Dienstag, 31. Dezember 2019

Goodbye and Hello

Es ist das zweite Mal während meines ganzen bisherigen Bloggerlebens, dass ich einen Post am Handy verfasse. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, aber dieser Post wird dann wohl doch kein langer. Ausdauer gehört nicht wirklich zu meinen Eigenschaften.
Wobei... Vielleicht kommts auch einfach nur auf die Thematik an?

Die letzten Tage des Jahres, so hatten wir uns kurz entschlossen, werden wir nicht daheim verbringen. Nicht dort, wo Bars hoffnungslos überfüllt sind oder mir wieder eine Rakete ins Gesicht fliegen kann. (Ich gestehe, die um sich greifenden Verbote, zumindest in Stadtzentren für diese sowieso blöde Böllerei, findet bei mir schon seine leise Anerkennung.)
Nicht dort, wo man krampfhaft versucht, nicht vor Zwölf einzunicken und auch nicht zum Millionsten Mal dem besoffenen Diener zuzuschauen, wie er Runde um Runde übers Tigerfell steigt. Tradition hin oder her - irgendwann ist jeder Klamauk schal wie ne Dose Brause, die zu lange offen stand.
Jedenfalls für mich. 

Das Jahr 2019.. Wenn ich so zurückschaue, empfinde ich all die Belastung darin, um die eigene physische Gesundheit zu kämpfen. Aus jeder Niederlage wieder neu aufstehen und weitermachen zu können. Sich zu fokussieren auf die so positiven Tendenzen, die sich nicht wegstänkern lassen.
Der Kampf um die physische wie psychische Gesundheit des Sohnes - und dieses so unfassbare Glücksgefühl zu sehen, dass das eine oder andere tatsächlich Früchte zu tragen beginnt.. 
Die im Jahr 2019 mehr geführten Auseinandersetzungen mit Freunden, Familie und im Job.. Ein oft zerriebenes Bindeglied zwischen den Fronten.. 
Die Auseinandersetzungen mit mir selbst, geführt in manch schlaflosen Nächten und viel mehr auf den zahllosen Fahrten, stundenlanges Treiben auf dem Highway, in dem es nur mich gab - und die Musik. Je lauter, desto besser. Und die nachhaltig gewonnenen Erkenntnisse.. Die Wege, die sich auftun, während man feststellt, dass man längst losgelaufen ist..

Insgesamt.. für mich persönlich ein anstrengendes Jahr. Ein Jahr voller Arbeit, sowohl als auch - aber auch der Grundstein für immer neue Hoffnung.. Getreu der schon vor langer Zeit in privaten Mails eingebundenen Signatur „Egal, wie dunkel der Raum auch ist - Liebe und Hoffnung sind immer möglich.“
Von wem diese Worte stammen und wo ich sie las - ich weiß es nicht mehr. Aber eingebrannt seit jeher, weil dieser Satz am ehesten mein Lebensprinzip beschreibt.

Und so haben wir beschlossen, in diesen kleinen Ort irgendwo in Oberbayern zu verreisen.. Das Jahr hinter uns zu lassen, es wesentlich entspannter ausklingen zu lassen
als es sich angefühlt hatte. Nur wenige Tage, in denen wir uns um nichts kümmern müssen außer uns selbst.
Endlich das Buch gelesen, das schon lange auf dem Hocker neben meinem Bett lag.
„Der Gesang der Flusskrebse“ - ein sehr berührendes Buch mit einem aufwühlenden Ende..
Nur wenige Tage, die gefüllt werden mit Ruhe im Kopf und in der Seele, mit Liebe und Geduld, mit Schwimmen, Massagen und mit Infrarotsauna, mit Durchstöbern der nahegelegenen Steinbrüche, wo das Jagdfieber wieder glühend erwachte. Hier zum Beispiel könnte ich stundenlang graben, Steine umwenden, immer auf der Suche.. Wo nur leider das größte Fossil von allen schon nach nur wenigen Minuten miese Laune bekam und zum Gehen drängte. Irgendwann muss ich nochmal hierher, vielleicht im Frühjahr und dann vielleicht mit einer Freundin, die dem selben Jagdfieber unterliegt..

Das Jahr 2019 neigt sich nun endgültig dem Ende zu - und ich atme auf. Ich atme frei und tief bis in den letzten Winkel meines Seins hinein. Ich bin sehr dankbar, heute hier so zu stehen. Ich bin sehr dankbar für das, was ich habe.
Kann man bedingungslos lieben?
Ja, das kann man.
Ich habe keine Erwartungen an niemanden - und ich liebe nicht für die Dinge, die jemand tut. Dieses Gefühl, sich erfüllt zu fühlen, das kann Dir niemand vermitteln, indem er Dinge für Dich regelt oder bezahlt. Was mich erfüllt, ist das Gefühl, begleitet zu werden. Dass jemand da ist, der mit mir geht, ohne mir zu sagen, wohin ich gehen soll. Der mich so sein lässt wie ich bin. Der nicht an mir herumzerrt und auch nicht versucht, mich in das Bild zu biegen, das er von mir hat. 
Dass jemand mit mir lacht und weint, mit mir ernst und albern sein kann. Der mich herausfordert und zugleich meine Grenzen respektiert.
Sind das Bedingungen? 
Bedeutet Bedingungslosigkeit denn, keine eigenen Vorstellungen, Wünsche und Träume in sich zu tragen? Ich denke: Nein, das bedeutet es nicht. Nicht der Verstand entscheidet, wen wir lieben. Unser Verstand wird uns lediglich sagen, ob wir gehen oder bleiben (können) - oder wie lange.
Ich habe nicht die Vorstellung, dass es an einem anderen Menschen liegt, mich glücklich zu machen. Ich bin es, die sich selbst genug sein will. Die sich glücklich macht und fühlt. Und wenn ich das mit jemandem teilen kann, ist es das Größte. Dafür muss und soll sich niemand ändern oder meinen Vorstellungen entsprechen. Entweder passt es oder es passt nicht. Das ist keine Bedingung. Das ist unser Leben. Denn nicht mit jedem, den Du liebst, kannst Du auch glücklich sein. Aber jeder, den Du liebst, wird immer bei Dir sein, ganz gleich, wo man ist und mit wem..

Ich weiß gar nicht.. Habe ich jetzt doch mehr geschrieben als ich wollte? Habe ich jetzt doch mehr zu sagen gehabt als ich dachte?
Ich weiß nur, dass ich heute Nacht das neue Jahr begrüßen werde - und genau jetzt und hier sein möchte. Was das neue Jahr bringt, werden wir an allen kommenden 365 Tagen sehen - und ich wünsche Euch wirklich von Herzen, dass es ein gutes Jahr wird. Dass Dinge sich fügen und erfüllen, auf die Ihr schon so lange voller Sehnsucht gewartet habt. 
Habt es schön - und macht es Euch schön ♥️


Sonntag, 22. Dezember 2019

Make Yourself A Merry Little Christmas

Es ist diese Zeit des Jahres, in der die Wünsche wieder vor allem virtuell hin und her geschickt werden - und in der vor allem viele Geschenke gewünscht werden. Ich persönlich.. Ich lege keinen Wert darauf, dass da viel geschenkt wird. Für mich sind es die "kleinen" Dinge im Leben, oder besser gesagt, die kleinen großen Dinge. Die, die von Herzen kommen. Die, die mit Liebe gegeben werden.
So wie diese wunderbare dunkelrote Kaffeetasse mit den kleinen weißen Punkten..
Ich hatte es nur ein einziges Mal beschämt gestehen müssen, dass diese ins Nirvana übergewandert war. Und nun, nach diesem Wiedersehen nach über fünf Jahren, in denen wir uns nicht gesehen, kaum gelesen hatten, da lagen wir einander in den Armen, hielten einander ganz sehr fest - und dann hatte sie noch diese eine Überraschung für mich. Diese neue Tasse, bei der mir derart die Hände zitterten, dass ich fürchtete: Gleich stürzt die auch ab und dann wars das.
Ist sie aber nicht. Sie hat den feuchtfröhlichen Glühweinabend genauso überstanden wie der Freundinnen-Mantel, den ich ihr dieses Mal nicht mit Senf vollkleckerte. Nach fünf Tassen Glühwein wusste ich dann auch nicht mehr, von was mir die Augen blitzten - vom Alkohol, vom Schalk, von der Wiedersehensglückseligkeit - oder der irren Freude über diese kleine Tasse. So dass ich glatt in die falsche Bahn gestiegen wäre, würde sie mich nicht zurückgehalten und auf die Anzeigentafel hingewiesen haben.
"Du musst auf die andere Seite."
"Nein! Das weiß ich ganz genau, ich bin immer von dieser Seite aus gefahren!"
"Aber nach [Hause] kommst du hier nicht, du musst da rüber."
"Wir können ja mal fragen."
Also habe ich eine ältere Dame gefragt, die musste es ja wissen. Und die sagte "Sie müssen auf die andere Seite."
"Versteh ich nicht", glühweinte ich stur wie ein Fischkopp, "ich bin IMMER von der Seite gefahren."
"Nein nein, Sie müssen da rüber."
"Jetzt steig halt einfach ein", sagte die Freundin, eigentlich schob sie mich mehr in die Bahn als dass ich freiwillig dort eingestiegen wäre - aber ich hab es dann tatsächlich noch nach Hause geschafft.

Habe auch die letzten anstrengenden Tage im Büro zuende geführt, alle to do's des Jahres abgehakt und mich am gestrigen Samstag um die letzten noch zu erledigenden Dinge gekümmert. Bis ich am Abend, als die Jugend komplett ausgeflogen war, einfach einschlief, statt dem freien Abend zu frönen.
Dafür gehört der heutige Sonntag fast ausschließlich mir, denn die Jugend verabschiedet sich nachher nochmals, während ich es mir hier daheim gemütlich mache, verpacke die letzten kleinen Überraschungen, bügle die letzte Wäsche.. und freue mich auf die Weihnachtstage. Auch wenn es in diesem Jahr keinen Schnee an Weihnachten gibt. Mir als Autofahrer ist das - ehrlich gesagt - ganz recht so. Was soll ich mit Schneegestöber auf dem Highway? Mich stresst das. Und ich brauch das nicht. Schneien darf es also nur an Tagen, an denen ich nicht mit dem Auto unterwegs sein muss.

Mit diesem Jahr und all den Ereignissen darin habe ich längst meinen Frieden gemacht, finde ich langsam wieder zu meiner Gelassenheit zurück. Manchmal auch - und das war mir ehrlich nicht bewusst - auf Kosten anderer.
"Ist dir bewusst, dass du mir gestern meine Energie rausgesaugt hast?"
"Oh Gott, nein!"
"Doch, hast du. Ich hatte ein Gefühl wie Betonfüße danach, und ich mag dieses Gefühl gar nicht."
"Das tut mir ehrlich leid, wirklich, ich entschuldige mich dafür."
"Es muss dir nicht leid tun. Weil du nicht nur nimmst. Du gibst auch. Die meisten nehmen nur."

Dennoch habe ich mir für das kommende Jahr mehr Achtsamkeit vorgenommen. Nicht als Vorsatz für ein neues Jahr. Nicht einer jener Vorsätze wie Diät und solchen Blödsinn, den man sowieso nicht einhält. Man ist wie man ist - und entweder man gefällt sich so oder man tut was. Am Freitag gab es eine kleine Ausstandsparty eines Kollegen, der uns nunmehr verlässt - und dazu gabs auch Torte. Von der zwei Stücke über blieben, die keiner mehr wollte.
"Gebts der Helma, die isst die in jedem Fall", lästerte der Chef, "bleibt dann halt alles auf ihren Hüften."
"Weißt du", entgegnete ich, während ich mir genüßlich einen Gabelbissen dieser herrlichen Zitronentorte in den Mund schob, "das Gute ist, dass ich DIR auch nicht gefallen will."
Er lachte: "Mir gefällt deine große Klappe, das reicht mir auch schon."

Von meinen beiden Mädels im Büro habe ich mich mit einer kleinen Aufmerksamkeit verabschiedet und ihnen für dieses Jahr gedankt - für das wirklich angenehme und entspannte Miteinander. Dass sich einer immer auf den anderen verlassen kann. Dass es keine Ränke und keine Häme unter uns Dreien gibt. Das Büro habe ich am Freitagabend mit einem guten Gefühl verlassen. Mit dem guten Gefühl, alles gesagt und getan zu haben.

Das Gefühl, alles gesagt und getan zu haben, durchzieht auch das Private. Was daraus wird, wird sich im kommenden Jahr zeigen. Ich fühle mich gefestigt in dem, was ich wünsche, brauche und was ich geben kann. Von mir abgeben kann. Selten habe ich mich so im Reinen mit mir selbst gefühlt wie in dieser Zeit. Und auch, wenn das grad sehr nach Ich-bezogen klingt... Es fängt alles erst mit einem selbst an.

Machts Euch schön, so gut das möglich ist. Genießt, so gut das möglich ist. Das wünsche ich Euch sehr.

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Keep Bleeding



Wie ich in den Raum gekommen bin, weiß ich nicht, aber ich fand mich dort wieder: weiß gekachelte Wände, eine Liege, verschiedene Instrumente. Was auf mich zukommt, weiß ich nicht, ich bin nicht einmal sicher, warum ich überhaupt hier bin.
Eigentlich denke ich überhaupt nichts - bis ich stürze und irgendetwas an meinem linken Arm aufreißt. So tief und so heftig, dass mit jedem Herzschlag immer mehr Blut aus meinem Körper pulsiert und ich innerhalb kürzester Zeit barfuß in meinem eigenen Blut stehe. Und ich weiß, wenn ich jetzt nicht gehe und Hilfe hole, dann werde ich hier sterben.
Also gehe ich los, hinterlasse tiefrote Spuren meiner nackten Füße auf dem weißen Fußboden, betrete den langen, schmalen und wahnsinnig hellen Gang, an dessen Ende irgendein Weißkittel um die Ecke kommt.
Ich sehe ihn - und alles, was ich dann erlebe, geschieht wie in Zeitlupe: dass ich zu Boden falle, mein Kopf auf dem Boden aufschlägt und ich weiß, dass es das jetzt war.
Es ist der Mann, der mich vom Boden aufheben will, der mich in seine Arme nimmt, und obschon ich ihn nicht wirklich sehen kann, fühle ich, dass er da ist. Bei mir. Und vor meinen Augen wird alles immer heller, immer lichter, immer leichter, verschwimmen alle Konturen.
"Es wird ja alles ganz hell", lächle ich ihn beruhigend an, und als er zu weinen beginnt, erwache ich.

Ich bin kein Traumdeuter, aber diesen begreife sogar ich.

Blut als Symbol des Lebens. Der Lebensenergie.

Es ist eine Freundin, die mir auf meinen gestrigen Post heute Morgen einige Nachrichten schreibt und Sprachnachrichten schickt und deren Pling mich davor rettet, den Tag zu spät zu beginnen. Die nachfragt, was da gerade los ist, die mir ihre Sorge darüber mitteilt - und die mich in meinem Bauchgefühl nur bestätigt: Ich kann gerade nichts tun, nicht an jener Stelle aktiv werden und keinen Schutz bieten. Man kann das nicht, wenn der andere es nicht (wahrhaben) will. Ihm im Gegenzug die Tür verschließen, das werde ich nicht. Aber ich habe für mich erneut eine Linie gezogen, in den heutigen frühen Morgenstunden. Einmal mehr, denn eine ähnlich hilflose Situation, die in einer Katastrophe endete, durchlebte ich vor Jahren schon ein Mal. Seither bin ich viel vorsichtiger geworden. Wen ich in mein Leben hineinlasse und wie sehr.

"...Es ist die Fülle an negativer Einflüssen, die im Moment von mehreren Seiten kommt, und mit dem im Gegensatz zu wenig Positiven ist ein Ungleichgewicht entstanden. Eins, mit dem ich mich nicht gut fühle", fasse ich der Freundin gegenüber im Lauf des Tages, nachdem ich mir den zweiten Kaffee des Tages zubereitet und ihre letzten Sprachnachrichten abgehört habe, zusammen.
Gestern, nur einen Tag nach der zuletzt geführten heftigen Auseinandersetzung, die mich kaum mehr als verzweifelte Hilflosigkeit fühlen ließ, habe ich den ganzen Abend lang nur noch Musik gehört.
Manchmal brauche ich das genau so. So wie ich mir manchmal auch triviale Sendungen reinziehe, während ich auf dem Sofa lümmle und an nichts mehr denke. So wie ich nicht jeden Tag Nachrichten schaue und auch nicht lese. So wie ich mir nicht alle möglichen "Hast du das schon gehört?"-Nachrichten von Freunden, Familie oder Kollegen anhören mag oder Videos ungesehen lösche. Das Leben geschieht sowieso, ob ich mir nun alles mit anschaue oder nicht.

Ich will mir aber nicht mehr alles mit anschauen. Es gibt nur ganz wenige Menschen in meinem Leben, für die ich mein Blut hergebe. Über alles andere entscheide ich jeden Tag neu. Dafür oder dagegen. Ich muss darüber jeden Tag neu entscheiden. Die wesentlichen Dinge übersiehst du sowieso nicht.



The Long Day Is Over






Zeit, mich schlafen zu legen.. Die Tage sind oft zu lang, die Nächte oft zu kurz. Doch nachdem ich mir Stück für Stück die Seele frei schreibe, mich damit frei mache von Dingen, die sich nicht gut anfühlen, kehrt auch dank der streichelsanften Musik die Ruhe in meinem Kopf wieder zurück.
Ein Album, das ich so sehr liebe.
Ihr schönstes Album von allen.
Mir ist es längst kalt geworden, nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit wie selbstvergessen auf dem Holzfußboden gelegen und in die Nacht geschaut habe... Während die letzten Kerzen herunterbrannten und der Titel in der Endlosschleife nicht müde wird, mich daran zu erinnern, wie viel Schönes es trotz allem im Leben gibt.
Wenn dieses Jahr herum ist, werde ich aufatmen. Und mich im kommenden Jahr wieder mehr auf mich selbst und die Musik in mir konzentrieren.

"Du kannst sie nicht alle retten", mahnt der Mann öfter, aber das versuche ich auch gar nicht. Das wäre Anmaßung. Nur.. Menschen sind mir nicht egal, und je näher sie mir sind, desto wichtiger ist es mir, dass es ihnen gut geht. Aber mir ist auch bewusst, dass jeder Mensch sein eigenes Leben hat, führt und leben muss. Ganz gleich, ob ich es gut und richtig finde oder auch nicht. Es gehört nicht mir, es gehört euch. Macht etwas Schönes damit...

Mittwoch, 11. Dezember 2019

Grenzenlos


Im Grunde genommen, wenn wir allein sind, dann hoffen und wünschen wir - mehr oder weniger - ab irgendeinem Punkt in unserem Leben mit jeder Begegnung, dass es nunmehr die eine Begegnung sein möge. Die uns eröffne, wie wertvoll, wie schön und wie begehrenswert wir seien. Und sei es wenigstens für diesen einen anderen Menschen.

Je jünger wir sind, desto weniger zerstört fühlen wir uns. Ganz im Gegenteil, wir haben den Kopf noch voller bunter Träume, voller bunter Seifenblasen, wir tanzen durch die Straßen und glauben, die Welt gehöre uns. Wir glauben, dass irgendwie alles möglich sei, wenn wir selber nur genug daran festhalten würden.

Ich weiß gar nicht, wie oft mein Vater zu mir sagte: "Mein Gott, Mädchen, sei doch nicht so naiv, glaub doch nicht immer alles!" Damals, als ich fünfzehn, sechzehn Jahre alt war und zum ersten Mal verliebt.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es auch nur irgendein Mensch nicht gut (mit mir) meinen könnte, wenn man dem anderen doch gar keinen Anlass dafür geboten hatte. Vermutlich lebte ich nicht nur im sprichwörtlichen Sinne auf einer Insel, vermutlich lebte ich auch in meinem Kopf auf einer Insel, in meiner mir eigenen Welt, in der alles bunt und schön und voller Musik war. Ja, damals schon.
Diese Zeit ist lange her, und möglicherweise, ja wohl sicher habe ich einen Teil meiner Unbeschwertheit in diesen Jahren zurückgelassen, aufgegeben. Hergegeben an den Erlebnissen und Erfahrungen, wobei ich von den meisten immer noch sage: Da habe ich wirklich noch richtig, richtig Glück gehabt, das hätte ganz anders enden können.
Heute bezeichne ich mich noch immer als ein Glückskind, dem zwar nicht alles in den Schoß gefallen ist, ganz im Gegenteil - aber dennoch hatte ich vor allem.. eine wahnsinnige Menge Glück.

Beschissen, belogen, betrogen wird, seit es Menschen gibt. Und ich glaube, dass die Dimension eines Schmerzes keine andere ist als seit jeher. Nur die Mittel und die Methoden ändern sich. Und inzwischen ist es möglich, dass Menschen einander begegnen, ohne sich je real gesehen, gehört, gefühlt, geschmeckt haben. Dass es dennoch möglich ist, Verbindungen aufzubauen, wider jeder Vernunft. Wider jeden Verstandes und jeder Logik. Und dieser Tage wurde mir schmerzhaft bewusst, wie es sich anfühlt, diese vollkommene Hilflosigkeit angesichts eines unglaublichen Betrugs.

Stell dir vor.... Du kennst jemanden, mit dem führst du eine reine Fickbeziehung. Sorry. Ich könnte es jetzt auch modern als "Freundschaft Plus" bezeichnen, gleichwohl fällt mir genau das inzwischen sehr schwer, denn auch ohne dem Plus setzt das Wort Freundschaft etwas voraus, das in meinen Augen an dieser Stelle einfach nicht existiert.. Jedenfalls.. dieser jemand hat Freunde. Wie viele, weißt du nicht, ist eigentlich auch völlig wurscht. Manche dieser Freunde nehmen Kontakt zu dir auf. Und zwar ausschließlich über das Handy deiner Fickbeziehung.
Warum sie alle nur Kontakt über dieses Handy aufnehmen, hinterfragst du nicht. Du kennst ihn ja, seit mindestens zwei Jahren, ihr habt geilen, aufregenden Sex, und dass er dich auch an manche "Freunde" ausleiht, ist für dich okay, denn für eine monogame Beziehung bist du sowieso nicht gemacht. Sagst du.
Sie schreiben dir, aber sprechen nie mit dir. Rufen nie an, treffen dich nie. Was bedeutet: Du kennst niemanden wirklich. Du weißt nicht, wen du da vor dir hast und wer sich da eigentlich tatsächlich mit dir schreibt. Doch was du registrierst, sind die Komplimente, die bei dir ankommen. Wie wunderbar du seist, eine wunderbare Frau, ein noch ungeschliffener Diamant, aber überaus wertvoll. Glauben kannst du das gar nicht, denn du kennst es nicht, dass dir jemand so etwas sagt, dass jemand überhaupt so von dir denkt. Denn kennengelernt hast du das völlige Gegenteil. In der Familie, in der Schule, im Job. So jung und trotzdem schon so kaputt, dass du dich wochen-, monatelang zu Hause verkriechst, eine Krankschreibung nach der anderen einreichst und dich schließlich in stationäre Hilfe begibst. Und dann kommt jemand, der dich allein durch die Kraft seiner Worte wieder aufrichtet. Der dir das gibt, das deine zerrüttete Seele so sehr braucht, das dein nicht vorhandenes Selbstwertgefühl streichelt und dir ein so viel besseres Gefühl als je zuvor vermittelt. DAS muss es sein. DER muss es sein. Von ihm kennst du nicht viel. Du hast nur drei Fotos. Eins von ihm im Pool - mit Sonnenbrille. Eins von seinem Oberkörper - und eins von seinen Augen. Von dem Augenfoto bist du fasziniert, du bist verliebt in dieses Foto. Du zeigst es herum und verstehst die Reaktionen gar nicht. Willst auch die Stimmen nicht hören, die da erneut Zweifel anmelden: Die Fotos passen doch gar nicht zueinander?
Irgendwann zeigst du dieses Foto deiner F-Beziehung, und der bestätigt dir: Das ist zu 100 % der, der dir inzwischen fast täglich schreibt. Der sich im Sommer von seiner Freundin trennt (!) und sich auf den Weg macht, um das Wochenende mit dir zu verbringen. Und du freust dich wie blöd, auch weil du den ewigen Zweiflern und Miesmachern in deinem Umfeld beweisen kannst: Ich hatte recht, es gibt ihn wirklich und er will wirklich mich.
Nur.. Er kommt nie an. Natürlich nicht. Natürlich vermutest du sofort, dass nur etwas Schlimmes passiert sein kann. Immerhin hat es viele Unfälle an diesem Wochenende auf dieser Strecke gegeben. Ihm kann nur etwas Schlimmes passiert sein - und Tage später überbringt deine F-Beziehung dir diese Botschaft: Pool-Boy hatte einen schweren Unfall und liegt nun weit entfernt in seiner Heimatstadt auf der Intensivstation.
"Fahr doch zu ihm", rät dir dein Umfeld, aber du weißt ja nicht, wo er wirklich liegt - und jene andere Stadt ist zu groß, um alles abzusuchen. Die einzige Verbindung, nämlich der Arbeitskollege vom Pool-Boy, dessen Freundin wiederum mit deiner F-Beziehung befreundet ist, ist just zur selben Zeit gekappt, weil man sich gerade getrennt hat. Welch Zufall!
Und nun beginnt die Zeit des Wartens und der Ungewissheit. Du weißt nicht, wie es Pool-Boy geht und mit F-Boy hast du dich überworfen, weil er entgegen eurer Abmachung andere Frauen gevögelt hat, ohne es mit dir abzusprechen. Den einzigen Kontakt von F-Boy, den du zulässt, ist die Nachfrage, ob es was Neues vom Pool-Boy gibt, aber F-Boy weiß noch weniger als du. Er kennt niemanden aus Pool-Boys Stadt, außer jene Freundin, aber die weiß ja nun auch nichts mehr.
Du schreibst Nachrichten auf das Handy vom Pool-Boy in der Hoffnung, er möge dir eines Tages antworten - und eines Tages kommen tatsächlich Antworten. "Seine Mutter hat sich gemeldet", erklärst du deinem Umfeld - und dass die total crazy drauf sei. Ihr habt Euch über Beziehungen, Sex und alle möglichen Konstellationen ausgetauscht. Rein schriftlich. Alles über whatsapp und über das Handy von Pool-Boy. Die deutlicher werdenden Zweifel deines Umfeldes nerven dich, machen dich aggressiv. "Es regt mich so auf, dass ihr alle glaubt, ich sei so naiv." Du bekommst ein Foto von der Mutter zugeschickt, das leitest du deinem Umfeld weiter. "Hier bitte. Eure Zweifel machen mich kaputt."
Zwar ist niemandem in deinem Umfeld klar, wie eine Mutter das Handy ihres Sohnes bedienen kann, das heutzutage höchstwahrscheinlich mit einem Zugriffs-Pin geschützt, mindestens aber eine Sim-Pin besitzt - und der Akku inzwischen ja mehr als leer gewesen sein durfte. Es ist auch niemandem klar, warum eine wildfremde Frau, deren Sohn auf der Intensivstation liegen soll, einem wildfremden Mädel sexuelle Dinge schreibt - aber möglicherweise ist dein Umfeld ja nicht nur blöd, sondern auch noch gnadenlos verklemmt.
Also schweigt dein Umfeld und wartet mit dir. Bis du eines Tages völlig aufgelöst schreibst: Dieses Dreckschwein! Dieses Arschloch! F-Boy hat wieder ein anderes Mädel gevögelt - und Pool-Boys Mutter hat via Live-Chat zugesehen.
Es ist dieser Moment, wo dein Umfeld gedanklich aussteigt und dich fragt, ob du allen Ernstes immer noch glaubst, dass an dieser Geschichte auch nur irgendwas Wahres dran sein kann. Ob du nicht sehen kannst oder sehen willst, dass alle Fäden am Ende immer wieder bei F-Boy zusammenlaufen. Und wie es überhaupt möglich ist, dass F-Boy mit einem Mal die Nummer von Pool-Boys Mutter haben kann. Wieso die derart telefonieren, videochatten, whatever.
Jedoch.. Für Logik bist du nicht offen. Für (berechtigte) Zweifel bist du nicht offen. Du willst es nicht wahrhaben und vermutlich kannst du es nicht wahrhaben. Denn wenn das alles nicht wahr gewesen ist - dann bedeutet es einen freien Fall für dich in das Bodenlose. Weil es dann nichts mehr gibt, was du hast, das dich zur wunderbaren, einzigartigen Frau machst, die niemand verdient. Weil du dann nichts mehr hast, für das es sich lohnen soll, morgens überhaupt nur die Augen zu öffnen, geschweige denn aufzustehen. Du willst dich daran klammern und vermutlich musst du es sogar - für dein eigenes Überleben. Niemand vermag daran zu denken, was passieren würde, würdest du eines Tages die Wahrheit erfahren.
Doch das Karussell dreht sich weiter. Pool-Boy geht es besser, er soll auf die Normalstation verlegt werden - und dann darfst du ihn besuchen kommen. Natürlich kommt es nicht dazu. Jedem in deinem Umfeld ist klar: Irgendetwas muss passieren, Pool-Boy muss weg. Also stirbt Pool-Boy in der Nacht vor dem Tag, an dem du zu ihm kommen solltest. Timing ist schließlich alles.
Du bist derart am Boden zerstört, dass dein Umfeld nur hilflos zusehen kann. Und hofft, dass du diese Zeit irgendwie überstehst.
"Besuch sein Grab, wenn du soweit bist", rät man dir. Aber ach - ein Grab wird es ja gar nicht geben. Natürlich nicht. Pool-Boys Asche wird im Meer versenkt - zu einer Zeit, in der du dich geplant im Ausland befinden wirst.
Und so gehen die Tage und Wochen ins Land, es kehrt etwas Ruhe ein. Du hast wieder Kontakt zu F-Boy aufgenommen, denn "ihn verlieren kann ich nicht auch noch". Du teilst dich immer weniger mit, dir glaubt ja sowieso niemand. Bis eines Tages jemand aus deinem Umfeld über Pool-Boys Foto im Netz stolpert. Ein Foto auf stock free Seiten sowie auch auf Seiten, die Werbung für Pools, Freibäder, Hotels selbst in der Dominikanischen machen. Selbst die AfD nutzt dieses Foto - und du antwortest darauf "Denen traue ich zu, dass die das Foto eines Toten klauen." Du willst die Mutter von Pool-Boy danach fragen und auch nochmal F-Boy. Und dann schreibst du "Seine Mutter weiß bescheid, das Foto liegt beim Anwalt. Und F-Boy hat mir zu 100 % bestätigt, dass das Pool-Boy ist."
Dein Umfeld fällt aus allen Wolken. Du glaubst diese ganze abstruse Story noch immer?
"Das Foto kann gar nicht beim Anwalt liegen. Es ist ein stock free Foto, begreifst du das nicht? Das kann jeder nutzen wie er will. Das wäre genauso, als würde man einen Raucher dafür anklagen wollen, dass er sich Zigaretten gekauft hat." Und dein Umfeld fragt nach "Hast du seine Mutter mal angerufen?"
"Nein, wir haben geschrieben."
Natürlich. Weil du ja nicht gerne telefonierst, wie du betonst. Komisch nur, dass du dein Umfeld immer mal anrufst und auch darum bittest, mal telefonieren zu können.

"Ihr seid so krank", bekommt das Umfeld stattdessen von dir zu hören. "Wie krank ist das zu glauben, das alles würde sich jemand ausdenken? Sich den Tod eines Menschen ausdenken? Ich weiß, woran ich glaube. Und dass ihr denkt, ich sei ja nur naiv, zieht mich nur runter, vielen Dank. Ich will mich jetzt nicht weiter damit befassen. Ich glaube seiner Mutter und F-Boy."

Das Umfeld schluckt. Und schweigt still. Und realisiert: Hier kann es nicht weiter reagieren. Hier kann es nichts mehr sagen und nichts mehr tun, denn es wird dich nicht erreichen. Dem Umfeld wird klar, es ist machtlos gegen deine emotionale Abhängigkeit von F-Boy, der letztlich die Hauptfigur in diesem schlechten Spiel darstellt. Ein Mensch, der sich in sozialen Netzwerken mit einem Phantasienamen aus einem Videogame ausstattet, dem man nachsagt: "...zieht er es vor, aus der Nähe zu sein und sein Ziel persönlich zu töten, indem er eine Mischung aus Heimlichkeit, Schusswaffen, Nahkampf und biotischen Fähigkeiten einsetzt." Um dein Leben fürchtet dein Umfeld weniger, sehr wohl aber um deine seelische Gesundheit. Was es am Ende mit dir persönlich machen wird.
Warum jemand so ein scheiß Spiel mit dir spielen soll? Weil die Welt voll ist von gestörten Kreaturen, die darauf scheißen, wie du dich fühlst, wie es dir geht und was aus dir wird. Die sich ihrer Macht über dich bewusst sind und diese Macht auch auskosten. Vielleicht, weil sie nie wirklich was bewiesen haben im Leben und bisherige Vorhaben gescheitert sind - was man übrigens auch im Netz nachlesen kann. Vielleicht, weil ihre eigene "Größe" lediglich darin besteht, andere zu erniedrigen?

Du bist nicht die erste, die auf einen Typen reingefallen ist - und du bist auch nicht die letzte. Es sind deine unfassbare Liebebedürftigkeit und dein unbedingter Wunsch nach Anerkennung, nach Wertschätzung, die dich so verletzlich, so angreifbar machen. Wie bei so unendlich vielen anderen Frauen auch.

Es ist die Dimension, die das Ganze mittlerweile erreicht hat, die einen fassungslos macht. Wie gesagt, belogen und betrogen wurden die Menschen, seit es sie gibt. Aber vermutlich war es noch nie so einfach wie heute. Was zurückbleibt, ist ein bitterer Geschmack und das endlose Gefühl von Hilflosigkeit. Während du in der Tagesklinik sitzt und versuchst, irgendwie klarzukommen im Leben - und trotzdem weiter an all dem festhältst. Weil du nicht völlig ins Bodenlose fallen willst und darfst, weil du weiterhin glauben musst, dass du etwas Besonderes bist.
Das bist du auch. Auf deine dir ganz eigene Weise. Doch du hast dich an jemanden gehangen, der das nicht schätzt. Und jetzt kommst du davon nicht mehr los. Weil du den Schmerz kennst, ganz allein zu sein - und das schaffst du nicht mehr. Den willst du nicht mehr. Was auch immer geschieht.

Samstag, 7. Dezember 2019

Was stimmt nicht mit mir?






Manchmal wundere ich mich über Menschen. Eigentlich jeder, den ich kenne, hat eine genaue Vorstellung von seinem Leben. Vom Lieben. Vom Job und vom Miteinander. Aber die wenigsten, die ich kenne, leben das, wovon sie eine Vorstellung haben.
Die meisten beklagen die Dinge, die sie nicht in ihrem Leben haben. Fühlen sich betrogen vom Leben, vom Lieben, vom Job und vom Miteinander. Beklagen Dinge, die ihrer Meinung nach von anderen so nicht gesagt oder nicht so hätten getan werden dürfen. Und wenn man es bei Tage besieht.. Ist es nicht eher die nicht erfüllte eigene Erwartungshaltung, die da beklagt wird?

Das Jahr neigt sich langsam, aber endgültig dem Ende zu und ehrlich gesagt: Irgendwie atme ich auf, dass es vorüber ist. Es war ein.. zähes Jahr. Eins, das irgendwie klebrig an den Schuhsohlen haftete und mir das Gefühl vermittelte, nicht von der Stelle kommen zu können. Als würden zu beschwerliche Dinge an mir haften, an mir kleben, mich belasten, die mich daran hinderten, einen Schritt nach dem anderen zu tun.
Schaue ich auf das Jahr zurück, überkommt mich einmal mehr das Gefühl, dass in genau diesem Jahr viel mehr in meinem Kopf und in meiner Seele herumgetobt hat, das mit meinem eigenen Leben genau genommen.. nicht viel zu tun hat. Es war das Jahr des Zuhörens, des Schlichtens, des Sortierens und Ordnens, des Auf- und Abfangens aller möglichen Stimmungen und Schwingungen - und am Ende dieses Jahres habe ich das Gefühl, selbst ein wenig zu kurz gekommen zu sein. Das ist aber nur ein Gefühl, vermutlich ist das nicht die Wahrheit.
Vielleicht, weil ich zuviele Probleme, die nicht meine sind, in meinen Kopf, in meine Seele und in meinen Rucksack genommen habe?

Ob man das zugeben mag oder nicht: Am Ende möchte niemand von uns allein sein und allein sterben. Jeder ist irgendwie auf der Suche nach einem Menschen, der das eigene Leben bereichert allein dadurch, dass er da ist. Der eine verkrampft bei der Suche, der andere hat bereits aufgegeben in der unerfüllten Beziehung - und hofft auf ein Wunder. Oder jemanden, der ihn rettet. Der Dritte fürchtet die Konsequenz seines Tuns und kann trotzdem nicht anders handeln, weil er vielleicht trotz allem hofft, ihm würde die Entscheidung abgenommen. Der Vierte beginnt ein neues Leben, obschon das alte nicht wirklich abgeschlossen ist. Fürchtet zwar keine Konsequenzen und ist doch erstaunt über menschliche Reaktionen. Irgendwie haben sie alle eine Erwartungshaltung an ihr Gegenüber - ohne selbst wirklich aktiv zu werden.
Der eine beklagt seit langem seine Gewichtsentwicklung der letzten Jahre - und lebt weiter wie bisher.
Der andere beklagt das Beziehungsverhalten - und zieht keine Konsequenzen.
Der Dritte führt ein gutes Leben - und beklagt unzufrieden die Dinge, die ihm fehlen.
Der Vierte führt das Leben seiner Wahl - und kann das Glück und den Erfolg anderer trotzdem nicht ertragen.
Ich schaue zu, ich höre zu - und wundere mich immer öfter.

Doch was mich am allermeisten daran irritiert: was es mit mir selber macht.
Wie oft ich denke "Und worüber genau regt er/ sie sich jetzt eigentlich genau auf - und vor allem: warum?"
Wie oft ich innerlich die Schultern zucke und denke: "Ja nun... Gibt Schlimmeres..."
Und ich frage mich.. Ist diese Gelassenheit dem Alter geschuldet? Diese Gelassenheit, die Ruhe in sich selbst. Oder verwechsle ich da etwas und es ist schon nicht mehr Gelassenheit, sondern eher Gleichmut? Und ist der nicht eher negativ als positiv? Ist der nicht eher auch gefährlich?
Bis wohin ist es ein Schutzschild für das eigene Gemüt, das eigene Wohlbefinden - und ab wann ist es tatsächlich auch Gleichgültigkeit?

Am Montagabend traf ich meine Freundin aus L, die kurzzeitig in M verweilte. Aus der geplanten Kaffeestunde wurden über vier Stunden. Irgendwann sagte sie zu mir: "Du siehst wirklich viel besser aus. Eigentlich siehst du genauso aus wie damals, als ich dich kennen gelernt habe."
Damals, das war vor dreizehn Jahren.
Mich haben ihre Worte beschäftigt. Weil ich die Situationen verglich, die damals vor dreizehn Jahren - und die heute. Dazwischen liegen Jahre, die wirklich nicht so einfach waren. Die Jahre 2015 bis 2017 waren die emotional schwierigsten - anschließend kämpfte ich umso mehr mit dem Körper.
Nach und nach erhole ich mich, schüttle von mir ab und irgendwo auf diesem Weg muss ich wohl beschlossen haben, nicht alles mehr an mich so heranzulassen. Und bemerke stattdessen, dass für mein Empfinden viel zu wenig gelacht, viel zu wenig getanzt, viel zu wenig geliebt und geküsst, viel zu wenig gestreichelt wird.
Es wird viel zu viel gestritten und Zeit damit verschenkt, sich an Kleinigkeiten aufzureiben, sich das Leben gegenseitig unnötig schwer zu machen, anstatt zu genießen, dass man einander hat.

Und je öfter ich daran denke, desto öfter entwickle ich tatsächlich dieses Gefühl von... Gleichmut.. Ich nehme hin, ich akzeptiere, vielleicht einmal zu oft, ich bin mir da nicht sicher.
Frage mich, ob mit meinem Kopf alles stimmt oder ob ich da irgendwelche Enzyme zuviel oder zu wenig habe, dass ich so oft so entspannt auf mein Umfeld reagiere.

An der Stelle dann musste ich aber lachen und fragte mich, wie krank das eigentlich ist, dass man eine Störung in sich selbst vermutet, nur weil man beschlossen hat, bei dem ganzen bekloppten Irrsinn nicht mehr mitzumachen.

Montag, 25. November 2019

Irgendwas ist ja immer

Quelle: https://xn--sprche-ffchen-hfb96a.com/lustige-sprueche/
Vor einer Weile schon haben der Mann und ich festgestellt, dass mit unserem Zusammenziehen vor nunmehr fünf Jahren noch weitere Gesellen mit eingezogen sind. Die da heißen "War ich nicht", "weiß ich doch nicht" und vor allem "Immer".
Nicht selten denken wir: Hat schon alles so seine Vor- und Nachteile.
Zum Beispiel nachts, wenn Du - grad die letzte Folge von Medical Detectives abgeschaltet und ins Bett gelegt - vom Rumoren auf dem Balkon aufschreckst, kerzengerade sitzt im Bett und der Mann unwillig knurrt "Du guckst zuviel Krimis!"
Ich hab nachgeguckt, aber nix gesehen. Und gedacht, na gut, egal wie, ich bin ja nicht alleine.
Das sind Vorteile.
Nachteile sind, dass Du für alles verantwortlich gemacht wirst, von dem der andere überzeugt ist, keinen Anteil dran zu haben. Zum Beispiel, dass im Fliesenboden im Badezimmer irgendwo wieder eine winzige Ecke abgebrochen ist.
"Weil du immer was fallenlässt", sagt der Mann.
"Wie bitte? Das wüsste ich aber!" empöre ich mich jedesmal.
Und Du kannst drauf wetten, fällt Dir wirklich mal was runter, ne Haarbürste, der Nagellackentferner oder sowas, dann steht flugs wirklich immer einer in der Tür: "AHA! Aber DIR fällt ja NIE was runter!"
Könnteste ausrasten, manchmal :)

An manchen Dingen aber bin ich tatsächlich schuld. Da hatte ich mich doch grad noch gefreut, dass der Premiumdienst meinen neuen kleinen Laptop anstandslos (und höchstwahrscheinlich erfolgreich, wenn auch erst im 2. Anlauf) repariert hatte - da fragt mich doch gestern Abend der Mann "Entscheide dich: Alkoholfreier Abend oder nicht." Ähm. Ich trinke ja so gut wie gar keinen Alkohol. Ich mach mir da einfach nix draus. Maximal ein Glas Weißwein, lieber noch als Schorle. (Vor allem, seit wir rausgefunden haben, dass Johannisbeerschorle ähnliche Effekte wie Alkohol hervorruft bei mir ;)) Gestern Abend aber kredenzte er mir ein Glas Eiswein.
Nach dem halben, scheiße leckeren Glas lächelte ich bereits selig und meinte "Ich glaub, ich bin betrunken." Und beim leicht unkoordinierten Griff nach dem Glas kippte dieses um und ergoss sich.. wohin.. na klar.. auf die Tastatur des Laptops.
"Umdrehen!" rief der Mann sofort. "Dreh das scheiß Gerät um!!"
In gemeinschaftlicher Arbeit (er schraubte, ich schaute zu) öffneten wir das Gerät und tupften trocken, was wir erreichen konnten.
Ihr glaubt gar nicht, wie froh, erleichtert und dankbar ich heute Morgen war, als ich das Gerät startete und betete, es möge alles funktionieren - und mein Morgengebet auch erhört wurde. Die sonst im anderen Falle entstandene Missstimmung hätte zwar zu einem Montag gepasst, hätte ich jetzt aber nicht wirklich gebraucht. Meine guten-Morgen-Tasse Kaffee jedenfalls steht jetzt immer hübsch in ausreichender Entfernung zum Gerät. Sicher ist sicher! Schließlich nehme ich auch kein Handy mehr mit in die Badewanne :)

Sonntag, 24. November 2019

Die Kunst, im rechten Moment von der heißen Herdplatte zu springen



Ich weiß, dass ich mit dem Mann nicht über all die Dinge sprechen kann, die mich beschäftigen, die mich bewegen. "Mit was du dich alles so befasst", knurrt er manchmal unwillig, "hast du nicht schon genug mit dir selbst zu tun?" Hätte ich vielleicht. Ich finde es aber nicht schlimm, den Blickwinkel auch (viel) weit(er) weg zu lenken, anstatt immer nur um sich selbst zu kreiseln.
Unlängst liefen wir abends durch die Stadt, waren auf dem Weg nach Hause, meine Hand ruhte in seiner, meine Finger waren zärtlich um seine geschlungen. Und ich überlegte, ein Thema anzuschneiden, bei dem er mich dann unterbrach: "Erzähl mir nichts davon. Ich will das nicht hören."
"Okay. Gut. Schade. Weil, ich will dir ja auch mal Dinge erzählen können."
"Ich weiß. Ich will aber nicht, dass Probleme anderer unsere Beziehung belasten."
"Tun sie doch gar nicht?" wunderte ich mich.
"Doch, tun sie. Ich will lieber die schönen Dinge mit dir erleben. Und wenn du mir von Problemen anderer erzählst, springt sofort mein Kopfkino an. Dann fange ich an, mir Gedanken zu machen, wie man diese Probleme lösen könnte."
"Ich will Probleme anderer nicht lösen", wunderte ich mich noch immer, "ich will mich nur mit dir darüber austauschen."
"Ich weiß. Aber ich bin da anders als du. Ich will dann sofort immer alles lösen."

Im gestrigen Austausch über ein neues, anderes Thema fielen mir seine Worte wieder ein. Auch weil er bei diesem Thema die Auffassung begrüßte, dass man sich auf seine Ziele fokussieren sollte, sie in Angriff nehmen und diesen Berg hinauf bis ans Ziel auch bewältigen sollte. Dass man auch in schwierigen Momenten die Zähne zusammenbeißt, durchhält, weitermacht. Solange weitermacht, bis man sich das Zielband um den Bauch gewickelt hat, die Siegerflasche köpft und auf das Ziel anstößt, sofern man nicht vorher erschöpft in die Knie gegangen ist.. Was, wenn Du Dein Ziel erreicht hast, Dir die Siegerflasche dann jedoch aus der Hand fällt?

Grundlegend finde ich die Herangehensweise richtig: Wenn ich Ziele habe, Wünsche habe, muss ich selbst mich darum kümmern. Dann muss ich schauen, wie ich erreichen kann, das für mich wichtig ist. Jedoch empfinde ich es als gefährlich, sich auf diesem Weg nicht auch Inseln schaffen zu dürfen, zu können, auf denen man ausruht. Es gibt wenig klare Wege, die geradewegs von A nach B führen. Viele Wege sind mit Umwegen, Abkürzungen, Stopp-Schildern, Umleitungsschildern, Hemmnissen, Stau verbunden. Das kostet mitunter arg viel Energie. Doch was für mein Empfinden sehr unterschätzt wird, ist die eigene (mentale) Belastbarkeit eines Einzelnen. Und dass jeder einzelne Schritt nicht nur körperliche, sondern insbesondere auch mentale Energie benötigt, auch dann, wenn man sich das nicht ein- bzw. nicht zugestehen will.

Vor genau elf Jahren bin ich, nur in Unterwäsche bekleidet, vor einem Neurologen auf und ab gelaufen, während er mir pausenlos Fragen stellte. Wie ich meinen Alltag bewältige. Wie ich mich um die Söhne kümmere, den Job, den belastenden Scheidungsprozess, mit der schwierigen oder nicht vorhandenen Beziehung umgehe. Und in dem geforderten Seiltänzergang (damals konnte ich ihn wenigstens noch) schaute ich ab und an verwundert über meine Schulter zu ihm: "Ich verstehe Ihre Frage nicht. Was meinen Sie mit "Wie"? Ich mach einfach?"
"Wieso machen Sie einfach?"
"Weil ich es muss?" wunderte ich mich aufrichtig. Weil ja sonst keiner (für mich oder mit mir) machte. Augenscheinlich hatte ich es einmal zu oft geantwortet, denn als er mir die letzte Frage stellte, antwortete er, bevor ich es tat: "Ja komm, sagen Sies mir nochmal: Weil Sie es müssen."
Und ich weiß noch, dass ich lächelte: "Ich versteh Sie wirklich nicht. Wer solls denn sonst machen? Ist doch keiner da."
Doch draußen vor der Tür, da kämpfte ich mit den Tränen und sagte zur Begleitung: "Eines Tages werden meine Baustellen mich umbringen."
Der damalige Neurologe schrieb einen mehrseitigen Befundbericht und innerhalb kürzester Zeit fand ich mich erstmals in einer Klinik für Schmerzpatienten wieder. Und verblieb dort mit einmaliger Verlängerung ganze acht Wochen. Nach einem Jahr das Ganze noch einmal, nur diesmal in einer Reha-Klinik. Was habe ich vor allem mitgenommen? Das Bewusstsein, dass ich eben nicht immer muss. Dass ich anhalten darf. Dass ich sagen darf "Nein, jetzt nicht." Dass ich sagen und auch umsetzen darf: "Nein, ich muss Pause machen, sonst geht mir die Puste aus." Dass ich mich abgrenzen und auch mal nur für mich sorgen darf. Und muss.
Auch kam mir bei der gestern aufgeworfenen Thematik die Geschichte des Frosches wieder in den Sinn. Dem Frosch, der auf der Herdplatte liegt und zwar merkt, dass sie sich langsam erwärmt. Wäre sie heiß beim Betreten, würde er sofort zur Seite springen. Liegt er aber drauf und sie erwärmt sich nach und nach, gewöhnt er sich an die Wärme und bemerkt (vielleicht) zu spät, dass diese Wärme seinen Tod bedeuten kann.

In unserer heutigen, immer weiter kultivierten Leistungsgesellschaft sind Praxen, Kliniken voll von Menschen, die sich permanent dem Druck ausgesetzt fühlten, funktionieren zu müssen, bis sie nicht mehr (mithalten) konnten. Dabei ist völlig unerheblich, ob dieser Druck von anderen ausgeübt wird oder man sich "nur" selbst diesem aussetzt, eben weil man meint, funktionieren zu müssen. Weil es doch ein Ziel gibt! Wie lange das gut geht, bestimmt jedoch die eigene individuelle Belastungsgrenze. Niemand kann Dir sagen, wie weit Du noch zu gehen hast und an welcher Station Du Rast machen kannst.
"Ich wünschte, ich hätte deine Gelassenheit", sagt der Mann öfter in letzter Zeit. "Und ich wünschte, ich hätte deine Entspannung. Wenn ich was auf dem Plan habe, dann mache ich das erst und dann ruhe ich mich aus. Du kannst dich schon ausruhen, obwohl du noch gar nicht angefangen hast."
"Stimmt", amüsiere ich mich dann, "ich ruhe mich aus, weil ich müde bin vom Wandern davor."

Ich habe ein Problem mit Menschen, die durch ihr Leben dümpeln, von Veränderungen sprechen und sie doch nicht angehen. Die sich viel eher daran gewöhnen, wie es gerade ist und damit arrangieren.
"Du bist noch viel zu jung, um dich durchs Leben zu schleichen", habe ich erst vor einer Weile zu jemandem gesagt, "wenn du weißt, dass du anders leben möchtest, dann fang es auch an."
Es ist jedoch ein Unterschied, ob jemand keinen Bock hat oder ob er (gerade) nicht mehr kann.
Es wird vielleicht auch nicht jeder so klar artikulieren können oder wollen. Hier finde ich Zwischentöne ganz wichtig. Unterscheiden zu können, wann jemand einen Ansporn oder tatsächlich Unterstützung, Hilfe braucht. Vor allem, wenn Du in derartigen Schuhen selbst auch schon gelaufen bist.

Samstag, 23. November 2019

Menschen, die gerne allein sind

Als mir jüngst dieser Artikel "zugespielt" wurde, welche Merkmale Menschen besitzen, die gerne allein sind, da habe ich ihn nicht nur interessiert mitm Käffchen in der Hand gelesen, sondern auch schön geschmunzelt dabei. Und einmal mehr daran gedacht, wie sehr ich mich selbst in den letzten Jahren verändert habe. So zwischen 20 und 30, da war ich ausgesprochen gesellig, liebte den Trubel, liebte es, Gäste zu haben oder zu Gast zu sein. Auch wenn ich nicht zu denjenigen gehörte, die erst in den Morgenstunden nach Hause kamen. Also zumindest nicht fünf, sechs, sieben Uhr. Ich glaub, mein längstes Feiern ging bis halb drei oder halb vier. Ich weiß, die Partyhengste unter Euch lächeln da nur müde, bei Euch geht da die Post erst richtig ab. Nun ja. Ich war halt nie die Partymaus. Spaß haben kann man ja auch abseits davon.
Zwischen 30 und 40 kam dann die Phase des Single-Lebens. Oder soll ich sagen: die Phase der Alleinerziehenden, die ihr Single-Dasein erst noch annehmen musste?
Es war die Zeit, in der ich entdeckte, dass ich tatsächlich gerne auch allein bin. Dass ich gerne mit MIR allein bin. Dass ich genoss, Zeit für mich zu haben. Für die Dinge, die ich gerne hatte. Erstmals nach dem Ende der Ehe entdeckte ich, dass ich nicht nur eine Mama war, sondern vor allem ein Mensch, eine Frau mit Bedürfnissen, Neugier, die aber noch nicht in der Lage war zu sagen, worauf sie selber eigentlich Wert legte oder was zum Beispiel ein ihr eigener Stil war.
Immer öfter zeigte sich außerdem, dass ich viel lieber ausging als dass ich jemanden zu mir einlud. Weil ich auch schnell ermüden konnte. Weil ich schnell das Interesse verlieren konnte, am Abend, an der Person, an der Situation. Man kann aber dann nicht zu jemandem sagen: "Hey du, ist besser, du gehst jetzt, ich wäre jetzt gerne allein." Also sagen kann man das schon, aber ICH konnte es nicht.
Wenn also erste Dates mit Herrschaften anderer Städte anstanden, dann habe ich sie nie in meine Stadt eingeladen. Das war mir viel zuviel Verantwortung, gepaart mit der Furcht: Wenn mir das Ganze nicht gefällt, kann ich nicht nach fünf Minuten sagen "Ja nett, aber ich geh jetzt." Bin ich aber irgendwohin gefahren, konnte ich eben aufstehen und sagen "Ja nett, aber ich fahr dann mal nach Hause." Für mich musste jemand also keinen Aufwand betreiben, es sei denn, er wollte es selber so - und im Gegenzug musste ich kein schlechtes Gewissen haben.

Über die Jahre hinweg entwickelte ich also nicht nur das Bedürfnis nach Alleinsein, ich kultivierte es regelrecht - und genau genommen ist das bis heute so. Wenn der Mann also fragt, ob ich ein Problem damit hab, wenn er feiern geht, wenn er wandern geht, wenn er in den Winter- oder Radsport fährt oder dies auch mal zehn statt sieben Tage dauert - dann lautet die Antwort stets gleich: "Hä? Ne, wieso?" Ich lege nur Wert darauf, dass Absprachen eingehalten werden. Wenn er also zehn Tage sagt und er käme erst am elften, ohne Bescheid zu geben - dann wäre ich stinkesauer. Oder wenn er sagt "Ich bin spätestens 22 Uhr wieder da" und kommt erst um drei, dann bin ich auch stinkesauer, weil er es mir wenigstens mitteilen soll. Immerhin warte ich auf ihn - und mache mir gegebenenfalls auch Gedanken, wenn er Stunde um Stunde nicht kommt. Ich bin jetzt aber auch nicht die, die ihm dann hinterhertelefoniert oder -schreibt. Ja ne, also so tief sinke ich schon nicht. Wenn er sagt "Ich geh feiern, open end" - damit kann ich leben. Kein Problem. Aber wenn sich einer schon festlegt, dann soll er bitteschön auch Bescheid geben, wenn sich was ändert. Ja, da kann ich grillig werden.

Welche Merkmale haben Menschen denn aber nun, die gern allein sind? Ich gebs mal wieder:

1. Sie sind Menschen, die offen sind für neue Erfahrungen
Nun, das kann ich tatsächlich bestätigen. Diese Offenheit wird aber gerne auch verwechselt mit der Annahme, dass man offen für ALLES sei. Das kann ich - zumindest für mich - nicht bestätigen. Ihr werdet mich niemals die Erfahrung machen sehen, wie das ist, beispielsweise einen Kugelfisch zu essen oder das Hirn toter Tiere. Ich steh auch nicht drauf, dass man(n) beim Sex auf mich uriniert oder solch eklige Sachen. Und das weiß ich auch, ohne es ausprobiert zu haben. Es gibt Dinge und Neigungen, die überlasse ich gerne denen, die Spaß damit haben.

2. Sie sind gut zu sich selbst
Nun. Das musste ich persönlich erst lernen. Nämlich indem ich herausfand, was denn überhaupt gut für mich ist. Was sich gut für mich anfühlt. Ist es nicht erschreckend, dass man sich so arg verbiegen (lassen) kann, dass man irgendwann selber nicht mehr weiß, was einem gefällt und guttut und was nicht? Und ist es nicht erschreckend, dass genau das schon normal geworden ist?

3. Sie haben Grenzen
Oh ja. Und je älter ich werde, desto deutlicher setze ich sie. Vielleicht auch, weil ich schon in der einen oder anderen Situation feststellte, dass meine Belastbarkeit nicht mehr so strapazierfähig ist wie noch vor zehn Jahren. Meine Grenze ist heute schneller erreicht als früher, insbesondere dann, wenn es um Dinge geht, die mich triggern - oder aber, wenn es sich stetig wiederholende Dinge sind, die mich erschüttern und ermüden. Doch bevor ich die Geduld verliere und unsachlich oder unfair werden würde, ziehe ich die Reißleine und mein Schutzschild hoch.
So geht es mir auch im Dienstlichen. Ich hatte mir Montag und Dienstag Urlaub genommen, weil der Mittwoch ein Feiertag war. Der für mich gilt, auch wenn ich nicht im betroffenen Bundesland wohne. Am Montag gegen Neun rief mich ein latent genervter Chef an. Ob ich verschlafen hätte oder warum ich nicht ans Telefon ginge.
"Weil ich Urlaub hab?" erinnerte ich ihn gähnend.
Er hat sich entschuldigt - wir haben trotzdem den halben Tag vertelefoniert wegen allen möglichen, aber nicht dringlichen Sachen. Am Dienstag sah ich gegen Mittag zwei Anrufe von ihm - und ignorierte sie. Urlaub ist Urlaub - auch wenn ich mich nicht außer Landes bewege - außerdem gibt es ja noch zwei Mädels im Front Office.
Am Donnerstag morgen ergoss sich dafür ein Schwall Vorwürfe über mich. Warum ich nicht erreichbar sei, wenn man dich schon mal braucht, dass jeder nur an sich denkt und macht, was er will und so weiter und so fort. Die Laune war derart im Keller, dass mir sofort klar war: Der Wind weht eigentlich ganz woanders her und ich kriege hier nur ab, was woanders schiefgelaufen ist. Also blieb ich ruhig, gelassen, geduldig, trank mein Käffchen, während er dann doch noch erzählte von all den Dingen, die auf seiner Leber lagen - und am Ende des Tages war sein Gleichgewicht und der Friede im Office wiederhergestellt. Um 18.10 Uhr rief ich ihn dann ein letztes Mal an, um ihm ein paar Zahlen durchzugeben und auch klarzumachen: Wenn Job ist, ist Job, da diskutiere ich gar nicht über Über-Zeiten. Aber wenn Urlaub ist, ist Urlaub. Irgendwo gibt es dann auch eine Grenze. Auch für Vorgesetzte.

4. Sie sind loyal
Ich glaube es zumindest. Als mir vor einigen Tagen jemand sein Herz ausschüttete, sich ordentlich Luft machte, Sorgen und Nöte herauswarf, die mich eigentlich alle gar nichts angehen, weil wir weder verbandelt noch befreundet sind, da habe ich nur eins gemacht: Mir das alles angehört.
Und gelächelt, als mein Gegenüber sagte: "Du musst ja jetzt auch nichts dazu sagen, du bist ja seine beste Freundin und ich will auch gar nicht an deiner Loyalität rütteln. Aber vielleicht kannst du ja ein Auge auf ihn behalten. Auf dich hört er wenigstens." Letzteres bezweifel ich zwar, aber egal. Ist doch schön, wenn Menschen jemanden haben, wo sie sich mal befreien und entmüllen können.
Es ist schon ein paar Jahre her, als ich im Job ordentlich belästigt worden war. Zum Chef zu gehen, habe ich mich nicht gewagt, unser Verhältnis war damals alles andere als entspannt - und ich wusste, Chef ist mit demjenigen nicht nur dienstlich befreundet. Ich hab versucht, mir den anderen vom Hals zu halten und bin auf Liebesschwüre und Jobangebote nicht eingegangen. Erst als er mir irgendwann drohte, was ich denn glaube, wer ich sei und was ich wohl glaube, was schwerer wiegen würde - meine Position als Angestellte oder seine Position im Geschäftsleben, da ging ich auf den Chef zu. Auch weil ich wusste, dass der Chef meine damalige private Handynummer an jene Person herausgegeben hatte. Ohne es mir zu sagen, geschweige denn, mich gefragt zu haben.
Seit jener Zeit achte ich sehr darauf, wer meine private Handynummer bekommt, welchen Kontakt ich zulasse, welchen nicht. Ich betrachte Menschen, lasse sie, ihr Tun, ihre Worte auf mich wirken und entscheide für mich, ob und wie weit ich mitgehen bzw. mitgenommen werden möchte.
Und ich achte heute mehr denn je darauf, niemandem wehzutun, dessen Herz an mir hängt. Weil das die tiefsten Wunden sind, die man sich selber damit zufügen kann. Klingt vielleicht paradox, ist aber zumindest meiner Erfahrung nach so.

5. Sie haben alles im Kopf
Ähm. Fragt den Mann. Der wird Euch sofort mindestens zehn Dinge aufsagen, die ich wiederholt vergessen habe. Warum die Nagelschere nicht an ihrem Platz liegt und wo sie denn dann liegt.
Na gut, okay, darum gings bei dieser Aussage nicht. "Ihre Nachdenklichkeit gibt ihnen ein großes Selbstwertgefühl, das ihnen erlaubt zu wissen, wer sie wirklich sind und was sie vom Leben wollen. Darüber hinaus ist Alleinsein auch eine Möglichkeit, sich selbst abzulenken, wenn es den Anschein hat, dass die Welt im Begriff ist, einen zu überwältigen."
Ja. Dem ist auch nach meiner Erfahrung so. Spontan dachte ich daran, wie ich mich früher wiederholt für Monate von Facebook abgemeldet hatte. Sogar den Blog mal für ein paar Monate ruhen ließ (was ich nie gedacht hätte, dass ich mal so tief falle). Wie oft ich mich für Wochen von Freunden und gar Familie zurückgezogen hatte, weil mir alles zu laut und zuviel geworden war. Und mir das Gefühl fehlte, nicht in meine Mitte zurückkehren zu können, weil mich zu vieles von mir selber ablenkte.
Dass die Welt mir oftmals zu laut, zu schnell, zu oberflächlich ist, empfinde ich auch heute öfter so - aber inzwischen gehe ich anders damit um. Stichwort Grenzen setzen. Da hätten wirs wieder.

6. Sie wissen, wie man seiner eigenen Zeit und der anderer den richtigen Wert gibt
Nun, ich denke, ich kann auch heute - oder vielleicht heute besonders - meine eigene Zeit verschwenden. Wenn ich daran denke, was ich alles machen wollte, als mir das letzte Wochenende und noch die drei angehängten freien Tage ins Haus standen... Und am Donnerstagmorgen der Kolleginfreundin gegenüber resümierte "Ich habe genau genommen.. gar nichts gemacht. Und trotzdem war es gut so." Und sie antwortete "Ganz ehrlich? Das hört man dir auch an."
Ich habe viel geschlafen, viel gelesen, ein bisschen Knots gezockt und wir haben uns die neue 5. Staffel The Affair reingezogen. Zufällig entdeckt, dass es überhaupt ne Fortsetzung gibt - und angeschaut. Es gab Tage, da bin ich bis abends in meiner dunkelkarierten flanelligen Schlafhose und barfuß in der Wohnung herumgelaufen, nur einen Pullover noch übergestreift, ungeschminkt, die Haare zusammengebunden oder nicht - und es ging mir gut. Genauso wie es war. Ohne Ereignisse, ohne Erlebnisse (bis auf die Pathologie!), aber eine Zeit, die endlich auch das zärtliche Miteinander wieder mehr in den Fokus richtete.
"Ich glaube, dir gehts grad gut mit diesen freien Tagen", merkte der Mann letztens an und ich lächelte "Ohhh ja."
Und vielleicht gehört ja auch diese Form der Erkenntnis dazu: dass es eben nicht immer irgendwelcher doller Erlebnisse, Erfahrungen oder sonstiger großartiger Dinge bedarf, um sich selbst (und dem anderen) etwas Gutes zu tun. Ich denke, das hat doch einen Wert, messbar oder nicht.

7. Sie sind sehr intelligent
Öhm. Welchen meinen die jetzt? IQ oder EQ? ;)
IQ hab ich übrigens mal getestet, der lag bei irgendwas um 129, glaub ich. Worin ich vermutlich ganz schwach war, waren diese logischen Zahlenfolgendingens oder die mit den Mustern: Führe fort nach Algorithmus-schlag-mich-tot. Aarrggh, das magsch gar nicht. Da habens wohl andere Bereiche wieder "rausgeholt". ;)
Gibt es eigentlich EQ-Tests? 
"Viel über die Dinge nachzudenken bedeutet auch, sie kritisch zu analysieren, weise zu unterscheiden, was man für das Richtige für sein Leben hält."
Ja, ich denke heute viel mehr nach, das liegt vermutlich in der Natur des Menschen. Mit 20 interessieren einen viele Dinge einfach (noch) nicht, vielleicht auch, weil man (oder ich) zu der Zeit zu vieles noch gar nicht weiß. Die Erfahrungen, die Freundinnen mit 15, 16, 18 machten, kamen bei mir ja auch alle erst viel später. (Insofern betrachte ich auch die Entwicklung von Sohn I entsprechend gelassen; der wird sein Ding schon machen, genauso wie ich auch.)
Was man für richtig oder falsch hält, kann sowieso nur jeder für sich entscheiden. Und ob man für sich weise ent- oder unterschieden hat, zeigt sich auch zumeist später.
Aber analysieren.. Ich denke schon, dass es für mich immer wichtig ist, eine Situation auch zu verstehen. Zu verstehen, warum ist dies und jenes jetzt so passiert, wie konnte es so weit kommen, warum hat diese oder jener so agiert. Denn wenn ich verstehe, dann kann ich auch loslassen. Und zwar nachhaltig. Dauert lange bei mir - aber wenn einmal wirklich losgelassen, dann gibt es auch kein Zurück mehr.

Mein Fazit? Früher fand ich Alleinsein langweilig, heute liebe ich es. Aber ich liebe es sicherlich auch deshalb, weil ich weiß, ich bin nicht wirklich allein.

Freitag, 22. November 2019

Na Mahlzeit


Als der Mann vor einiger Zeit sagte "Halte dir den 18.11. frei, egal, was kommt, da MUSST du zu Hause sein" und er eine Überraschung versprach, mich auch zum Raten aufforderte, da dachte ich freilich an alles Mögliche. Von so "üblichen" Dingen wie Krimi-Dinner, Konzertkarten, Comedy-Show oder so passte aber nichts davon. (Ich hatte auch noch mehr geheime Ideen, die ich aber nicht ausgesprochen hatte und auch niemals werde.) Ihn hats amüsiert und nur ein einziges Mal war er kurz davor, die Spannung aufzulösen. Sein Wanderfreund, mit dem wir an jenem Abend ausgegangen waren, hielt ihn davon schlussendlich ab. "Es ist wirklich eine tolle Überraschung, die wird ihr gefallen, machs also nicht kaputt." Ich hatte gelächelt, einen Schluck Kaffee genommen - und nun noch weniger gewusst, was ich denken sollte.

"Siebzehn Uhr bin ich da, dann gehts los", schrieb mir der Mann am Montagnachmittag, und da ich eh Urlaub genommen hatte, die Freundin mir zum Mittagessen absagen musste, da hatte ich eigentlich nur noch ein Problem: Was ziehe ich an? Es ist ja nicht so, dass ich nix hätte  - aber von sportlich bis lässig bis schick ist halt alles dabei - und wenn man nicht weiß, welches Event man besucht, dann weiß man auch nicht, welches Outfit passt?
Also entschied ich mich für ein schwarzes Kleid mit weißen Mille Fleur-Dekor - und Stiefelchen mit Absatz. Etwas, das ich später bereuen würde.

Auch die U-Bahn-Station, bis zu der ich lösen musste, sagte mir gar nichts, aber als ich registrierte, dass wir uns zielstrebig auf ein Klinikum zubewegten, da dämmerte mir etwas.
"Ist es eine Lesung? Mit dem.. mit dem.. verdammt, ich komm nicht drauf. Na du weißt schon, der mit der Brille, den sie manchmal einblenden bei Medical Detectives." (Mark Benecke übrigens, Anm. der Redaktion ;))
Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass der ja quer durchs Land tourt dann und wann und Lesungen und so vornimmt. Von seiner Arbeit erzählt. Von der Aussagekraft von Blutspuren.
Als Krimi-Mimi, die ich ja nun bin, weiß der Mann, dass mich alles rund um die Forensik interessiert, aber niemals im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, dass er von sich aus die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung initiiert. Nie! (Ich habe auch erst im Nachhinein erfahren, dass er auf einen heilenden Schockmoment hoffte, der mich dazu brächte, auf die zumeist nächtens flimmernden Sendungen zu verzichten und lieber mit ihm zu Bett zu gehen.)

Vielleicht hatte ich an jenem Montag tagsüber zu wenig gegessen, zu wenig getrunken - und dann noch die hohen Schuhe, die Zick-Zack-Suche von U-Bahn zum Klinikum und der hastige Run über den endlosen, menschenleeren Klinikgang, weil "die fangen sonst ohne uns an" - und dann stand ich da im Kellergeschoss der Pathologie, umringt von allen möglichen Teilen eines menschlichen Körpers.. Da machte ich schlapp. Ist mir so noch nicht passiert. Obwohl ja alles geruchsfrei hinter Glas und in entsprechenden Lösungen liegt, hängt, steht - ich konnt nicht mehr. Musste mich, kaum dass es begonnen hatte, abseits auf die Treppenstufen setzen und erst mal tief durchatmen. Gerettet hat mich dann tatsächlich der Minz-Kaugummi, den der Mann aus den Tiefen meiner eigenen Tasche zutage förderte.
"Hatte ich mal vorsorglich mit eingepackt", schmunzelte er.

Erkrankte innere Organe, das kennt man, das sah ich nicht zum ersten Mal. Überdimensional große oder vom Korsett abgeschnürte Lebern, okay, aber abgerissene Hände eines Betrunkenen, der auf ein U-Bahn-Gleis gefallen war, schwarz gewordene Hände und Füße, vollständig erhaltene Miss- und Fehlgeburten, vollständig präparierte innere Geschlechtsorgane der Frau...
"Na toll", flüsterte der Mann hinter mir, "ich weiß jetzt nicht, ob jemals wieder Sex haben kann."

Geführt wurden wir vom Präparator Albert Riepertinger, der uns nicht nur von seinen Büchern erzählte (von denen wir auch eins kauften), sondern auch andere Dinge vor Augen führte.
Wie wenig zum Beispiel die Medizin heute daran interessiert ist zu lernen, zu forschen. Und das eben nicht im Labor mit Ratten, Mäusen und anderen Tieren, sondern am Menschen. Natürlich hilft es demjenigen nicht mehr, der dort liegt und seziert wird. Aber ich ließ mich problemlos davon überzeugen, wie wichtig eine Sektion für das Lernen ist.
Früher mussten Medizinstudenten das ganze 1. Jahr lang nur an Sektionen teilnehmen oder selber mit vornehmen.
"Früher gab es hier bis zu tausend Sektionen im Jahr. Heute gibt es nur noch um die dreißig. Stattdessen werden hier Filme gedreht, Tatort, Polizeiruf und andere. Früher wollten die Ärzte wissen, ob sie mit ihrer Diagnose recht behalten hatten. Heute interessiert das keinen mehr. Tot ist eben tot."
"Warum ist das so?" fragte der Mann und er wurde angelächelt: "Es geht nur noch um Kosten."

Auch in seinem Buch las ich, dass kurz vor der Wende in Görlitz ein Jahr lang eine Studie betrieben wurde: Beinah jeder Tote wurde obduziert, was einer Sektionsrate von ca. 97 % entsprach. Dabei stellte sich heraus, dass Diagnosen bis zu 60 % falsch gestellt wurden. Das finde ich erschütternd, wenn man bedenkt, wie weit die Medizin inzwischen ist oder sein kann - und dass man heute weniger lernen und (er)forschen will als damals, nur weil es Geld kostet.
Er erzählte von einem Patienten, dem anhand eines Leber-CTs ein Leberkarzinom diagnostiziert wurde. Nach seinem Tod wurde festgestellt: An der Leber war nix. Gar nix. Die war intakt und vollkommen gesund.
"Das kann nicht sein", hatte die damals behandelnde Ärztin angezweifelt und Riepertinger hatte geantwortet: "Dann haben wir hier entweder die falsche Leiche oder das CT war falsch (oder falsch interpretiert)."
Nun. Es war letzteres. Wie so etwas gehen kann, blieb offen, zumindest für uns bei der Führung.
"Aber an irgendwas ist er ja gestorben", hatte eine Bloggerin, mit der ich mich bei FB austauschte, gemeint. Ja, an irgendwas in jedem Fall, aber nicht aufgrund der gestellten Diagnose. Offen blieb bei der Führung auch, woran er wirklich gestorben war und ob er zu retten gewesen wäre, wenn.
Er erzählte auch von einem Aids-Patienten, bei dem mit der Obduktion festgestellt wurde, dass der nicht an der Erkrankung selbst verstorben war, sondern an dem Medikament, das ihm aufgrund der Erkrankung verabreicht wurde.
"Die Pharma-Industrie ist an Sektionen nicht interessiert, weil sie dann sehr viel öfter zugeben müsste, dass von ihren Medikamente welche entweder wirkungslos oder gar tödlich sein können."

Ich dachte an meine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen  mit Ärzten, zuletzt mit dem Oberarzt im Herbst 2018 hier in einem anderen Klinikum: "Ja, es könnte durchaus was Genetisches bei Ihnen sein. Aber man muss ja nicht gleich mit dem Teuersten anfangen."
Und riet mir zu einer psychotherapeutischen Behandlung. Trotzdem ich ihm sagte, dass ich auch diese Station bereits mehrfach durchlaufen hatte, stationär und ambulant über einen Zeitraum von mehreren Jahren, ohne Ergebnis, was die körperliche Verfassung betrifft, aber mit einem aufgeräumten Rucksack und einem freien Kopf.
"Aber irgendwas muss da ja noch sein", hatte auch eine andere Ärztin letztes Jahr gesagt und ich hatte geantwortet, dass ich mich nicht dafür entschuldigen werde, ihr nicht damit dienen zu können.
Überhaupt ist mir aufgefallen, wie arg schnell man in eine psychosomatische Schublade gesteckt wird - und dass aber oftmals auch der Aspekt darüber entscheidet, in welcher Kasse man ist.
Sohn I und ich sind pflichtversichert. Der Mann ist privat versichert, Sohn II in einer Beamtenkasse. Es ist wirklich deutlich zu sehen, wie unterschiedlich Sohn I und ich und im Gegenzug der Mann und Sohn II von Ärzten angenommen werden. Sohn II ging es mal nicht so gut, fühlte sich schlapp und müde, hatte aber keine besonderen Infektzeichen. Er wurde erstmal eine Woche krank geschrieben, Blut wurde untersucht und er wurde zum Internisten geschickt. Ergebnis: keins. Es war wohl ein normaler Infekt.
Sohn I hingegen hat seit Monaten eine auf Hühnereigröße angeschwollene Lymphdrüse am Unterkiefer. Nach 5 Minuten wurde er ergebnis- und ereignislos wieder weggeschickt: "Sie arbeiten ja täglich mit Patienten, da werden Sie sich wohl mal angesteckt haben."
Hä? "Da werden Sie sich wohl mal angesteckt haben"? 
Sollte man das nicht wenigstens herausfinden wollen, wenn das Lymphsystem schon so deutlich und vor allem so anhaltend zeigt, dass es mit etwas kämpft?
Er hat ihn nicht nur einmal weggeschickt, sondern insgesamt dreimal mit den Worten "Kommen Sie wieder, wenn es nicht besser wird", dann hatte der Junge keinen Bock mehr und ich nahm ihn mit zu meiner Heilpraktikerin. Die hat sich wenigstens das Blut angeschaut. Ergebnis: Pfeiffersches Drüsenfieber.

Und nun stand ich da in diesem großen, weißgekachelten Sektionsraum und dachte: "Wir können ja aber nicht alle erst sterben und aufgeschnitten werden, um zu sehen, was mit uns los war."
Nur das Tragische ist: Selbst wenn wir gestorben sind, interessiert es inzwischen keine Sau, was mit uns los war. Für uns ist es eh zu spät - aber vielleicht könnte man ja lernen für andere, ähnliche Fälle??

In der DDR hatte es bis zur Wende deutlich mehr Sektionen gegeben - und Riepertinger bedauert es bis heute sehr, dass diese Vorgehensweise der Einigung zum Opfer fiel. Wie so einige andere Dinge, die sich bis heute aber wieder durchgesetzt haben. "Vielleicht kommt die allgemeine Sektion dann auch wieder", schmunzelte er, "so wie es aktuell auch in Österreich, in Schweden und in Holland üblich ist. Aber wenn das kommt, fangen wir ganz von Null wieder an, weil wir bis dahin niemanden mehr mit Erfahrung haben."

"Früher hätte ich nie gewollt, dass man mich oder andere aufschneidet", resümierte der Mann am Abend. "Jetzt denke ich anders darüber. Jetzt würde ich immer zustimmen."
Man kann sich auch der Medizin nach seinem Tod zur Verfügung stellen. Früher war das kostenlos - und manche habens gemacht, um Beerdigungskosten zu sparen. Aus diesem Grund kostet es heute etwa um 800 Euro, wenn man sich der Medizin übergibt. Schon irre. Absolut irre.
Jedenfalls ich konnte seither keine Wurst und kein Fleisch mehr essen. Hatte ich vorher schon viel weniger, aber jetzt geht gar nix mehr.
Allerdings würgte ich auch etwas an der Stulle mit Spinat-Brotaufstrich. Weil ich irritiert zur Kenntnis nahm, dass der Belag mich irgendwie daran erinnerte, wie der Magen eines Menschen aussieht, der sich mit Salzsäure umgebracht hatte. 

Übrigens, vom Krimi-gucken-wollen bin ich immer noch nicht geheilt. Aber ich habe eine kleine Pause eingelegt. Das Leben ist ja irgendwie auch.. Krimi genug. Bon Appetit.

Montag, 18. November 2019

Ein Armutszeugnis

Wenn ich meinen Blog jetzt nacheinander lesen könnte, könnte ich mir durchaus Schöneres vorstellen, als nach dem "Brief" an meinen Jungen jetzt und hier einen anderen zu schreiben. Doch es schnürt mir die Luft ab, den Hals zu und belastet meine Seele, wenn ich das, was ich gerade denke und fühle, nicht herausschrei(b)en kann.

Quelle:
https://staging.mizanticaret.com/ein-kind-das-von-seinen-eltern-schlecht-
behandelt-wird-hort-nicht-auf-sie-zu-lieben-es-hort-auf-sich-selbst-zu-lieben-
gleiches-gilt-fur-erwachsene-mit-ihrem-partner/
Nach dem Telefonat mit Dir wurde ich das dringende Bedürfnis nicht los, mich zu duschen, stundenlang am liebsten, mir die Haut zu schrubben, um jedes Deiner einzelnen Worte und vor allem die Gedanken dahinter wieder loswerden zu können.
Wir haben seit ewigen Zeiten kein Wort mehr miteinander gesprochen, weil wir es einfach nicht mussten und nicht brauchten. Aber das Ding ist eben.. Wenn man Kinder miteinander hat, dann bleibt man verbunden, in gewisser Weise. Eine Verbindung, die einfach nichts Gutes mit sich bringt.
Für mich bist Du der lebende Beweis dafür, dass ein Vater nicht der Mann ist, der ein Kind zeugt, sondern der, der sich kümmert von dem Moment an, wo es entstanden ist.
Aber das hast Du nicht, und wenn ich heute auf all die Jahre zurückschaue, selbst die ersten, dann weiß ich heute: Gekümmert hast Du Dich nicht. Du wolltest nur, dass alles funktioniert. Ein Kind als Statussymbol und den Beweis, dass Du alles hast und alles kannst. Ein Beweis an Deinen eigenen Vater. So wie es die Autos sein sollten, die Du gefahren bist. Die Frau es war, die Du geheiratet hast. Alle sollten Dich beneiden, alle sollten Dich toll finden und Dich bewundern. Und so sollte es auch mit den Kindern sein.
Nach unserer Trennung hast Du Dich vom ersten Tag an bereichert, auf meine Kosten und später auf Kosten Deines Sohnes. In Deinem Umfeld weiß niemand etwas davon. Alle finden Dich toll, stark und super, weil Du mich finanziell unterstützt und im Gegenzug auf Geld von mir verzichtet hättest, obwohl ich ja diejenige war, die die Scheidung und ein anderes Leben wollte. Dass es in Wahrheit genau andersherum war, weiß nicht einmal Deine heutige Frau. Selbst der Junge wollte es nicht wahrhaben, "Du sagst es so, der Vater sagt es anders, und wem soll ich jetzt glauben?" an jenem Sonntagmorgen in meiner damaligen Küche, an dem ich ihm den Bund Kontoauszüge auf den Tisch legte. In jedem Monat las er den Betrag X von mir an Dich mit der Beschreibung "Unterhalt für.." oder "Beitrag für Ferienlager" und so weiter. Kein einziger Geldeingang von Dir, natürlich nicht. Niemals werde ich seinen Blick vergessen, wie er dasaß, die Hände im Schoß, dem Glauben beraubt, dass man dem eigenen Vater nicht vertrauen konnte, weil man von vorn bis hinten belogen worden war. Menschen in Deinem Umfeld ist sowas egal, die würden höchstens mit den Schultern zucken. Für den Jungen jedoch wog das sehr viel schwerer, und das hast Du bis heute nicht begriffen. Du hast so vieles einfach nicht begriffen.
Dein Kind hast Du damals zu einer Therapeutin gebracht, dabei warst Du es, der Hilfe gebraucht hätte. Du hast es so lange hingefahren, bis sie erstmals Bedenken äußerte, ob nicht vor allem auch Du einen nicht unerheblichen Anteil an der damaligen Situation beigetragen hast und ob es nicht eher daran wäre, sich mit Dir zu beschäftigen. Von da an bist Du dort nicht mehr hingefahren und hast natürlich auch dem Jungen die Möglichkeit genommen, die Trennung und vor allem die Ereignisse daraus zu verarbeiten. Kritik an Dir konntest Du nicht ertragen, nicht einmal konstruktive. Das Gefühl, selbst Fehler zu machen, gemacht zu haben, kannst Du nicht ertragen. Bis heute nicht. Bei Dir waren es immer alle anderen, und so ist es bis heute.

Du kannst niemanden lieben um seiner selbst willen. Ich weiß nicht einmal mehr, ob Du überhaupt dann Liebe empfinden könntest, wenn man sich Dir beweisen würde. Was Du brauchst und immer gesucht hast, ist Anerkennung. Liebe. Deine Mama hat Dich abgöttisch geliebt und Du sie. Aber sie ist früh gestorben. Deinem Vater aber konntest Du es nie recht machen. Das, was Du mit Deinem Vater erlebt hast, spiegelt sich von früh an im Umgang mit mir und Deinen Kindern wider. Es wiederholt sich alles, und ich finde es ganz schlimm, dass grad Du das nicht erkennen kannst oder willst.

Stattdessen erzählst Du mir, dass Du Dir den 1. Weihnachtstag freihalten würdest.
"Wir sind zwar eingeladen, aber das geht ja nur ohne Kinder. Wenn die also zu mir kommen könnten, dann bleibe ich natürlich zu Hause."
Mir kommt da die Kotze. Sechs Wochen vor Weihnachten weißt Du nicht einmal, dass beide Kinder zum Dienst eingeteilt sind. Weil Du sie gar nicht gefragt hast. Sechs Wochen vor Weihnachten willst Du Dich eigentlich nur absichern, dass für die Kinder gesorgt ist, während Du Deinen eigenen Vergnügungen nachgehst. Dein Pseudo-Getue kannst Du Dir in Deine kurzgeschorenen Haare schmieren oder an Deinen Allerwertesten heften. Denn mehr ist es nicht wert. Vielleicht hätte ich nicht mal was dazu gesagt, würde ich nicht wissen, dass wir, die Kinder und ich, seit Jahren Weihnachten gemeinsam feiern, weil Du nicht ein einziges Mal gefragt hast, was sie denn eigentlich an diesen Tagen machen. Würde ich nicht wissen, dass ich bereits im September, spätestens Oktober die Planung aufnehme, wie wir es in diesem Jahr hinkriegen, gemeinsam zu feiern. Dass alles nur darauf ausgerichtet ist, dass keiner der Söhne allein ist. Warum Du einer Einladung Deiner neuen Schwiegerfamilie nicht mit Deinen Söhnen nachgehen kannst, habe ich gar nicht erst gefragt und will ich auch gar nicht wissen. Ehrlich gesagt, will ich überhaupt nichts aus Deinem Leben wissen. Weil ich dann Antworten höre, die sich mit meinen Wertvorstellungen und mit meiner Liebe zu den Kindern nicht vereinbaren lassen.

So wie Deine Auffassung, dass Deine Kinder nichts mehr von Dir geschenkt bekommen, wenn sie "denn nicht mal auf die Idee kommen, ihren Geburtstag auch mal zu feiern und uns dazu einzuladen."
Da ist es mir wirklich schlecht geworden. Zum einen frage ich mich: Wozu schenkt man? Weil man muss? Weil es sich so gehört? Weil es eben so ist?
Oder ist es nicht vielmehr so, dass man dem anderen einfach nur eine Freude bereiten möchte? Als ich unlängst von Sohn II eine Liste sah, auf die er sich notiert hatte, was so die nächsten Anschaffungen sein sollten, da habe ich mir das herausgepickt, von dem ich mir dachte "Darüber wird er sich wirklich freuen, weil er es einfach nicht erwartet."
Im Dialog mit Dir wandte ich lediglich ein: "Wofür erwartest du eine Feier und eine Einladung? Du kennst doch die Wohnung und auch die Platzverhältnisse." Mit Platz für max. 3 Personen am Küchentisch, wobei der 3. schon beengt säße. Mit einer Sitzmöglichkeit bei Sohn II im Zimmer, oder mit 2 Sitzmöglichkeiten bei Sohn I. Dass die Wohnung immer noch meine ist und ich ein Problem damit hätte, wenn Du und Deine Frau auf dem Sofa sitzen, auf dem für gewöhnlich ich schlafe, habe ich an dieser Stelle gar nicht erst geäußert, wozu auch.
"Ist doch egal", hast Du geantwortet, "sie könnten ja auch sagen: Ich bring Kuchen mit, können wir bei dir feiern?"
"Sag das doch den Jungen, nicht mir. Wenn sie die Möglichkeit angeboten bekommen, machen sie es vielleicht auch. So wissen sie nur, sie haben keinen Platz."
Und vielleicht auch weder Lust noch Muße, aber das füge ich nicht hinzu. Sicherlich sind sie inzwischen erwachsen und dass die Eltern damit noch Geburtstage für ihre Kinder ausrichten, tut man wohl nicht mehr. Aber was ist denn hier entscheidend? Dass man am Geburtstag der Kinder zusammen ist? Dass man den Tag feiert, an dem jemand geboren wurde, weil es einfach nur schön ist, dass er da ist? Dass man dem anderen doch einfach nur eine Überraschung, eine Freude bereitet? Einfach nur aus Liebe zu dem anderen - und nicht mit dem Gedanken: "Du bekommst nur etwas, wenn du mir dafür auch was zurückgibst"?
Vor fünf Jahren bin ich von L nach M gezogen. Und habe es seither immer möglich gemacht, an ihrem Geburtstag da zu sein. Auch weil ich es wusste: Fünf Jahre, in denen kein einziges Mal am Tag ihres Geburtstages von Dir die Rede war. Weil Du entweder grad im Urlaub warst oder im Dienst oder einfach nur zu Hause. Du hast höchstens angerufen, obwohl Du nur zehn Autominuten entfernt wohnst. Ich habe mich selbst so oft gefragt, wie man das hinbekommt. Wie man das emotional hinbekommt, das Kind hat Geburtstag, wohnt sozusagen ums Eck, aber ich kriege den Arsch nicht vom Sofa hoch, ein Anruf tuts ja auch.

Im Telefonat mit Dir wird vor allem klar: Nächstes Jahr wird der Sohn 30, ein besonderer Geburtstag, den der Junge gar nicht so besonders findet und auch nicht entsprechend feiern will.
Du sagst, er ist aber natürlich besonders - und erklärst mir im selben Atemzug "Ich hab da Urlaub, wir fliegen in die Türkei. Ich wollte nur fragen, ob du da bist und was du geplant hast."
"Du weißt doch, wann dein Sohn Geburtstag hast", wende ich dennoch ein.
"Ja schon. Aber ich hab irgendwie gar nicht auf den Kalender geguckt."
"Hm okay. Dazu brauchts ja eigentlich aber auch keinen Kalender."

Es ist all die Jahre nie anders gewesen. Seit der Trennung hast du darauf geachtet und aufgepasst, was ich und dass ich mache und tue. Dass ich alles einrichte, mich kümmere, bezahle. Damit Du Dich darin sonnen und sagen kannst "Ich hab mich gekümmert."
Nichts hast Du. So gar nichts hast Du. Damals nicht und heute nicht.
Karma? Soll ich aufs Karma hoffen? Vertrauen? Ach ich weiß nicht. Es wird wohl eher so sein, dass Du irgendwann in die ewigen Jagdgründe einkehrst und bis dahin die hundertprozentige Überzeugung gelebt hast, alles richtig gemacht zu haben. Und wenn was nicht richtig war, dann war irgendwer anders schuld. Nur Du nicht.

Den Mann an meiner Seite nervt manchmal, dass ich in meiner Planung der Weihnachtstage oder zu den Geburtstagen der Kinder eben vor allem meine Kinder im Sinn habe. Dass nichts geht, wenn das bedeutet, dass die Jungs allein sind. Ich weiß, dass er sich wünscht, Weihnachten mal nicht durch das Land fahren zu müssen. Entspannt zu Hause oder auch im tiefsten Winterwald sein zu können.
Ich weiß um seine Wünsche und kann sie so gut verstehen - aber ich kann nicht anders handeln. Ich kann nicht irgendwo Friede Freude Weihnachten feiern mit dem Gedanken daran, dass einer von beiden allein zu Hause ist. Weihnachten 2003, ich ganz allein. Soviel Wein konnte ich kaum trinken, bis das nicht mehr wehtat. In Erinnerung daran sie allein zu wissen, ich kanns nicht. Ich glaube, inzwischen versteht der Mann mich und kommentiert es nicht mehr, auch wenn es ihn jedes Jahr aufs Neue nervt.
Ich habe mich ein paar Tage mit der Frage gequält, ob ich ihm vom Telefonat mit Dir erzählen kann - und habe es dann verworfen. Er verachtet Dich mindestens genauso wie ich, nach allem, was vorgefallen ist in all den Jahren. Er will nichts mit Dir zu tun haben und auch gar nicht von Dir oder über Dich sprechen. Er will sich einfach nicht mit Dir befassen und ehrlich gesagt: Mir geht es genauso. Ich komme nur nicht um alles drumrum, denn es wird auch in Zukunft Anlässe geben, die uns mindestens in ein Telefonat bringen.
Hassen kann ich Dich nicht. Denn das würde bedeuten, für Dich ein - wenn auch negatives - Gefühl zu haben. Ich habe aber keins mehr für Dich. Ich verachte Dich abgrundtief, auch wenn mir zugleich durchaus bewusst ist, dass ich hierbei nur meinen eigenen, ganz persönlichen Wertvorstellungen im Fokus habe - und die ja nicht dem allgemeingültigen Zusammenleben entsprechen müssen.

Mich interessiert aber nicht, was einem allgemeingültigen Zusammenleben entspricht. Es ist mir sogar scheißegal. Mich interessiert nur eins: Ich habe zwei Kinder bekommen und das Glück dieser beiden Kinder ist das Wichtigste für mich. Egal, ob sie nun 5, 15 oder 50 sind.
An Sohn II traust Du Dich nicht wirklich an. Bei dem weißt Du, dass Du Paroli bekommst und der dann auch in Kauf nimmt, monatelang kein Wort mit Dir zu schreiben oder zu wechseln.
So wie auf Deinen Vorwurf, er würde sich nur bei Dir melden, wenn er was braucht. Auf diese Aussage hat er sehr verwundert reagiert: "Wenn ich was brauche? Bei dir? Wann denn?"
Er hat Dir den Spiegel vorgehalten und gezeigt, dass Du derjenige bist, der zum einen immer erwartet, dass sie sich bei Dir zu melden haben - oder der anruft oder schreibt, wenn er mal den Keller, die Garage oder sonstwas ausgeräumt braucht. Er hat Dir aufgezeigt, dass Du Dich seit der Trennung von uns nicht einmal gekümmert hast. Er erinnerte Dich an seine Klassenfahrt vor ein paar Jahren im Winter. Dreihundert Euro, von denen ich damals nicht wirklich wusste, wie ich das machen soll, aber unbedingt hinkriegen wollte, um den Jungen nicht davon auszuschließen. Und er Dich daraufhin um Deine Hilfe bat. Mit zehn Euro von Dir kam er nach Hause zurück. "Das ist alles, was ich kann", hast Du gesagt. Wir haben beide gelacht, der Junge und ich, er hat dann die zehn Euro in sein Taschengeld genommen. Das war wirklich sehr, sehr bezeichnend. Weil wir beide aus Deinen eigenen Erzählungen wussten, dass Du Dir einen neuen Audi größerer Klasse gekauft hattest, zweimal im Jahr mit Deiner Frau in den Urlaub fliegst und über den Jahreswechsel an die Küste fährst. Was - wie jeder weiß - ordentlich Asche kostet.
Das alles sei Dir ja gegönnt, wirklich, leb Du Dein Leben und werde glücklich damit.
Aber stell Dich bitte nicht hin und tu so, als würde Dich interessieren, was Deine Kinder machen und wie es ihnen geht. Bis heute, fünf Jahre nach meinem Weggang nach M, hast Du sie nicht ein einziges Mal gefragt, wie sie so leben und wie sie zurechtkommen. Ob sie finanziell zurechtkommen. Sonst würdest Du ja wissen, dass Dein Ältester manchmal nur noch Beträge zwischen 1 (ja, einem) und 10 Euro auf dem Konto hat, während es zum nächsten Gehaltstag noch ein paar Tage hin ist. Mir erzählt der Junge das auch nicht von selbst. Ich erfahre das nur, wenn ich ihn frage. Glücklicherweise frage ich immer rechtzeitig. Als hätte ich einen Radar, der mir sagt "Jetzt könnts grad eng werden."

Glaub mir eins: Beweihräuchern will ich mich nicht, darum geht es mir gar nicht. Ich habe auch Fehler gemacht und es gibt Dinge, die schmerzen mich bis heute abgrundtief, weil ich sie nicht mehr ungeschehen machen kann. Doch selbst wenn ich die Umstände betrachte, die letztendlich zur Trennung geführt haben: Das tut mir nicht leid. Früher habe ich immer gesagt "Ich würde mich immer noch für die Trennung entscheiden, auch wenn es mir für die Kinder wahnsinnig leid tut. Aber ich wünschte mir heute, ich wäre anders gegangen." Ich dachte auch Deinetwegen so - aber das ist lange vorbei. Nach allem, was ich bis heute mit Dir erlebte, tut es mir nicht mehr leid. Was mir heute lediglich leid tut, ist, dass ich ausgerechnet mit Dir eine Familie gegründet habe. Denn wie gesagt: Ein Vater bist Du für mich nicht. Das bist Du auch nie wirklich gewesen. Schon zu Ehezeiten hatte ich zu Dir gesagt "Vielleicht hättest du kein Kind haben sollen, sondern dir besser einen Hund gekauft, den kannst du dann dressieren, bis er aufs Wort hört."

Seit fünf Jahren leben die beiden Brüder in einer WG in meiner Wohnung. Mal geht es besser, mal geht es nicht so reibungslos - aber unterm Strich funktioniert es noch. Was ich aber am Großen mehr und mehr feststelle, auch wenn es erstmal nur ein Gefühl ist: Er nabelt sich von Dir ab, in leisen, feinen Schritten, aber er tut es offenbar. Denn im letzten Telefonat mit Dir wurde mir auch bewusst: Du weißt nicht mehr alles, was aktuell in seinem Leben geschieht. Er erzählt Dir nicht mehr alles, wohl weil er auch weiß, wie Du reagieren würdest. Und dass diese Reaktion ihm nicht guttun würde.
So wie im Februar oder März dieses Jahres, als Du ihn so derart runtergezogen hast, dass es schon einige Mühe brauchte, ihn wieder aufzubauen. Anschließend sagte ich zu ihm: "Mein Hase, du musst dich ja nicht mit ihm streiten. Aber wenn die Diskussionen anfangen und du merkst, dass es in eine Richtung geht, die dir nicht guttut, dann sag es ihm doch. Ganz ruhig. Man kann doch sagen *Vater, bitte lass das jetzt, mir wird das zuviel. Hör auf damit, oder ich fahr jetzt nach Hause.* Und wenn er nicht aufhört, dann sag *Okay, ich fahr dann mal nach Hause.* Und dann steh auf und geh. Deswegen wird er den Kontakt zu dir nicht abbrechen oder nicht mehr mit dir sprechen. Aber grenz dich endlich ein bisschen ab."
Und offensichtlich tut er das inzwischen. Indem er Dir manches gar nicht mehr erzählt, von dem er mir erzählt. Natürlich wird er auch mir nicht alles sagen - aber das muss er ja auch nicht. Doch die wichtigen grundlegenden Dinge, mit denen kommt er zu mir oder beantwortet es, wenn ich danach frage. Wusstest Du eigentlich, dass er vor kurzem vier Glückssteine gekauft hat? Einen für sich, einen für seinen Bruder, einen für die Freundin seines Bruders - und einen für mich. Er hat sie alle fotografiert und mir geschickt. Erst später wurde mir bewusst: Für Dich war keiner dabei.
Ich empfand das als ein Achtungszeichen.

Die Kinder werden Dich immer lieben, und dahinein werde ich mich auch niemals einmischen. Das habe ich damals nicht und werde ich auch heute nicht. Sie empfinden Dich als ihren Vater, aber sie wissen ja auch nicht, wie es anders sein kann. Doch wenn sie Dich so wahrnehmen wie Du auch wirklich bist, wenn sie sich abgrenzen können und trotzdem glücklich in ihrem eigenen Leben sein können, dann wäre das das Größte für mich. Wenn sie all das, was Du und ich falsch gemacht haben, hinter sich lassen und ein eigenes, glückliches Leben aufbauen können, dann ist das das einzige, das zählt. Das ist mein persönliches Lebensziel.
Was Du machst oder nicht machst, ob Karma oder nicht Karma, wie es Dir geht oder nicht - das ist für mich gleichgültig. Du bist Mitte 50 und willst jedem erzählen, wie er sein Leben führen soll, weil es eben alle so sagen und alle so machen. Dabei bist Du Mitte 50 und hast bis heute nicht verstanden, worum es wirklich geht und dass Du selbst eine ganze Menge aufzuarbeiten hättest. Früher wünschte ich Dir, die Chance in der Trennung wahrzunehmen. Heute habe ich nur einen einzigen Wunsch: dass Du die Jungs in Ruhe lässt und Deine eigenen Minderwertigkeitskomplexe mit Dir selber auslebst.

Und mir wünsche ich, dass ich mit diesem Post endlich dieses Telefonat mit Dir aus meiner Seele kippen und meinen Kopf wieder frei machen kann. Ich bin da ziemlich zuversichtlich.

Mittwoch, 6. November 2019

24

Ja mein Schmunzelhase, nun ist es wieder soweit. Ein Jahr weiter, ein Jahr älter, ob Du nun magst oder nicht :) Als ich so alt war wie Du, warst Du noch gar nicht auf der Welt, dafür hatte ich mit Deinem Bruder schon gut zu tun. Ein Schreikind, drei ganze lange Jahre jede Nacht, wofür es nie eine Erklärung gab. Genauso wenig dafür, dass es von einer Nacht zur nächsten einfach aufhörte, unmittelbar vor seinem 3. Geburtstag.
Man vergisst so schnell und das war auch gut so - denn Du warst mein ausgesprochenes Wunschkind. Ich weiß noch genau, was ich dachte, als ich Dich das allererste Mal sah: "Der hat ja einen kleinen Entenschnabel!" :) Diese Schnute konntest Du auch als Kleinkind immer noch gut und keiner, wirklich keiner konnte Dir widerstehen. Du hast uns alle um Deine kleinen Finger gewickelt, sogar Deinen großen Bruder. Der kam in das Klinikzimmer gestürmt, noch in Winterjacke und Mütze, sah Dich in dem kleinen Glasbettchen an meinem Bett und flehte: "Den nehmen wir mit nach Hause! Versprich mir, dass wir den mit nach Hause nehmen!"
"Natürlich!" hatte ich mich gewundert. "Wo sollen wir ihn denn sonst lassen?"
Ob er das später vielleicht nicht doch mal bereut hat, kann man nur vermuten, denn fast sechs Jahre lang hatte sich alles nur um ihn gedreht und nun musste er Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung mit Dir teilen. Was er aber immer gerne mit Dir geteilt hat und auch freiwillig, das war das Spielzeug. Ihr habt es in Nullkommanichts geschafft, ein derartiges Chaos im Zimmer zu veranstalten, dass man nirgendwo mehr auftreten konnte, ohne Schaden zu nehmen oder Schaden anzurichten.
Alles, das Ihr nicht zum Spielen hattet, habt Ihr Euch aufgemalt und ausgeschnitten und dann damit gespielt. Was habe ich oft geflucht über die gefühlt tausend Schnipselchen. Vorzugsweise irgendwelche Panzer und TNT-Boxen.
Nie niemals werde ich vergessen, wie Dein Opa kurz vor Deinem 4. Geburtstag mit Dir Mittagsschlaf machen wollte. Irgendwann kam er aus dem Schlafzimmer, jappste vor Lachen und winkte ab: "Kümmer du dich, dass der schläft, ich kann nicht mehr!"
Er hatte Dich müde quatschen wollen - und Dich gefragt, was Du Dir zum Geburtstag wünscht.
"Opa, ich will ein Messer haben."
"Ach Quatsch, min Jung, was willst du mitm Messer, du schneidst dir nur in die Finger."
"Okay, dann will ich eine Pistole haben."
"Ach was willst du mit ner Pistole, da tust du dir noch selber weh."
"Opa, also wenn ich kein Messer und keine Pistole kriege, dann will ich eine Bombe haben!"

"Gib ihm noch ein paar Jahre", hatte der Opa damals prophezeit. "Auf den müsst Ihr aufpassen!"

Aber über die Jahre mit Dir kann ich wirklich gar nichts Schlechtes sagen. Du warst von Anfang an ein Sonnenkind, Du hast viel und gerne gelacht, immer gut geschlafen und gegessen, mit Dir wurde vieles einfacher, obwohl Ihr nun zwei Kinder wart. Der Große war immer auf Dich fixiert, kaum etwas ging ohne Dich, und manchmal hat er Dir abends vorgelesen statt ich Euch.
Manchmal hat er Dich sogar geduscht, weil ich noch damit beschäftigt war, eine neu gekaufte Kommode für Euer Zimmer zusammenschrauben. Und Du hast herumgealbert und rumgedallert und Dein Bruder hat wütend den Zeigefinger gehoben: "Und das eine sag ich dir, das mach ich nicht für dich, das mach ich nur für die Mutti!"

Hach, es gibt so viele Momente, an die ich so gerne zurückdenke und über die wir heute noch lachen können. Mit diesen Momenten möchte ich die Erinnerung an andere Zeiten überdecken, die nicht gut waren, die nicht schön waren, vor allem nicht für Euch. Wenn Eltern sich trennen, ist es am allerschlimmsten für die Kinder, und das ist es vor allem dann, wenn die Eltern sich nicht im Guten trennen. Ich habe die Entscheidung nicht bereut und ich würde sie auch immer wieder so treffen - aber ich würde heute vieles ganz anders machen. Um Euch beide viel besser hätte schützen zu können. Dich, vor allem aber auch Deinen Bruder. Dass ich das nicht konnte, ist bis heute mein allergrößter Schmerz.
Wenn ich bis heute darum bemüht bin, dass es Euch gut geht, dann werde ich schon hin und wieder gefragt "Machst du das, um das Früher zu kompensieren?"
Nein, kann ich darauf ganz sicher antworten. Ich mache nichts, um ein Früher zu kompensieren. Mein Credo war immer ein liberales Erziehungsprinzip - auch wenn ich früher vermutlich viel autoritärer aufgetreten bin als heute. Aber was mir damals wie heute wichtig war und ist, ist Euer Glück. Dass Ihr Euren Weg findet, mit dem Ihr leben könnt und der Euch glücklich macht.
Als Du entschieden hast, Erzieher zu werden, fand ich das richtig toll. Als Du aber unmittelbar nach Beginn der Ausbildung feststelltest, dass es doch nicht der richtige Weg ist für Dich, da sagte ich zu Dir: "Wenn du es wirklich willst und nicht bummelst, wenn du alles für diesen Weg tun willst, dann werde ich dich auch unterstützen, mit allem, wie ich es kann."
Du hast Wort gehalten - und ich habe Wort gehalten.
Glaub mir, es ist mir wahnsinnig schwer gefallen, Dich schon mit 18 in unserer Wohnung zurückzulassen und so weit fortzugehen. Du hast Dich nie beklagt, Du hast es immer verstanden und diese Entscheidung immer mitgetragen. Aber ich wusste auch immer, dass Du mich gerne noch etwas länger bei Dir gehabt hättest, wenigstens in der Nähe - und glaub mir, das ging mir ganz genauso. Im Grunde geht mir das bis heute so. Es ist etwas Wundervolles, Eure Entwicklung zu sehen, mitzuerleben, wie Ihr erwachsen geworden seid, welche wunderbaren Menschen aus Euch beiden geworden sind. Von Deinem Bruder sagst Du immer, er hätte ein Herz aus Gold. Das stimmt. Aber mein Hase, das gilt auch für Dich! Du kannst es nicht ertragen, wenn es irgendwo Streit gibt, Du möchtest immer, dass alle sich vertragen und gut miteinander sind. Du schlichtest gern und Du reagierst selbst dann gelassen, wenn Dein Bruder aufdreht in seinem Zorn und Worte sagt, von denen ich nicht glaube, dass er sie wirklich ernst meint. Zumindest bleibst Du äußerlich gelassen und wenn ich dann sage "Ich sprech später mal mit ihm", lächelst du und sagst "Alles gut."
Und kaum eine Woche später schickst Du mir ein Foto, wo Dein Bruder neben Dir ratzt, nachdem Ihr bis morgens Horrorfilme geschaut habt. Zumindest sagte Dein Bruder das auf meine Frage, ob Ihr wirklich bis morgens gezockt habt :)
An Dir liebe ich wirklich unendlich, dass Du so in Dir ruhst, dass Du sehr wohl darauf bedacht bist, dass es den Menschen um Dich herum gut geht, Du aber auch darauf achtest, dass es DIR gut geht.
Ich vergesse nie den Sonntagmorgen vor einigen Jahren, als wir Drei am Frühstückstisch saßen. Worum es ging, weiß ich nicht mehr, aber ich erinner mich an Deine Worte, als wäre es gestern gewesen: "[Der Bruder] und du, ihr seid total gleich. Ihr denkt immer erst an die anderen und dann an euch. Der Vater und ich sind da ganz anders. Wir denken zuerst an uns."
Das stimmt vermutlich - und wir waren uns alle lange einig, dass Du nicht nur optisch nach Deinem Vater kommst, sondern auch dem Wesen nach. Inzwischen aber kann ich Dir eines sagen: Nein, dem Wesen nach kommst Du nicht nach ihm. Du bist Dein eigenes Wesen. Ein Mix aus beiden, aber immer noch Du selbst, und es ist genau richtig und gut so. Du achtest auf Dich, aber Du hast ein fröhliches, liebevolles Wesen, auch wenn Du gerne piesacken kannst.
Weißt Du noch, wie ich mir vor Jahren mal morgens die Zähne im Bad putzte, über das Waschbecken gebeugt? Du kamst dazu, legtest mir Deine Hand auf meinen nun wirklich klitzekleinen Bauch (harhar) und sagtest: "Na was hamwa denn da?"
Skorpion eben ;) Ehrlich, auch wenns weh tut :D

Eigentlich wollte ich anlässlich Deines Geburtstagsposts das Video von Dir und mir reinstellen. Du warst damals 6, hattest eine Maltafel geschenkt bekommen und warst im Dino-Fieber. Die mehrfach aufgemalten musstest Du mir unbedingt am Abendbrottisch zeigen, aber ich bestand darauf, dass Du die Tafel zur Seite legst und erstmal isst, bevor alles kalt wird. Ich duldete keine Widerworte, kein "aber guck mal" oder "nur noch das hier", ich sagte "Leg sie weg, sonst mach ich es!"
Wir haben uns so köstlich amüsiert beim Anschauen des Videos vor nunmehr 18 Jahren - und wie Du nach einer wütenden Antwort gesucht hast, damit Du mir irgendwas vor die Füße schleudern konntest, das zwar zünden, aber mich nicht wirklich verletzen sollte.
"Du bist so gemein!... du... du... Hammerhai!" hast Du damals ausgerufen - daraufhin musste erst ich lachen, dann hast Du mitgelacht und alles war wieder gut zwischen uns.
Ich bekam das Video aber nicht geschnitten, nicht so, wie ich es brauchte. Vielleicht gelingt es mir ja noch, denn das müssen wir uns wirklich bewahren :)

Und auch das liebe ich so an Dir. Dass Du einem nichts nachträgst. Dass Du Dich streiten und gleich wieder vertragen kannst. Dass Du eine Meinung hast, zu der Du stehst und die Du auch verteidigen kannst. Dass Du Deine Familie so liebst und Dir immer wichtig ist, dass es uns allen gut geht. Dass Du immer argwöhnst, ob es auch mir wirklich gut geht, vor allem gesundheitlich, und Du darauf bestehst, alles wissen zu wollen. Du aber gleichzeitig den Gedanken nicht ertragen kannst, dass es mal anders sein könnte. Als ich Dir vor einem Jahr einen Zettel gab mit all meinen Daten für Konten etc., da sagtest Du "Ich darf da gar nicht dran denken, ich will das gar nicht."
Natürlich werde ich 104 Jahre alt, was denn sonst? :)
An Dir liebe ich auch, dass Du nie große Worte machst, aber sehr wohl siehst und schätzt, was Du bekommst und wer Dir etwas ermöglicht. Dass Du dankbar bist. Dass Du mich auch heute noch in die Arme nimmst zur Begrüßung - oder auch einfach nur mal so. Dass Du im Streit zwar gerne deeskalierend auftrittst, aber auch nicht davor scheust, offene Worte an Dein Gegenüber zu richten. Auch dann, wenn es bedeutet, den anderen danach ein paar Monate nicht mehr zu sehen.
Du hast ein sehr gutes Rechts- bzw. Gerechtigkeitsempfinden und stehst so lange dazu, wie Du daran glaubst oder bis man Dir das Gegenteil beweist. Darin sind wir beide uns ultra ähnlich.

Ich bin sehr froh, sehr stolz und sehr dankbar, dass es Dich gibt, was Du aus Dir gemacht hast - und wenn ich sehe, wie gerade und aufrecht Du auf der Straße gehst, dann denke ich: "Dieser gerade, aufrechte Gang, der steht genau dafür, wie du dich fühlst und wie es dir geht."
Das ist das beste Gefühl, das eine Mama haben kann.
Dafür danke ich Dir.

Alles, alles Liebe zu Deinem Geburtstag, mein Schmunzelhase.
Und hey, vergiss nicht: Wir werden niemals älter - wir sammeln nur Erfahrungen. In unserem Herzen bleiben wir aber immer jung. Immer. Das verspreche ich Dir! :*