Ich glaube, ich habe mich noch nie so wortlos gefühlt wie in den letzten Wochen. Das ist so ein ganz merkwürdiges Gefühl - im Kopf geht so vieles durcheinander, so viele Gedanken und Worte, es gäbe so viel zu sagen und zugleich lässt es sich doch nicht fassen, nicht greifen, nicht ordnen.
Und dann, wenn der Kreisel im Kopf zur Ruhe findet, dann drehe ich die Musik auf und alles das, was ich möglicherweise noch sagen wollte, verblasst und verliert sich im Nichts.
Für Eure Kommentare, Eure Worte bin ich Euch unglaublich dankbar, und ich dachte, es wird auch mal Zeit, Euch wenigsten das mal zu sagen. Und Euch für Eure Treue zu danken!!
Wir sind noch keinen wirklichen Schritt vorangekommen, und während mir bewusst ist, dass Dinge, die sich über Jahre hinweg entwickelt haben, nicht innerhalb eines halben Jahres wegdefiniert und aufgelöst werden können, bin ich (zu) müde geworden, es immer und immer wieder zu erklären.
Zu kämpfen für Dinge, die man letztlich doch nicht in der Hand hat.
Einzustehen für Menschen, die einfach nichts "mitnehmen".
Ein starker Mensch wird zunächst immer für sich selbst eintreten können. Für sich selbst kämpfen können.
Mein Credo war und ist es, dem schwachen Menschen auf die Beine zu helfen, ihm einen Raum und eine Stimme zu geben - und die Möglichkeit, seinen Weg zu finden und zu gehen.
Es hilft auch nichts, den Umstand zu bejammern und zu beklagen, dass die breite Gesellschaft nicht dafür gemacht ist, den Schwachen aufzufangen. Die breite Gesellschaft sind sehr viele, aber es sind nicht alle. Dann gilt es, die Nadel im Heuhaufen zu finden.
Wer war ich? Wer bin ich?
Sehr viel mehr als sonst habe ich in den vergangenen 3 Monaten Fragen über Fragen in meinem Kopf und im Dialog mit anderen gewälzt.
Natürlich war ich noch vor 15 Jahren ein anderer Mensch. In meiner Grundstimmung ein ausgeglichener Mensch. Gerne fröhlich. Gerne unbekümmert. Zumeist unbedarft auch.
Ich denke, dass meine Grundstimmung heute nicht unbedingt eine andere ist. Aber ich reagiere wie jeder andere Mensch auf Einflüsse, auf das, was mich umgibt bzw. auf das, mit dem ich mich umgebe.
Dass ich nicht erwarten kann, dass Menschen meine Einstellung zum Leben und zum Miteinander teilen, ist mir völlig bewusst. Insofern überrascht es mich auch nicht, wenn ich Respekt, Toleranz und Verständnis anderen gegenüber vermisse - aber es erwischt mich immer wieder eiskalt.
Und dann frage ich mich: "Will ich wirklich dazugehören?"
Vor vier Tagen wurde ich gefragt, wie es mir geht, und weil es mir nicht möglich war, das alles in eine whatsapp zu verpacken, verschickte ich eine Sprachnachricht. Anfangs sprach ich sehr ruhig und müde, glaube ich, und endete ungewollt sehr emotional.
Ich weiß, dass ich die Gesellschaft nicht ändern kann. Das ist weder mein Ziel, noch meine Aufgabe - mal abgesehen davon, dass meine Wertvorstellungen ja auch nicht die richtigen sein müssen. Ich sie anderen also auch nicht aufzwingen kann oder darf.
Was ich aber kann und was ich auch darf: Mich selber fragen, bis wohin ich mitgehen möchte.
Und darüber selbst zu entscheiden, ob hier lang oder dort lang.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Meistens. Ein Gewohnheitstier, dem größere Veränderungen Angst machen. Angst vor dem Unbekannten. Angst vor dem Ungewissen.
Als mir vor über 14 Jahren ein Jobangebot unterbreitet wurde, interessierten mich weder Zahlen noch Fakten und ich hatte gehörigen Respekt vor dem Neuen. Dennoch war die Überlegensphase sehr kurz: Ich wollte raus aus dem bisherigen Leben. Ich wollte was Neues sehen, lernen, erfahren. Raus aus einem Trott. Mein damaliger Ehemann meinte "Mach das nicht, da fährst du dreimal so lange und verdienst aber keinen Cent mehr." Und der andere Mann damals meinte: "Warum nicht? Willst du es? Dann mach es doch."
Und ich sprang.
Bis heute weiß ich, dass es das Beste war, das ich je getan hatte und das mir je angetragen worden war.
Bis heute ist mir klar geworden:
Jeder sollte jemanden haben, der bedingungslos an einen glaubt.
Damit man springt. Damit man wagt. So oft hat das Leben gezeigt, dass sich für jede Tür, die sich schließt, eine neue öffnet.
Seit 2 Tagen kenne ich eine weitere Diagnose meines Sohnes. Ich habe mich darüber belesen und bin von beiden dazu "eingeladen", dazu mit der behandelnden Ärztin zu sprechen.
Momentan bin ich bestärkt in dem, was ich all die Monate, all die ganze Zeit über dachte und fühlte: dass er Rückhalt braucht, Verständnis - und Zeit. Dass ich für ihn da bin, mich selbst aber nicht aufgeben darf. Dass ich ab und zu auch an mich denken darf und ihn trotzdem nicht vernachlässige. Dass er nicht an die Hand genommen werden muss. Dass ihm vor allem eins fehlt: Anerkennung. Akzeptanz.
So oft dachte ich in den letzten Wochen an die Worte meiner Therapeutin vor 7 Jahren: "Der Mensch neigt immer dazu, auf das zu schauen, was er nicht hat und was er nicht kann. Anstatt sich auf das zu konzentrieren, was gut ist, was er kann und was positiv ist."
Die vergangenen Wochen haben mir auch gezeigt: Ich muss auch mehr mit mir arbeiten, für mich arbeiten. Traumatherapie, hat der Osteopath vor etwa zehn Tagen angeraten, dem in seiner Praxis zu viele Patienten begegnen, die unnötig mit Wunden und Narben in ihrem Leben kämpfen und trotzdem nicht vorankommen. Dass man lösungsorientiert agieren muss. "Ich glaube, ich kann Ihnen wohl doch nicht helfen", sagte er, der anfangs so euphorisch an mein Schmerzproblem herangegangen war.
Ich weiß nicht, ob es vermessen ist oder gar falsch, wenn ich schon glaube, dass ich lösungsorientiert arbeite. Mit mir, mit meinem Sohn. Was war, kann ich nicht mehr ändern, so sehr mich das auch quält - und möglicherweise könnten wir aber heute mehr tun. Nur möglicherweise anderes als bisher. Die Energie in die richtigen Richtungen kanalisieren. Das gilt es noch herauszufinden.
Weil mir eins klar geworden ist: Wirklich frei fühlen kann ich mich erst, wenn es meinem Sohn wieder gut geht.
Freitagabend haben wir zu dritt beim Italiener gesessen, Sohnemann, ich und noch jemand. Und ich sehe sie noch vor mir, wie sie die Serviette sorgsam faltete, darauf starrte und sagte: "Man kann alles im Leben überstehen, egal wie schwer es ist. Nur eins nicht: wenn man sein eigenes Kind verliert."
Ich habe sie angestarrt, weil das eigentlich immer meine Worte waren, meine Gedanken, die sie nicht kannte.
"We move forward" - mit diesem Titel hatte ich mich im Juni zunächst verabschiedet.
Wenn Ihr mich also heute fragt, kann ich nur sagen, dass wir noch nicht wesentlich weitergekommen sind. Weil man in manchen Dingen mit dem Brecheisen auch nicht weiterkommen kann.
Aber ich kann zumindest sagen: Alles ist in Bewegung geraten. Mehr denn je.