Mittwoch, 6. November 2019

24

Ja mein Schmunzelhase, nun ist es wieder soweit. Ein Jahr weiter, ein Jahr älter, ob Du nun magst oder nicht :) Als ich so alt war wie Du, warst Du noch gar nicht auf der Welt, dafür hatte ich mit Deinem Bruder schon gut zu tun. Ein Schreikind, drei ganze lange Jahre jede Nacht, wofür es nie eine Erklärung gab. Genauso wenig dafür, dass es von einer Nacht zur nächsten einfach aufhörte, unmittelbar vor seinem 3. Geburtstag.
Man vergisst so schnell und das war auch gut so - denn Du warst mein ausgesprochenes Wunschkind. Ich weiß noch genau, was ich dachte, als ich Dich das allererste Mal sah: "Der hat ja einen kleinen Entenschnabel!" :) Diese Schnute konntest Du auch als Kleinkind immer noch gut und keiner, wirklich keiner konnte Dir widerstehen. Du hast uns alle um Deine kleinen Finger gewickelt, sogar Deinen großen Bruder. Der kam in das Klinikzimmer gestürmt, noch in Winterjacke und Mütze, sah Dich in dem kleinen Glasbettchen an meinem Bett und flehte: "Den nehmen wir mit nach Hause! Versprich mir, dass wir den mit nach Hause nehmen!"
"Natürlich!" hatte ich mich gewundert. "Wo sollen wir ihn denn sonst lassen?"
Ob er das später vielleicht nicht doch mal bereut hat, kann man nur vermuten, denn fast sechs Jahre lang hatte sich alles nur um ihn gedreht und nun musste er Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung mit Dir teilen. Was er aber immer gerne mit Dir geteilt hat und auch freiwillig, das war das Spielzeug. Ihr habt es in Nullkommanichts geschafft, ein derartiges Chaos im Zimmer zu veranstalten, dass man nirgendwo mehr auftreten konnte, ohne Schaden zu nehmen oder Schaden anzurichten.
Alles, das Ihr nicht zum Spielen hattet, habt Ihr Euch aufgemalt und ausgeschnitten und dann damit gespielt. Was habe ich oft geflucht über die gefühlt tausend Schnipselchen. Vorzugsweise irgendwelche Panzer und TNT-Boxen.
Nie niemals werde ich vergessen, wie Dein Opa kurz vor Deinem 4. Geburtstag mit Dir Mittagsschlaf machen wollte. Irgendwann kam er aus dem Schlafzimmer, jappste vor Lachen und winkte ab: "Kümmer du dich, dass der schläft, ich kann nicht mehr!"
Er hatte Dich müde quatschen wollen - und Dich gefragt, was Du Dir zum Geburtstag wünscht.
"Opa, ich will ein Messer haben."
"Ach Quatsch, min Jung, was willst du mitm Messer, du schneidst dir nur in die Finger."
"Okay, dann will ich eine Pistole haben."
"Ach was willst du mit ner Pistole, da tust du dir noch selber weh."
"Opa, also wenn ich kein Messer und keine Pistole kriege, dann will ich eine Bombe haben!"

"Gib ihm noch ein paar Jahre", hatte der Opa damals prophezeit. "Auf den müsst Ihr aufpassen!"

Aber über die Jahre mit Dir kann ich wirklich gar nichts Schlechtes sagen. Du warst von Anfang an ein Sonnenkind, Du hast viel und gerne gelacht, immer gut geschlafen und gegessen, mit Dir wurde vieles einfacher, obwohl Ihr nun zwei Kinder wart. Der Große war immer auf Dich fixiert, kaum etwas ging ohne Dich, und manchmal hat er Dir abends vorgelesen statt ich Euch.
Manchmal hat er Dich sogar geduscht, weil ich noch damit beschäftigt war, eine neu gekaufte Kommode für Euer Zimmer zusammenschrauben. Und Du hast herumgealbert und rumgedallert und Dein Bruder hat wütend den Zeigefinger gehoben: "Und das eine sag ich dir, das mach ich nicht für dich, das mach ich nur für die Mutti!"

Hach, es gibt so viele Momente, an die ich so gerne zurückdenke und über die wir heute noch lachen können. Mit diesen Momenten möchte ich die Erinnerung an andere Zeiten überdecken, die nicht gut waren, die nicht schön waren, vor allem nicht für Euch. Wenn Eltern sich trennen, ist es am allerschlimmsten für die Kinder, und das ist es vor allem dann, wenn die Eltern sich nicht im Guten trennen. Ich habe die Entscheidung nicht bereut und ich würde sie auch immer wieder so treffen - aber ich würde heute vieles ganz anders machen. Um Euch beide viel besser hätte schützen zu können. Dich, vor allem aber auch Deinen Bruder. Dass ich das nicht konnte, ist bis heute mein allergrößter Schmerz.
Wenn ich bis heute darum bemüht bin, dass es Euch gut geht, dann werde ich schon hin und wieder gefragt "Machst du das, um das Früher zu kompensieren?"
Nein, kann ich darauf ganz sicher antworten. Ich mache nichts, um ein Früher zu kompensieren. Mein Credo war immer ein liberales Erziehungsprinzip - auch wenn ich früher vermutlich viel autoritärer aufgetreten bin als heute. Aber was mir damals wie heute wichtig war und ist, ist Euer Glück. Dass Ihr Euren Weg findet, mit dem Ihr leben könnt und der Euch glücklich macht.
Als Du entschieden hast, Erzieher zu werden, fand ich das richtig toll. Als Du aber unmittelbar nach Beginn der Ausbildung feststelltest, dass es doch nicht der richtige Weg ist für Dich, da sagte ich zu Dir: "Wenn du es wirklich willst und nicht bummelst, wenn du alles für diesen Weg tun willst, dann werde ich dich auch unterstützen, mit allem, wie ich es kann."
Du hast Wort gehalten - und ich habe Wort gehalten.
Glaub mir, es ist mir wahnsinnig schwer gefallen, Dich schon mit 18 in unserer Wohnung zurückzulassen und so weit fortzugehen. Du hast Dich nie beklagt, Du hast es immer verstanden und diese Entscheidung immer mitgetragen. Aber ich wusste auch immer, dass Du mich gerne noch etwas länger bei Dir gehabt hättest, wenigstens in der Nähe - und glaub mir, das ging mir ganz genauso. Im Grunde geht mir das bis heute so. Es ist etwas Wundervolles, Eure Entwicklung zu sehen, mitzuerleben, wie Ihr erwachsen geworden seid, welche wunderbaren Menschen aus Euch beiden geworden sind. Von Deinem Bruder sagst Du immer, er hätte ein Herz aus Gold. Das stimmt. Aber mein Hase, das gilt auch für Dich! Du kannst es nicht ertragen, wenn es irgendwo Streit gibt, Du möchtest immer, dass alle sich vertragen und gut miteinander sind. Du schlichtest gern und Du reagierst selbst dann gelassen, wenn Dein Bruder aufdreht in seinem Zorn und Worte sagt, von denen ich nicht glaube, dass er sie wirklich ernst meint. Zumindest bleibst Du äußerlich gelassen und wenn ich dann sage "Ich sprech später mal mit ihm", lächelst du und sagst "Alles gut."
Und kaum eine Woche später schickst Du mir ein Foto, wo Dein Bruder neben Dir ratzt, nachdem Ihr bis morgens Horrorfilme geschaut habt. Zumindest sagte Dein Bruder das auf meine Frage, ob Ihr wirklich bis morgens gezockt habt :)
An Dir liebe ich wirklich unendlich, dass Du so in Dir ruhst, dass Du sehr wohl darauf bedacht bist, dass es den Menschen um Dich herum gut geht, Du aber auch darauf achtest, dass es DIR gut geht.
Ich vergesse nie den Sonntagmorgen vor einigen Jahren, als wir Drei am Frühstückstisch saßen. Worum es ging, weiß ich nicht mehr, aber ich erinner mich an Deine Worte, als wäre es gestern gewesen: "[Der Bruder] und du, ihr seid total gleich. Ihr denkt immer erst an die anderen und dann an euch. Der Vater und ich sind da ganz anders. Wir denken zuerst an uns."
Das stimmt vermutlich - und wir waren uns alle lange einig, dass Du nicht nur optisch nach Deinem Vater kommst, sondern auch dem Wesen nach. Inzwischen aber kann ich Dir eines sagen: Nein, dem Wesen nach kommst Du nicht nach ihm. Du bist Dein eigenes Wesen. Ein Mix aus beiden, aber immer noch Du selbst, und es ist genau richtig und gut so. Du achtest auf Dich, aber Du hast ein fröhliches, liebevolles Wesen, auch wenn Du gerne piesacken kannst.
Weißt Du noch, wie ich mir vor Jahren mal morgens die Zähne im Bad putzte, über das Waschbecken gebeugt? Du kamst dazu, legtest mir Deine Hand auf meinen nun wirklich klitzekleinen Bauch (harhar) und sagtest: "Na was hamwa denn da?"
Skorpion eben ;) Ehrlich, auch wenns weh tut :D

Eigentlich wollte ich anlässlich Deines Geburtstagsposts das Video von Dir und mir reinstellen. Du warst damals 6, hattest eine Maltafel geschenkt bekommen und warst im Dino-Fieber. Die mehrfach aufgemalten musstest Du mir unbedingt am Abendbrottisch zeigen, aber ich bestand darauf, dass Du die Tafel zur Seite legst und erstmal isst, bevor alles kalt wird. Ich duldete keine Widerworte, kein "aber guck mal" oder "nur noch das hier", ich sagte "Leg sie weg, sonst mach ich es!"
Wir haben uns so köstlich amüsiert beim Anschauen des Videos vor nunmehr 18 Jahren - und wie Du nach einer wütenden Antwort gesucht hast, damit Du mir irgendwas vor die Füße schleudern konntest, das zwar zünden, aber mich nicht wirklich verletzen sollte.
"Du bist so gemein!... du... du... Hammerhai!" hast Du damals ausgerufen - daraufhin musste erst ich lachen, dann hast Du mitgelacht und alles war wieder gut zwischen uns.
Ich bekam das Video aber nicht geschnitten, nicht so, wie ich es brauchte. Vielleicht gelingt es mir ja noch, denn das müssen wir uns wirklich bewahren :)

Und auch das liebe ich so an Dir. Dass Du einem nichts nachträgst. Dass Du Dich streiten und gleich wieder vertragen kannst. Dass Du eine Meinung hast, zu der Du stehst und die Du auch verteidigen kannst. Dass Du Deine Familie so liebst und Dir immer wichtig ist, dass es uns allen gut geht. Dass Du immer argwöhnst, ob es auch mir wirklich gut geht, vor allem gesundheitlich, und Du darauf bestehst, alles wissen zu wollen. Du aber gleichzeitig den Gedanken nicht ertragen kannst, dass es mal anders sein könnte. Als ich Dir vor einem Jahr einen Zettel gab mit all meinen Daten für Konten etc., da sagtest Du "Ich darf da gar nicht dran denken, ich will das gar nicht."
Natürlich werde ich 104 Jahre alt, was denn sonst? :)
An Dir liebe ich auch, dass Du nie große Worte machst, aber sehr wohl siehst und schätzt, was Du bekommst und wer Dir etwas ermöglicht. Dass Du dankbar bist. Dass Du mich auch heute noch in die Arme nimmst zur Begrüßung - oder auch einfach nur mal so. Dass Du im Streit zwar gerne deeskalierend auftrittst, aber auch nicht davor scheust, offene Worte an Dein Gegenüber zu richten. Auch dann, wenn es bedeutet, den anderen danach ein paar Monate nicht mehr zu sehen.
Du hast ein sehr gutes Rechts- bzw. Gerechtigkeitsempfinden und stehst so lange dazu, wie Du daran glaubst oder bis man Dir das Gegenteil beweist. Darin sind wir beide uns ultra ähnlich.

Ich bin sehr froh, sehr stolz und sehr dankbar, dass es Dich gibt, was Du aus Dir gemacht hast - und wenn ich sehe, wie gerade und aufrecht Du auf der Straße gehst, dann denke ich: "Dieser gerade, aufrechte Gang, der steht genau dafür, wie du dich fühlst und wie es dir geht."
Das ist das beste Gefühl, das eine Mama haben kann.
Dafür danke ich Dir.

Alles, alles Liebe zu Deinem Geburtstag, mein Schmunzelhase.
Und hey, vergiss nicht: Wir werden niemals älter - wir sammeln nur Erfahrungen. In unserem Herzen bleiben wir aber immer jung. Immer. Das verspreche ich Dir! :*

6 Kommentare:

Grit hat gesagt…

Hallo Helma,
danke für das Teilen dieser wunderschönen, berührenden Zeilen einer liebenden, umsorgenden Mutti.
Muß mir erstmal die Tränchen aus dem Gesicht wischen. Dem Geburtstagskind wünsche ich alles Gute, vorallem Glück und Gesundheit.
Herzliche Grüße, Grit.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Es ist so wunder- wunderschön zu lesen. Es ist ja nicht das erste Jahr, dass du uns an den Geburtstagswünschen für deine Söhne teilhaben lässt.
Dein Sohn druckt sie sich hoffentlich aus und hebt sie für die Zeit auf, dass du doch die 104 Jahre nicht geschafft hast. Dann hat er was, was ihn an dich und deine Liebe erinnert.
Ich bin übrigens jetzt seit 3 Wochen krank - und nicht so ein bisschen pillepalle, sondern RICHTIG. Das ist kein "Job" für mich.
Herzlichst Clara

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich danke Euch beiden wirklich von Herzen, und inzwischen hat der Junge alles gelesen - meine Worte und Eure Worte :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, ich melde mich nachher noch mal über whatsapp. Das hatte ich mir schon vor ein paar Tagen vorgenommen, als ich Deinen letzten Post las. Aber dann lag ich selber lang und dann die Reise nach L.. Es gab einfach viel zu tun - aber gedacht habe ich an Dich!! :*

Gretel hat gesagt…

Wie immer einfach nur schön. Möge es ein gutes neues Jahr werden...

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich danke Dir Gretel, ich danke Dir sehr! Ich hoffe es auch :)