Dienstag, 30. Juli 2019

Where were my mind?



Dem Home Office wird ja zu gerne unterstellt, dass man hier alles mögliche ist - nur nicht produktiv. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich genauso gedacht. Und mir selber nie im Leben die Disziplin attestiert, von morgens bis abends durchweg arbeiten zu können, auch dann, wenn niemand hinschaut. Aber doch - ich kann!
Und wenn Ihr mich fragt.. Ich liebe ihn - diesen Wechsel aus Zuhause und Office. Teils kann ich völlig konzentriert und zugleich entspannt all meine to do's abarbeiten, teils kann ich mich unter die Kollegen mischen, meine Söhne versorgen - und froh sein, wenn ich wieder nach Hause fahre und meine Ruhe hab.

Diese Woche ist so eine Home Office-Woche, die es in sich hat. Sie begann bereits gestern mit einem Zehnstunden-Tag (Wo der Mann immer mit den Zähnen knirscht, weil ich ja eigentlich keinen Vollzeitvertrag habe. Tja. Er trägt wohl nicht umsonst dann und wann eine Beißschiene. "Küss mich, mein Plastezähnchen", hab ich letzte Nacht zu ihm gesagt. Fand er nicht witzig. Ich schon! :))
Der heutige Morgen begann nicht weniger arbeitsreich: Viele verschiedene Themen auf meinem Tisch - und am liebsten alle zeitgleich fertigstellen.
Vor ein paar Jahren, in meinem Singleleben, da verging kein Abend, an dem ich nicht zeitgleich surfte, mit mehreren Leuten zeitgleich chattete, Nachrichten las und nebenbei auch noch TV-Sendungen schaute. Virtuosität ist dem Zwillinge-Menschen ja auch naturgegeben ;)

Insofern.. hatte ich auch kein Problem damit, dass auf meinem Bildschirm heute Morgen verschiedene Fenster nebeneinanderlagen: Arbeitsvertrag, Arbeitszeugnis, Zahlenlisten für Vergleiche (ich lieebe Excel!), Buchhaltungsprogramm und das Protokoll einer letzten Besprechung.
Mittendrin Anrufe von Mitarbeitern und natürlich dem Chef.
Mein Diensthandy meldet mich offline übrigens, wenn ich ein Gespräch führe, so dass der Anrufer denkt: "Ey, die Olle hat wohl frei?" Ich habe vielleicht eine etwas stärkere Lesebrille als noch vor vier Jahren, aber ich hör schon immer noch, wenns anklopft. Und rufe dann auch brav jeden zurück - wenn ich Zeit und Muße habe.

"Du siehst wohl, wenn ich dich anrufe, auch wenn dein Handy dich offline meldet?" fragt heute die Kollegin.
"Ja", antworte ich nachdenklich, während ich konzentriert die verschiedenen Fenster mustere und die nächsten Schritte überlege, "ich seh das immer am Hosenschlitz."
Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung, wo ich da grad mit meinen Gedanken war, ich hatte auch nichts Privates nebenbei gesagt, gedacht, getan, geschrieben.
Aber wir haben beide so herzhaft gelacht, bis uns die Tränen kamen :)

Mittwoch, 17. Juli 2019

Von Kopf bis Fuß

"Das würde ich nicht mitmachen, ich würde drauf bestehen, dass es dieselbe bleibt", hatte meine Freundin letztens angemerkt, als ich erwähnte, dass ich nach vier Physio-Behandlungen bereits die dritte Therapeutin präsentiert bekam.
Sicherlich ist es so: Je mehr Leute man fragt, desto mehr Antworten bekommt man - und dann ist man nicht selten weniger schlauer als zuvor, weil man nicht weiß, was man glauben soll. In meinem speziellen Fall weiß das ja aber eh niemand - und ich persönlich fand diesen häufigen Wechsel eher positiv: Ich erhielt mehr Denkanstöße. Eigentlich weniger für mich, mehr für die behandelnden Ärzte, aber letztlich bedeutet es auch für mich, dass ich aktiv etwas angehen kann.
Die erste sprach vom Entfernen meines zweiten Hirns (ich fürchte da eine Gehaltsreduzierung aufgrund nachlassender Hirnleistung ;)), die zweite hat mein Herz im Verdacht und die dritte stellte just mit der 5. Behandlung fest: "Ihre Füße finde ich wirklich äußerst spannend." Öhm....

Als sie mich begrüßte und nachfragte, wie ich mich fühle, erklärte ich matt: "Ich glaub, heut ist nicht so mein Tag." Woraufhin sie sich nicht, wie geplant, mit der Wirbelsäule, sondern den Fußsohlen und hier konkret mit den Reflexzonen befasste. Was soll ich sagen.. Ich lag da zwar komplett entspannt, aber nutzlos auf der Liege, jedoch die Watte in meinem Kopf verschwand fast schlagartig. Ein Effekt, den ich ja, wenn auch nicht gar so deutlich, mit den Spritzen in meinen Kopf empfunden hatte.
"Wie kann ich das am effektivsten zu Hause machen?" fragte ich.
"Mit einem kleinen Ball in Tischtennisballgröße. Er sollte glatt sein, ohne Noppen, aber hart."
Äh... Ja gut. Nach ein bisschen Gekicher und so hab ich dann meine Unterschrift geleistet, schritt schwungvoll zur U-Bahn und durchforstete daheim das Internet. Es ist gar nicht mal so leicht, einen medizinisch wertvollen Ball zu bekommen, der weniger als 6 Zentimeter misst.
"Dann nimm doch die mit 6 Zentimetern", sagte der Mann.
"Nää! Die sind zu groß für meine Füße. Ich muss damit richtig in die Tiefe können."
Grinsen.
"Sonst guck doch mal nach Flummis", empfahl der Mann, "hart sind die auch."
"Hm. Stimmt. Aber dann muss ich mindestens 20 Stück kaufen. In allen möglichen Farben. Sogar mit Gesicht. Aber was soll ich mit zwanzig Flummis?"
Er hat dann seinen Noppenball rausgekramt und probiert.
"Geht doch super!"
"Hallo? Meine Füße sind doch viel zarter als deine."
Er hat dann noch ein bisschen weiter herumgekramt und diesen schwarzen Ball gefunden.
"Nicht ganz so hart, aber effektiv."
Gekicher.
"Darfst halt nicht so doll drauftreten."

"Jeden Tag eine Minute je Fuß", hat die Therapeutin gesagt.
Natürlich habe ich es übertrieben und am ersten Tag gleich mal fünfzehn Minuten draus gemacht. Weils einfach so super ging. Die Quittung kam dann gleich am Tag drauf.
"Ist das normal, dass das so schmerzt, so dass ich am liebsten an die Decke springen wollte?" beklagte ich mich beim Mann, der sich nach Yoga und Joggen gerne und oft auf irgend so einer komischen Rolle wälzt.
"Na klar ist das normal", nickte er ungerührt. "Parole: Durchhalten!"
Gestern habe ich mich auf die eine Minute beschränkt, die mir wie eine Ewigkeit vorkam. Heute bin ich nur um den Ball rumgeschlichen, rangewagt habsch mich noch nicht. Ich muss aber und ich werde auch. Ich will ja weiterkommen. Und es wäre interessant zu entdecken, ob es damit besser wird und ich auf diese unseligen Spritzen verzichten kann, die inzwischen punktuell auf der Wirbelsäule aufgebracht werden. Ich habe mir dann auch im Internet so ne Übersicht zu den Fußreflexzonen rausgesucht und abgespeichert.
"Ball an Magen! Ball an Herz! Ball an Schilddrüse. Iiieeh, das knackt aber komisch! Ball an Dickdarm! Aua scheiße, das tut ja richtig weh!"
Diese ganze Aktion gestern und vorgestern war schmerzhaft, aber lustig.

"Alles hängt miteinander zusammen", hatte die Thera erklärt. "Der ganze Körper ist miteinander verbunden. Das wird nur gerne vergessen."

Dienstag, 16. Juli 2019

...und der Abend ist gekommen wie ein großes sanftes Tier



Der Mann sammelt Vinyls, schon seit er Kind war. Die Scheiben aus seiner Jugend hat er irgendwann als Twen verkauft, als er Geld fürs Moped brauchte. Das bedauert er heute noch. Und als ich mir vor einiger Zeit die Mühe machte, seinen Bestand durchzugucken, was er alles so hat (beziehungsweise nicht hat), stellte ich verwundert fest, dass er alles mögliche besitzt - aber keine Scheibe aus jener Zeit.
Das habe ich zum Anlass genommen, selbst in diese Welt einzutauchen und ihm eine Originalscheibe zum Geburtstag zu schenken.
"Was hast du denn dafür bezahlt?" hat er ganz verwundert heute Nacht, kurz nach Mitternacht gefragt und ich hab gegrinst: "Geld!"
"Oh Gott, du hast bestimmt zuviel bezahlt!"
"Leg sie doch mal auf."

Ich will diese Zeit damals gar nicht verklären. Ich kenne einige, die sich nicht gerne erinnern. Und die froh sind, dass es die DDR nicht mehr gibt. Nach allem, was ich irgendwann später las, sah und erfuhr, sehe ich es zumindest so, dass es gut ist, dass es diese Diktatur nicht mehr gibt.
Aber wir lagen bis heute morgen irgendwas nach zwei Uhr auf dem Sofa und tauchten beim immer und immer wieder hören dieser LP von Electra in Erinnerungen ein.
Meine frühen Erinnerungen an die Ferien bei der Oma auf dem Land. Wo ich Frösche fing und wieder freiließ. Wo ich in den Bäumen herumkletterte und Eierpflaumen pflückte. Wo ich Kartoffelkäfer in einen Blecheimer sammelte. Wo ich zwischen den Großeltern schlief, weil ich zu groß für das Gitterbett, aber noch zu klein (und zu ängstlich) für das Sofa im dunklen Wohnzimmer war. Wie meine Oma ihre Zinkwanne auf den Küchentisch stellte und mich hineinsetzte. Ich auf meine Beine sah und partout nicht auf das Wort "Härchen" kam und sagte: "Oma, jetzt werden meine Federn ganz nass!" Wie in jedem ihrer Pakete, die sie von Besuchen bei ihrer Schwester im Westen schickte, immer Kaugummis drin waren, die ich in die Hand nahm, die Straße vor unserem Haus hinunterlief, mich dort in den Sand setzte und einen nach dem anderen auswickelte, kaute, ausspuckte, sobald sich der Zuckergeschmack verlor, und die Bildchen sammelte. Diese Fix und Foxi-Tattoos so lange stolz auf dem Arm spazieren trug, bis der wirklich aller-allerletzte Rest beim Baden vom Arm gekratzt werden musste. Wie meine Mama am Küchentisch saß, den Kopf in die Hände gestützt, und der Papa kam von der Arbeit, sah sie da so sitzen und fragte nur noch: "Wer ist es diesmal?" Was völlig egal war, denn war einer krank geworden, wurden es unmittelbar danach die anderen beiden eh. Für meine Eltern hieß es damals nur: Noch weniger Geld, denn bezahlte Freistellung im Krankheitsfall kam erst, als sie es nicht mehr brauchten.
Wie die Mama mir und meinem jüngeren Bruder ein Zuckerei aufschlug, die Stühle auf den Küchentisch stapelte und uns hineinsetzte, während sie den Küchenboden wischte - und wir da oben längst wieder raus wollten, obwohl der Boden noch nicht wieder trocken war. Den Geruch nach Bohnerwachs habe ich bis heute in der Nase - und mag ihn immer noch nicht :)

"Wir sollten schlafen gehen", hat der Mann so gegen zwei Uhr gesagt - und eigentlich war ich so hellwach, dass ich noch viel länger hätte Erinnerungen auskramen oder mir seine anschauen wollen. Aber ich hatte erst am Montag die Nacht zum Tage gemacht und hatte erst irgendwas nach drei Uhr mit eiskalten Beinen ins Bettchen gefunden. Da siegte jetzt einfach die Vernunft.
Heute Morgen gegen 8 Uhr 30 weckte mich dann der Piepston der Kollegin, die mir schrieb, ich möge doch mal den Chef zurückrufen, der sei schon ganz wuschig.
Das ist das Schöne am Home Office: Du wirst wach, springst aus dem Bett und bist innerhalb von 3 Sekunden erstmal am Arbeitsplatz. WIE das aussieht, interessiert ja hier keinen :)

...



Alles Liebe zum Geburtstag..

Donnerstag, 11. Juli 2019

Kategorie Fundstücke: Der ultimative Liebestest

Bildquelle: https://www.facebook.com/IKEAdeutschland/photos/a.300863286695051/2006771409437555/?type=3&theater

[Ist das jetzt Werbung, die als solche gekennzeichnet werden muss? Wat weet ick denn!]

Muhaha!
Grad so hat er's noch in die Kategorie "Der Eine" geschafft. Nur über 2. und 4. müssten wir noch mal reden. Müssten. Denn eigentlich können wirs auch lassen - wieso immer reden? ;)
Auch als Frau rede ich nicht gerne viel und schon gar nicht ohne Punkt und Komma. Es sei denn, ich bin wild und aufgebracht, aber DAS ist eine Ausnahmeverfassung, die zählt nicht.
Nur das mit dem Ring vergesst mal. Ich hab ihm angeboten, sich Zahngold draus zu machen. Obwohl... Wär n bisschen viel Gold für so n Zahn. Nicht dass er dann so hier nach Hause kommt. Örks. Dann vielleicht doch lieber n paar neue Manschettenknöppe.

Hach ja. IKEA. Ich liebe Euch :)

P. S.: Habe ich jetzt eigentlich Werbung für die gemacht? Ne, oder? Ist gar nicht mehr so einfach in Zeiten wie diesen, frei von der Leber weg zu bloggen!

Dienstag, 9. Juli 2019

Der äußere Schein


Nachdem ich meine Freundin endlich überreden konnte, sich ins Bettchen zu legen (als junge Mama braucht man schließlich seinen Schlaf, kenn ich alles noch, hab nix aus dieser Zeit vergessen ;)), da beendete ich den Chat mit ihr, nur um gleichzeitig den Power-Knopf an meinem Laptop auf On zu drücken. Ich weiß, dass ich nicht schlafen kann, wenn ich jetzt die Gedanken nicht herauslasse. Wahrscheinlich wird sie das morgen lesen und sagen "Scheiße, das wolltsch vlei ma wirklich nich" - aber hey, is nich Deine Schuld. Doch mit dem heutigen Chat über das Verhalten von Kindern in Grundschulklassen, das aus meiner Sicht bereits an Mobbing grenzt, wenn es das nicht gar schon ist, wurden Erinnerungen in mir wachgerufen. (Außerdem will ich nachher noch Medical Detectives schauen und muss gucken, dass ich wach bleibe ;))

Meine Mama sagt heute manchmal, ich wäre als Kind absolut pflegeleicht gewesen, ich hätte ihnen nie Schwierigkeiten gemacht und ihnen nie Sorgen bereitet. Alles wäre immer glatt verlaufen. Sorgen bereitete ihnen dafür der Große und der Letzte, so mein Empfinden, war der Familienliebling. Der mit dem unschlagbaren Mutterwitz, über den wir heute noch herrlich lachen können.
Und ich? Ich war das Sandwichkind. Ich war.. eben da.
Meine Mama sagt dann heute manchmal, ich hätte als Kind viele Freundinnen gehabt.
Genau genommen stimmt das so rum nicht. Ich hatte keine Freundin, mit der man against all odds zusammen war. Ich war immer mal mit jemandem befreundet, aber ich war auch viel alleine. Klassenfahrten habe ich gehasst, weil mit diesen so offenkundig wurde, dass man eben mit niemandem wirklich verbunden war. Weil man nicht im geschützten Zuhause war - und allein war. Es gab auch Zeiten, da war ich mit, ich war dabei, geduldet, aber unbeachtet. Wie man sich eben oft auch als Sandwichkind fühlt.
"Oh je", schreibt meine Freundin, "hat Dich das geschädigt?"
Ich muss nicht wirklich darüber nachdenken.
"Ja das waren keine schönen Jahre. Ich bin bis heute unsicher mit mir selbst. Nicht mehr so schlimm wie früher, aber es ist auch heute immer noch einfach, mich zu verunsichern."
Ich weiß, dass man mir das nicht zwingend anmerkt. Grad wenn es um andere geht, kann ich mich unglaublich stark machen. Kann ich auch unglaublich stark sein.
Aber wenn es um mich geht?
Ich würde nie, nie im Leben auf die Idee kommen, von mir aus einen Schritt auf einen anderen Menschen zuzugehen, den ich nicht kenne. In der Vergangenheit wurde mir das schon öfter als Arroganz ausgelegt, dabei liegt diese Zurückhaltung lediglich in der Furcht vor Zurückweisung begründet. Im Gegensatz zu anderen möchte ich gar nicht im Mittelpunkt stehen, im Gegenteil. Ich bin eher die, die das Geschehen am Rand betrachtet, Menschen beobachtet und dabei mit einem Strohhalm genüßlich beispielsweise den Hugo aus dem Glas saugt. Aber ich möchte beachtet werden. Nicht nur mit sein.
Menschen interessieren mich, sie faszinieren mich, aber sie erschrecken mich oft auch.
Für mich teilen sie sich nicht in Feind oder Freund, für mich zählt nur, ob ich im anderen einen Gleichklang finde, der meinen ergänzt oder zu mir passt. Heute lege ich keinen Wert mehr darauf, viele Menschen zu kennen, heute lege ich Wert darauf, dass Menschen mit mir sind, die mich sehen. Denen ich nichts beweisen muss. Denen ich genüge mit dem, das mich ausmacht.
"Meine Physiotherapeutin würde dir gefallen", habe ich letztens dem erstaunten Mann erzählt.
"Wie kommst du denn darauf?" hat er gefragt.
"Na.. Die ist Ende zwanzig, glaub ich, sehr sportlich, hat lange braune Haare, große braune Augen und einen Herzmund."
Er hat sich mir entgegengebeugt.
"Willst du mich loswerden?"
"Äh.. Ne?"
"Aber es ist alles in Ordnung? Oder verschweigst du mir was?"
"Äh.. Ne? Es ist alles in Ordnung."
"Gut." Er hat sich beruhigt zurückgelehnt und den Kopf geschüttelt. "Manchmal bist du komisch."
Es liegt sicherlich auch in unserer gemeinsamen Historie begründet, dass ich uns nicht wirklich über den Weg traue. Aber es liegt auch in der nicht gemeinsamen Historie begründet, dass ich mir bis heute nicht zutraue, jemand zu sein, von dem man sagt "Du bist alles, was ich will."
"Du bist aber alles, was ich will", sagt der Mann dann.
Bist du dir da sicher? Auch wenn ich Wandern scheiße finde und Berge kein Herzklopfen in mir auslösen? Auch wenn ich mich jedes Jahr neu weigere, deinen Oldtimer zu fahren, auch wenn du sagst "Du musst es lernen! Wenn wir damit in Italien sind und mir was passiert, musst du es können." 
"Nö. Dann rufe ich jemanden an, der das kann."
Auch wenn bei uns du am Wochenende Frühstück machst, weil Ausschlafen bei mir nicht sieben Uhr fuffzehn bedeutet? Auch wenn du manchmal zweifelst, wer hier wen überlebt und du aber der erste sein willst, der geht, weil er es andersrum nicht ertragen könnte? Auch wenn ich oft unbekümmert Bauch-Entscheidungen treffe, die dich in den Wahnsinn treiben, weil du selbst alles ja ganz anders machen würdest? Auch wenn es dich grämt, dass ich nicht mit dir jogge, sondern mich lieber in der Badewanne aale? 
"Auch dann!"
Dann lächel ich.
Und für einen Moment lang glaube ich ihm.

Hab grad gesehen: Medical Detectives startet heut um 0:55. Ja ne. Das ist ja noch ne Stunde hin. N Käffchen könnt ich jetzt noch vertragen, aber noch ne Stunde warten.. Ich glaub nicht.

Montag, 8. Juli 2019

Sometime Around Midnight


Mir passiert das tatsächlich selten, aber auch bei mir gibt es Tage, wo ich gefühlt am Boden klebe, dem Gefühl unterliege, nicht recht vorwärtszukommen. Und es mir irgendwie die Stimmung "verklebt", ich nur äußerlich den Mund verziehe - und alle denken, ich lache.
Es ging mir nicht so gut in den letzten Tagen und anfangs konnte ich nicht mal wirklich begründen, was mir da auf der Seele lag. Mir war nicht ganz klar, warum ich dem Gefühl nach so am Boden herumkrebste. Woher dieses Gefühl kam, grad nicht in mir zu ruhen.

Und dann, im Dialog mit der einen und anderen Freundin, wurde es mir bewusst. In Vorbereitung auf einen morgigen Termin hatte ich Dokumente herauszusuchen. Befunde zu kopieren, MRT-Aufnahmen bereitzulegen. Und in all dem Blättern längst vergangener Termine, dem Nachlesen des Unwillens anderer, der Ungnädigkeit und Gleichgültigkeit anderer und dem eigenen Status Quo, nach dem es mir zwar deutlich besser geht, aber eben noch nicht alles wieder wie vormals ist, da übermannte es mich: Dieses Gefühl, dieser Unwillen, diese Ungnädigkeit und diese Gleichgültigkeit anderer wären vielleicht doch die richtige Antwort auf ein scheinbar aussichtsloses Ziel gewesen. Die Hoffnung, der Aufwand, die Kosten - umsonst. Oder doch nicht?

"Fazit: Weiterhin optimistisch bleiben, auch wenn's verdammt schwer fällt, und weiter kämpfen."

Diese heutigen Worte einer Kommentatorin kamen heute irgendwie im richtigen Moment. Sie fingen mich auf am Abend, sie begleiteten mich, während der Mann zum Yoga ging und ich mich in der Musik vergrub. Sie begleiteten mich, während ich einer Freundin antwortete, ihr wiederum Mut machte für ganz andere, weitaus elementarere Dinge. Und dann dachte ich: "Mensch, was willst du eigentlich, so schlecht geht es dir doch gar nicht, es wird doch. Und außerdem ist Sommer."
Ich habe mich gefragt, ob es in der Natur des Menschen liegt, dass er nicht mehr mit kleinen Schritten zufrieden sein kann - und ob er immer mehr haben muss? Ob ihm die gereichte Hand nicht mehr genügt und er deshalb gleich Besitz vom ganzen Menschen ergreifen möchte? Aber so bin ich doch gar nicht?
Und je später der Abend wurde, je mehr er sich der Mitternacht zuneigte, je kühler und klarer die Nacht wurde, desto klarer wurde mir, dass ich noch immer nicht immer zuviel möchte. Sondern dass mich im Blättern und Lesen die leise Furcht überkam, all die Unwilligen, die Ungnädigen und die Gleichgültigen könnten letztendlich Recht behalten - und mir würde es nie mehr wirklich gut gehen.

Wenn ich aber vierzehn Jahre lang nicht aufgegeben habe, dann wüsste ich auch nicht, warum ich es jetzt tun sollte.
Und jetzt, jetzt ist mein Stimmungsbarometer auch wieder oben. So war das schon immer bei mir, ein, zwei oder auch drei, maximal vier Tage Seelenpflege, dann habe ich mich selber angekotzt und mich wieder auf die Beine gestellt. So auch heute.
Mein Glas ist immer noch halbvoll, nicht halbleer. Merk dir das, mein Spatzenhirn ;)

Der Termin morgen, der muss übrigens ausfallen. Die ÖPNV streiken und meine Idee, mit dem Auto dort hinzugurken, verwarf der Mann, indem er zu bedenken gab: "Morgen ist die ganze Stadt mit dem Auto unterwegs. Glaub mal nicht, dass du einen Parkplatz bekommst." Recht hat er.

Donnerstag, 4. Juli 2019

Die 11 belanglosen Fragen des Doc S.

Als ich heut beim Doc S. über diese 11 Fragen las (die ich auch kommentierte, aber irgendwas stimmt heut mit Internet-Hasi nicht), schmunzelte ich, weil das 11 Fragen waren, über deren Antwort ich überhaupt nicht nachdenken musste. Deshalb dachte ich... Okay... Nehm ich mal mit ;)

01. Wovor hast Du Dich als Kind am meisten gefürchtet?
Vor der Dunkelheit! Nicht nur, weil ich schon immer eine überbordende Phantasie besaß, in der alles, wirklich alles möglich war. Die Monster unterm Bett - kennt je-der! Wahrscheinlich auch das Gehabe, den Lichtschalter auszuklicken und mit einem Satz von dort aus in sein Bett zu springen. Die Füße in das Ende der Bettdecke zu vergraben, damit jaaa kein Monster nach den nackten Beinen greifen konnte.
Aber.. Wenn man als Grundschüler morgens im Dunkeln auf dem Weg in die Schule einem Mann direkt in die Arme läuft, der mit heruntergelassener Hose an einen Baum gelehnt steht und Dich mitnehmen will, dann ist das etwas, das Dich für immer prägt. Mehr mag ich dazu nicht erzählen.
Der Mann und ich geraten heute manchmal in einen Disput, weil er gerade jetzt bei den angenehmen Nachttemperaturen sämtliche Fenster und Türen (ausgenommen die Wohnungstür) sperrangelweit geöffnet lassen will. Geöffnet ist ja ok - aber doch nicht sperrangelweit?
"Dritter Stock!" kopfschüttelt er. "Da passiert gar nichts!"
Nun jaaaa. Bei Medical Detectives habe ich was ganz anderes gesehen. Vor einigen Jahren in England, da sind etliche Vergewaltigungen und auch Morde von einem einzigen Serientäter begangen worden - und, soweit ich das in Erinnerung hab, lebte kaum ein Opfer im Erdgeschoss.

02. Und jetzt?
Jetzt immer noch am meisten vor der Dunkelheit.

03. Worüber hast Du das letzte Mal aus vollem Halse gelacht?
Erst gestern über meinen Chef, im Trialog mit der Einkäuferin unseres Kunden. Sie gab mir recht in einer Fachfrage und meinte "Siehst du, reicht, wenns die Chefin verstanden hat."
Für vieles gibts die Visa-Karte. Aber SEIN Gesichtsausdruck? Un-be-zahl-bar :)

04. Wenn Du den Rest Deines Lebens nur noch ein Gericht essen dürftest, was wäre das?
Mein spontanes Gefühl streitet grad zwischen Brot und Milchreis mit Apfelmus. Wahrscheinlich Brot. Das macht mehr satt. Zählt das eigentlich als Gericht? Ja, doch. Brotzeit gibts ja nicht umsonst in Bayern.

05. Wenn Du Dein früheres Ich besuchen könntest und ihm einen Rat geben, in welchem Lebensabschnitt würdest Du Dich besuchen und was würdest Du sagen?
Ich würde mich davon abhalten, zu dem Ex-Mann Ja zu sagen und den zum Vater meiner Kinder zu machen. Wir denken immer, unsere größte Verantwortung ist es, unseren Kindern was zu bieten. Und bei fast ausschließlich allen sind damit käufliche Dinge gemeint. Eine schöne Kindheit aber haben wir nicht mit materiellen Dingen und auch nicht damit, dass möglichst jeder Wunsch erfüllt werden muss. Ich meine.. Kindergeburtstage.. Schaut Euch heute mal Kindergeburtstage an. Alles muss immer noch doller, noch größer, noch imposanter werden.
Und wir? Wir haben Eierlaufen gemacht, Sackhüpfen, Detektive gespielt und uns über Preise wie Brausepulvertütchen oder Gummibärchen gefreut.
Ja ich weiß, Zeiten verändern sich und das sollen sie auch. Es muss und es darf nicht alles so bleiben wie es war. Aber die größte Verantwortung, die wir als Frau haben, ist, wen wir uns als Vater unserer Kinder aussuchen. Weil für ein Kind vor allem erst mal eins wichtig ist: bedingungslose Liebe. Das ist das wichtigste Rüstzeug, das wir für die Zukunft mitbekommen können.
Denn vor allem meinen Kindern hätte ich so unfassbar vieles damit erspart. Ja ich weiß - alter Hut, hatten wir schon tausendmal, Vergangenes ist nicht zu ändern und so weiter. Aber wenn Du Folgen und Auswirkungen bis heute, 16 Jahre nach dem Ende der Ehe spürst, dann.. kannst du gar nicht anders denken als du eben denkst. Auch wenn der Blick immer nach vorne geht.

06. Was meinst Du, würde Dein früheres Ich diesen Rat befolgen?
Nur wenn ich mich davon überzeugen kann, dass es das wahre Lieben wirklich gibt, sich das Warten lohnt und ich keine Angst haben muss, dass mich keiner will. Aber das.. wäre eine verdammt harte Nuss. Ich kenne mich. Ich glaube nichts, das ich nicht selber ausprobiert habe ;)

07. Gummibärchen oder Schokolade?
Schokolade, ganz klar. Seit mich so ein scheiß Drecks-Bär mal einen Zahn kostete, der einfach diagonal von der Krone bis zur Wurzel durchriss, gibt es keine Gummibären mehr. Der Rest will schließlich erhalten werden.

08. Baden oder Duschen?
Baden! Man ist gezwungen, sich Zeit zu nehmen - und meistens merkt man anschließend, dass es genau das Richtige gerade war. Allerdings.. verzichte ich derzeit freilich aufs Baden. Außer im See. Letzten Samstag. Das war geil :)

09. Chips oder Flips oder Nüsse?
Nüsse! Ungesalzen. Am liebsten Pistazien, Mandeln oder Walnüsse. Mjamm. Ich weiß übrigens, wo hier in dieser Jungenbude noch was davon rumliegt, hä hä.

10. Was war die bisher weitreichendste Entscheidung Deines Lebens?
Meine Scheidung. 9 Jahre darüber nachgedacht, abgewogen, zurückgezuckt, mir selber nicht getraut, neu nachgedacht und dann irgendwann durchgezogen. Und vom ersten Tag an gewusst: Es ist - trotz allem - scheiß schwer, einem Menschen zu sagen: "Ich liebe dich nicht mehr, ich will nicht mehr mit dir leben, es geht für mich nicht mehr", aber es war die beste Entscheidung meines Lebens. Die weitreichendste. Die, die alles verändert hat, für den Ex-Mann, für die Kinder und für mich. Einiges würde ich heute anders machen - aber die Entscheidung habe ich vom ersten Tag an keine Sekunde bereut. Mich nur oft gefragt, warum ich so lange gewartet habe.

11. Welche der letzten Fragen fandest Du am schwierigsten?
Keine. Mir fielen zu jeder spontan tausend Sachen ein. Ich hab aber nur ein bisschen aufgeschrieben. Soll ja kein Roman werden ;)

Mittwoch, 3. Juli 2019

Old ways wont open new doors



"Das hättest du alles viel billiger haben können", sagt der Mann öfter mal, wenn ich ihm von den Erfolgen oder der Stagnation aktueller Behandlungen erzähle. Meistens möchte ich gar nicht, dass er es kommentiert. Manchmal möchte ich, dass er sich einfach nur für mich freut. Wenn Laborwerte sich stabilisieren und vom dunkelroten zurück in den grünen Bereich fallen.
Dass auch die Infektionen mit Borrelien und Streptokokken ausgestanden sind - laut Labor. 
"Und nun?" fragt er dann. "Was ist mit Deinem Gang? Kennt ihr nun die Ursache?"
Nein. Kennen wir nicht. Immer noch nicht, weil trotz inzwischen negativer Laborwerte manches nicht wieder so geworden ist wie zuvor. Und weil mir in der Schulmedizin kaum jemand wirklich hilft (außer mein Hausarzt, der glaubt sogar wirklich an mich, aber der kann eben auch nicht alles), und ich alles, was ich aktuell veranstalte, selber zahlen muss. Und irgendwo.. Gibts eben monetäre Grenzen für mich ;)
"Ich denke ja immer noch, du hättest das alles viel billiger haben können. So viel Geld und dann nicht mal ne Ursache."
"Das kannst du mir doch nicht vorwerfen", verteidige ich mich flammend. "Ich will ja, dass sie suchen, aber die meisten winken nur ab. Und mir muss es deswegen doch nicht die ganze Zeit schlecht gehen. Deswegen kann man ja trotzdem Wege ausprobieren, die mir helfen." (Die Schulmedizin würde im Übrigen auch nix anderes machen: testen und ausprobieren. Haben sie selbst gesagt. Mehrfach.)
Manche Tests stehen auch noch aus - aber der Doc muss ja auch mal Urlaub machen. Und auf die paar Tage kommts jetzt auch nicht mehr an. Hauptsache, es passiert überhaupt etwas.
Ernst genommen zu werden, ist meiner Erfahrung nach wohl das Hauptproblem vieler Menschen.
Insofern stößt mir auch immer wieder sauer auf, dass die Heilpraktiker-Geschichten als "Placebo-Effekte" behandelt werden, für deren Leistungen bitte jeder selber zahlen möge, dies aber nicht als Kassenleistung und somit nicht zur Belastung für jeden Versicherten aufgenommen werden solle.
Wer noch nie in die Schublade "austherapiert" geschoben wurde und nach der Heilpraxis als letzten Strohhalm griff, der weiß auch nicht, dass Homöopathie eben sehr viel mehr kann und auch tut, als Zuckerkügelchen zu verteilen. Ja ich weiß, das Thema hatten wir schon. Bringt mich aber jedesmal wieder in Harnisch, wenn ich zu diesem Thema bornierte Meinungen lese. Meist von Menschen übrigens, die noch nie in die Verlegenheit kamen... ach egal.  Heilpraktiker erbringen im Übrigen auch Leistungen, die genauso gut von einem Schulmediziner übernommen werden könnten. Beispielsweise die Bluttherapie. Oder aktuell die Spritzen in meinen Kopf. Aber dazu müsste er mich erst mal ernst nehmen und auch wirklich was tun wollen.

"Irgendwas ist letztes Jahr bei Ihnen kaputtgegangen", meinte erst vor zwei Tagen die nette, bemühte Physiotherapeutin zu mir. "Aber was auch immer das war: Das Hirn ist ein Muskel, das kann man trainieren." Sie vermutet als Ursache mein Herz, ihre Kollegin vermutet, man müsse mir das zweite Hirn (wie ich es inzwischen scherzhaft bezeichne), das inzwischen ein paar Zentimeter misst und glücklicherweise kein Eigenleben entwickelt hat, aus dem Kopf schneiden. Also lerne ich, wieder stabil und vernünftig zu laufen und nicht so, als habe ich heimlich in meinem Schreibtisch eine Flasche Hochprozentiges versteckt und bediene mich pausenlos daran. Denn genauso fühle ich mich. Mal mehr, mal weniger. Wobei man mir das in diesem Jahr weitaus weniger ansieht als noch im letzten Jahr. Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt noch jemand sehen würde, der davon nichts weiß.
Nebenbei haben wir die Bluttherapie beendet, weil keine weiteren Erfolge hinzugekommen und wohl auch nicht mehr zu erwarten sind. Stattdessen gibt es nun eben ein Medikament in den Kopf gespritzt, dahin, wo die Schädeldecke in den weichen Bereich der Halswirbelsäule übergeht.
"Ich krieg Gänsehaut", schüttelt sich die Mama am Telefon und ich lache. "Das klingt schlimmer als es ist." Und das sagt immerhin eine, die in ihrer Kindheit bei Impfungen ein Theater veranstaltet hat, als ginge es um ihr Leben.

Dass ich diesen Weg ausprobiere, will der Mann nicht. "Wenn ich mal nach Hause komme und finde dich hier auf dem Boden liegend, dann versohle ich dir extra noch den Hintern!" resigniert er schließlich an meiner Bollwand aus nordischer Sturheit. Ich verstehe seine Sorge, aber ich verstehe auch mich. Ich will weiterkommen, vorwärts kommen.
"Ich will, dass dieser Zustand aufhört und alles wieder so ist wie vorher", erkläre ich vor zwei Tagen auch meiner Physiotante und die nickt verstehend. Drückt ein paar Triggerpunkte in meinen Händen, so dass ich ein bisschen aufjaule.
"Aaaahhh", strahlt sie, "einen gefunden!"

Doch wie auch immer es jetzt weitergeht - im Moment geht es mir viel besser als noch im letzten Jahr. Was bedeutet, dass ich wieder durch die Wohnung tanze (ok, da und dort stoße ich schon mal... aaaaahhh! DAHER kommen die blauen Flecken! :)), dass ich wieder leidenschaftlich gern und vor allem problemlos mit dem Auto unterwegs bin, singe oder die Gedanken fröhlich treiben lasse, es mir körperlich insgesamt einfach wieder besser geht.
Habe ich daran geglaubt, als ich mich im letzten Jahr in die Hände der Heilpraktikerin begab?
Nein. Kein Stück. Im Gegenteil. Grad im Hinblick auf all die Erfahrungen der letzten 14 Jahre vermutete ich eher, es würde genauso hoffnungslos enden wie all die Jahre bei all den anderen Ärzten zuvor auch.
Und jetzt bin ich einfach nur froh, dass all die leisen Zweifel und Bedenken in meinen gewohnten, beinah unerschütterlichen Optimismus umgeschlagen sind ;)

Dienstag, 2. Juli 2019

"Wieso stolz? Davon hat man doch nichts!"



So (oder so ähnlich, man verzeihe mir, sollte mir der genaue Wortlaut wieder entfallen sein) antwortete die Mutter von Angela Merkel 2005 auf die Frage von Journalisten, ob sie denn nicht stolz auf ihre Tochter sei.
Und ich sehe in den Nachrichten eine Frau, die in der Öffentlichkeit das Zittern ihres Körpers wiederholt nicht unterdrücken kann und sich dennoch keinen Moment der Schwäche erlaubt. Indem sie den öffentlichen Termin bis zum bitteren Ende durchzieht und auch das angebotene Glas Wasser dankend ablehnt. Die den Mund zu einem Strich zusammenkneift, so dass man ihrem Gesicht förmlich die Worte "Mist, ach Mensch, wieso denn ausgerechnet jetzt? Doch nicht schon wieder!" irgendwie deutlich ablesen kann.
Natürlich fragte ich mich: "Wie stark ist sie wirklich und wie viel von dieser Stärke ist anerzogen? Ist das die Erziehung oder ist das Protokoll?"
Und anschließend fragte ich mich: "Ist es denn Schwäche, sich schwach zu zeigen? Zuzulassen, dass man Hilfe braucht?"

Aufgewachsen bin ich mit den Worten meines Vaters "Es wird nicht gejammert und es wird nicht gebettelt." Und manchmal, wenn ich unerfüllt für jemanden schwärmte, hat er die Augen verdreht und gefragt "Mensch Mädchen, hast du denn so überhaupt gar keinen Stolz?"
Ich hab das so nie gesehen. Ich dachte immer... Wenn ich mir etwas wünsche, muss ich alles dafür tun, um es zu bekommen. So kannte ich es. So und nicht anders. Und ich musste immer das Gefühl haben, wirklich alles gegeben zu haben. Und wenn der Erfolg dann trotzdem ausblieb, dann konnte wenigstens ich mir nicht vorwerfen, nicht alles gegeben zu haben.
Zu jener Zeit ahnte ich schon, dass nichts im Leben mehr schmerzen würde als eine verschenkte Möglichkeit.

Ich war gerade dreißig Jahre alt geworden, als mir zum ersten Mal etwas geschenkt wurde, um das ich weder gebeten noch dass ich je danach gefragt hätte. Und beschloss, die Tür zum bisherigen Leben zu schließen und eine neue zu öffnen.
Mein Vater verurteilte mich lange dafür, ohne es mir je so direkt zu sagen.
Meine Mama sprach das auch nie so direkt aus - aber zu jener Zeit begriff ich, dass ich nicht wirklich etwas falsch machen konnte: Sie würde mich immer lieben. Trotzdem lieben. Ich begriff das so spät, weil wir uns das nie so gesagt haben. Und auch nie wirklich gezeigt haben. Spät erst habe ich verstanden, dass Liebe nicht nur damit gezeigt wird, indem man es sagt oder aufschreibt. Oder man den anderen in den Arm nimmt. Damit wird sie nur verdeutlicht. Aber es prägt einen.
Ich habe mich durch mein Leben gekämpft. Bin gestürzt, wieder aufgestanden, gestürzt, wieder aufgestanden.. Ich war stark, ich war schwach, stark, schwach.. Nur um Hilfe habe ich lange, sehr lange nicht gebeten. So wurde ich nicht erzogen. Und niemand hat etwas zu verschenken. Jedenfalls nicht, ohne irgendeinen Zweck damit zu verfolgen. So hatte ich es auch nicht kennengelernt: dass jemand nur deshalb hilft, weil er es eben kann.

Inzwischen habe ich es anders erfahren, vor Jahren schon. Bis heute habe ich keinen Moment aus der Zeit vergessen, als es mir selber richtig mies ging. Bis heute mache ich genau das, was mir gezeigt wurde: Ich helfe einfach nur, weil ich es gerade kann. So gut ich es kann. Dafür will ich nichts. Ich will einfach nur dabei helfen, dass es jemandem wieder besser geht. Wenn es jemandem schlecht geht, möchte ich auch nur irgendetwas tun, das diesen Zustand in das Gegenteil verkehrt. Immer kann man das nicht, das weiß ich. Aber niemand kann immer alles allein schaffen - und man muss es auch nicht.

So handhabe ich das auch mit meinen Söhnen, bis heute. Ich sage ihnen, dass ich sie liebe. Ich umarme sie ganz sehr zur Begrüßung und zum Abschied. Ich frage sie immer mal wieder, ob sie zurechtkommen, und wie sie zurechtkommen. "Passt gut auf euch auf. Achtet gut auf euch", sage ich bei jedem Abschied, und meine es auch so.
Ob ich sie zu starken oder schwachen Persönlichkeiten erzogen habe, kann ich nicht beurteilen. Oder doch?
Telefoniere herum und erkundige mich nach rechtlichen Bedingungen. Unvermittelt und unerwartet bekomme ich schon unmittelbar nach dem Telefonat den Hinweis auf eine mögliche Tür, durch die jemand nur noch gehen muss. Wenn er darf.
Und das, genau das ist es, was ich am Leben so liebe: Es ist so voller Möglichkeiten.
Jeden einzelnen Tag haben wir die Möglichkeit auf eine neue Tür. Jeden neuen Tag haben wir eine neue Möglichkeit. In meiner Vorstellung sind die Türen holzfarben, warmes, helles Braun, bemalt mit vielen Blumen. Manchmal muss einfach nur mal miteinander sprechen..

Manchmal fragt man gar nicht nach einem Glas Wasser, manchmal bittet man darum - aber egal wie.. Man vergibt sich nichts, wenn man es einfach dankbar annimmt.