Mittwoch, 3. Juli 2019

Old ways wont open new doors



"Das hättest du alles viel billiger haben können", sagt der Mann öfter mal, wenn ich ihm von den Erfolgen oder der Stagnation aktueller Behandlungen erzähle. Meistens möchte ich gar nicht, dass er es kommentiert. Manchmal möchte ich, dass er sich einfach nur für mich freut. Wenn Laborwerte sich stabilisieren und vom dunkelroten zurück in den grünen Bereich fallen.
Dass auch die Infektionen mit Borrelien und Streptokokken ausgestanden sind - laut Labor. 
"Und nun?" fragt er dann. "Was ist mit Deinem Gang? Kennt ihr nun die Ursache?"
Nein. Kennen wir nicht. Immer noch nicht, weil trotz inzwischen negativer Laborwerte manches nicht wieder so geworden ist wie zuvor. Und weil mir in der Schulmedizin kaum jemand wirklich hilft (außer mein Hausarzt, der glaubt sogar wirklich an mich, aber der kann eben auch nicht alles), und ich alles, was ich aktuell veranstalte, selber zahlen muss. Und irgendwo.. Gibts eben monetäre Grenzen für mich ;)
"Ich denke ja immer noch, du hättest das alles viel billiger haben können. So viel Geld und dann nicht mal ne Ursache."
"Das kannst du mir doch nicht vorwerfen", verteidige ich mich flammend. "Ich will ja, dass sie suchen, aber die meisten winken nur ab. Und mir muss es deswegen doch nicht die ganze Zeit schlecht gehen. Deswegen kann man ja trotzdem Wege ausprobieren, die mir helfen." (Die Schulmedizin würde im Übrigen auch nix anderes machen: testen und ausprobieren. Haben sie selbst gesagt. Mehrfach.)
Manche Tests stehen auch noch aus - aber der Doc muss ja auch mal Urlaub machen. Und auf die paar Tage kommts jetzt auch nicht mehr an. Hauptsache, es passiert überhaupt etwas.
Ernst genommen zu werden, ist meiner Erfahrung nach wohl das Hauptproblem vieler Menschen.
Insofern stößt mir auch immer wieder sauer auf, dass die Heilpraktiker-Geschichten als "Placebo-Effekte" behandelt werden, für deren Leistungen bitte jeder selber zahlen möge, dies aber nicht als Kassenleistung und somit nicht zur Belastung für jeden Versicherten aufgenommen werden solle.
Wer noch nie in die Schublade "austherapiert" geschoben wurde und nach der Heilpraxis als letzten Strohhalm griff, der weiß auch nicht, dass Homöopathie eben sehr viel mehr kann und auch tut, als Zuckerkügelchen zu verteilen. Ja ich weiß, das Thema hatten wir schon. Bringt mich aber jedesmal wieder in Harnisch, wenn ich zu diesem Thema bornierte Meinungen lese. Meist von Menschen übrigens, die noch nie in die Verlegenheit kamen... ach egal.  Heilpraktiker erbringen im Übrigen auch Leistungen, die genauso gut von einem Schulmediziner übernommen werden könnten. Beispielsweise die Bluttherapie. Oder aktuell die Spritzen in meinen Kopf. Aber dazu müsste er mich erst mal ernst nehmen und auch wirklich was tun wollen.

"Irgendwas ist letztes Jahr bei Ihnen kaputtgegangen", meinte erst vor zwei Tagen die nette, bemühte Physiotherapeutin zu mir. "Aber was auch immer das war: Das Hirn ist ein Muskel, das kann man trainieren." Sie vermutet als Ursache mein Herz, ihre Kollegin vermutet, man müsse mir das zweite Hirn (wie ich es inzwischen scherzhaft bezeichne), das inzwischen ein paar Zentimeter misst und glücklicherweise kein Eigenleben entwickelt hat, aus dem Kopf schneiden. Also lerne ich, wieder stabil und vernünftig zu laufen und nicht so, als habe ich heimlich in meinem Schreibtisch eine Flasche Hochprozentiges versteckt und bediene mich pausenlos daran. Denn genauso fühle ich mich. Mal mehr, mal weniger. Wobei man mir das in diesem Jahr weitaus weniger ansieht als noch im letzten Jahr. Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt noch jemand sehen würde, der davon nichts weiß.
Nebenbei haben wir die Bluttherapie beendet, weil keine weiteren Erfolge hinzugekommen und wohl auch nicht mehr zu erwarten sind. Stattdessen gibt es nun eben ein Medikament in den Kopf gespritzt, dahin, wo die Schädeldecke in den weichen Bereich der Halswirbelsäule übergeht.
"Ich krieg Gänsehaut", schüttelt sich die Mama am Telefon und ich lache. "Das klingt schlimmer als es ist." Und das sagt immerhin eine, die in ihrer Kindheit bei Impfungen ein Theater veranstaltet hat, als ginge es um ihr Leben.

Dass ich diesen Weg ausprobiere, will der Mann nicht. "Wenn ich mal nach Hause komme und finde dich hier auf dem Boden liegend, dann versohle ich dir extra noch den Hintern!" resigniert er schließlich an meiner Bollwand aus nordischer Sturheit. Ich verstehe seine Sorge, aber ich verstehe auch mich. Ich will weiterkommen, vorwärts kommen.
"Ich will, dass dieser Zustand aufhört und alles wieder so ist wie vorher", erkläre ich vor zwei Tagen auch meiner Physiotante und die nickt verstehend. Drückt ein paar Triggerpunkte in meinen Händen, so dass ich ein bisschen aufjaule.
"Aaaahhh", strahlt sie, "einen gefunden!"

Doch wie auch immer es jetzt weitergeht - im Moment geht es mir viel besser als noch im letzten Jahr. Was bedeutet, dass ich wieder durch die Wohnung tanze (ok, da und dort stoße ich schon mal... aaaaahhh! DAHER kommen die blauen Flecken! :)), dass ich wieder leidenschaftlich gern und vor allem problemlos mit dem Auto unterwegs bin, singe oder die Gedanken fröhlich treiben lasse, es mir körperlich insgesamt einfach wieder besser geht.
Habe ich daran geglaubt, als ich mich im letzten Jahr in die Hände der Heilpraktikerin begab?
Nein. Kein Stück. Im Gegenteil. Grad im Hinblick auf all die Erfahrungen der letzten 14 Jahre vermutete ich eher, es würde genauso hoffnungslos enden wie all die Jahre bei all den anderen Ärzten zuvor auch.
Und jetzt bin ich einfach nur froh, dass all die leisen Zweifel und Bedenken in meinen gewohnten, beinah unerschütterlichen Optimismus umgeschlagen sind ;)

4 Kommentare:

DrSchwein hat gesagt…

Heilpraktiker bemühen sich meiner Erfahrung nach mehr als die meisten Ärzte, die nach ihrem Standardprogramm oft keine Ideen mehr haben. Ich kann Deine Versuche gut nachvollziehen und es hilft ja auch irgendwie. Also weiter so.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Danke :) Bringt mich aktuell auch nix von ab.

Anonym hat gesagt…

Hallo Helma,
als stille Leserin Ihres Bloges möchte ich mich heute auch einmal zu Wort melden.
Seit vorigem Jahr habe ich Beschwerden im Gesäß, welche sich in starken Schmerzen äußern, besonders beim Gehen, hinzu kommen kribbeln, brennen usw. Krankenhausaufenthalt, Besuch/Überweisung zu mehrern Fachärzten, Physiotherapie usw. hat alles nichts geholfen, im Gegenteil bis Anfang dieses Jahres wurde es immer schlimmer. Jeder Arzt stellt eine andere Diagnose, Bandscheibenvorfall, welcher tatsächlich vorliegt, Faszienverklebung, Piriformissyndrom usw. Jetzt bin ich momentan an einem Punkt angelangt, wo ich keinen "Weißkittel" mehr ersehen kann. Mir geht es genauso wie Ihnen jede noch so kleine Chance im Bereich Alternativmedizin wird genutzt. Ich mache jeden Tag 1h Gymnastik, vorher habe ich Nordic Walking betrieben, was leider nicht mehr geht. Auch ich habe eine sehr gute Heilpraktikerin, die bisher mehr für mich getan hat, als jeder Arzt bei dem man in 5 Minuten seine Krankengeschichte erzählen soll und wenn man Glück hat, noch ein wenig untersucht wird. Fazit: Weiterhin optimistisch bleiben, auch wenns verdammt schwerfällt und weiter kämpfen.
Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute!
Herzlichst, Grit.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Grit, Ihr Kommentar kam irgendwie grad zum rechten Zeitpunkt. Ich hab das nur selten, aber manchmal hänge auch ich ein bisschen durch - und so einen Moment habe ich grad. Weil ich das Gefühl hab, auf der Stelle zu treten. Grad noch so gefreut über die Laborbefunde - und dennoch werde ich das Gefühl der Stagnation nicht los. Warum eigentlich? Ich weiß es selbst nicht so genau. Doch, eigentlich weiß ich das. Ich hätte morgen eigentlich den Wiederholungstermin beim Neurologen - und musste dafür Befunde und sowas raussuchen. Wenn man dann alles nochmal liest, das mangelnde Interesse etc., dann.. ermüdet das irgendwie.
Und nun muss der Termin ausfallen bzw. verschoben werden, weil der ÖPNV streikt und alles lahmgelegt ist. Nun denn. ;)