Mittwoch, 19. Juli 2017

10,000 Miles



"Was genau liebst du eigentlich an Herrn Blau?" bin ich in den frühen Jahren so oft gefragt worden. Ich bin es so oft und manchmal so hartnäckig gefragt worden, dass ich mich irgendwann ganz verschloss und überhaupt nicht mehr darauf antwortete.
Wir haben uns kennen gelernt, wir wurden nach einigen Wochen ein Paar und wir trennten uns zum ersten Mal nach sechs wundervollen erfüllten Wochen.
Möglicherweise war es einfach nicht der richtige Moment.. Es war das Jahr meiner Trennung vom Ehemann, vom Auszug aus der gemeinsamen Wohnung und einem Neubeginn, bei dem ich zum allerersten Mal ganz allein und ganz eigenverantwortlich und mit leicht zittrigen Händen einen Mietvertrag unterschrieb. Es war das Jahr des schlimmsten Rosenkriegs, es war das Jahr meines ganz persönlichen Umbruchs und auch eines irrsinnigen Verlustes - und demgegenüber stand ein Mann, der das alles schon hinter sich hatte.
Möglicherweise war es einfach auch nicht der richtige Moment, weil ich irgendwie.. noch gar nicht bei mir selbst angekommen war. Zu sehr reagierte ich auf Einflüsse von außen, zu wenig selbstbestimmt, weil mir einfach nicht klar war, was ich mir wünschte und was ich eigentlich brauchte.

Und dennoch...
Man steht sich gegenüber und es ist... einfach da.
Ein so unwirkliches, nicht zu greifendes Gefühl und zugleich eine Sicherheit, die jeden einzelnen Zentimeter des Körpers durchatmet und die von diesem Moment an völlig Besitz von einem ergreift... Und es endet auch nicht, nur weil sich die Wege trennen, die Gedanken und die Körper sich voneinander lösen und man über Wochen, Monate, manchmal auch ein Jahr lang in völlige Wortlosigkeit versinkt.. Auch dann, wenn es über die Zeit aufhört, sich wie ein inneres Feuer in einem auszubreiten, auch wenn es aufhört wehzutun, innerlich jeden Tag neu so zu verbrennen..
Auch wenn man lacht, obschon man innerlich weint.

"Was genau liebst du denn so an ihm?" Und ich verstand die sich wiederholende, bohrende Frage nicht, die mich irgendwann einfach auch.. bockig werden ließ: Ich liebe ihn nicht für etwas. Nicht für etwas, das er tat, das er tut. Für mich ist Liebe ein Gefühl, das da ist, einfach so, ohne das Zutun, ohne Gründe, ohne Anlass und nicht aus Dankbarkeit für etwas heraus... Es ist einfach da. Ein allumfassendes Gefühl, mit dem ich abends einschlafe und morgens erwache. Mit dem ich in der Nacht erwache, ganz gleich, ob wir beieinander liegen oder auch nicht. Wir kennen uns so viele Jahre, und immer noch erfüllt es mich mit Glück, wenn ich an ihn denke. Immer noch erfüllt es mich mit Vorfreude, wenn ich mich auf den Weg zu ihm begebe. Immer noch liebe ich es, wenn meine Hand in seiner liegt. Wenn seine Hand auf meinem Bein ruht, wenn wir uns irgendwo niedergelassen haben. Ich liebe sein Lächeln, das bis in den kleinsten Winkel seiner Augen kriecht und ich liebe es, wenn wir herumalbern wie die Kinder und uns genauso auch ernsthaft über so viele Dinge unterhalten können. Wir sind weiß Gott nicht immer einer Meinung, und manchmal können wir uns so nachdrücklich darüber auseinandersetzen, dass man wutentbrannt die Tür hinter sich ins Schloss fallen lässt.
Ich liebe ihn, weil mit ihm... einfach alles Spaß macht. Weil sich mit ihm alles so erfüllt anfühlt und mir kaum mehr etwas fehlt, wenn wir zusammen sind. Weil ich mir mit ihm niemals die Frage gestellt habe, ob es so jetzt die nächsten fünfzig Jahre so weitergehen soll und ob es das jetzt war.
Wir sind so viele Wege gegangen, getrennt und gemeinsam, allein und miteinander, und heute frage ich mich nicht mehr, ob das so hatte sein müssen, um bis hierher zu gelangen.
Heute bin ich dankbar, dass wir uns nicht verloren haben in all der Zeit dazwischen.

Vor einigen Tagen hatte er Geburtstag und ich überlegte mir, was ich ihm in ein Kärtchen schreiben wollte. Auch eingedenk der Frage, die er mir unlängst stellte: "Warum liebst du mich eigentlich?" und ich antwortete: "Das weiß ich nicht so genau. Aber ich tue es. Sehr." Und er lächelte dieses wunderbare Lächeln mit diesen Schmunzelecken, an denen ich mich nicht sattsehen kann.
Und weil ich diesen Spruch einige Zeit zuvor gelesen hatte, jedoch eine solche Karte nicht zu kaufen bekam, da malte ich einfach selber eine und schrieb dazu "Die Welt ist schön, weil du mit drauf bist." Und so ist es einfach für mich. Ohne dass ich Gründe dazu brauchte.

Fare the well
My own true love
Farewell for a while 

I'm going away
But I'll be back
Though I go 10,000 Miles...

6 Kommentare:

A. hat gesagt…

Wie war das? Hattet ihr euch nicht ursprünglich auch über dein Blog "kennengelernt"? Wenn ja, dann wäre das die zweite "Blogger"-Liebesgeschichte (auch wenn Herr B. ja kein Blogger ist), die ich gerne verfilmt sehen würde. Na gut, Roman ginge auch. ;)

Alles Liebe für euch weiterhin und herzlichen Glückwunsch nachträglich an Herrn Blau!

A. hat gesagt…

Nachtrag: Wunderschön geschrieben!

gretel hat gesagt…

Die schönsten Dinge des Lebens lassen sich nicht analysieren (warum sollte man auch?), sie sind bestenfalls einfach da. Was für ein Glück.
Liebe Grüße

Pyrgus hat gesagt…

Schon allein die Frage warum du ihn liebst.... Hört sich so an als wollten die Fragensteller seinen Wert in Frage stellen. Dein Spruch für die Karte sagt alles.
Alles Gute für euch und liebe Grüße
Gabi

Rain hat gesagt…

@ Pyrgus:
Nur die Wenigsten dürften bei dieser Fragestellung wirklich den Wert dieses Menschen in Frage stellen oder das auch nur teilweise beabsichtigen.

Wenn diese Frage einmal AUS MEINEM Mund käme, hätte sie einen ganz anderen Hintergrund:
Wovon sind Menschen, die ich mag, fasziniert?
Was hat der Andere getan, um dermaßen geliebt zu werden?


Es sind bisweilen die kleinen eigenen Unsicherheiten, die uns im Angesicht fremden Glücks komische Fragen stellen lassen.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Anna, über das Internet - ja, aber nicht über einen Blog. 2003 führte ich noch keinen Blog, aber an unserer Geschichte schreibe ich tatsächlich. Aber woanders und auch in einer.. ganz anderen Form.
Vielen lieben Dank an Dich, ich werde es ihm morgen Abend ausrichten :)

Ja Gretel, warum sollte man. Das hat mit unserer Vergangenheit zu tun - und Gabi, es ging eher darum, mich bzw. meine Gefühle in Frage zu stellen. Ich sollte mich prüfen.. und das, was mich mit ihm verband - und verbindet.

Insofern, Rain, würde mir die Frage von Dir gefallen haben, weil sie sich interessiert, ohne zu bewerten oder etwas in Frage zu stellen.
Ich hatte irgendwann das Gefühl, etwas rechtfertigen zu müssen. MICH rechtfertigen zu müssen - und etwas verteidigen zu müssen, das nicht zu verteidigen war. Oder ist.