseits sind die Menschen, die ich wirklich bewundere, auch in der Lage, komplizierte Sachverhalte (relativ) verständlich auszudrücken - der Rest interessiert mich nicht mehr. ;)

Übrigens: wenn du deine Adresse für ein Buch verscherbeln möchtest, dann könnte ich mir mal ein Buch von Ivana Jeissing (Wintersonnen) rüberschicken. Und du hast Glück: Da ich alles, was mit Zahlen zu tun hat, sofort wieder vergesse (Geburtstage, Hochzeitstage, Hausnummern, Tel.Nummern) ist dein Geheimnis bei mir in extrem guten Händen. Schickste mir einfach eine Mail, wenn das für dich interessant ist - auf FB bin ich gerade ausgeloggt und ich habe auch nicht die Absicht, mich in den kommenden Tagen einzuloggen.

Schönen Wochenstart für dich!

Herr MiM hat gesagt…

Wenn ich heute ab und an in meinem alten Blog lese. Die Zeut 2005 bis 2008 sind dort Einträge auf Blogs aus den goldenen Zeiten der Blogosspäre. Damals war das ja alles noch ganz anders. Da stehen die Blogs teilweise allein und verweist im Nirgendwo.

Witzig, manchmal verknüpft damit eine Menge an netter Erinnerungen.

Damals... damals war ja alles besser.

petra {limeslounge/gk} hat gesagt…

Klasse :-)
Aber jetzt muss ich doch tatsächlich mal googeln, wer oder was Bukowski ist, ich Ahnungslose *lach*
liebe Grüße!

Goldi hat gesagt…

Nein alles schlecht und sch... ist es wahrlich nicht, aber selbst wenn jemand nur "schlechtes" zu berichten hat, dann ist es immer noch die Art und Weise, wie er berichtet.

Der verbale Schlagabtausch aber auch das gegenseitige pushen in "ich kann noch mieser als Du über XYZ schreiben" ist eher das was mich abschreckt und eben aufräumen lässt.

Bitte Frau Zigge :-*

petra {limeslounge/gk} hat gesagt…

@ Pancakes: Ich habe etwas nachgetragen!
Im Original waren es 200 g Yoghurt und 150 g Mehl - da mir aber ein Schwups zu viel Milch den Teig heute morgen zu flüssig machte, kam der Rest Yoghurt und pi mal Daumen Mehl dazu - also halte Dich liebe an die Originalangaben. Ich drück die Daumen, dass es klapp - Guten!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Herr MiM, ich weiß nicht, ob Sies ernst meinten, aber tatsächlich lese auch ich in alten Blogs bzw. in alten Einträgen. Meist zwar nur auf der Suche nach etwas Bestimmten, aber ich weiß nicht.. Früher gings irgendwie mehr um Spaß als um vermeintlichen Glamour.

Aaaaahhh - Petra, bei Dir hatte ich auch grad ein paar Zeilen hinterlassen, und übrigens! Ich habe jetzt so richtig Appetit drauf, allein die Zutaten fehlen! Wohnst Du eigentlich sehr weit weg? Ich lade mich ein :D

Bei mir kannst Du ruhig "Scheiße" sagen, Goldi, auch wenn mich erst heut Morgen wieder der Herr Blau rügte, dass man sowas nicht sagt. Hab ich gefragt: "Wieso darf ich nicht scheiße sagen, wenns doch scheiße war?" Ihm ham die Ohrn geklingelt! :D
Eben - es ist die Art und Weise des Berichtens, des Schreibens etc. Wenn es nur noch ums Coolsein, besser sein, um Klickzahlen und Follower geht, je doller, desto besser, dann wird es zumindest für mich uninteressant und unglaubwürdig.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Okay, ich notiers mir mal handschriftlich auf dem Ausdruck, danke :)

xpentesilea hat gesagt…

die frage ist warum jemand schreibt. schreibt man um sich selbst, seine gedanken festzuhalten oder um viel leser zu generieren? bei denjenigen die letzteres ziel verfolgen, bemerkt man dies recht schnell. an genau den anzeichen, die du beschrieben hast.