Mittwoch, 21. Februar 2024

Zack - kaputt

Ist das nicht irre? 
Als ich gestern auf den Kalender schaute, um einen Termin gegenzuchecken, fiel mir auf, dass es nun schon wieder ein Jahr her ist, dass wir nach L gezogen sind.
Irre, oder?? Ein Jahr! Wo ist die Zeit nur geblieben?

Ich weiß noch, es war einer der Termine, als ich nach Unterzeichnung des Mietvertrags wieder in L war, die Räume genau ausmessen und so, damit wir schon mal konkrete Ideen aufstellen konnten, wie wo was werden sollte. Mein Jüngster kam mit dazu, weil er einfach mal gucken wollte, wie denn die Wohnung so ausschaut. Kann ich jetzt noch vor mir sehen, wie er durch die nackten Räume lief, die Hände in den Taschen, alles genau inspizierte, einen Blick aus dem Panoramafenster in der Küche warf und dann fragte: "Okay - wann kann ich mit einziehen?"
Hach.
Da ging mir das Herz auf und das Schuldbewusstsein von einst kam wieder hoch. Ich bin ja weggezogen, da war er noch nicht ganz 18. Klar, da sind andere schon dreimal im Ausland gewesen, seit Jahren von den Eltern getrennt, mega selbständig und so n Quark. Meiner nicht. Und meine Lebensphilosophie hatte irgendwie auch gar nicht vorgesehen, die Jungs so früh herzugeben. Mit 20, 21 vielleicht. Aber 17?

Wir sind ja dann auch eingezogen, richteten uns ein und dieses kleine Schmuckstück wächst nach und nach, entwickelt sich. Das Gefühl, in einer Ferienwohnung zu leben, hat sich noch nicht so ganz verzogen - aber es wird besser. Sinniere immer noch darüber nach, woran das liegt, woher dieses Gefühl kommt. Vielleicht, weil wir nicht gewohnt sind, so eine große Wohnung zu haben, die so weitläufig wirkt (jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir bis dahin immer bewohnten), alles so offen und großzügig geschnitten? Der Junge hingegen ist ungebrochen begeistert, und er hat sich in den Kopf gesetzt: Sowas wollen wir auch. Wir meint seine Freundin und er. Und jetzt, wo sie mit ihrem Studium fertig ist und beide ein Einkommen haben, von dem der Mann und ich unser halbes Leben lang nur träumten, da könnten sie sich nun auch etwas gönnen. Am liebsten in unserem Viertel. Nicht nur, weil wir da wohnen. Sondern weil es wirklich zu den schönsten der Stadt zählt. Und er mag das ja - diesen Neubaustil. Modern. Klassisch. 
Wälzt die Angebote rauf und runter, vereinbart Besichtigungstermine. Mal ist es ihnen doch zu teuer, mal passt etwas anderes nicht. Ihre Traumwohnung - wenn auch Erdgeschoss - hätten sie in unmittelbarer Nähe zu mir beinah gefunden - fiele der Blick aus dem Schlafzimmer nicht direkt auf die Mülltonnensammlung der Wohnanlage - und der Blick aus dem Wohnzimmer direkt auf das Haus gegenüber. Höchstens zehn Meter entfernt. Der Funke hatte dann schon irgendwie gezündet - aber das Mülltonnengeschwader konnte man sich dann eben doch nicht schönreden. Wird sicherlich auch lustig im Sommer. Keine Ahnung, wer sich so einen Müll (harhar) einfallen lässt. Bei uns sind die Mülltonnen in einem abschließbaren Raum im Haus mit integriert. Finde ich persönlich prima. Haste keinen Ärger mit nix.

Jedenfalls, die Suche des Sprößlings geht weiter - und heute schrieb er mir, man habe sich jetzt noch eine angeschaut, aber die Mieten seien doch recht enorm. Sie seien ja jung und beide Beamte. Da könne man ja eventuell eigentlich auch kaufen. Nur - es gäbe halt keine Neubauten zu kaufen. "Nur eher so Altbau, wo wir eigentlich auch nicht drin wohnen wollen", schrieb er.
Altbau! 
Spontan jauchzte das Herz und der Kopf füllte sich ebenso spontan mit tausenden von Bildern meiner tief verborgenen Leidenschaft für Altbauwohnungen. 
Gekalkte Wände.
Ein Fußboden aus echten Dielen, die wundervoll knarren, wenn man in Stricksocken darüber läuft.
Hohe Wände.
Hohe schmale Fenster, auf deren Bank ich sitzen würde, eine Tasse Kaffee mit beiden Händen halten und hinunter auf die Menschen schauen würde; ihnen zusehen würde. Ein Buch lesen würde.
Hach!
Stuck an den Decken und herrliche weiße Kassettentüren. 
HACH!

"...und hässlichen Bädern und hässlichen Heizkörpern an der Wand!" vollendete der Junge.

Zack - kaputt war der Traum. So schnell kanns gehen :)

Donnerstag, 15. Februar 2024

Ein Mann - ein Wörterbuch

Ihr kennt doch auch all die lustigen Sprüche und Memes über Frauen, die soviel reden, und Männer, die so viel schweigen (würden), oder?
Also ich sags mal so: Heute Morgen hatte ich einen Mann am Telefon. Wir kennen uns nicht, telefonierten das zweite Mal in unserem Leben miteinander und mir war durchaus bewusst, dass er mir etwas verkaufen wollte. Ein Produkt, das ich bisher nur als Testversion besitze und von dem ich nur semi-begeistert bin.
Man sagt mir ja schon seit Jahren nach, ich würde so ein Gefühl vermitteln, mit mir könne man über alles reden, mir alles erzählen.

Es hat heute Morgen jedenfalls schätzungsweise maximal zehn Minuten gedauert - dann wusste ich, dass:

- er verheiratet ist
- zwei Söhne hat - einer 14, einer 18
- der 14jährige leidenschaftlich Basketball spielt und es liebt, wenn Papa den Spielen beiwohnt
- der 14jährig immer noch gerne schmust
- der 18jährige seit 2 Monaten eine Freundin hat, die sich zum Valentinstag eine Rose von 
  Lego gewünscht hat
- Papa diese Rose am Montag in seiner Mittagspause besorgen musste, weil Amazon zu spät liefern würde
- beide Söhne alles bis auf die letzte Minute prokrastinieren
- Papa eine Arbeitszeit von 10 bis 17 Uhr hat 
- Papa den Kuss von der Freundin des Sohnes wollte, weil ja er die Rose besorgt hatte
- Papa den Sohn natürlich nicht verraten hat - und die Ehefrau sowieso interveniert hätte
- Papa heute Morgen eine Abkürzung fahren musste, weil die Söhne wie immer zu spät dran waren -
  und die Abkürzung sich dann als Reinfall entpuppte - weil Stau.

Innerlich habe ich mich köstlich amüsiert und mir vorgestellt, wie der Typ sich anschließend gefragt hat, was um Gottes Willen er da eigentlich alles einer völlig Fremden erzählt hat? Seine halbe Lebensgeschichte - und die so abgespult, dass ich mich irgendwann fragte: "Isser aufgeregt oder isser auf Speed? Oder is der immer so?"

Am Dienstag haben wir nun ein Meeting. Online, versteht sich. Ich glaub, ich besorg mir schon mal Popcorn ;)

Dienstag, 13. Februar 2024

Nett könnte ich auch.

Der Teufel steckt im Detail. Genauer gesagt: im Konjunktiv. Ich könnte nett. Ich kann höflich, auch dann, wenn ich nett könnte.
Heute aber war mal so ein Tag, da habe ich gedacht, entweder springe ich jetzt gleich und sofort quer im Quadrat durchs Telefon - oder ich fange an zu schreien. Letzteres ist nun wirklich untypisch für mich - auch wenn ich durchaus weiß, was leidenschaftlich zu streiten bedeutet. 
Und eigentlich bleibe ich ganz oft gelassen.
Aber heute hatten die mich.
Der Auftrag war im Grunde simpel. Leise und etwas schuldbewusst schob mir der Chef ein Blatt Papier über den Tisch und nuschelte was von "is privat" und "könnteste mir mal helfen."
(Ich übe übrigens immer noch vor dem Spiegel, wie das so funktioniert, dass nur eine Augenbraue hochgeht. Krieg ich nicht hin. Nie. Entweder beide oder keine, da sind sie sich einig, die beiden Gezupften.)
Jedenfalls, nachdem der Chef-Vater im vergangenen Sommer das Zeitliche gesegnet hatte, durften wir uns nicht nur um Bestatter, Schlüsseldienst (man kam nicht ins Haus) und emotionalen Beistand kümmern, sondern auch um alles, was mit Nachlassregelungen und so weiter zu tun hat. 
Und grundsätzlich haben wir ja auch alles geregelt bekommen.
Bis auf diesen Drecksverein von Vodafone.
Schon im letzten Jahr habe ich mir ein ganzes halbes Jahr lang die Nerven abgearbeitet, weil die das einfach nicht auf die Kette kriegten, eine schlichte Adressänderung vorzunehmen. Man kann sich das wirklich und wahrhaftig nicht vorstellen. Aber die Firma hieß eben nicht mehr A, sondern B und neuerdings auch noch mit so nem Kürzel hintendran. Und die saß jetzt auch nicht mehr in A, sondern in B. Eigentlich war alles wie immer. Nur dass A jetzt eben nicht mehr da war, sondern nur noch B.
Klingt verwirrend? Dann seid Ihr vermutlich auch Vodafoner. Sorry. 
Aber letztes Jahr, das gehörte zu unserem Business.
Das heute war Privat. 
Mir wurde ein Kontoauszug vorgelegt, der bewies, dass Vodafone bis zum Dezember einen Betrag abgebucht hatte, den niemand zuordnen konnte. Den Papa konnten wir ja nicht mehr fragen. Die Mama auch nicht. Die ist zwar noch da, aber an ihren guten Tagen erkennt sie allerhöchstens ihren Sohn. Ein Handy besitzt sie demnach seit einigen Jahren nicht mehr.
Da aber der Herr Papa handytechnisch bis zum Umbau der Firma mit im Sammelvertrag des Einzelunternehmens integriert war, konnte es auch nicht sein Handyvertrag sein. Für was nun die Abbuchung? Es gab nur einen Kontoauszug, mit dessen Angaben die Kollegin Ende letzten Jahres eine Kündigung geschrieben hatte. 
Vergangene Woche dann das Antwortschreiben, dass man die Kündigung keinem Vertrag zuordnen könne. Man solle die Kündigung neu einreichen - und dann Vertragsnummer, Kundennummer und Schlüppergröße mit übermitteln. Woher das alles nehmen, wenn man nix hat außer nen Kontoauszug mit Referenznummern von Vodafone, die Vodafone aber nicht erkannte?
Beherzt griff ich also erstmal zum Telefon. Und stand schon da nach schätzungsweise zwei Minuten auf dem Tisch. Mit Haaren, die sich bis zur Decke bauschten. 
Man kommt an dieser verfickten Aurasiricordanascheiße nicht vorbei, wenn Du nicht genau die Angaben eintippst, die Du ja eben nicht hast. Da kannst Du zehnmal MITARBEITER in den Hörer brüllen - wenn Aurasiricordanascheiße nicht will, dann will sie nicht. Und erklärt Dir kurzerhand: "Ich konnte Sie leider nicht verstehen. Wir wünschen Ihnen einen guten Tag und auf Wiedersehen."
Nach einem kurzen reinigenden Gewittersturm wählte ich erneut und gab kühn irgendwelche wilden Zahlenkombinationen vom Kontoauszug und anschließend die Handynummer vom Chef ein. Siehe da - Aurasiricordana verstand mich zwar immer noch nicht und informierte mich auch, dass sie mich nirgends zuordnen könne, aber sie würde mich nunmehr zum nächsten Mitarbeiter durchstellen. 
Nach etwa sieben Minuten unsäglichen Gedudels wurde ich dann erhört von einer wirklich freundlichen Mitarbeiterin, die mir erklärte, ich sei falsch bei ihr, es handele sich doch hier um eine Mobilfunkangelegenheit und sie sei nur für DSL zuständig.
"Interessant, das mit dem Mobilfunk wussten wir nämlich bis eben noch nicht", erklärte ich begeistert und erbat mir die dazugehörige Nummer.
"Die kann ich nicht lesen, weil ich zum Öffnen des Feldes nicht die Berechtigung hab. Ich bin DSL und das hier ist Mobilfunk."
Grandios. Und ich bin die Königin von Zamunda mit einem heute deutlich verkürzten Geduldsfaden.
"Vielleicht könnten Sie mich ja zum Mobilfunk durchstellen, dann kläre ich das mit denen."
Aber ach, ich vergaß. In Zeiten von mobilem Arbeiten kann Frau DSL ja auch aktuell auf den Malediven liegen, nebenbei einen Cocktail schlürfen und im Schatten des Bananenblattes irgendwelche missmutigen Kunden aus Deutschland abwimmeln - da is nix mit Durchstellen.
Wenigstens sagte sie: "Aber ich kann Ihnen die Nummer vom Mobilfunkdienst geben."
Wäre perfekt, hätte ich nicht genau die ja gewählt gehabt.
Egal. 
Wählte ich eben nochmal neu, gab die Vodafone-Kundennummer vom Kontoauszug an, die Vodafone nicht hatte erkennen wollen, nochmal die Chef-Mobilfunknummer - und dann hatte ich einen Herrn am Telefon, der erstmal das Kundenkennwort abforderte. Da denkt man ja: Chef-Mobilfunknummer, also Chef-Kundenkennwort.
"Tut mir leid, stimmt nicht." Chef und ich probierten dann noch ein paar Alternativen - alles nix. 
"Ohne Kundenkennwort kann ich Ihnen keine Auskunft geben."
"Sie haben aber schon verstanden, dass der Inhaber des Kontos, von dem Sie fleißig abgebucht haben, vor acht Monaten verstorben ist?"
"Ja, aber ohne Kundenkennwort darf ich nicht. Aber ich bin hier auch im Businessteam. Vielleicht dürfen die aus dem Privatkundenbereich was sagen, ich kann Sie ja mal durchstellen."
Ey. Der Bananenblattwedler von den Malediven stellte mich dann zur Privatabteilung weiter.
"Der Vertrag wurde doch im Dezember gekündigt."
"Wir wüssten gerne, welcher Vertrag denn das überhaupt ist?"
"Ich habe hier leider keinen Datensatz mehr. Weil, das ist ja alles gekündigt."
"Es hat bisher nur eine Mobilfunknummer des Vaters gegeben, und die gehörte zu einem Rahmenvertrag. Seine Rufnummer wurde zum 02.08.2023 gekündigt, die Bestätigung von Euch habe ich schriftlich."
"Ja, aber dann hatte der Vater eben noch einen Vertrag."
"Genau das bezweifeln wir."
"Das kann sein. Aber den Vertrag gab es und dazu wurden die Gebühren in Höhe von 27,92 auch abgebucht. Alles rechtens."
"Wenn das rechtens ist, dann geben Sie uns doch erstmal die Mobilfunknummer, damit wir selber nachforschen können."
"Ich habe hier keine Daten mehr im Computer, tut mir leid."
Das war dann der Moment, wo ich ganz tief Luft holte, der Dame einen schönen Tag und das Gespräch für beendet erklärte (das ist jetzt die frisierte Variante), dem Chef wutentbrannt sein Privatpapier in die Hand drückte mit den Worten: "Lass es zurückbuchen oder lass es bleiben, aber lass MICH JETZT HIER RAUS!" (das ist jetzt die nett umschriebene Variante) und meine Lieblingskollegin ebenfalls tief Luft holte, eine Milka-Schokoladenwaffel auspackte, mir vor die Nase legte und energisch sagte: "So und du isst jetzt DAS hier!" (das ist die authentische Variante).
Wusstet Ihr eigentlich, dass man Abbuchungen bis zu 13 Monate zurückbuchen lassen kann, wenn man  berechtigte Einwände gegen diese Abbuchung erhebt? Kann ich Euch sagen - hatte nämlich erst letztes Woche ein zweifelhaftes Vergnügen mit den Freunden der GEZ. Natürlich Privatauftrag vom Chef. Die zeigten sich ähnlich serviceorientiert wie Vodafone. 

Jedenfalls, nach der schokolierten Genusswaffel rief der Chef den zweiten Geschäftsführer und mich zu sich, um einige strategische Punkte zu besprechen.
"Denkt dran, es muss alles immer noch wirtschaftlich bleiben", meinte er abschließend.
Worauf ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
"Der, der vielleicht kommt, nimmt den Platz von dem, der jetzt geht. Das kompensiert sich also. Und wenn Du im Mai raus bist, können wir für das Geld noch drei andere einstellen."
Er hat verblüfft gelacht. 
"Du bist aber heute streng mit mir."
"Ne Chef. Nur ehrlich."

Zum Feierabend rief mich dann noch jemand an, mit dem wir beide gut zusammenarbeiten.
Er fragte mich, wie ich denn mit der Prokura zurechtkäme.
"Ich hab Angst vor mir selber", antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Ist es jetzt leichter oder anstrengender?"
"Viel anstrengender. Viel mehr Arbeit."
Der andere lachte. Ich auch: "Aber die Arbeit hätte ich vermutlich auch, wenn ich die Prokura nicht bekommen hätte. Also bekomm ich wenigstens Schmerzensgeld. Ach ne, Chef sagt ja immer, es ist Schweigegeld."

Vielleicht wäre ich heute entspannter gewesen, hätte ich vergangene Nacht nicht nur vier Stunden Schlaf gehabt, die dazu auch noch recht unruhig gewesen waren. Trotz des vorangegangenen intensiven Sportprogramms und der anschließenden wunderbaren Entspannung im Körper und im Kopf. 
Diese wunderbare Entspannung in Körper und Kopf hat heute aber auch die kleine runde Schokoladenwaffel geschafft. Ist wirklich wahr. Mein Sportprogramm hab ich trotzdem heute am späteren Abend noch durchgezogen. Doch anstatt mich irgendwann danach in die Decke zu kuscheln und in den Schlaf hinüberzudämmern, liege ich hier im Bett und blogge. Während der Mann hunderte Kilometer weit weg vermutlich längst schnarcht nach dem ausgiebigen Tag auf den Skiern. 
Irgendwas mach ich offensichtlich falsch. 

Jetzt hab ich Appetit auf ein Käffchen. Und in knapp fünf Stunden klingelt der Wecker. 

Einen Bonbon muss ich Euch aber heute noch mitgeben. Wer bei Instagram unterwegs ist, der sucht mal nach PaulBokowski. Wenn Ihr den nicht sowieso schon kennt, ich bin ja eh immer so ein Spätzünder.
Aber über den hab ich heute mega gelacht! Die Story mit den gelben Pullovern, wirklich, ich dachte, ich brech ab. So geil. Oder die Windsor Castle Story. Herrlich!
Diese Art von Humor wirkt bei mir wie eine Kombination aus Sport und Schokoladenwaffel. Schokoliertes Synapsenyoga quasi.
Hättsch vielleicht gestern Abend entdecken sollen.
Paul hat jetzt jedenfalls zwei neue Follower. Meine Freundin und mich. 

Montag, 22. Januar 2024

Aura


Spoiler: Das ist ein Autofahrlied, das muss man richtig dolle laut hören - ist aber nix für Tinnitusgeplagte. Stellte jedenfalls der Mann irgendwann mal augenrollend fest. 

Jedenfalls, heut Morgen in aller Herrgottsfrüh hab ich mich auf den Weg ins Büro gemacht. Ich liebe sie, diese dunkle, noch halb verschlafen wirkende Stunde, in der sich gemächlich ein Auto an das andere reiht, die Menschen geduldig an der Ampel warten (das ist übrigens ein absoluter Unterschied von L zu M; in M wird man gnadenlos angehupt oder gleich die Vorfahrt genommen - eine hektische Stadt ist das) und dann bin ich schon eins-zwo-fix auf dem Highway, kann mich noch entspannter zurücklehnen, die Musik aufdrehen, dass der Sitz vibriert. Die Gedanken treiben lassen. Da denke ich noch nicht an den Büroalltag, meistens jedenfalls nicht. Da denke ich tausend Gedanken, eine kurze Reise in die Vergangenheit, eine kurze Tagträumerei ob der Vorstellung, dass ich gerade eben nicht ins Büro, sondern zum Beispiel vielleicht ans Meer fahren könnte, ein Verweilen in der Gegenwart - und das alles untermalt von diesem Track, der sich mit am beständigsten in meiner Playlist hält, die ständigen Anpassungen unterworfen ist.
Sagte ich schon mal, dass ich Spotify echt liebe? Musikgenuss war nie so einfach wie damit :)

Und dann.. irgendwann auf diesem Weg, da machte es irgendwie Knax in meinem Kopf - so als hätte sich in diesem Augenblick irgendein Knoten gelöst. Ich dachte darüber nach, dass ich ja eigentlich meinen Weihnachtsurlaub gerne noch mal um weitere drei Wochen verlängert hätte, wenn ich denn gekonnt hätte. Vielleicht auch noch länger als diese drei Wochen. Ich fühlte mich einfach so "durch", dass ich dachte, ich komm irgendwie überhaupt nicht mehr auf die Beine. 
Heute Morgen aber.. in dieser samtig dunklen Stunde und den überraschend milden Temperaturen.. da dachte ich mit einem Mal, dass es ganz gut so war und ist, den Urlaub eben nicht verlängert haben zu können. Dass es gut so war, dem Alltag wieder zu begegnen. Mich zu lösen aus dem Gedankenkreisel, aus der emotionalen Berg-und-Tal-Fahrt all der Dinge, die mir das Leben schwer machten. Heute morgen überkam mich irgendwie die Gewissheit, dass ich mich vermutlich noch mehr zurückgezogen, mich noch mehr eingeigelt und damit auch keinen einzigen Schritt weitergekommen wäre. 

Natürlich ist es hauptsächlich die Musik, die mich immer auf die Beine hebt. Aber es tut mir auch gut, morgens so heiß zu duschen, dass sich die Haut noch rot und warm anfühlt, wenn ich mich längst angezogen, die Haare zu einem Knoten gewunden, den Lidstrich gezogen und mit dem Laptop unter dem Arm das Haus verlassen hab. Mich gedanklich auf ganz andere Themen einzustellen. Mich mit anderen Menschen auszutauschen über Gott und die Welt. Mich gedanklich und emotional auf andere Menschen einzulassen. 
Die Sorgen laufen mir nicht weg.
Die Verpflichtungen laufen mir nicht weg.
Aber heut Morgen, so eingereiht, Rücklicht an Rücklicht, die Musik und ich, und dann die Freiheit auf dem erstaunlich leeren Highway, da wusste ich, das tut mir gut. Das ist gut für mich. 
Und ab diesem Moment fühlte ich mich auch wirklich endlich wieder besser.
So ein Gefühl, dass es wieder viel mehr ist als nur zu funktionieren. 
Ich glaub, ich bin wieder da. 



Samstag, 13. Januar 2024

almost one year around


Fühlt es sich nur so an oder verfliegt die Zeit so unfassbar schnell?
Ich ertappe mich dabei, wie ich auf Fragen antworten möchte, dass wir erst im letzten Jahr geheiratet haben. Dass wir erst seit wenigen Wochen von M nach L gezogen sind. 
Dabei werden es schon bald zwei Jahre her sein, als wir für das gemeinsame Ja unterschrieben haben - und noch eher wird es ein Jahr her sein, dass wir hier in L wohnen, uns hier eingerichtet haben.

Bevor die Weihnachtstage begannen, hatte ich mir vorgenommen, endlich meine Steuerunterlagen der letzten drei oder vier Jahre anzufertigen. Endlich die Fotowand kreieren, um der neuen Wohnung mehr von meinem Ich zu verleihen. Mehr Farbe, mehr Wärme, mehr Herzlichkeit. Zum Mut für Farbe an der Wand konnte ich den Mann noch nicht begeistern, aber zumindest stimmte er meinen alternativen Plänen hierfür zu.

Und nun.. Ist mit heute der letzte Tag von drei ganzen langen Wochen Urlaub geendet. Was hab ich von dem erledigt, das ich tun wollte? Nichts wirklich.. Lediglich der neue digitale Ordner blinkt, der mit den wenigen Fotos, die ich dem Mann für unsere Fotowand vorschlug und über die wir uns noch einigen müssen. Aber sonst... Sitze ich hier im Schneidersitz auf meinem Sofa, die Stöpsel in den Ohren, wie so oft in den letzten Tagen, und weil der Mann sich heut Abend schon schlafengelegt hat; ich hör Musik und.. überwinde mich zu schreiben.
Ja, es kostet mich momentan noch immer Überwindung. 
Zugleich fühlt es sich aber auch wieder gut an.

Und wie fühlen sie sich an, diese ersten zehn Monate in unserem neuen Zuhause?
Gib dir Zeit, hab ich mir oft gesagt, du warst acht Jahre fort.
Zurückgekehrt bin ich an den Ort, wo ich zuvor etwa fünfundzwanzig Jahre gelebt hab. Vieles hat sich verändert - und irgendwie doch nicht verändert. Dennoch fällt es mir irgendwie schwerer als angenommen, mich hier wieder einzugewöhnen. Mich auch in die neue Wohnung einzugewöhnen. Es liegt wohl wirklich hauptsächlich daran, dass ihr eben noch.. meine "Seele" fehlt. Es ist noch nicht "meins", ich bin einfach noch nicht fertig. Und ist es ja nicht auch gerade das Schöne daran, dass man so langsam hineinwächst, über die Zeit hin gestaltet, verändert? 
Dafür entdecke ich immer wieder etwas Neues, das mir gefällt, das schön ist. Diese vielen kleinen Dinge, die es für mich ausmachen. 
Im Gegenzug bittet der Mann immer öfter: "Lass uns zurückgehen."
Manchmal sagt er das so oft, dass ich mich beginne zu fragen, ob das alles richtig so war. Ob wir überhaupt alles richtig so gemacht haben. München war nie als Endlösung gedacht. Es war immer sicher, dass es nur eine Lösung auf Zeit sein würde. Auch wenn ich mich überraschend schnell eingewöhnt hab. Auch wenn es bis heute Dinge gibt, die ich vermisse. Auch wenn überhaupt nicht klar ist, ob sich der Traum vom Meer eines Tages erfüllen lässt. 
Aber was, wenn er hier nicht mehr glücklich werden kann? Was, wenn das Heimweh und seine Sehnsucht nach den Bergen zu groß werden?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil ich hier noch eine Aufgabe zu erfüllen hab?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil München nicht mein Lebensmittelpunkt ist für den Rest meines Lebens?
Manchmal kann ich spüren, wie mir die Flügel erlahmen, wenn er gereizt, genervt auf Dinge reagiert, über die wir normalerweise lachen. Wie hilflos ich mich fühle, wenn er sagt, dass wir nie von München hätten fortgehen sollen. Dann hab ich mich auch schon ertappt dabei zu sagen: "Dann machen wir es so. Du gehst zurück und ich suche mir hier eine kleine Wohnung."
Darauf ist der Mann nicht eingegangen, kein einziges Mal. 
Wieder ein Leben auf Distanz führen - wollten wir das überhaupt wirklich? 
Die Bedingungen haben sich verändert - wir können, wenn wir das wollen, öfter von zu Hause aus arbeiten. Wären nicht mehr so angestrengt und gestresst wie noch vor neun Jahren, als wir erst am Ende einer langen, arbeitsreichen Woche die Reise zueinander antreten konnten. 
Aber könnte uns das retten?
Oder würden wir uns viel mehr an dieses Leben auf Distanz gewöhnen - und uns voneinander entwöhnen? 

Gib ihm Zeit, sage ich mir im Gegenzug öfter. Er war sehr viel länger von hier fort als ich. Und im Gegensatz zu ihm bin ich ein Zugvogel.. Ich kann mich überall dort niederlassen, wo ich mich wohlfühle.. Und zumindest eine ganze Zeitlang dort verweilen. So lange, bis es mich wieder weiterzieht...
"Du hast viel mehr Leichtigkeit als ich", hat der Mann heut Abend zu mir gesagt. Und mich dann angeschaut, weil ich darauf nicht geantwortet hatte. 
Er hat schon recht. Auch wenn es sich momentan so anfühlt, als wären meine Flügel immer noch lahm irgendwie. Immer, wenn ich aufatme oder das Gefühl hab, dass alles schön so ist wie es ist, kommt jemand oder irgendwas, das mir ein neues Gewicht an die Flügel hängt. Eine komische Zeit ist das. 

Montag, 8. Januar 2024

Einatmen - Aufatmen


Ich hab mir immer einen schönen Holztisch gewünscht, um den ich mit der Familie, mit Freunden sitzen würde. Wir würden Gläser auf den Tisch stellen, etwas zu trinken, etwas zu essen. Wir würden reden, lachen, an Sommerabenden die große Tür zur Terrasse öffnen, um die letzte Wärme des Tages in das Haus zu lassen. Musik würde im Hintergrund durch den Raum perlen, ich würde mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht schieben und lächeln.. Dankbar sein für den Moment, für den Augenblick - und für die Menschen, die diesen mit mir teilen.

Solange ich denken kann, hatten meine Eltern einen großen Tisch in ihrer Küche. Daran wurde gefrühstückt, zu Abend gegessen, am Wochenende zu Mittag. Es wurde dabei über alles mögliche geredet. Über den Tag, über die Ereignisse, über Sorgen und Probleme - und über die Höhepunkte des Tages oder der Woche. Es wurden Pläne geschmiedet oder welche verworfen.
Später, als die Brüder schon ausgezogen waren, da kamen sie immer vorbei, kaum dass die Mama den Wasserkessel auf den Herd gestellt hatte, um Kaffee zu kochen.
"Als würden sie es riechen", hat sie immer gelacht.
Und dann wurde gemeinsam ein Käffchen getrunken, über dies und jenes geratscht - und dann ging jeder wieder seiner Wege. 
Ich hab mir immer einen solchen Familientisch gewünscht.

Heute, in der Mitte meines Lebens, da haben wir so einen Tisch. 
Noch immer denke ich an die Zeilen von Anonym aus dem Kommentar zu meinem letzten Post:
"Vielleicht hat sich das mit dem Umzug und der beruflichen Verantwortung und Mehrbelastung auch nicht das erfüllt, was Sie sich wünschten."
Ich habe diesen Satz mehrfach gelesen, ihn hin und her gewendet, von verschiedenen Seiten betrachtet. Und wenn ich so darüber nachdenke... 
Weniger im Home Office und mit mehr Präsenz im Büro - daran muss ich mich noch immer gewöhnen. Morgens sehr viel eher aufstehen, abends durch den Berufsverkehr nach Hause schlängeln, müde sein..
Dem Mann zuhören, der sich wiederum an die Stille des Home Office gewöhnen muss. 
Dem das Heimweh in der Seele brennt.
Und dann war da auch immer diese Idee, diese Vorstellung in meinem Kopf: "Wenn die Jungen erwachsen geworden sind, ihr eigenes Zuhause haben, dann wohne ich ganz in ihrer Nähe und dann kommen sie immer mal vorbei. Vielleicht nach der Arbeit, vielleicht vor der Arbeit, vielleicht mal auf einen Sprung am Wochenende."
Die Realität ist, dass der Jüngere viel zu oft keine Zeit hat. Wir wohnen seit zehn Monaten wieder in L - und ich habe ihn in all der Zeit wohl um die vier- oder fünfmal gesehen. Nein, ich dränge ihn nicht, mahne ihn nicht, bettle ihn nicht. Ich weiß, dass er gern öfter hier wäre - und ich weiß, dass er sich so schon zwischen den Welten zerreißt. Und dem Älteren.. dem fehlt die Energie.
Lange Zeit nahm ich an, es sei der Tribut dessen, einen Vollzeit- und einen Minijob zu haben. Lange Zeit dachte ich, er sei das lebende Beispiel dafür, was es mit einem Menschen macht, der zuviel allein ist. Lange Zeit vermutete ich, den einen quälen Depressionen, weil er zuviel allein ist; und der andere bekäme langsam Depressionen, weil er zu wenig allein sei.
Dabei zusehen zu müssen, hat mich innerlich fast zerrissen.
Und dann stellten sich beim Älteren Symptome ein, die ich anfangs nicht miteinander verband. Sie kamen schleichend, und dann wurden sie immer deutlicher. 
Wirklich Angst wurde mir, als die Sprache undeutlich wurde. Darauf reagierte ich sofort. 
Diese verschiedenen Verdachtsdiagnosen, von denen eine innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit ausnahmslos zum Tod führt, entzog mir von einem Moment auf den anderen den Boden. So viele Tränen in mein Nachtkissen, so viele stummen Gebete zu wem auch immer und mit diesem Wunsch: "Nicht er, bitte, nicht er. Dann lieber mich."
Ein so tiefer Fall, ein so tiefer Schock, dass ich - auch wenn ich längst weiß, dass sich keine dieser schlimmen Diagnosen bestätigt hat, sondern die Lösung sehr viel "einfacher", weil - wenn auch auf Lebenszeit - behandelbar ist - mich bis heute nicht wirklich davon erholt hab.

Die Zeit um Weihnachten, die Tage danach... Hab ich gelebt, hab ich geatmet, hab ich gegessen, getrunken, geschlafen? Ich weiß es nicht mehr. 
Mein Kopf war so leer, meine Seele war leer. Die einzige Energie, die ich aufbringen konnte, war die, meinen Jungen zu Terminen zu fahren oder zu begleiten, für ihn zu sorgen. 

Der eigentliche Plan hatte vorgesehen, die Zeit zwischen Weihnachten und dem 7. Januar mit Weihnachtsfilmen, heißer Schokolade oder heißem Kaffee in Flanellhosen und mit Stricksocken der Mama zu füllen, mich auf dem Sofa zu fläzen, endlos ausschlafen und dem süßen Nichtstun zu frönen. Freunde besuchen oder einladen. Puzzeln. Malen. Lesen. Sowas vielleicht - oder vielleicht auch gar nichts von all dem.
"Was willst du mit zwei Wochen Urlaub machen?" hatte der Mann gefragt und ich hatte die Augenbrauen gehoben: "Ich versteh die Frage nicht."
Wieso machen? Ich wollte genau NICHTS machen. Nicht gefordert werden. Nicht gefordert sein. Nur.. ich sein. Me-Time nennt man das wohl heute. 




Die Realität ist, dass ich nichts von meiner eigentlichen Vorstellung umgesetzt habe. 
Die Realität ist, dass ich kurzfristig an die geplanten zwei Wochen Urlaub eine dritte Woche angehangen habe.
Und langsam, so ganz langsam spür ich meine Energie wieder. Meinen Tatendrang. 
Es ist, als hätte ich vor einigen Wochen die Luft angehalten... und könnte so langsam wieder aufatmen. Frei atmen. 

Mit 2023 habe ich inzwischen meinen inneren Frieden machen können. Nichts ist so schlimm gekommen wie es klang. Und das Wichtigste: Die Jungen sprechen wieder miteinander. Sitzen wieder gemeinsam am Tisch. An unserem Familientisch.
Für 2023 war das hier mein wichtigster Erfolg. 
Aber ich bin froh, wirklich froh, dass das Jahr vorbei ist. Es hat an mir geklebt und mich beschwert. 
Für 2024 habe ich keine Vorstellung und keine Vorsätze. 
Ich hab nur die Hoffnung, dass es irgendwie wieder leichter wird. 

Mittwoch, 8. November 2023

Die kostbaren Augenblicke


Die Zeit, sie vergeht so irrsinnig schnell. 
Gerade haben wir noch mit Herzklopfen das neue Jahr ersehnt, uns vorgestellt, was es an hoffentlich Gutem bereithalten würde, haben Pläne geschmiedet oder auf eine Zeit gehofft, die losgelöster wäre von Zweifeln, Ängsten. Auf eine Zeit, die Gutes mit sich bringen würde.
Gerade haben wir noch das erste zarte Grün in den Gärten und an den Bäumen in der Straße bewundert, die Mäntel gegen die Sommerkleider getauscht, im Meer gebadet, barfuß Muscheln und Steine gesammelt und über den weiten Horizont des Meeres geschaut, die Augen mit der Hand abgedeckt ob der Sonnenstrahlen. In der Sonne gelegen und in der Nacht die verbrannten Stellen auf der Haut mit leichter Creme abgedeckt.
Und hat man sich nur ein einziges Mal umgewendet, ist der Herbst schon herangekommen, hat die Bäume in goldrote Farben getaucht, für kurze Zeit nur, und jetzt rieseln sie Tag für Tag zu Boden.. Das Schnarren der Raben kündigt sie an, die kalte Zeit..
Und nun ist es beinah zum Greifen nah, das Ende dieses Jahres. Ein Jahr, von dem ich für mich noch nicht entschieden habe, wie es sich anfühlen soll.
"Geht es dir gut?" hat der Mann mich gestern Morgen gefragt.
Was soll ich darauf antworten?
Ich habe ein schönes, warmes Zuhause.
Ich habe einen Job; einen fordernden - aber einen guten.
Ich habe gesunde Kinder, soweit.
Ich bin selber gesund, soweit.
Was kann man anderes darauf antworten, als dass es einem gut ginge?
Und dennoch.. kann ich nachts kaum noch schlafen, drehe und wende ich mich hin und her, decke mich auf, decke mich zu, starre mit großen Augen in die Dunkelheit und versuche, all diese Gedanken aus meinem Kopf herauszubekommen, die mich am Schlaf hindern. 
Eine Zeitlang habe ich mich gefragt, ob es am Älterwerden liegt, dass so viele Dinge mich sorgen. Doch wenn ich mich so umhöre.. Dann ist es längst keine Frage des Alters mehr. 

Es hat mal eine Zeit gegeben, in der ich mir einen Raum für mich gewünscht habe. Ein kleines Hotelzimmer irgendwo in irgendeiner Stadt, die ich nicht kenne. Fremde Straßen, fremde Hausnummern, fremde Zimmer mit einem Bett darin nur für mich ganz allein. Einer Kommode, einem breiten Fensterbrett, auf dem ich mich niederlassen und hinausschauen könnte. Mich herauslösen aus dem Alltag und hineintauchen in eine fremde Welt, die meine Sinne inspiriert und mir Zeit und Raum nur für mich selbst ermöglicht. 
Als ich den Song "Motel" für mich entdeckte, fühlte ich mich an längst vergangene Zeiten und längst verblichene Erinnerungen berührt. An Nächte in irgendwelchen Motels. An meine Sehnsucht, zu verreisen, die Tasche hinten auf dem Rücksitz mit nichts darin außer einigen Kleidern, ein paar Büchern und dem Strohhut. 

Die Realität aber hier und jetzt ist, dass ich von früh bis abends arbeite und immer dann, wenn ich denke, endlich mal wieder etwas Luft am geschnürten Hals zu bekommen, neue Forderungen auf den Tisch bekomme. Den Deadlines und Terminen hinterherjage, weil dieses "was heute nicht wird, wird morgen" nicht das meine ist. Weil die Gleichgültigkeit anderer mich wahnsinnig macht. 
Im Kopf all die Arbeit und all die privaten Sorgen, die mich bis unter die Haarwurzeln belasten, die ich hier aber nicht ausbreiten mag. Aber da ist dieses Gefühl... dass alles an mir zerrt und zehrt. Dass ich nicht mehr zur Ruhe finde, im Kopf nicht und in der Seele nicht. Und dabei zusehe, wie ich jeden Tag an meiner Mühe scheitere, versuchen zu wollen, dass es allen gut geht, dass alle gut zueinander sind.. 
Schon längere Zeit zittern meine Hände, vibriert mein ganzer Körper, die Herzfrequenz am Anschlag.
Ich weiß gar nicht, wie lange das her ist, dass es mir so ging, aber gestern Mittag hab ich mich im Büro im Badezimmer eingeschlossen und nur geweint. So richtig geweint wie früher als Kind. 
Darüber sprechen kann ich nicht, weil ich gar nicht weiß, mit wem. 
Den wenigen, denen ich im Büro vertraue, mag ich es nicht sagen. Wir haben alle unsere Sorgen, wir haben alle zu tun. 
Der Mann hat mit sich zu tun. 
Den wenigen, denen ich außerhalb des Büros vertraue, haben ganz andere, elementare Sorgen - da muss ich ihnen nicht mit meinen Luxusproblemen kommen. 
Stattdessen höre ich mir die Sorgen und Probleme anderer an und denke mir, worüber beklage ich mich eigentlich..
In den letzten Wochen habe ich oft gemalt - aber ich spüre schon, bevor ich mich an meinen Maltisch setze, ob "es fließt oder nicht". Und da fließt irgendwie nichts mehr. Der Kopf ist blockiert, die Seele nicht frei. Ich habe Angst bekommen vor der Zukunft, wenn ich höre und sehe, was in der Welt passiert, was hier bei uns passiert. Ich frage mich, wohin ich gehen kann, um mich all dem zu entziehen - und wie ich es anstelle, dass der Mann und meine Kinder mit mir kommen. 
Ich zucke zusammen, wenn ich höre und lese, wie Menschen miteinander sprechen, miteinander umgehen. 
Mir wird das Herz schwer, wenn ich höre und sehe, wie innerhalb der Familie übereinander gesprochen und miteinander umgegangen wird. 
Mir wird das Herz noch schwerer, wenn ich mich fragen muss, ob dieser eine Geburtstag der letzte Geburtstag sein wird, den wir feiern.

Ein kluger Mensch hat mal gesagt: "Wir brauchen viele Jahre, bis wir verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können."

Und warum leben wir sie dann nicht?

Dienstag, 19. September 2023

Nachtgedanken


Vor kurzem hab ich ein Mini-Interview gesehen mit einer Krankenschwester aus England, glaube ich. Sie hat schon viele Menschen beim Sterben begleitet und auf die Frage, was diese Menschen so kurz vor ihrem Abschied am meisten beschäftigte, antwortete sie: Als erstes sagen die Menschen, sie hätten weniger arbeiten und mehr das Leben genießen sollen. (Das zweite habe ich vergessen.) Und als drittes sagen die Menschen, sie hätten das Leben führen sollen, das sie wirklich wollten - und nicht das, was man von ihnen erwartete.

Mir gingen bei diesen Worten zwei Dinge durch den Kopf. Zum einen, dass ich nach all den Jahren immer noch sehr erleichtert darüber bin, dass das Leben vor nun genau zwanzig Jahren eine völlig andere Richtung eingenommen hatte. Damals sagte ich zu dem Mann, von dem ich mich gerade erst getrennt hatte, dass wir beide alle Möglichkeiten in der Hand hielten und nun jeder für sich etwas daraus machen könnte. Das Richtige für sich tun könnte. 
Würde ich diesen Weg nicht gegangen sein, damals, dann wäre ich vermutlich Jahre später nicht mehr gegangen - und würde irgendwann vor meinem Ende all das bedauern, was ich eben nicht getan habe..
Mir gingen auch die Worte des heutigen Mannes durch den Kopf, der vor sehr langer Zeit mal zu mir sagte, dass ich vielleicht nicht genug arbeiten würde, wenn ich nicht so viel Geld verdiene.
Dazu muss ich sagen: Ich hab immer gern gearbeitet, weil ich es liebe, eine Aufgabe zu haben. Etwas habe, an dem ich mich messen und an dem ich wachsen kann. Das, was ich mache, hab ich immer mit Herzblut gemacht. Arbeit habe ich nie gescheut. Vielleicht kann man eher sagen, dass ich in einer Berufsgruppe unterwegs bin, für die mir die eine oder andere Zusatzausbildung oder Qualifizierung fehlt, um dort mehr Gehalt zu bekommen. 
Bis heute habe ich weder das eine noch das andere nachgeholt - die Gründe hierfür sind verschieden - aber wo ich heute angekommen bin, das erfüllt mich mittlerweile doch mit einem guten Gefühl. Oder Stolz - darf man Stolz überhaupt noch sagen? Inzwischen sind ja so viele Worte und Empfindungen negativ besetzt, dass ich heute schon noch mehr überlege, was ich sage und wie ich es ausdrücke.
Jedenfalls, die Position, die ich heute hab, verbunden mit dem Gehalt, das ich seither bekomme, fordern eben auch ihren Tribut. Dass ich arbeite, auch wenn ich erkrankt bin; dass ich auch mal arbeite, wenn ich im Urlaub bin; dass ich vor allem im Home Office oft zehn Stunden am Tag arbeite - das hab ich alles schon vor Gehalt und Position gemacht - aber heute werde ich eben auch dafür bezahlt. 
Ich denke, ein Stück weit wird einfach von mir erwartet und auch vorausgesetzt, keinen Dienst nach Vorschrift zu machen. Das war zwar noch niemals meine Einstellung, dennoch führt meine Arbeitsweise auch heute noch immer wieder zu Diskussionen mit dem Mann. Er wünschte sich, ich würde weniger arbeiten - nur wäre ich ohne Herzblut und Engagement eben nicht da, wo ich heute bin..
Gleichwohl ist Abgrenzung nach wie vor ein großes Lernthema für mich. Sicherlich bin ich da schon vorangekommen, aber da.. ist noch Luft nach oben, würde ich sagen. 

Nach dem Urlaub im Sommer hab ich mich so herrlich entspannt und erholt gefühlt - und dieses Empfinden hielt eben einfach nicht lange an. Jetzt sind wir für einige wenige Tage nach Italien gefahren. Ich liebe dieses Land, ich liebe diese Lebensart - auch wenn ich immer wieder schmunzeln muss, weil die Italiener so furchtbar hektisch sprechen. Aber ich liebe ihr Essen, ihre Lebensart, insbesondere der Menschen in der Toskana, fernab von größeren Metropolen. Ich bin wirklich sehr gern hier - und frage mich öfter: Wo möchte ich später mal sein, wenn ich nicht mehr arbeiten muss?
An die Küste - und welche? Kann ich das auch dann bezahlen, wenn der Mann nicht mehr bei mir ist? 
Wie finanziert sich mein Leben dann überhaupt? Genügt die Vorsorge? Genügt das Einkommen nach dem Arbeitsleben? Was brauche ich selbst und wieviel brauche ich, um glücklich zu sein?
Ich glaub, diese Antwort ist.. ziemlich einfach.
Eigentlich.. brauche ich nur die Musik und das Malen. 
Einen kleinen bezahlbaren Wohnraum für mich finde ich ganz sicher, ganz gleich wo. 
Eigentlich.. mache ich mir da nicht wirklich Sorgen. 
Nur Gedanken. Hin und wieder. Mal mehr, mal weniger..

Und inmitten dieser Gedanken stolperte ich über die Gedanken einer anderen Bloggerin und deren "Prokrastinationsstöckchen".. Wann immer ich solche Fragen lese, formuliere ich selbst beim Lesen fremder Antworten meine eigenen...

1. Wo ist Dein Handy?
Neben mir. "Du und dein Handy" murrt der Mann ja oft. Irgendwie hat er recht. Das Teil und ich sind vermutlich schon sowas wie ne Symbiose eingegangen. Aber da ist einfach auch alles drauf, was ich brauch. Ganz voran - dank Spotify - eine ungeahnte Fülle an für mich toller Musik.

2. Dein Partner?
Steht grad draußen in der Nacht aufm Balkon. Er hatte schon geschlafen, war wieder aufgestanden und nun wartet er, dass ich hier fertigwerde und mich mit ins Bett begebe :)

3. Deine Haare?
Wachsen wieder. Gott sei Dank. War doch bisschen erschrocken, wieviel beim letzten Friesemeistergang abgesäbelt worden war. 

4. Deine Mama?
Die ist beim Papa.

5. Dein Papa?
Der ist bei der Mama.

6. Dein Lieblingsgegenstand?
Hm. Ich habs nicht so mit Superlativen. Vermutlich bin ich da typischer Zwilling: Kann mich so schlecht festlegen :)
Der Mann hingegen würde ja jetzt sofort sagen: "Na dein Handy!"

7. Dein Traum von letzter Nacht?
Hm, gruselig.. Ich träumte, ich stünde in einem Wohnhaus (irgendwie ähnelte es dem Haus, in dem ich mit dem Ex lebte) unten an der Tür und irgendein Mann wollte, dass ich rauskomme und mit ihm mitgehe. Mir wurde jedoch bewusst: Eh das geht schief, der ist gefährlich.
Also hab ich die Tür zugeschlagen und versucht, in eine der Wohnungen zu fliehen, bevor der Mann die Tür öffnen und mich jagen konnte. Aber da gab es keine Wohnungen und in diesem Haus und keine Tür, die sich für mich öffnete.. Da bin ich aufgewacht.
Ich hatte sehr, sehr lange Ruhe vor beklemmenden oder gar Alpträumen. 
Jetzt geht die Scheiße hoffentlich nicht wieder von vorne los.

8. Dein Lieblingsgetränk?
Na gut, das ist einfach ;)

9. Dein Traumauto?
Klein und handlich muss es sein. Und ich bin noch immer ein Fan von Audi. Kann mir nicht helfen, war schon immer so. Der Mann zeigte mir heute so nen kleinen Fiat 500 oder so - kennt Ihr sie noch, diese alten, runden Modelle? Er meinte: "Das wird später mal dein Stadtauto" und ich grinste breit. 

10. Der Raum, in dem Du Dich befindest?
Im Wohnbereich der Ferienwohnung. 

11. Dein Ex?
Ich denke an dieser Stelle nach vorn, nicht zurück.

12. Deine Angst?
Oh, hm, mehrere: vor Höhe, vor Enge. Begraben, verbrannt zu werden, ohne wirklich tot zu sein. Am schlimmsten: Angst um die Kinder. Je oller, je doller. 

13. Was möchtest Du in 10 Jahren sein?
Glücklich. 

14. Mit wem verbrachtest Du den gestrigen Abend?
Mit dem Mann. Ich malte, er las. 

15. Was bist Du nicht?
Geduldig. Knitterfrei. 

16. Das Letzte, was Du getan hast?
Grußkarten malen. Verlege mich grad vom Steine bemalen auf Grußkarten malen und übe mich hierbei in Aquarell. Da ist aber noch wirklich ganz, ganz viel Luft nach oben. 

17. Was trägst Du?
Ein Sommerkleid.

18. Dein Lieblingsbuch?
Ein ganzes halbes Jahr. Da ist sooo unfassbar viel von mir in der Protagonistin.
(Und grad stell ich fest, ich kann ja doch in Superlativen ;))

19. Das letzte, was Du gegessen hast?
Spaghetti Bolognese. Selbst gemacht. Danach war ich so satt, dass ich kein Abendessen mehr brauchte.

20. Dein Leben?
Es fühlt sich vieles neu und ungewohnt an. Mit dem Rückzug von M nach L haben der Mann und ich die Seiten getauscht. Jetzt ist er fast ausschließlich im Home Office, während ich wieder mehr ins Office gehe. Wie sehr mich das noch anstrengt, spüre ich daran, wie sehr ich mich auf diese kleinen Kurzurlaube freue. Kein "wir machen nur einen Urlaub im Jahr", sondern "wir verteilen unsere freien Zeiten auf zwei-, dreimal im Jahr" - und ich genieße das nicht nur, ich brauche das momentan wirklich. 

21. Deine Stimmung?
Ausgeglichen. Entspannt. Hier hab ich überlegt, ob ich das schreibe. Weil.. Immer, wenn ich hier im Blog schrieb, dass es mir grad gut geht oder so, dann und wirklich immer dann ist im Anschluss irgendetwas vorgefallen, was mir genau diese Stimmung wieder genommen hat..
Ich bin nicht abergläubisch, aber nach der x-ten Wiederholung schleicht sich dann doch ein etwas mulmiges Gefühl ein. 

22. Deine Freunde?
Fast alle wieder in der Nähe - nur liegts hauptsächlich an mir, dass ich nur wenige wiedergesehen habe und es auch noch keine Wiederholungen gab. Ich muss mich noch reinfinden in den neuen Rhythmus in L. Womit ich auch wieder beim Lernprozess des Abgrenzens wäre ;)

23. Woran denkst Du gerade?
Oh da bin ich typisch Frau und typisch Zwilling: In meinem Kopf gehts grad zu wie auf nem Jahrmarkt. 

24. Was machst Du grad?
Na bloggen??!!

25. Dein Sommer?
Oh, ich hab eins festgestellt: Ich bin kein Sommerkind mehr. Am Winter mag ich nicht, dass die Bäume kahl und die Landschaft oft so trist ist.
Was liebe ich also? Genau. Den wundervollen Herbst mit seinem goldgelben Kleid. Ich freu mich so auf die Zeit meiner rosafarbenen Strickhandschuhe, den Strickstrümpfen und den Boots, dem Schal und den heißen Kakao oder Milchkaffee.. DAS ist einfach meine Zeit!

26. Was läuft in Deinem TV?
Nichts. Im Urlaub brauchen wir den nicht. 

27. Wann hast du das letzte Mal gelacht?
Heute Abend über den Mann. Oder besser gesagt: Wegen dem Mann ;) Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied. 

28. Das letzte Mal geweint?
Das ist eine Weile her und es ging um meinen Jungen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. 

29. Schule?
Ich lerne jeden Tag etwas dazu.

30. Was hörst Du gerade?
Obigen Song (in Dauerschleife). Das ist so eine Kategorie, das hör ich am liebsten beim Autofahren, beim Bummeln in der Stadt, beim Sitzen in der Sonne...

31. Liebste Wochenendbeschäftigung?
Ausschlafen. Malen. Musik hören. Radeln. Spazieren gehen. Entdecken. Sehen. Freuen. Genießen. Alles - Hauptsache stressfrei.

32. Traumjob?
Öhm... Vor etlichen Jahren hätte ich noch gesagt: Was Soziales, was mit Kindern. Inzwischen bin ich mir darin nicht mehr so sicher. In Zeiten, wo selbst Grundschulkinder mit Dingen in die Schule kommen, mit denen ich nicht mal als Erwachsene in Berührung kommen wollte, weiß ich nicht mehr, ob das was für mich wär. 

33. Dein Computer?
Passt, wackelt und hat Luft. Sagt man so, oder? Grundgütiger, was soll ich denn zu nem Computer sagen? Was is das für ne Frage?

34. Außerhalb Deines Fensters?
Hier? Oder zu Hause? zu Hause hab ich endlich meinen geliebten Kastanienbaum vor dem Fenster. Nicht ganz soooo nah, wie ich mir das gerne gewünscht hatte, aber er ist da, es gibt ihn - und ich kann ihn mir jeden Tag anschauen, wenn ich frühstücke oder zu Abend esse.

35. Bier?
Äh igitt. Never ever.

36. Mexikanisches Essen?
Habe ich vor vielen Jahren mal gegessen. War sehr lecker. 

37. Winter?
Ist jetzt nicht so meine bevorzugte Jahreszeit. Ja es sieht toll aus, so eine verschneite Landschaft. Ich hab aber lieber trockene Straßen - und das ist für manche Städte noch immer eine Herausforderung. Die scheinen jedes Jahr aufs Neue überrascht, dass es sowas wie Schnee gibt.
In diesem Jahr aber freu ich mich vor allem auf die Weihnachtstage. Das erste Weihnachten, an dem wir nicht fahren müssen - und trotzdem die Familie bei uns haben. 
Für den Mann ist das hier nicht so einfach - er vermisst M und er vermisst seinen Sohn. 
Ich kann das absolut nachempfinden, das hab ich die letzten acht Jahre auch so empfunden. Es wird für immer unser Spagat bleiben, denn meine Kinder werden nicht nach M wechseln - und der Sohn des Mannes nicht (zurück) nach L.
Und M selbst.. Es ist nicht so, dass ich die Stadt nicht vermisse. Es ging so schnell und so einfach, mich dort einzuleben, das hab ich nie gedacht. 
Wohnen möchte ich dort dennoch nicht für den Rest meines Lebens.
Zu weit weg vom Meer, zu teuer für mich allein, sollte es eines Tages so kommen. Es ist auch einfach zu weit weg von meinen Söhnen, von denen einer noch mit vielem hadert und dankbar ist, nicht vergessen zu werden.

38. Religion?
Ich habs nicht damit. Im Namen der Religion ist schon so unendlich viel Unglück über die Menschen gebracht worden. Wenn überhaupt, würde ich am ehesten zum Buddhismus passen. Unterwerfen würde ich mich jedoch keiner Religion. 

40. Auf Deinem Bett?
Da liegt aktuell jetzt wieder der Mann, weil dem das hier alles zu lange gedauert hat :)

41. Liebe?
Liebe ist ein großes Wort. Auf Worte gebe ich nichts mehr. 
Aber es ist ein wunderbares Lebensgefühl. Und davon hab ich, glaub ich, ganz viel. 

So, und weil es jetzt 1:10 Uhr ist und ich auch langsam müde werde, verabschiede ich mich von Euch und meinen Nachtgedanken.

Montag, 11. September 2023

Auf leisen Sohlen


Da hab ich mich nur einmal kurz umgesehen - und schon neigt sich der Sommer dem Ende entgegen. Auch dann, wenn er noch einmal so richtig auffährt und alles aus sich herausholt, was dem Menschen um diese Zeit noch geboten werden kann.
So wie am gestrigen Tag, als wir uns die Fahrräder nahmen und zum See radelten.
"Gib auf deinen Rock acht", mahnte der Mann, während ich ihm lachend davonfuhr und es genoss, wie Sonne und Wind die Haut streichelten und der Rock im Wind flatterte. 
Ich meine.. wir sind inzwischen im September angekommen - und haben gestern im See gebadet, der noch so gar nichts von Spätsommer oder gar Herbst anmuten lassen wollte. Auch färbt sich noch nicht einmal das Laub.

Aber da ist der Ruf der Raben vor unserem Fenster, die mit ihrem Schnarren den Herbst ankündigen. Wie sie da sitzen im Kastanienbaum auf der einen Seite oder auf der Platane, wenn ich von meinem Bett aus zum Fenster hinausschaue. Es war übrigens genau dieser Blick, der den letzten Ausschlag gab, dieser Wohnung zuzusagen. Gibt es etwas Schöneres, als vom Bett aus auf sattes Grün schauen zu können? Ja freilich, gibt es - das Meer :) 
Gleichwohl.. wäre da ja immer noch mein ganz persönliches Dilemma - die Frage des Wohnens am Meer oder in einer Metropole - oder bestenfalls mit beidem zusammen. Jedoch dazu das Land verlassen zu müssen, dazu wäre ich zumindest in der aktuellen Zeit noch nicht bereit.
Erst wenn sie ihren eigenen Lebensmittelpunkt gefunden haben, die beiden Jungen.. Erst wenn ich weiß, dass es da jemanden gibt, der ihre Ängste, ihre Sorgen, ihre Glücksmomente, ihr Lachen teilt - erst dann könnte ich es mir vorstellen zu gehen. Noch einmal ganz woanders hinzugehen..
Beim Jüngeren stehen die Zeichen sehr gut hierfür, der Ältere wird mehr Zeit dafür benötigen. 
Es hat eine Zeit gegeben, in der ich mir sagte: Er hat alle Zeit der Welt und auch ich kann warten auf das, was mir, was uns wichtig ist.
Jedoch las ich unlängst diese Zeilen "Es gibt Dinge im Leben, die man nie sagt, weil man glaubt, man hätte noch ein ganzes Leben lang Zeit. Man hat kein Leben lang Zeit. Nie."
Und irgendwie.. stimmt das ja auch. So irgendwie halt. 


Vor einigen Tagen stand ich am Bahnsteig und habe gewartet. Auf die Bahn und auf einen Menschen, der mir sehr viel bedeutet.
Ich stand dort, ich hatte meine Musik in den Ohren und während der Blick langsam all die Menschen einfing, ihre Gesichter, ihre Mimiken, ihre Gestiken, da wünschte ich mir, ich könnte in die Bahn steigen. Würde irgendwo hinfahren, irgendwo aussteigen und mir anschauen, was mir dort begegnen würde. Und sei es einfach nur für diesen einen Tag. Vielleicht auch doch ein Zimmer irgendwo nehmen und anderentags wiederkommen. Reich angefüllt mit Eindrücken, mit Ideen, mit Inspirationen.
Das ist die eine Seite an mir.
Die andere ist ja - realistisch betrachtet - jene Seite, die Furcht entwickelt. Die, solange sie nicht losgelaufen ist, Furcht vor dem Weg entwickelt; davor, nicht wieder heil und gesund heimzukommen. Aus ganz verschiedenen Gründen, die - bei Tag betrachtet - ja alle irgendwie völlig substanzlos sind. 
Wenn ich daran denke, wie sorglos ich noch vor einigen Jahren war... Wenn ich daran denke, wie leichtsinnig ich genau genommen vor einigen Jahren noch war... Dann bin ich tatsächlich auch dankbar. Dankbar dafür, dass ich bei all den Dummheiten, die ich angestellt habe, immer noch Glück hatte.
Gerade muss ich ein bisschen lachen, weil mir die Tage an der Küste einfallen, zu denen ich mich spontan entschlossen hatte. Einfach ein Ziel herausgesucht, eine Unterkunft gebucht - und losgefahren. Um vor Ort festzustellen, dass sich das Zimmer, das ich meinte, gebucht zu haben, leider doch nicht im ersten Stock mit dem kleinen niedlichen Balkon und dem wunderbaren Blick auf das Meer befand, sondern im Erdgeschoss. Was zur Folge hatte, dass ich, kaum dass der Abend nahte, alle Vorhänge sorgfältig zuzog, auf dem Sofa statt im Schlafzimmer übernachtete (ich hab bis heute noch nicht verstanden, warum sich ein Sofa für mich sicherer anfühlt als ein Schlafzimmerbett) und mich blind und taub stellte, als jemand an der Wohnungstür rüttelte, während mir das Herz bis unter die Haarwurzeln schlug. Das Telefon mit eisernem Griff in der Hand, bereit, sofort den Notruf zu wählen, sollte die Eingangstür auch nur ein bisschen nachgeben wollen. 
Vielleicht war ja jener Zeitpunkt etwas ungünstig gewählt, vielleicht war die Jahreszeit weniger ansprechend. Vielleicht hätte ich mehr Menschen auf den Straßen, im Haus gebraucht, die mir ein Gefühl von Sicherheit vermittelten. Der Mann träumt ja oft von einem Haus in den Bergen. Er weiß, dass er mich davon niemals wird überzeugen können. Für ihn ist es der Reiz der Natur, der Stille, der Ruf der Berge. Für mich jedoch bedeutet es Einsamkeit und gruselige Nächte. 

Am Ende werden wir sehen, wohin es uns treibt. Wichtig ist doch eigentlich nur, dass uns die Zeit für all das bleibt, wovon wir träumen, was wir uns wünschen. Dass wir - wider besseren Wissens - eben doch alle Zeit der Welt haben, irgendwie. Weil man sein Leben doch nicht auf Kosten anderer führen kann. Oder besser gesagt.. Ich kann das nicht. Oder noch besser: Ich möchte das nicht. 
Unlängst sagte ich einer Freundin: "Mach mehr von dem, was sich für dich gut anfühlt". Woraufhin sie antwortete: "Würde ich ja gern, wenn nicht alle zwei Minuten jemand was von mir wollte."
Im ersten Affekt wollte ich antworten: "Dann grenz dich ab."
Ich habs dann aber nicht geschrieben. Weil Abgrenzung wichtig ist - aber nicht immer über allem und jedem steht. 

Mit dem Herbst, der nun auf leisen Sohlen naht, fühle ich jedoch, wie auch ich wieder stiller werde. Ich spüre das vor allem an der Musik, die ich momentan bevorzuge. Die Klänge werden langsam sanfter, sinnlicher, auch melancholischer. Die Gedanken werden sanfter, nachgiebiger, ruhiger. So als würde ich mich in einen Kokon aus eigen Gedanken, aus der Musik und den Bildern, die ich malen möchte, die ich ausprobiere zu malen, hüllen. Und wenig von dem, das um mich herum ist, durch diesen Kokon dringen kann. Mir tut sie gerade gut, diese Zeit. Um nicht zu sagen: Ich liebe diese Zeit. 
Dass das den Mann etwas verunsichert, kann ich spüren. Ich kann es fühlen, wenn er mich manchmal anschaut; ich kann es fühlen an dem, was er sagt und was er denkt. Für mich jedoch.. ist der Herbst irgendwie.. eine Zeit, in der ich mich befreie von all dem, was sich über das Jahr in meinem Kopf und in meinen Gedanken angesammelt hat. 

Sagte ich eigentlich schon, dass ich den Herbst unfassbar liebe? Ich bin schon sehr lange kein Sommerkind mehr. 

Dienstag, 8. August 2023

...cause when I wake up, I'm alone.


Viel zu lange wieder nicht geschrieben. Als gäbe es nichts zu erzählen oder wenigstens zu sagen. Ist ja nicht so, als wäre der Kopf nicht beschäftigt. Das ist er, ständig rollen alle möglichen Dinge hin und her. Manchmal beinah der Versuchung nachgegeben, etwas aufzuschreiben. Manchmal der Versuchung nachgegeben, Gedanken auszusprechen. Reaktionen abgewartet, diese im Kopf arbeiten lassen - und letztlich wieder geschwiegen. Dinge im Raum stehengelassen.

Jeden Morgen auf dem Weg ins Büro und jeden Abend auf dem Weg nach Hause lass ich die Fenster meines kleinen Grauen hinunter, weil ich es fühlen will: den frischen Wind, wie er mit den Haaren spielt, mit dem Rock. Ich liebe es, wie er mir um die Beine wuselt, unter dem Rock, unter der Bluse. Dann drehe ich diese Musik so sehr auf, dass der Sitz vibriert, dass die Noten buchstäblich auf der Haut tanzen. Dann fühle ich mich.. irgendwie frei. Frei im Kopf und in der Seele. Beinah so frei wie in den gerade zurückliegenden Tagen am Meer. Hineinspringen, ob der Kälte zittern, kreischen, eintauchen, auftauchen, in die Wellen werfen, mich von ihnen ans Ufer tragen lassen und doch wieder zurücktauchen, zurückschwimmen... Unendliche Weite wie ein kleiner Fisch in einem Ozean, unendliche Freiheit. Hineinwerfen in die weißen Schaumkronen, bis es überall prickelt auf jedem Zentimeter meiner Haut. 

"Du hattest so ein geiles Strahlen um dich herum, als du aus dem Urlaub kamst. Aber einen Tag drauf wars schon wieder vorbei."

Wir haben keinen einzigen Tag ferngesehen, wir waren jeden Tag im Meer baden, ganz gleich, ob es regnete oder die Sonne schien. Haben die Halbinsel mit dem Rad erkundet, wundervolle kleine reetgedeckte Gasthöfe entdeckt, unter deren Dach selbstgebackener Kuchen geboten wurde. Ich liebe es, die Augen zu schließen und dem breiten ruhigen Dialekt der Einheimischen zuzuhören, die Beine auszustrecken und an nichts denken zu müssen. Abends die Spielkarten auszupacken oder auf ein Konzert zu gehen, mitzusingen, so aus vollem Herzen, bis die Stimme bricht und die Augen funkeln. An anderen Abenden mich ins Bett zurückziehen können, in einem Buch lesen, während sich die anderen im Wohnbereich über Gott und die Welt unterhalten. Dem Regen lauschen und die Augen schließen.. Ich liebe es, ab und an allein zu sein, für mich allein zu sein. Ich muss ab und an für mich allein sein.

Der Kopf war frei, die Seele atmete frei - ich war frei. Vermutlich ist das auch der Grund, dass es sich für mich immer so anfühlt, als käme ich aus einer völlig anderen Welt, wenn ich wieder nach Hause zurückgekehrt bin. Das neue Zuhause, an das wir uns noch immer nicht so ganz gewöhnt haben. Zu groß der Raum, den wir wählten. Und inzwischen weiß ich auch, woran es liegt: Es fehlt noch meine ganz persönliche Note. 
Vermutlich sind Küche und Schlafbereich am ehesten das, was an mich erinnert. Bunt, geradlinig und zugleich verspielt, gelassen und zugleich unruhig... Lebendige Farben in einem ruhigen Rahmen..
In beiden Räumen mischen sich am ehesten mein nicht-erwachsen-werden-können-und doch-längst-den-Sandalen-entwachsen...
Das ist es vermutlich auch, warum ich mit dem Wohnbereich noch nicht "fertig" bin: Er ist für mich zu geradlinig, zu erwachsen... Über Wochen habe ich darüber nachgedacht, was ich anders gestalten, was ich anders haben möchte. Vorgestern Abend endlich die zündende Idee.. Es sind Bilder, die noch fehlen.. Bemalte Leinwände. Die Motive arbeiten im Kopf, eigentlich sind sie aber auch schon fertig... Mit der Umsetzung wird es etwas länger dauern.
Für den langen Weg vom Wohn- in den Schlafbereich habe ich den Mann von meiner Idee überzeugen können: großformatige schwarz-weiß-Fotografien in schwarzen Rahmen. Eher ruhige, sinnliche Motive.
Wenn wir doch nur die Zeit finden könnten für das, was wir uns überlegt haben.
Wenn wir doch nur überhaupt Zeit finden könnten..
Seit wir nach L zurückgekehrt sind, fühlt es sich an, als würden die Tage zwischen meinen Fingern zerrinnen. Würden die Zeiger der Uhr wesentlich schneller rotieren und die Abfolge aus Tag und Nacht wie im Zeitraffer vor meinem erstaunten Blick vorüberziehen.
Möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass ich wieder mehr im Büro als im Home Office bin.
Mir ist bewusst, dass ich anderes hätte aushandeln können. Dass ich andere Bedingungen hätte festmachen können. 
Wie oft ich darüber nachgedacht hatte, das Unternehmen zu verlassen. Die Angebote, die mir das ermöglicht hätten. Bis das Unternehmen verkauft und mir in diesem Zuge eine neue Rolle übertragen worden war, der ich mich verpflichtet fühle. Die mir Angst macht vor mir selbst, in die ich mit jedem Tag mehr hineinwachse und die mich zugleich jeden Tag neu meine Grenzen spüren lässt. 
Wenn ich am Abend die Tür aufschließe, fühle ich mich unendlich müde. Möchte nicht reden, nicht zuhören, nicht gefordert sein. Doch dann... Meist hat der Mann schon etwas zum Abendessen vorbereitet. Er erzählt von seinem Tag, während ich den Blick nach draußen auf den herrlichen Kastanienbaum richte. Ich liebe Kastanienbäume so unfassbar sehr!
Manchmal schweifen die Gedanken ab, manchmal kann ich die Konzentration halten, manchmal antworte ich, meistens lasse ich ihn einfach nur reden und höre zu. Und dann.. dann kann ich fühlen, wie die Ruhe in meinen Körper kriecht, sich in jedem Zentimeter von mir ausbreitet. Wie Gedanken langsam austrudeln ähnlich einem Brummkreisel von einst in der Ecke liegenbleiben. Manchmal lassen wir die Musik im Hintergrund spielen, während wir uns ein Glas Weißwein einschenken und ich den Mann zwischen den Korbstühlen und den Blumen auf dem Balkon zum Tanzen verführe. Dann lehne ich meinen Kopf an seine Brust, schließe die Augen, völlig selbstvergessen.. kann alles um mich herum und in meinem Kopf ausblenden, irgendwo ganz tief nach hinten in den letzten Winkel des Bewusstseins schieben.. und einfach nur genießen..
Manchmal aber schlüpfen wir abends noch in die Turnschuhe, fassen uns an die Hände und laufen hinein in den Park, atmen die Wärme des Tages.. Und dann erzählt der Mann von Gott und der Welt. Hin und wieder schmunzle ich über seinen Redebedarf. So wie ich mich fühlte in den ersten Jahren nach dem Umzug nach M. 
Manchmal aber.. machen wir einfach auch gar nichts. 
An dieser Stelle muss ich grad unwillkürlich grinsen, weil mir der Inder einfällt, der damals, 2016 auf unserer Reise durch Rajasthan, zum Mann sagte, ich sei ganz anders als er - er sei so ein Unruhegeist, wolle so viel wie möglich an Erlebnissen in einen Tag verpacken, während hingegen ich diejenige sei, die in sich ruhe und nicht so viel braucht, um glücklich zu sein. Interessant, oder? Dass ein Mensch so punktgenau das Wesen eines anderen erfassen kann, den er ja eigentlich gar nicht kennt. 

Jedenfalls.. seit ungefähr zehn Tagen sind wir wieder da, sind wir zurück vom Meer. In Momenten wie diesem hier gerade jetzt fühle ich mich wohl. Ich sitze hier im Küchenbereich an genau dem Holztisch, den ich mir immer gewünscht habe. Es ist dunkel, nur Kerzen stehen im Wohnbereich, die ihr zartes Licht hier herüberbringen. Es gibt zwar eine Trennwand zwischen Wohnbereich und Küche, aber keine Türen. Ich liebe es.. Luftige Räume, an die wir uns aber eben auch beide erst gewöhnen mussten. 
Ich höre den Song im Dauerrepeat, so wie ich es aktuell jeden Morgen und jeden Abend tu.
Und schmunzle grad bei dem Gedanken an den Blick des Mannes vor zwei Tagen, als er am Abend vor dem Haus auf mich wartete und ich da angefahren kam, die Scheiben heruntergelassen, das Haar zerwühlt, der Rock aufgebauscht, die Wangen rosa und die Musik...
"Sag du nochmal, ich soll die Musik leiser machen", hat er mich gerügt und ich hab einfach gelacht. 
Manchmal .. ist die Musik alles, was ich für den Moment brauche. Ich liebe sie genau aus diesem Grund, diese dreißig Minuten zwischen Büro und Zuhause.

Denn.. Viel zu oft liege ich nachts wach, kann nicht schlafen, kann nicht einschlafen, drehe mich von der einen Seite auf die andere, liege ausgestreckt auf dem Rücken und schaue in die Nacht. Betrachte das Lichtspiel vorbeifahrender Autos auf der Jalousie vor dem Fenster. Denke an Themen, die mich beschäftigen, an die Menschen, die in meinem Kopf wohnen, an die Kinder, an meine Familie, an politische Debatten, an denen ich mich nur noch selten beteilige, weil ich zunehmend skeptisch bin bei Menschen und Meinungen, die nur eines zulassen: den eigenen Standpunkt. 
Der Mann weiß das alles. 
Und er hat geschimpft, als ich vor etwa zehn Tagen jemanden zum Haus des Vaters begleitete, in dem jener überraschend zwar, aber wenigstens in einem hohen Alter zwei Tage zuvor verstorben war. Das ist.. ein Anblick, den zumindest ich nicht so einfach vergessen kann. 
Am Abend, als ich heimkam, da wollte ich.. irgendwie nix mehr. Nichts essen, nichts trinken, nicht reden, nichts hören: Ich war durch. Empfand nur noch dieses tiefe Bedürfnis, mich in mein Bett zurückzuziehen, die Decke über mir auszubreiten und die Augen zu schließen. 
"Haben wir denn nicht genug mit unserem Leben zu tun?" hat der Mann geschimpft und ich weiß genau, er hat nur geschimpft, weil er sich sorgte. Das sind dann immer so Momente, in denen ich in mich hineinlächeln muss: Mich beschäftigen sehr viele Dinge; mir gehen viele Dinge sehr oft und sehr tief unter die Haut und manches überwinde ich nie. Aber es.. schwächt mich nicht. Ich muss dann nur Zeit für mich haben, Zeit für die Musik. Und Zeit für einen Pinselstrich. 


Dieses Bild ist eigentlich eine Fotografie, die ich vor einer Weile auf Instagram entdeckte und die mich wirklich ganz sehr berührt. Manchmal denk ich, es gibt viel zu wenig Liebe - und dabei ist Liebe.. doch ein Grundbedürfnis.. Vielleicht, weil die Menschen ja immer denken, sie hätten noch genug Zeit für alles? 

Donnerstag, 29. Juni 2023

I feel too much and drive too fast


Bist Du eigentlich auch ein Fan von Grey's Anatomy gewesen?
Und kannst Du Dich erinnern, dass die immer dann, wenns mal wieder richtig beschissen lief, in ihrer Butze getanzt haben wie die Blöden? Arme hoch, Beine abwechselnd hoch - sich so richtig die Seele freitanzen.
So habe ich heute Abend bei diesem Song hier getanzt, wild und völlig unkoordiniert, und dann habe ich mich aber trotzdem nicht wirklich besser gefühlt, sondern so sehr geweint, dass mir das Wasser buchstäblich zugleich aus den Augen und aus der Nase lief. 
Wir haben uns alle noch nicht erholt vom Schock über den Tod unseres ersten Enkelkindes. 
Ich habe mich aber auch noch immer nicht erholt vom Schock über die schweren Erkrankungen in meiner Familie und bei Menschen, an denen mein Herz so sehr hängt. 

Ist es nicht komisch, dass ich mich an unsere letzte Begegnung kaum erinnern kann, dafür aber unsere allererste Begegnung vor vielen Jahren in mein Gedächtnis gebrannt ist? Ich weiß sogar noch genau, was Du anhattest und wie Du Dein Haar trugst. Wir kannten einander überhaupt nicht zu jener Zeit, wir wussten überhaupt nichts voneinander - aber es war einer der schönsten Abende in meinem Leben. 
Vielleicht, weil es nicht so oft passiert, dass man jemandem begegnet, von dem man meint, man würde einander schon ewig kennen und sei nur mal eben kurz fort gewesen. Genau genommen.. passiert genau das ja.. eher selten. 





Mindestens genauso intensiv erinnere ich mich an unsere Trips nach Berlin, im Sommer und auch in den Vorweihnachtstagen. Soll ich Dir sagen, dass ich dieses Foto von unserem Trip nach Berlin so total liebe? Ich liebe es, daran zu denken, wie wir uns das größte Stück Torte schmecken ließen, das Starbucks zu bieten hatte. Voll fett Buttercreme und Schokolade, was soll der Geiz, so zart kommen wir ja doch eh nie wieder zusammen. 
Ich liebe den Moment, als Du meinetwegen in der Tiefgarage des Kaufhauses blank gezogen hast, weil Du nicht mehr hören konntest, wie sehr ich Deine Bluse bewunderte. 
Noch immer seh ich mich ängstlich an den Fensterriegel krallen, als Du auf meine Worte: "Also ich könnte das ja nicht, so mit dem Auto durch Berlin fahren, ich würde mich hier nie niemals zurechtfinden" unbekümmert antwortetest: "Ich war hier auch noch nie, ist für mich auch das erste Mal."
Ich liebe dieses Foto, weil es mich an diese unbeschwerte Zeit erinnert, die wir meistens hatten. 

Mindestens ebenso deutlich erinnere ich mich an unser Telefonat vor über einem Jahr. Seh mich noch immer dort liegen, in meinem Bett, nach links gewandt, den Kopf auf das Kissen gebettet und das Telefon zwischen Ohr und Kissen. Seh mich, wie ich die Augen geschlossen hatte, während wir miteinander sprachen, leise, flüsternd beinah. Mit sanften, zarten Worten hast Du die Träume in den Papierkorb zerknüllt, die wir seit Jahren in den wundervollsten Farben in unsere Köpfe malten. Kurioserweise hatte sich genau das irgendwie.. total richtig angefühlt. Es war Zeit, das Träumen zu beenden, das Träumen über Dinge, die sowieso - bei Tag betrachtet - keine reelle Chance bekommen hätten.
Du hast viel geredet an jenem Abend, vielleicht, weil niemand wusste, ob Du nach der Operation am Tag darauf noch würdest sprechen können.

Konntest Du. 
Bis auf dass alle Deine Haare weg und unzählige Klammern in die Haut getackert waren, warst Du... warst Du einfach wieder da. Für Dich hätte ich mir aus Solidarität tatsächlich auch den Kopf geschoren, es tatsächlich ernsthaft erwogen - aber irgendwie war ich dann doch auch erleichtert, dass Du das bei weitem gar nicht von mir erwartet hast. Ich meine, ich wurde mit einem Eierkopf geboren und das hat sich leider auch bis heute immer noch nicht verwachsen. S is halt nur Haar über diese Eierei gewachsen.
Bei unserem ersten Wiedersehen danach in Deinem Zuhause hast Du mich derart mit Koffein versorgt, dass ich fast schon argwöhnte, dass hier Restbestände zu entsorgen seien, bevor sie bitter würden. 
An unser vorerst letztes Wiedersehen erinnere ich nur noch den Augenblick auf der Bank bei Deinem Lieblingsbäcker, höre ich Dich reden wie Du immer gesprochen hast und wie vertraut der Klang Deiner Stimme auf mich wirkte.
Du sehnst Dich nach Alltag, nach Normalität, vielleicht sogar nach wild rumliegenden Socken in Deinem minimalistischen, wunderbar aufgeräumten Zuhause, sofern die das einzige sein würden, die Dir das Leben schwermachten. 
Dieser Alltag war so nah, zum Greifen nah schon - und jetzt ist alles so ganz anders gekommen.
Ich habe es gelesen, während ich gerade dabei war, mich auf den Weg zum Supermarkt zu machen.
Ich habe es gelesen und nicht sofort begreifen können. Las Deine Zeilen mehrmals. Wieder. Und wieder. Und wieder. Konnte mich nicht mehr auf den Weg zum Supermarkt besinnen, fand einfach den Weg nicht mehr. Wusste nicht mehr, was ich einzukaufen hatte, wusste nicht mehr, wo das Brot liegt, wo die Milch steht. In meinem Kopf war einfach nur noch Leere. Aber in meinem Bauch, da war so viel mehr los. Wer braucht schon Milch, wer braucht schon Brot? Wie sehr wollte ich alles einfach nur stehen- und liegenlassen, wie sehr wollte ich einfach nur zu Dir fahren und Dich in die Arme nehmen. Einfach nur festhalten. 
Aber im Moment kannst Du das nicht und im Moment willst Du das nicht, hat mir Dein Mann geschrieben - und ich kann das so wahnsinnig nachempfinden. 

Ständig schleiche ich um mein Telefon herum, nehme es ebenso oft in die Hand und lege es dann doch wieder zur Seite. Ich will nicht ignorant sein und meine Bedürfnisse über Deine stellen. 

I feel too much and I drive too fast.

Es hat mehr als eine dieser Zeiten gegeben, in denen Du Deinen Hut genommen hast. So oft ich das verflucht habe, so sehr habe ich jede Zeit abgewartet, bis Du wieder da warst. 
Und genauso... mach ich das jetzt auch.. Und vielleicht.. versuche ich bis dahin das ja mit dem Raustanzen nochmal. 

I feel too much and I drive too fast.

Das Leben ist so richtig beschissen grad. Im Film wärs jetzt die richtige Stelle für ein Happy End. Oder wenigstens so was in der Art. Das wünsche ich mir nicht für mich. Ich wünsche es mir so sehr für Dich. Und für M. Für die Kinder und für meine Familie. Ich weiß, ist ne Menge. 
Zum ersten und zum letzten Mal eine höhere Institution, so sie es denn gibt, habe ich 2016 angefleht, damals auf dem Rückweg von Delhi nach München. Drei Wochen Indien - und ausgerechnet auf die letzten Meter erwischt es mich dann doch noch, so eine fiese Magen-Darm-Geschichte und hohem Fieber. Ja und dann quälst Du Dich da auf so ner blöden Bordtoilette, alles ruckelt und dann erzählt der Pilot was von unerwarteten Turbulenzen und dass sich alle anschnallen sollen. 
Ich sags noch mal: Bord-toi-let-te. Heruntergelassene Hosen, weil... na ja Du weißt.
Das war dann wirklich so ein Moment, wo ich mal eben kurz die Augen schloss und inniglich flehte: "Lieber Gott... wenn es dich wirklich gibt.. dann lass mich BITTE nicht so unwürdig ums Leben kommen!"

Du siehst.. Ich bin hier. Hier in meinem alten Zimmer in Leipzig. 
Was es auch immer da draußen gibt, ich hoffe, es hilft..

Samstag, 27. Mai 2023

Der Morgen über der Stadt


Früh am Morgen.
Über der Stadt ruht noch ein wenig der Schleier der Nacht, es ist still hier. Es sind kaum Menschen anzutreffen, während ich über den Gehweg eile, die Hände in den Taschen vergraben, den Kopf meist Richtung Boden geneigt.
Links von mir, auf der anderen Straßenseite, steht der Mann vom kleinen Getränkeladen in der Tür.
Er sagt nichts, er schaut nur, er lächelt, er winkt zum Gruß. Vor mir, ihm schräg gegenüber, öffnet ein Paar seinen kleinen Geschenkeladen. Sie reden leise miteinander, während er bedächtig die Markise herunterlässt. Über die Straße hinweg rufen sie einander einen guten-Morgen-Gruß zu.
Es ist genau dieser Moment, der mich im Bruchteil dieser Sekunde zurückversetzt in eine Zeit, eine ganz lange Zeit vorher. Eine wohlvertraute Zeit mit in Zucker gewälzten Apfelstückchen. Mit der kleinen Küche ohne Warmwasseranschluss. Mit der Toilette im Hof. Mit der gestärkten Wäsche draußen auf der Leine, die mit einem langen Stock oben gehalten wird. Mit Märchenbüchern und Geschichten von Gnomen und ihren Bärten aus Preiselbeerstrauch. Mit dem Kaufmannsladen gegenüber der Haustür und den leckersten Spritzringen meiner kleinen Welt. 

Wäre ich für einen Moment auf diesem Gehweg stehengeblieben, würde ich für einen Moment lang die Augen geschlossen haben.. dann wäre ich wieder dort. Dann könnte ich es nicht nur fühlen, dann könnte ich es nicht nur riechen: Ich wäre dann wieder dort, damals, vor so langer Zeit, vor der niedrigen Gartenpforte, barfuss im T-Shirt und dem knielangen, blau-weiß geblümten Rock mit der weißen Borte. Die Haare zu Zöpfen gebunden. Ich könnte wieder die Unbeschwertheit fühlen, mit der ich im Kirschbaum herumkroch, Kartoffelkäfer in den Eimer sammelte und Zuckererbsen von den Sträuchern pflückte. Mit der ich mit nackten Füßen über staubige Feldwege lief, zurück zum Haus der Großmutter, die für das anschließende Bad ihre Zinkwanne auf den Küchentisch stellte und das Badewasser in einem Teekessel auf dem Kohleherd anheizte.

Einfach war es weiß Gott nicht, dieses Leben. Aber ich selbst.. Ich wusste nichts von der Ernsthaftigkeit, die auf einen wartet, wenn man erwachsen geworden ist. In meinem Kopf war die Blumenwiese so hoch und prächtig, dass ich mich hineinlegen konnte wie in ein Bett, und von da aus konnte ich in den Himmel schauen, über mir die Schwalben und die Resthitze des Sommertages.. In meiner Welt.. war alles irgendwie noch an seinem Platz, war der Raum gefüllt von bunten Blumen, dem Duft nach Sommer und eben.. nach Unbeschwertheit. Ich wusste da noch nichts von dieser unendlichen Traurigkeit, die man fühlt, wenn ein Kind auf diese Welt kommt ohne einen Herzschlag. Wenn man selbst eine Mama ist, dann kann man diesen unfassbaren Schmerz irgendwie erahnen. Irgendwie..
Und dennoch.. steht man letztlich nur daneben und weiß, dass man nie wirklich erfahren wird, wie sehr der andere Mensch leidet. Ich muss zugeben, ich hatte bis zu dem Moment, wo die Kleine auf die Welt kam, die Hoffnung, die Ärzte würde irren. Ich meine, das tun sie doch öfter mal, oder nicht? Es könnte doch auch jetzt so sein, oder nicht?
Nein. Sie haben nicht geirrt. Und das war dann der Moment, an dem ich den ganzen Abend lang geweint habe. Gemeinsam mit dem Mann. 

Gestern habe ich an der Straße gestanden und auf die Bahn gewartet. Die Hände in den Taschen vergraben, die Augen geschlossen und das Gesicht der Sonne zugewandt. Er hat mir gut getan, dieser Moment. Da war ich beinah wieder in jener Zeit meiner Großmutter. Und für einen Moment lang konnte ich irgendwie verstehen, warum Peter Pan nie erwachsen werden wollte. 

Samstag, 8. April 2023

Angekommen und noch nicht angekommen

 Da waren wir nun. Zurück in L. Mit ungefähr einhundert statt dreißig Umzugskisten. Der Mann genervt vom ganzen Stress, der körperlichen Anstrengung und der Gesamtsituation. Ich müde und am Anschlag. Nochmal, da waren wir uns erst mal einig, werden wir einen Umzug nicht mehr selber machen. Sondern alles abgeben an Menschen, die das täglich machen. Auf jeden Fall aber werden wir dann an beiden Wohnorten Parkverbote beantragen, besser ist das ;) Also beantragt und genehmigt waren sie ja, die Papiere dazu hatte der Mann auch überall dabei - aber der Mann dachte, eben auch, er könnte sich das Geld für die Verbotsschilder sparen, weil da in M schon seit Wochen welche standen, an die wir dann einen Zettel anbrachten. Beachtet hat die Schilder natürlich kein Schwein, und in M, wo die Polizei für solche Sachen zuständig ist, wurde von den Beamten freundlich erklärt: "Diese Schilder sind leider nicht DIN-gerecht. Wenn sie das wären, könnten wir sofort abschleppen lassen, so aber dürfen wir das nicht." Herzlich willkommen in Deutschland :) Hat mich sehr amüsiert. 

Andererseits frage ich mich: Was genau wollen wir eigentlich abgeben? Das Einpacken würde der Mann sowieso wieder selber machen wollen - immerhin bewahrt er eine Unmenge an Erinnerungsstücken auf, an die er keine fremden Finger lässt. Möglicherweise hat sich das auch ausgezahlt - es ist tatsächlich nichts kaputtgegangen, nichts bis auf ein einziges Teil aus Glas, von dem ich mir ein erleichtertes Grinsen nicht verkneifen konnte "Es gibt doch noch einen Glas-Gott!" Ich meine, Dekanter mögen gut und praktisch sein. Aber wenn man in der Realität so ein Teil lediglich im Schrank zu stehen hat, das nicht nur Platz wegnimmt, sondern auch pottenhässlich aussieht, dann kann man schon mal dankbar sein, dass einzig dieses Teil sich von dieser irdischen Welt verabschiedet hat ;) Aber auch sonst war ich in den letzten Monaten beim Einpacken und auch jetzt zuletzt beim Wiederauspacken immer wieder erstaunt, WAS der Mann da so alles aufbewahrt. Also nicht, dass mich wer falsch versteht: Ich mag es, Erinnerungsstücke aufzubewahren, die habe ich auch. Und ich mag es, Dinge zu schätzen. Aber.. muss man wirklich ALLES aufheben? Nein, ein Messi ist er nicht, Gott bewahre. Aber zuletzt standen in unserem Wohnbereich noch acht Kisten. Acht, von denen er sagte: "Das mach ich mal in Ruhe, du kannst ja schon mal anfangen und deins da ausräumen." Nur dass da von mir gar nichts mit drin war: Jede Kiste geöffnet, hineingeschaut, wieder zugemacht: Was seins war, sollte und wollte er selber verräumen. Nicht nur einmal hatten wir uns in diesen Tagen angefaucht: "Fass einfach meine Sachen nicht an!"

Als die Kisten dann aber so drei, vier Tage immer noch rumstanden, wurde es mir unter den Fingernägeln doch etwas kribblig. Bevor mein innerer Vesuv aber ausbrechen konnte, erbarmte er sich, sortierte aus und um und die leeren Kisten wurden zusammengefaltet, verschnürt und in den Keller gebracht. Im Gegenzug drohte sein Lavastrom alles im Umkreis von rund fünf Metern gnadenlos zu vernichten, als wir bei Ikea vorm Click & Collect standen, der Typ mit dem Lastenwagen kam und ich zum Mann meinte: "Siehste, geht doch" - und der Typ dann aber sagte: "Wartense mal ab, da kommen noch zwei!" Als diese drei Lastenwagen vorm Gefährt des Mannes standen, da wurde mir selbst etwas mulmig und ich dachte noch: "So, jetzt krachts gleich" und dann brach der Ätna auch schon aus: "Sag mal spinnst du, was hast du denn da alles eingekauft?!"   "Alles das, was auf meinem Merkzettel stand, den wir am Montag extra noch mal Stück für Stück durchgegangen sind", erklärte ich sanft, aber mit etwas Sicherheitsabstand, den ich dann  flugs vergrößerte, als ich feststellte, dass ich versehentlich einen Juteteppich zuviel eingekauft hatte. Kann ja mal passieren, immerhin bastelten wir wochenlang an dieser Ikea-Liste, bis ich final auf Kaufen gedrückt hatte. Diesen überzähligen Juteteppich konnte ich auch problemlos zurückgeben und wir waren noch nicht mal ganz zu Hause, da war die Erstattung auch schon an mich unterwegs. Also manchmal macht mir das ja schon alles ein bisschen Angst, wie digital die Welt geworden ist, wieviel nur noch digital geht - und ob wir da noch hinterherkommen, wenn wir dreißig Jahre älter geworden sind. Aktuell aber stelle ich immer wieder fest, dass diese digitalen Möglichkeiten tatsächlich auch wirklich was Gutes haben. Es geht halt einfach so vieles einfacher und schneller.

Jedenfalls habe ich nicht nur festgestellt, dass ich, wenn man nicht alleine, sondern mit einem gemeinsamen Hausstand umzieht, natürlich nicht alles an einem einzigen Abend verräumen und morgens alles an seinem Platz wiederfinden kann; ich habe aber auch festgestellt, dass mir das in all den vierzehn Tagen auch irgendwie regelrecht schietegal war. Wir waren beide tagelang müde und irgendwie am Anschlag, wir haben einfach nur geschaut, dass die wichtigsten Dinge, wie Essen & Schlafen,  geordnet waren, und der Rest folgte nach und nach in aller Ruhe.

Jetzt wohnen wir seit drei Wochen in L, genießen den herrlichen Platz, den wir mit der doppelten Quadratmeterzahl genießen, genießen, was wir von hier aus fußläufig alles erreichen können: zur einen Seite den wunderbaren Park, zur anderen Seite die Innenstadt oder auch die Mama des Mannes. Ich genieße, dass ich, wann immer ich will, innerhalb von zehn Minuten meine Jungs sehen kann und dass ich bei jedem morgendlichen und abendlichen Verkehrschaos immer anti-zyklisch fahre und trotz Weg ins Office immer entspannt unterwegs bin. Das einzige, woran ich mich gewöhnen muss, ist, dass ich jetzt eben nicht mehr bis 7.45 Uhr im Bett liegen, anschließend Zähne putzen, Käffchen kochen und mich entspannt am Schreibtisch niederlassen kann, gerne auch in Flanell-Schlafhosen mit Strickpullover und dicken Socken - sondern dass der Wecker nunmehr beinah jeden Morgen noch vor sechs Uhr klingelt und ich vor sieben Uhr mit müden, verquollenen Augen hinaus in die Kälte muss. Das bedeutete in den ersten Tagen, dass ich bereits abends noch vor acht auf dem Sofa gähnte und unmittelbar danach auch einschlief - aber der Mensch gewöhnt sich ja an alles, man muss ihm nur die Zeit dazu lassen ;)

Jedenfalls.. Wir sind wieder da - und auf die Frage im Umfeld, ob wir uns schon angekommen fühlen, musste ich überraschend gestehen: Noch nicht. Die Wohnung fühlt sich noch ungewohnt an, fast wie eine Ferienwohnung, die wir nur vorübergehend besiedeln. Im Gegenzug ist es selbst für mich ein komisches Gefühl, dass die Wohnung in M jetzt nicht mehr unsere ist, dass wir dorthin nie mehr zurückkehren werden. Ich werde meinen Hausarzt vermissen und auch meinen Rheumadoc. Ich werde die Isar vermissen und sogar die U-Bahn. Überhaupt werde ich einiges vermissen, tatsächlich. Aber wie ich ja grad sagte: Der Mensch gewöhnt sich an alles, solange man ihm die Zeit dazu lässt :) Und ich bin hauptsächlich froh, wieder da zu sein.