Dienstag, 2. Juli 2019

"Wieso stolz? Davon hat man doch nichts!"



So (oder so ähnlich, man verzeihe mir, sollte mir der genaue Wortlaut wieder entfallen sein) antwortete die Mutter von Angela Merkel 2005 auf die Frage von Journalisten, ob sie denn nicht stolz auf ihre Tochter sei.
Und ich sehe in den Nachrichten eine Frau, die in der Öffentlichkeit das Zittern ihres Körpers wiederholt nicht unterdrücken kann und sich dennoch keinen Moment der Schwäche erlaubt. Indem sie den öffentlichen Termin bis zum bitteren Ende durchzieht und auch das angebotene Glas Wasser dankend ablehnt. Die den Mund zu einem Strich zusammenkneift, so dass man ihrem Gesicht förmlich die Worte "Mist, ach Mensch, wieso denn ausgerechnet jetzt? Doch nicht schon wieder!" irgendwie deutlich ablesen kann.
Natürlich fragte ich mich: "Wie stark ist sie wirklich und wie viel von dieser Stärke ist anerzogen? Ist das die Erziehung oder ist das Protokoll?"
Und anschließend fragte ich mich: "Ist es denn Schwäche, sich schwach zu zeigen? Zuzulassen, dass man Hilfe braucht?"

Aufgewachsen bin ich mit den Worten meines Vaters "Es wird nicht gejammert und es wird nicht gebettelt." Und manchmal, wenn ich unerfüllt für jemanden schwärmte, hat er die Augen verdreht und gefragt "Mensch Mädchen, hast du denn so überhaupt gar keinen Stolz?"
Ich hab das so nie gesehen. Ich dachte immer... Wenn ich mir etwas wünsche, muss ich alles dafür tun, um es zu bekommen. So kannte ich es. So und nicht anders. Und ich musste immer das Gefühl haben, wirklich alles gegeben zu haben. Und wenn der Erfolg dann trotzdem ausblieb, dann konnte wenigstens ich mir nicht vorwerfen, nicht alles gegeben zu haben.
Zu jener Zeit ahnte ich schon, dass nichts im Leben mehr schmerzen würde als eine verschenkte Möglichkeit.

Ich war gerade dreißig Jahre alt geworden, als mir zum ersten Mal etwas geschenkt wurde, um das ich weder gebeten noch dass ich je danach gefragt hätte. Und beschloss, die Tür zum bisherigen Leben zu schließen und eine neue zu öffnen.
Mein Vater verurteilte mich lange dafür, ohne es mir je so direkt zu sagen.
Meine Mama sprach das auch nie so direkt aus - aber zu jener Zeit begriff ich, dass ich nicht wirklich etwas falsch machen konnte: Sie würde mich immer lieben. Trotzdem lieben. Ich begriff das so spät, weil wir uns das nie so gesagt haben. Und auch nie wirklich gezeigt haben. Spät erst habe ich verstanden, dass Liebe nicht nur damit gezeigt wird, indem man es sagt oder aufschreibt. Oder man den anderen in den Arm nimmt. Damit wird sie nur verdeutlicht. Aber es prägt einen.
Ich habe mich durch mein Leben gekämpft. Bin gestürzt, wieder aufgestanden, gestürzt, wieder aufgestanden.. Ich war stark, ich war schwach, stark, schwach.. Nur um Hilfe habe ich lange, sehr lange nicht gebeten. So wurde ich nicht erzogen. Und niemand hat etwas zu verschenken. Jedenfalls nicht, ohne irgendeinen Zweck damit zu verfolgen. So hatte ich es auch nicht kennengelernt: dass jemand nur deshalb hilft, weil er es eben kann.

Inzwischen habe ich es anders erfahren, vor Jahren schon. Bis heute habe ich keinen Moment aus der Zeit vergessen, als es mir selber richtig mies ging. Bis heute mache ich genau das, was mir gezeigt wurde: Ich helfe einfach nur, weil ich es gerade kann. So gut ich es kann. Dafür will ich nichts. Ich will einfach nur dabei helfen, dass es jemandem wieder besser geht. Wenn es jemandem schlecht geht, möchte ich auch nur irgendetwas tun, das diesen Zustand in das Gegenteil verkehrt. Immer kann man das nicht, das weiß ich. Aber niemand kann immer alles allein schaffen - und man muss es auch nicht.

So handhabe ich das auch mit meinen Söhnen, bis heute. Ich sage ihnen, dass ich sie liebe. Ich umarme sie ganz sehr zur Begrüßung und zum Abschied. Ich frage sie immer mal wieder, ob sie zurechtkommen, und wie sie zurechtkommen. "Passt gut auf euch auf. Achtet gut auf euch", sage ich bei jedem Abschied, und meine es auch so.
Ob ich sie zu starken oder schwachen Persönlichkeiten erzogen habe, kann ich nicht beurteilen. Oder doch?
Telefoniere herum und erkundige mich nach rechtlichen Bedingungen. Unvermittelt und unerwartet bekomme ich schon unmittelbar nach dem Telefonat den Hinweis auf eine mögliche Tür, durch die jemand nur noch gehen muss. Wenn er darf.
Und das, genau das ist es, was ich am Leben so liebe: Es ist so voller Möglichkeiten.
Jeden einzelnen Tag haben wir die Möglichkeit auf eine neue Tür. Jeden neuen Tag haben wir eine neue Möglichkeit. In meiner Vorstellung sind die Türen holzfarben, warmes, helles Braun, bemalt mit vielen Blumen. Manchmal muss einfach nur mal miteinander sprechen..

Manchmal fragt man gar nicht nach einem Glas Wasser, manchmal bittet man darum - aber egal wie.. Man vergibt sich nichts, wenn man es einfach dankbar annimmt.

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