Die Frau mit dem roten Kleid, die Kaffee liebt
Samstag, 27. Mai 2023
Der Morgen über der Stadt
Samstag, 8. April 2023
Angekommen und noch nicht angekommen
Da waren wir nun. Zurück in L. Mit ungefähr einhundert statt dreißig Umzugskisten. Der Mann genervt vom ganzen Stress, der körperlichen Anstrengung und der Gesamtsituation. Ich müde und am Anschlag. Nochmal, da waren wir uns erst mal einig, werden wir einen Umzug nicht mehr selber machen. Sondern alles abgeben an Menschen, die das täglich machen. Auf jeden Fall aber werden wir dann an beiden Wohnorten Parkverbote beantragen, besser ist das ;) Also beantragt und genehmigt waren sie ja, die Papiere dazu hatte der Mann auch überall dabei - aber der Mann dachte, eben auch, er könnte sich das Geld für die Verbotsschilder sparen, weil da in M schon seit Wochen welche standen, an die wir dann einen Zettel anbrachten. Beachtet hat die Schilder natürlich kein Schwein, und in M, wo die Polizei für solche Sachen zuständig ist, wurde von den Beamten freundlich erklärt: "Diese Schilder sind leider nicht DIN-gerecht. Wenn sie das wären, könnten wir sofort abschleppen lassen, so aber dürfen wir das nicht." Herzlich willkommen in Deutschland :) Hat mich sehr amüsiert.
Andererseits frage ich mich: Was genau wollen wir eigentlich abgeben? Das Einpacken würde der Mann sowieso wieder selber machen wollen - immerhin bewahrt er eine Unmenge an Erinnerungsstücken auf, an die er keine fremden Finger lässt. Möglicherweise hat sich das auch ausgezahlt - es ist tatsächlich nichts kaputtgegangen, nichts bis auf ein einziges Teil aus Glas, von dem ich mir ein erleichtertes Grinsen nicht verkneifen konnte "Es gibt doch noch einen Glas-Gott!" Ich meine, Dekanter mögen gut und praktisch sein. Aber wenn man in der Realität so ein Teil lediglich im Schrank zu stehen hat, das nicht nur Platz wegnimmt, sondern auch pottenhässlich aussieht, dann kann man schon mal dankbar sein, dass einzig dieses Teil sich von dieser irdischen Welt verabschiedet hat ;) Aber auch sonst war ich in den letzten Monaten beim Einpacken und auch jetzt zuletzt beim Wiederauspacken immer wieder erstaunt, WAS der Mann da so alles aufbewahrt. Also nicht, dass mich wer falsch versteht: Ich mag es, Erinnerungsstücke aufzubewahren, die habe ich auch. Und ich mag es, Dinge zu schätzen. Aber.. muss man wirklich ALLES aufheben? Nein, ein Messi ist er nicht, Gott bewahre. Aber zuletzt standen in unserem Wohnbereich noch acht Kisten. Acht, von denen er sagte: "Das mach ich mal in Ruhe, du kannst ja schon mal anfangen und deins da ausräumen." Nur dass da von mir gar nichts mit drin war: Jede Kiste geöffnet, hineingeschaut, wieder zugemacht: Was seins war, sollte und wollte er selber verräumen. Nicht nur einmal hatten wir uns in diesen Tagen angefaucht: "Fass einfach meine Sachen nicht an!"
Als die Kisten dann aber so drei, vier Tage immer noch rumstanden, wurde es mir unter den Fingernägeln doch etwas kribblig. Bevor mein innerer Vesuv aber ausbrechen konnte, erbarmte er sich, sortierte aus und um und die leeren Kisten wurden zusammengefaltet, verschnürt und in den Keller gebracht. Im Gegenzug drohte sein Lavastrom alles im Umkreis von rund fünf Metern gnadenlos zu vernichten, als wir bei Ikea vorm Click & Collect standen, der Typ mit dem Lastenwagen kam und ich zum Mann meinte: "Siehste, geht doch" - und der Typ dann aber sagte: "Wartense mal ab, da kommen noch zwei!" Als diese drei Lastenwagen vorm Gefährt des Mannes standen, da wurde mir selbst etwas mulmig und ich dachte noch: "So, jetzt krachts gleich" und dann brach der Ätna auch schon aus: "Sag mal spinnst du, was hast du denn da alles eingekauft?!" "Alles das, was auf meinem Merkzettel stand, den wir am Montag extra noch mal Stück für Stück durchgegangen sind", erklärte ich sanft, aber mit etwas Sicherheitsabstand, den ich dann flugs vergrößerte, als ich feststellte, dass ich versehentlich einen Juteteppich zuviel eingekauft hatte. Kann ja mal passieren, immerhin bastelten wir wochenlang an dieser Ikea-Liste, bis ich final auf Kaufen gedrückt hatte. Diesen überzähligen Juteteppich konnte ich auch problemlos zurückgeben und wir waren noch nicht mal ganz zu Hause, da war die Erstattung auch schon an mich unterwegs. Also manchmal macht mir das ja schon alles ein bisschen Angst, wie digital die Welt geworden ist, wieviel nur noch digital geht - und ob wir da noch hinterherkommen, wenn wir dreißig Jahre älter geworden sind. Aktuell aber stelle ich immer wieder fest, dass diese digitalen Möglichkeiten tatsächlich auch wirklich was Gutes haben. Es geht halt einfach so vieles einfacher und schneller.
Jedenfalls habe ich nicht nur festgestellt, dass ich, wenn man nicht alleine, sondern mit einem gemeinsamen Hausstand umzieht, natürlich nicht alles an einem einzigen Abend verräumen und morgens alles an seinem Platz wiederfinden kann; ich habe aber auch festgestellt, dass mir das in all den vierzehn Tagen auch irgendwie regelrecht schietegal war. Wir waren beide tagelang müde und irgendwie am Anschlag, wir haben einfach nur geschaut, dass die wichtigsten Dinge, wie Essen & Schlafen, geordnet waren, und der Rest folgte nach und nach in aller Ruhe.
Jetzt wohnen wir seit drei Wochen in L, genießen den herrlichen Platz, den wir mit der doppelten Quadratmeterzahl genießen, genießen, was wir von hier aus fußläufig alles erreichen können: zur einen Seite den wunderbaren Park, zur anderen Seite die Innenstadt oder auch die Mama des Mannes. Ich genieße, dass ich, wann immer ich will, innerhalb von zehn Minuten meine Jungs sehen kann und dass ich bei jedem morgendlichen und abendlichen Verkehrschaos immer anti-zyklisch fahre und trotz Weg ins Office immer entspannt unterwegs bin. Das einzige, woran ich mich gewöhnen muss, ist, dass ich jetzt eben nicht mehr bis 7.45 Uhr im Bett liegen, anschließend Zähne putzen, Käffchen kochen und mich entspannt am Schreibtisch niederlassen kann, gerne auch in Flanell-Schlafhosen mit Strickpullover und dicken Socken - sondern dass der Wecker nunmehr beinah jeden Morgen noch vor sechs Uhr klingelt und ich vor sieben Uhr mit müden, verquollenen Augen hinaus in die Kälte muss. Das bedeutete in den ersten Tagen, dass ich bereits abends noch vor acht auf dem Sofa gähnte und unmittelbar danach auch einschlief - aber der Mensch gewöhnt sich ja an alles, man muss ihm nur die Zeit dazu lassen ;)
Jedenfalls.. Wir sind wieder da - und auf die Frage im Umfeld, ob wir uns schon angekommen fühlen, musste ich überraschend gestehen: Noch nicht. Die Wohnung fühlt sich noch ungewohnt an, fast wie eine Ferienwohnung, die wir nur vorübergehend besiedeln. Im Gegenzug ist es selbst für mich ein komisches Gefühl, dass die Wohnung in M jetzt nicht mehr unsere ist, dass wir dorthin nie mehr zurückkehren werden. Ich werde meinen Hausarzt vermissen und auch meinen Rheumadoc. Ich werde die Isar vermissen und sogar die U-Bahn. Überhaupt werde ich einiges vermissen, tatsächlich. Aber wie ich ja grad sagte: Der Mensch gewöhnt sich an alles, solange man ihm die Zeit dazu lässt :) Und ich bin hauptsächlich froh, wieder da zu sein.
Dienstag, 28. Februar 2023
In einer Welt vor dieser Zeit
Seit ich damals aus dem Elternhaus auszog, da hatte ich diesen Wunsch:
Eines Tages wollte mir einen richtig schönen Esstisch kaufen, so einen echten aus Holz. Nichts Geschnörkeltes, nichts mit geschnitzten Verzierungen oder kunstvollen Details. Einfach einen schlichten, echten rechteckigen Holztisch.
An diesem wollte ich mit der Familie sitzen, frühstücken, zu Abend essen, Karten spielen, Backgammon oder Halma oder Scrabble spielen, Probleme besprechen.
So kannte ich das aus meiner Kindheit: Sämtliche Familienangelegenheiten wurden zumeist in der Küche besprochen, am großen Esstisch, alle ringsrum versammelt.
Bis heute vermittelte das für mich.. ein Zuhause - und kann es nur schwer erklären oder begründen.
In meiner ersten eigenen Wohnung gab es keine Küche, nur eine kleine Nische mit einem Zweiplattenherd ohne Backofen. In meiner zweiten Wohnung gab es eine schmale Küche, aber mir fehlte nicht nur das Geld für einen Tisch, sondern schlichtweg auch der Platz.
Platzgründe verhinderten auch in der dritten eigenen und auch in der Wohnung des Mannes hier einen solchen Tisch.
Es hat mich einiges an Überredungskünsten gekostet, den Mann von einem solchen Tisch in der neuen Wohnung zu überzeugen. Doch dann haben wir gemeinsam einen solchen ausgesucht und eingekauft. Im Mai wird er zu uns gebracht - und in meinem Kopf formten sich schon vor dem Kauf die Bilder, die Vorstellungen, wie das dann sein würde - die Familie und ich. Der Mann und ich. Die Jungen und wir.
Mir wurde da echt ganz warm von.
Als mein Jüngster geboren wurde, war der Älteste sechs Jahre alt. Ich sehe es heute noch vor mir, wie er in das Klinikzimmer gelaufen kam, die dicke Jacke noch an, die Mütze noch auf, keine Zeit, Hauptsache, das Baby sehen, den Bruder betrachten, der da friedlich im Glasbettchen schlief, die winzigen Fäuste rechts und links an den Wangen.
"Oooaarrrhh ist der niedlich! Können wir den mit nach Hause nehmen? Versprich mir, dass wir den mit nach Hause nehmen!"
Und ich lachte und entgegnete: "Was denkst du, sollen wir denn sonst mit ihm machen?"
Ich sehe diese Szene vor mir, als wäre es gestern gewesen. Ich durchlebe sie, als wäre es erst gestern gewesen.
In all den folgenden Jahren haben die beiden sehr viel miteinander gespielt und mindestens genauso viel gestritten, wer was aufzuräumen hatte und wem was gehörte.
Je älter sie wurden, desto rauher wurde der Ton zuweilen.
Ich habe mich so lange aus allem herausgehalten, wie die Kraftausdrücke in ihrem Zimmer blieben und es auch nicht handgreiflich wurde. Es wurde auch nie handgreiflich, abgesehen von einigen Matchbox-Autos, die dann und wann hin und her flogen. Wirklich wehgetan haben sie einander nie.
Dann kam die Zeit die Trennung. In dieser Zeit, so empfinde ich das vor allem heute, die dieses Netz aus Sicherheit und Geborgenheit zerriss, da hatten die Jungen vor allem einander. Möglicherweise vermittelte kaum etwas anderes mehr Sicherheit und Verlässlichkeit wie der jeweilige Bruder.
Ich weiß, dass sie viele Dinge miteinander beredet haben, von denen wir nichts wissen. Es hat sie noch mehr zusammengeschweißt, nahm ich an.
All das veränderte sich, sobald der Jüngere begann, sich für Mädchen zu interessieren. Sich mit Mädchen zu verabreden oder abends mit Kumpels auszugehen. Der Ältere war noch nicht so weit zu jener Zeit, der wartete zu Hause, bis der Bruder wieder zurückkehrte und man den Rest der freien Zeit miteinander verbrachte.
Doch der Jüngere wollte mehr. Mehr leben, mehr sehen, mehr erkunden. Er war jung, die Welt stand ihm offen - und warum sollte er sich genau diese nicht anschauen und erleben wollen? Ihm fiel irgendwie immer all das in den Schoß, wofür der Ältere Zeit seines Lebens zu kämpfen hatte. Und je mehr der Jüngere sich löste, desto mehr wartete der Ältere. Ließ sich vertrösten auf "später". Nur dass dieses "Später" nie wirklich eintrat.
Es hatte schon irgendwie etwas Schmerzhaftes zu sehen, wie bemüht der Ältere war, es dem Jüngeren so angenehm wie möglich zu machen - und ihn an das Miteinander zu binden.
Ich habe mich früher oft gefragt, wie die Freundin sein würde, die die Jungs eines Tages mit nach Hause bringen würden. Ich habe mich hin und wieder gefragt, ob sie jemand sein würde, die den anderen derart beanspruchen würde, dass keine Zeit mehr für die Familie sein würde. Kein gemeinsames Käffchen nach Feierabend, kein gemeinsames Bier am Küchentisch, keine hochgelegten Beine, während man zufrieden auf dem Sofa lümmelte oder gemeinsam irgendein Spiel zockte.
In meinem Kopf malte ich mir so einige Szenarien aus und dachte immer: "Mal gucken."
Aber auf die Idee, dass die Jungs einander entzweien könnten, darauf bin ich nie niemals gekommen.
Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass einer so rigoros mit dem anderen brechen würde.
Doch dass genau das aktuell geschieht, belastet mich enorm. Vor allem, wenn ich an den letzten Geburtstag denke, an dem der Ältere wortlos aufstand und den Raum verließ, sobald der Jüngere durch die Tür trat - und der Jüngere anschließend mit mir in der Küche blieb, bis er begann zu weinen. So ein Weinen ganz aus der Tiefe heraus.
Ich fühle mich so unfassbar hilflos.. Weil ich nicht weiß, ob ich vermitteln kann. Ob ich überhaupt vermitteln soll. Sollten sie das nicht untereinander regeln - so wie früher, als noch die Matchbox hin und her flogen?
Nur.. Es sind doch meine Jungen, meine beiden Jungen, die eigentlich einander lieben. Nur dass der eine zutiefst enttäuscht worden ist - und das vermutlich einfach einmal zuviel. Und der andere sich und mich fragt: "Wie konnte das nur passieren? Wie konnte das nur so entgleiten?"
Ich habe darauf keine Antwort, ich habe ihn einfach nur an mich gedrückt und ganz sehr festgehalten.
Das Geburtstagsgeschenk vom Jüngeren hat der Ältere bis heute nicht geöffnet und das gemeinsame Geschenk lehnt der Ältere ab, solange der Jüngere dabei sei. Mir ist bewusst, dass er nicht nur Mauern um sich herum hochgezogen, sondern diese inzwischen auch mit Schlössern und Riegeln gesichert hat. Mir ist auch bewusst, dass dies sein Schutzmechanismus ist. Aber es tut weh.. Es tut unfassbar weh, beide so zu sehen und beide so zu erleben.
Meine beiden Hasen.. Kann denn nicht alles wieder so sein wie früher? Die Bindung aneinander so wie früher, auch wenn sie heute eigene Wege gehen? Könnten sie sich nicht lieber einfach mit Matchbox bewerfen und es auf diese Weise regeln, als in kompletter Funkstille zu enden, in der der eine dem anderen konsequent aus dem Weg geht, damit ihm der andere nicht wieder zu nah kommt?
Diese frühere Welt mit zwei Brüdern, die vor allem eins hatten: sich?
Ich hatte immer diese Hoffnung, dass es möglich sein würde, beide einander wieder näher zu bringen, wenn wir wieder in L wohnen. In mir lebte der Gedanke, dass es vermutlich gerade noch so rechtzeitig sein würde. Doch nach dem heutigen Telefonat mit dem Älteren treibt mich die Sorge, dass es möglicherweise doch nicht mehr rechtzeitig sein wird. Und die Frage, was dieser Bruch mit beiden Jungen machen wird.
Und mit mir.
Im Moment jedenfalls.. zerreißt es mich.
Montag, 27. Februar 2023
Etikette, Contenance und Anstand
Als ich mich 2014 umzugsbedingt überwiegend ins Home Office begab, jauchzte die Seele: Endlich wieder sowas wie ein pünktlicher Feierabend. Man schiebt Stift und Block zur Seite, knipst den Laptop aus und ist in Sekundenbruchteilen im Feierabend. Was im realen Leben oft bedeutete, anschließend in ein paar Sandalen zu schlüpfen, die Korbtasche galant auf der Schulter und die Sonnenbrille auf der Nase zu balancieren und im naheliegenden kleinen, aber feinen Cafe einen Milchkaffee zu ordern, ein Buch aufzuschlagen und dort zu warten, bis der Mann aus dem Büro heimkehrte.
Was mir insbesondere in M auffiel: Menschen schauen der Bedienung erschreckend selten in deren Gesicht. Gern auch gepaart mit dieser Kombi: "Ich bekomm dann einen Milchkaffee und das Croissant."
Noch schlimmer (finde ich): "Milchkaffee und Croissant."
Was ist mit Bitte und Danke? Was ist mit vollständigen Sätzen? Und was ist mit "Schau mich an, wenn du mit mir sprichst?"
"Sie mag es immer noch, in Cafes zu sitzen und durch das Fenster den Blick nach draußen auf die Menschen zu führen. Manchmal ist sie nicht sicher, ob die dabei in ihr ausgelösten Empfindungen misanthropische Züge angenommen hatten oder sie einfach nur genervt ist vom Umgang der Menschen miteinander.
„Guten Tag“ oder „Auf Wiedersehen“, ein „Bitte“ oder „Danke“ gehören für sie ebenso zum Elementaren wie Essen, Trinken, Schlafen oder Sex.
Wenn sie sich einen Kaffee bestellt, dann sagt sie nicht: „Einen Espresso, bitte“, während sie den Blick nicht von ihrem Handy löst und intensiv weitertippt. Wenn sie sich einen Kaffee bestellt, schaut sie der Bedienung in das Gesicht, lächelt freundlich und sagt: „Ich möchte einen Espresso, bitte.“ So viel Zeit muss sein, und so viel Respekt dem anderen Menschen gegenüber, der dir den Weg und die Aufwendung abnimmt, dich selber um deinen Espresso zu kümmern.
Als Kind wird einem beigebracht, in ganzen Sätzen zu sprechen, und sie missbilligt den Hang der heutigen Zeit, Sätze auf das größtmögliche Minimum zu reduzieren und auf diese Weise nicht nur zu zerhackstücken, sondern auch jegliche Umgangsformen vermissen zu lassen. Sie liebt ihre Sprache und sie empfindet es als ausgesprochen schade, wie sehr ihre Sprache versinkt in einem Mix aus Deutsch und Englisch, so dass sie mitunter nicht mal mehr weiß, wie das eigentliche Wort auf Deutsch lautet oder das deutsche Wort fremd und falsch in ihren Ohren klingt."
Ich habe mich auch deshalb daran gewöhnt, von zu Hause aus arbeiten zu können. Empfinde immer noch Erstaunen über mich selbst, wie diszipliniert ich sein kann. Dass ich meinen Tag strukturieren kann auch dann, wenn mir niemand dabei zusieht. Ich liebe die Ruhe, mit der so ein Tag bereits beginnt. Niemand, der den ganzen Tag lang deinen Namen ruft, nur um dich zu sich zu rufen (anstatt zu dir zu kommen); keine drei Telefone, die gern gleichzeitig klingeln und gern auch gleichzeitig von verschiedenen Menschen bedient werden.
Wenn ich abends nach Hause kam, war ich so oft müde und erschöpft - und das nicht davon, wie viel Arbeit auf dem eigenen Tisch lag. Es war die Summe des Ganzen. Im Home Office ist das anders.
Home Office bringt jedoch insbesondere mit sich, dass man viel telefoniert. Sehr viel. Noch mehr als sonst, denn man ist zwangsläufig physisch nicht erreichbar. Alles wird am Telefon besprochen, dienstliche Belange, private Sorgen, Frust, Kummer - die ganze Bandbreite des menschlichen Seins. Manchmal über eine Stunde lang, während du nebenbei verzweifelt versuchst, Zahlen sinnvoll auf dem Papier zu ordnen, E-Mails zu beantworten und Ausgaben korrekt zu kontieren.
Für manche Menschen hat sich die Gewohnheit eingeschlichen, dass ich immer erreichbar bin. Dass ich zumindest in der Zeit von acht bis siebzehn Uhr erreichbar sein muss - ganz gleich, für welche Angelegenheiten.
Obschon ich nach wie vor ein Mensch bin, der nicht gern telefoniert, weil ich mich einfach nicht an einen Ort, an einen Punkt, an eine Situation fesseln lassen möchte, in der ich nur zuhören und sonst nichts anderes tun kann, ohne dem anderen zu vermitteln, nicht hundertprozentig für ihn da zu sein, habe ich mich daran gewöhnt. An das Vieltelefonieren, an das Langtelefonieren, an das Zuhören und das Zeit-für-den-anderen-haben-und-nehmen.
Nur an eines gewöhnte ich mich in all den Jahren (auch des Telefonierens) nicht:
Dass Menschen in meiner Gegenwart wiederholt geräuschvoll die Nase hochziehen.
Dass Menschen in meiner Gegenwart sich geräuschvoll mit offenem Mund räuspern.
Dass Menschen Dich etwas fragen, Dir aber nicht zuhören, Dich dann auch nicht ausreden lassen und mit privatem Kram dazwischengrätschen.
Dass Menschen Dich anrufen und nach ein paar Sekunden wieder auflegen mit den Worten: "Warte mal, ich melde mich gleich noch mal, da kommt grad ein wichtiger Anruf."
Dass Menschen während eines Telefonats mit dir ungeniert ihre Flatulenzen ausleben.
Menschen sind keine Selbstverständlichkeit.
Es ist nicht selbstverständlich, dass dich im Cafe jemand freundlich bedient.
Es ist nicht selbstverständlich, dass dir jemand zuhört, ganz gleich, ob am Telefon oder in der Realität.
Es ist nicht selbstverständlich, dass sich jemand Zeit für dich nimmt.
Warum verhalten sich Menschen dann so, als sei der andere eine Selbstverständlichkeit?
Je älter ich werde, desto weniger verstehe ich es und desto weniger dulde ich es.
Freitag, 24. Februar 2023
Ein Junkie der besonderen Art
Letzte Nacht konnte ich ewig lange nicht einschlafen. Wieder mal nicht. Erst quälte mich die letzten zehn Tage lang bevorzugt nachts der fiese trockene Corona-Husten, der anstandslos genug war, mich schätzungsweise aller fünf Minuten dahingehend erfolgreich zu reizen, dass an Schlaf gar nicht zu denken war - und nun bin ich wieder genesen, doch die schlaflosen Nächte gehen weiter.
(Hab ja mal gelesen, dass, wer nachts nicht schlafen könne, jener in den Träumen eines anderen wach sei. Los! Raus mit der Sprache: Wer ist das Schwein? *kreisch*)
Und weil ich ja schon seit vielen Jahren bevorzugt nachts munter durch die Gegend flirre (könnte aber auch rein erblich bedingt sein, die Mama hat da ja auch so Allüren von wegen nachts um zwei noch n Käffchen kochen, weil der Krimi grad so spannend wird), wurde ich irgendwann ein Fan von Medical Detectives. Mich fasziniert daran vor allem die forensische Aufklärung. Ist es nicht irre, wie die aus kleinsten Kleinstteilen den Täter identifizieren und nachweisen können?
Letzte Nacht allerdings überkam mich irgendwie so ein Gedanke, ob dieses doch recht kontinuierliche Konsumieren dieser Sendung vor allem in der Nacht nicht doch einen eher unguten Einfluss auf meine mentale Befindlichkeit hätte?
Ich meine... Angst vor der Dunkelheit habe ich, seit ich denken kann.
Da fühle ich mich auch heute noch äußerst unwohl, wenn der Weg vom Lichtschalter zum Bett größer als eine Schrittlänge ist. Wenn der Mann mal außerhäusig ist, gibts den schon auch immer noch mal, diesen beherzten Satz und Sprung aufs Federbrett.
Es gab andererseits aber eben auch diese Zeiten, also gerade in meinen wilden Singlezeiten, da war ich - wenn ich das mal so rückblickend resümiere - absolut vertrauensvoll und ziemlich unbedarft im Umgang mit anderen Männern. Bin in fremde Städte gereist, habe fremde Wohnungen besucht, bin in fremde Autos gestiegen. Wenn ich da heute so drüber nachdenke.. ist es eigentlich unfassbar, was für ein unglaubliches Glück ich all die Jahre hatte.
Grad wenn man sich eben so diese Sendungen in Erinnerung ruft! Es ist ja tatsächlich in den seltensten Fällen ein Zufallsopfer. Meistens kannte man sich - entweder Ex-Partner oder welche aus Deinem Umfeld, die gerne Dein Partner wären. Und wenn die Dich nicht haben können, soll Dich halt auch kein anderer haben. Oder die Dich (wie in einer Folge der letzten Nacht zu sehen) für irgendwas bestrafen wollen, was Du irgendwann mal gesagt hast und dem anderen nicht passte. Oder eben Datingfeinde, die auf diesem Weg so leicht wie sonst nie an ihre Opfer kommen.
Mit dem nunmehr so nah gerückten Umzugstermin steigt zwar die Vorfreude, aber ich stelle auch fest, dass sich mulmige Gefühle einschleichen. Wer wohnt dort mit uns, wer wohnt im Umfeld, was sind das für Menschen? Können die in unsere Fenster schauen? (Also die Fassade hochklettern wie hier in M dank dieser Holzjalousien draußen am Balkon ist da schon mal nicht möglich. Obwohl... Kommt aufs Equipment an... eventuell...) Weckt man Begehrlichkeiten? Kann sich jemand in der Tiefgarage verstecken und mich dort hinterrücks abmurksen, ohne dass mich je ein Schwein hört? Leute, ich hab so gut wie nie Bargeld einstecken - dat lohnt nich! Zahngold habe ich auch nich. Nur den Ehering und den Verlobungsring - aber das sag ich Euch, Griffel weg, Ihr Klauschweine, sonst gibts Schmorze!
Aber mag ich in der neuen Wohnung allein schlafen, wenn der Mann verreist? Oder quartiere ich mich bei Sohnemann mit ein, der immerhin sehr bestechlich ist, wenn ich ihm dafür etwas Leckeres zu essen zubereite?
Letzte Nacht habe ich dann beispielsweise gegoogelt, was es so für technische Schutzraffinessen an Wohnungseingangstüren gibt. Habe mir Rezensionen durchgelesen, wo einer schrieb: "Vergesst den ganzen Scheiß, klemmt Euch einfach nen Keil von innen gegen die Tür, kommt auch keiner rein."
Ich las das und dachte so bei mir: Joar... Simpel, aber geil. Wenn es denn auch funktioniert! In meiner Phantasie ist ja aber leider... ach fragt bloß nicht, was DA alles möglich ist! Da werden sämtliche physikalischen Gesetze ausgehebelt, da ist alles, wirklich al-les möglich!
Der Mann lacht nur noch über mich und rügt: "Hör einfach auf, deine Detectives-Scheiße zu gucken!" und ich glaube, er hat echt recht. Sag ich nicht so gerne, ist vermutlich aber so. Wenn ich so drüber nachdenke, vor wem und vor was ich alles so Ängste entwickle...
Als er gestern Abend also fragte, ob ich Lust auf nen schönen Film hätte, er hätte da mal was vorbereitet, da meinte ich "Au ja!" und er startete die Serie "Wednesday". Weiß ja nicht, ob das einer von Euch schon mal gesehen hat - aber auch wenn ich weiß, dass es im Real Life keine Monster mit langen spitzen Klauen gibt: Im nebelwadernden, dunklen, lediglich wolkenverhangen-mondbeschienenem Wald damit den Bauch rasiert zu bekommen - na ich weiß ja nicht, ob DAS nun schön(er) ist!?
Vielleicht fange ich ja doch mal mit Guidos Deko-Queen an. Inspiration kann man schließlich immer gebrauchen - und bei Guido scheint die Welt immer irgendwie so in Ordnung.
Samstag, 18. Februar 2023
Und die Spiele dauern an
Das Lager ist zweigeteilt: Die einen verstehen, dass wir etwa acht Wochen vor dem Umzugstermin begonnen haben zu packen. Andere verstehens nicht. Immerhin hat es ja nicht lange gedauert, ehe dieser Effekt einsetzte von wegen: "Weißt du zufällig, in welche Kiste...?"
Wir haben die Umzugskartons ja gebraucht gekauft, ist ja irgendwie sonst auch schade - nur einmal benutzen und dann entsorgen. Das hatte freilich zur Folge, dass die Kartons mitunter schon ein-, zweimal beschriftet worden waren. "Reste Küche" wurde beispielsweise durchgestrichen und stattdessen "Hosen Kai" angebracht. Aus dieser hatte ich dann "Kreativ" gemacht - weils eine schöne große Kiste war, die auch schwer beladen werden darf. Und glaubt mir, Farben haben ein ganz schönes Gewicht. Grad wenn man nicht nur zehn, zwölf Tuben hat ;)
Dann aber kam der Mann, beäugte das Ganze misstrauisch und meinte dann: "Ne! Hätteste mich mal vorher gefragt, die Schwerebox hatte ich für was anderes gedacht."
Also hat er alles aus- und umgepackt und jetzt steht neben der Resteküche, dem Hosenkai und dem Kreativ "Arbeitszimmer/ LPs" *kreisch*
Inzwischen haben wir beschlossen, gar nichts mehr auf die Kartons zu schreiben. Wir werden einfach alles umziehen und dann in der neuen Wohnung die Kartons sortieren. Zumal mittlerweile in einer Box mehrere Dinge einsortiert sind: Küche, Arbeitszimmer, Schuhe.
Ich sach da schon lange nix mehr dazu - ich lass dem Stapelmonster einfach seinen Einpackmechanismus und begnügte mich inzwischen damit, mir Säcke zu kaufen und die Klamotten einzusortieren und zu beschriften. Einmal zugeschnürt, bleiben die Säcke schließlich, wie sie sind. Nebenher surfte ich ein wenig im Netz und schlich wochenlang um ein Reinigungsset herum, elektrisch und mit verschiedenen Bürstenköpfen ausgestattet, das mir insbesondere das Reinigen der Fliesenfugen und -ecken erleichtern sollte. Das ganze Bad immer nur rein manuell zu schrubben war mir auf Dauer einfach zu nervig und zu anstrengend. Könnte mich ja jetzt herausreden mit körperlichen Gebrechen und so - aber die Wahrheit ist: Wenn etwas zu lange dauert, verliere ich die Lust. Bei mir muss es in den allermeisten Fällen immer zack-zack gehen, jedenfalls dann, wenn ICH mir was in den Kopf gesetzt hab :)
Als vor vielen Jahren die Zwillinge-Geborenen mal damit beschrieben wurden, dass es ihnen zu langweilig sei, ein ganzes Haus zu bauen, sie würden stattdessen lieber drei Baugruben ausheben, da habe ich zustimmend gelacht.
Gestern dann hat der Mann gemeckert, von wegen, wir wollten uns doch immer abstimmen und so, bevor einer was kauft. Fairerweise müsste er aber wissen: ER hat das gesagt und gefordert. ICH hab darauf aber gar nix geantwortet, sondern geschwiegen und gedacht: "Öhm... nö..." ;)
Ist übrigens auch so einer der Gründe, warum ich kein gemeinsames Konto will: Wir verdienen beide unser Geld, wir wirtschaften gemeinsam, wir legen gemeinsam zur Seite - und was jeder mit dem Rest macht, will ich weder wissen noch rechtfertigen.
Jedenfalls sind wir inzwischen eigentlich ganz gut vorangekommen. Leichte zerbrechliche und wertvolle Dinge habe ich Stück für Stück bzw. Fahrt für Fahrt mit in meine kleine Wohnung nach L genommen, das holen wir dann alles später ab, wenn wir in unsere große Wohnung in L gezogen sind. Rund 35 gepackte Kisten stapeln sich mittlerweile um meinen Home Office-Arbeitsplatz (ich errichte sozusagen Mauern um mich herum ;)), im Schlafzimmer ist auch schon einiges abgebaut - aber irgendwie... So wirklich Land in Sicht sehe ich da noch nicht. Auch empfand ich es als anstrengend, dass der Mann kleine Häufchen zu sortieren begann, die überall auf den Kisten herumlagen: "Das kommt mal in die Kiste, wenn wir das und das packen; das kommt in die andere.." usw.
Das machte mich wahnsinnig. Das machte mich nervös. Der Monk kreischt schon gar nicht mehr, der hängt demonstrativ mit den Füßen nach oben in der Ecke und heult jeden Tag ein bisschen leise vor sich hin.
Und weil der Mann gestern eh schon scheiße drauf war, habsch noch einen draufgesetzt und ihn dazu gebracht, dieses kleine Krimskrams-Zeug alles in eine oder auch zwei neue Kisten zu verpacken. Und dann hab ich mein Bürstenset rausgeholt und im Bad begonnen zu testen.
Erst hat er ja ein bisschen rumgemeckert von wegen abstimmen und so, aber dann stand er doch ganz interessiert neben mir, schaute mir über die Schultern, sprach irgendwann nur: "Hm na ja" und ging dann.
Das Bürstenset ist jetzt vielleicht nicht ganz so wie erwartet, Fliesen zu polieren geht beispielsweise nicht so wie gedacht (wie man damit also Fenster putzen soll, ist mir echt ein Rätsel). Nachwischen mit einem trockenen weichen Lappen ist also immer noch ein Muss. Aber Seifenreste bekommt man damit super aus den Fugen geputzt, ohne sich großartig anzustrengen. Fetzt mir. Gefällt mir. Und weil der Mann und ich aktuell wieder an Corona erkrankt sind (also er erstmals, ich ein zweites Mal innerhalb von zwei Monaten - erst brachte es im Dezember der Sohn mit heim, dieses Mal der Mann), gefällt mir der Gedanke, alles ohne große Kraftanstrengung reinigen zu können, umso mehr.
Meine Mama jedenfalls lacht nur noch und sagt: "Ihr werdet das schon machen."
Das denke ich auch. Aber ich werde auch nicht drei, sondern mindestens zehn Kreuze setzen, wenn wir das hier alles hinter uns haben.
Mittwoch, 8. Februar 2023
33
Als ich Dir heute morgen um Null Uhr Fünf gratulierte, weil wir beide um diese Zeit noch nicht schlafen konnten, da erzählte ich Dir, dass ich vor genau 33 Jahren nachts um diese Zeit mit Deinem Vater den Klinikgang auf und ab ging und es trotzdem noch bis 9.29 Uhr dauerte, bis Du endlich auf dieser Welt warst. Ich weiß noch, wie sie Dich das allererste Mal noch im Kreißsaal in meinen Arm legten und ich spontan dachte, dass Du die winzige Miniaturausgabe Deines Opas seist :)
Ich fragte Dich letzte Nacht, ob ich die Kerzen auf Deinem Geburtstagstisch anzünden sollte, damit Du Dir etwas wünschen könntest, bevor Du sie auspusten würdest.
Aber Du hattest keinen Bock mehr aufzustehen nach der langen Schicht in der Klinik. Überhaupt bist Du heute der Meinung, dass Du keine Feier, keine Geschenke, keine Gratulanten und auch überhaupt nix brauchst.
Aus Deiner Sicht ist Dein Geburtstag nichts Besonderes - für alle anderen um Dich herum aber, die Dich lieben, ist er etwas Besonderes: Weil DU besonders bist.
Ich kenne kaum jemanden, der so feinfühlig ist wie Du. Du spürst immer und immer sofort, wenn irgendetwas nicht stimmt. Meist noch bevor überhaupt jemand etwas gesagt hat.
An Dir jedoch erlebe ich jeden Tag, was es mit einem Menschen macht, wenn er zuviel allein ist.
"Er hat ein Herz aus Gold", hat Dein Bruder früher öfter über Dich gesagt - und absolut Recht damit.
Du selbst empfindest es überhaupt nicht mehr so, willst es auch nicht mehr so sehen und sobald Dir jemand zu nah kommt, fährst Du sofort Dein ruppiges Schutzschild hoch. Du willst an nichts mehr glauben und willst auch nicht mehr vertrauen.
Auch meinen Worten und meinen Gedanken und meiner tiefen inneren Überzeugung willst Du nicht glauben, dass das Leben auch für Dich noch ganz viel Wundervolles vorbereitet hat. Weil das Glück zu jedem Menschen kommt, der es auch verdient. Und Du bist einer dieser wunderbaren Menschen, die (leider) zu sehr an sich selbst zweifeln.
Weißt Du, in Norwegen sagen die Menschen: "Alles kommt zur rechten Zeit für den, der warten kann." Mich selbst hat ja dieser Gedanke, dieses Lebensgefühl durch ganz viele schwierige Zeiten getragen, die alles andere als gut und schön waren.
Und genau das wünschen wir Dir so sehr von Herzen: dass Du das bekommst, was Dich glücklich macht - und dass wir dann bei Dir sein und das miterleben dürfen. Und auch wenn Du noch so die Augen verdrehst, abwinkst oder schroff reagierst: Ich empfinde wirklich tiefe Zuversicht darin, dass auch Du Dein Glück findest. Bei Dir hat alles immer länger gedauert als bei anderen - also was solls? :)
Heute, rückblickend, kann man doch eins sagen:
Über das Leben hast DU mich das Grundlegendste gelernt. Wie man sich durchsetzt. Wie man sich widersetzt.
In der 4. Klasse sollte ich Dich ausschulen und auf eine Sonderschule oder wenigstens eine Sprachheilschule bringen.
Weil Dein Geist so wendig und beweglich war, dass Du schneller dachtest als Du sprechen konntest - und Dich damit oft verhaspelt und zu oft zu viele Dinge gleichzeitig erzählen wolltest. Für mein damaliges Empfinden rechtfertigte das weder eine Sonderschule noch eine Sprachheilschule. Also habe ich Dich auch da gelassen, wo Du warst - und alles war gut und richtig so!
Deine Noten bewegten sich zwar eher immer im mäßigen Bereich - außer in den Fächern, die Dich interessierten: Astronomie und Geografie.
Aber so war es eigentlich immer: Was Dich nicht interessierte, fiel komplett "hinten runter". Und Du sagtest selber mal: "Wär ich nicht so verspielt gewesen, ich hätte viel mehr erreichen können."
So war es auch in Deiner ersten Ausbildung zum Elektroniker. Jahre später sagtest Du mal zu mir, dass Du in der Zeit der Ausbildung noch viel zu verträumt gewesen warst - und deshalb den Bogen nicht mehr spannen konntest, um die Ausbildung nicht nur abzuschließen, sondern anschließend auch in diesem Beruf arbeiten zu können.
Deine Berufsschule bestellte Deinen Vater und mich ein und legte uns nahe, auf Dich einzuwirken, die Ausbildung abzubrechen - ein halbes Jahr vor dem Abschluss. Sie waren der Meinung, Du würdest das Ziel sowieso nicht erreichen.
Aber Du hast es erreicht. Du hast Deinen Abschluss bekommen - und im selben Jahr die Ausbildung im medizinischen Bereich begonnen.
Nebenbei hast Du Deinen Führerschein gemacht - selbst vom eigenen knappen Geld abgespart. Und Dir von Deinem eigenen Geld ein erstes, wenn auch altes, gebrauchtes Auto gekauft. Ganz ehrlich? Menschen wie Dich liebe ich: Die brauchen keine Statussymbole, die wollen auch keine. Natürlich haben Menschen wie Du Träume - aber sie müssen sich kein Leben auf Pump und Protz und Gloria aufbauen, nur um der Welt zu zeigen: Ey, ich bin wer, ich kann was, ich hab was.
Dir war immer wichtig, dass Du Dir DEINE Träume erfüllen kannst - und nicht die anderer.
Ich erinnere mich noch so gut an diese Jahre. Wie oft ich geflucht und mir das Haar gerauft hatte ob Deiner Unbefangenheit und Verträumtheit - aber auch unfassbar stolz auf Dich war.
Du hast allen immer und immer wieder das Gegenteil ihrer pessimistischen Prognose bewiesen. Und auch dafür liebe ich Dich sehr!
In jeder Deiner Entwicklungsphasen erkannte und erkenne ich mich selbst immer wieder.
Nach Deiner zweiten Ausbildung hat es Jahre gedauert, ehe Du im medizinischen Sektor Fuß fassen konntest. Zwar bist Du über etliche Umwege heute im Klinikalltag gelandet und auch in einem ganz anderen Bereich als dem, den Du gelernt hast. Aber nach zwei Jahren "Probezeit" haben sie Dich ohne Wenn und Aber übernommen - und Dein vorheriger Arbeitgeber hat monatelang um Dich gekämpft. Dass Du bleibst. Dass Du zurückkommst.
Ich bin so, so froh, dass Du Dich nicht überreden lassen hast, weil das Vorherige einfach keine Perspektive für Dich bot. Inzwischen scheint die Zeit zu beweisen, dass ich damit auch ziemlich richtig lag.
Gleichwohl hat es mich wirklich sehr gefreut, dass da endlich mal Arbeitgeber waren, die unbedingt DICH wollten. Du hast endlich eine Wertschätzung erfahren, die Dir schon so lange gebührte.
Und dass Du mal eines Tages mit dem Rauchen aufhörst, daran hat auch keiner geglaubt. Wenn ich ehrlich sein soll: Auch ich nicht ;) Du hast so unfassbar viel geraucht, dass es selbst für mich als Nichtraucher schwer vorstellbar war, dass Du so einen Willen auch nur ansatzweise aufbringen könntest.
Und auch hier hast Du uns alle, wirklich ALLE überrascht: Seit dem 5. September hast Du keine Zigarette mehr angefasst - das sind allein bei diesem ersten Versuch immerhin schon fünf stolze Monate. Und ich bin auch hier wirklich wahnsinnig stolz auf Dich, mein Hase.
Dass wir wieder nach L zurückkommen nächsten Monat, hat auch etwas mit Dir zu tun. Ich weiß, dass ich kein Ersatz bin für das, was Du eigentlich brauchst - und das versuche ich auch gar nicht zu sein. Denn ich weiß auch, dass man immer noch für jemanden da sein kann. Dass man jemanden auf zurückhaltende Weise begleiten kann. Und sei es nur, indem man sich Zeit für den anderen nimmt, wann immer der andere es braucht. Dass man an einem Tisch sitzt, dem anderen etwas zu essen bereitet oder einfach nur gemeinsam auf dem Sofa lümmelt. Dass wir miteinander sprechen oder auch einfach nur miteinander zocken können. Dass Du mit dem Mann zum Fußball gehst oder zu dritt mit dem Bruder durch die Kneipenmeile ziehst. Dass Du wieder mehr unter die Menschen kommst, wieder mehr in das Leben zurückfindest, an dem Du zu gern teilhaben möchtest, solange man keine Hoffnungen in Dir schürt, die dann gedankenloserweise wieder enttäuscht werden.
Natürlich denkst Du, dass niemand auch nur ansatzweise nachvollziehen kann, wie Du Dich fühlst. Du siehst den Mann und mich, Du siehst Deinen Bruder mit seiner Freundin, Du siehst die Menschen in ihren Beziehungen um Dich herum. Aber weißt Du, nicht jeder ist eben auch glücklich bzw. hat es für ganz viele auch ein halbes Leben gedauert, ehe sie sagen konnten: "Ich bin jetzt genau da, wo ich sein wollte."
Und dieses Gefühl, mein Junge, das beginnt im Kopf. Das beginnt bei einem selbst.
Wenn man mir genau sowas früher sagte, wusste ich überhaupt nicht, was man mir da eigentlich erzählte. Ich konnte es auch dem Gefühl nach nicht "greifen". Und mir ist bewusst, dass Du Dich genauso fühlst, wenn Du das hier liest oder wenn ich es Dir sage.
Aber eines Tages wirst Du erfahren, was ich damit meine.. Früher oder später wirst Du es wissen. Vielleicht später, weil bei Dir ja alles immer irgendwie etwas später kam als bei anderen. Auch in diesem Punkt kommst Du haargenau nach mir :) Später heißt aber nicht nie. Egal wie Du jetzt rumfauchen wirst, wenn Du das hier hörst oder liest. Mein stachliger, ruppiger, liebenswerter, empfindsamer Wassermann :)
Ich lieb Dich wirklich sehr und bin sehr dankbar, dass wir Dich haben. Und selbst wenn Du eines Tages einhundert Jahre alt bist, bist Du immer noch mein Junge und ich..
..Deine Mama
Dienstag, 31. Januar 2023
Im Innen & Außen
Meine Freundin hatte mir einen Floh ins Ohr gesetzt: Sie erzählte mir, dass sie alle Sachen, die sie nicht mehr braucht oder will, für fünf Euro je Stück verkauft. Ob sie damit Erfolg hat, habe ich sie nicht gefragt - aber ich dachte wieder daran, als wir begonnen hatten, die ersten Umzugskartons zu packen.
Und weil der Mann unlängst für schlappe sieben Tage im Wintersport weilte, dachte ich mir: "Könntsch ja eigentlich auch mal probieren? Zeit genug haste abends ja.."
Gesagt - getan. Ich sortierte aus, was entweder nicht mehr passt, nicht mehr zu mir passt - oder was mir schlichtweg einfach nicht mehr gefällt. Und fand das alles ziemlich aufwendig. Ein Foto auf dem Bügel, eins angezogen. Ich weiß ja, wie mir das geht: Ich seh ganz gerne, wie Klamotten angezogen aussehen - da können Welten zwischen liegen!
Irgendwann gegen Mitternacht war ich damit durch - und da rieselten schon die ersten Nachfragen rein.
Bei Kleidungsstück 51 wurde ich vom System informiert, dass nur die ersten 50 Anzeigen je Monat kostenlos sind; ab dem 51. Stück kostet es knapp nen Euro je Anzeige. Klar könnte ich diesen Euro auf das Kleidungsstück aufschlagen, wollte ich aber irgendwie auch nicht - und dann hatte der Mann die irre Idee: "Kannst ja meinen Account mit nutzen, ich geb dir mein Passwort."
Es konnte ja keiner ahnen, was da abgeht!
Nach Tag 3 jedenfalls war ich komplett erschöpft: Tagsüber Stress im Office, mit Zahlen, mit Werten, mit Angeboten, ein Projekt nach dem anderen auf dem Tisch - ich wusste so schon kaum noch, wo hinten und vorn ist. Im Anschluss zig Nachrichten und Nachfragen beantworten nach Maßen, Produktdetails - dazu das Feilschen um Versandkosten.
Boar ey.
Nicht nur, dass ich jeden Tag bis weit nach Mitternacht schrieb, Päckchen packte, Häufchen sortierte - ich musste mir auch ab Tag 2 schon Listen anlegen, auf denen ich mir notierte, wer was geordert hatte und wer davon bezahlt hatte und wer nicht. Und dann immer aufpassen, auf welchem Kanal man eigentlich gerade ist und wem man gerade schreibt. Das ist wie jede Woche in einem anderen Hotel zu übernachten und sich morgens zu fragen, wo man eigentlich gerade sei. Eine Mammutaufgabe - ich hätte eigentlich keinen Job gebraucht ;)
Und wie das hier aussah!
Die Stimme des inneren Monks war schon schrill und heiser geworden vom hysterischen Kreischen - aber morgens um 2.30 Uhr hatte ich einfach keinen Bock mehr auf Ordnung machen. Da wollte ich nur noch schlafen. Auf dem Rücken, mit offenem Mund und alle Viere von mir gestreckt. Für etwa drei, vier Stunden, dann ging der Irrsinn weiter.
Ordnung habe ich erst am Abend zuvor gemacht, bevor der Mann aus dem Skiurlaub heimkehrte.
Und inzwischen hat er dank mir einige Follower mehr und seine Beliebtheit ist auf "Besonders freundlich" hochgestuft worden. Wenn DIE wüssten! :D
Zwischendrin musste ich auch wieder nach L fahren. Office vor Ort ist schon noch eine ganz andere Hausnummer. Zwar weiß ich inzwischen, dass ich durchaus sehr diszipliniert im Home Office arbeiten kann und das auch tu. Aber es ist einfach anders als vor Ort. Keiner, der ständig nach einem ruft. Niemand, der permanent die Tür aufreißt und Fragen stellt. Keine drei Telefone, die gern zeitgleich klingeln. Dazwischen eine Unmenge an Aufgaben und ein offenes Ohr für den Frust und den Kummer anderer haben. Abends heimfahren, Essen zubereiten, Ordnung machen und noch den Rest des Abends mit dem großen Jungen verbringen. Nebenbei Löcher in Sachen stopfen, bügeln, Wäsche waschen.
Ich schlief wenig in diesen Tagen und mehr als einmal hatte ich so ein Gefühl, wie wenn ich gleich einen Infarkt bekäme. Bekam ich natürlich nicht, bin ja eine robuste nordische Stranddistel, auch wenn man mir das nicht unbedingt so ansieht.
Wenigstens aber einen Wutschrei bin ich losgeworden am Samstag auf dem Heimweg. Rund vierhundert Kilometer lang fast durchweg Stop & Go - ich dachte, ich würde wahnsinnig. Ich war müde, ich war wirklich erschöpft. Kam nicht mittags, sondern erst am späten Nachmittag nach Hause, aß eine Kleinigkeit und legte mich für eine halbe Stunde schlafen. Dann aufstehen, duschen und zu Freunden des Mannes fahren, die ja extra für uns gekocht hatten. Es war auch wirklich ein schöner Abend - aber gegen 22.30 Uhr war ich einfach nur müde und wollte heim.
Sonntag die Freundin treffen in der Stadt, anschließend mit dem Mann und dessen Wanderfreund noch auf eine Kaffeerunde - dann war ich durch. Komplett durch.
Wir haben am Abend trotzdem noch ein bisschen weiter eingepackt und der Mann meinte noch: "Also wenn das so entspannt weitergeht mit dem Packen, dann freut mich das."
Das war Sonntag. Heute ist Dienstag - und er kam schon genervt nach Hause.
Er hasst es, wenn irgendein Plan nicht funktioniert - und fauchte dann entsprechend hier rum. Alles müsse er allein machen und wenn er mich was frage, bekäme er keine Antwort.
Irgendwann fauchte ich dann auch zurück. Schließlich war ich mit dem Job noch nicht ganz durch, hatte mich auch ordentlich zu konzentrieren - Budget, Budgetnachträge, Zahlungsanweisungen, da darf mir kein Fehler unterlaufen - da konnte ich nicht sofort auf alles reagieren.
"Dann hätte ich mich gar nicht so stressen und eher heimkommen müssen", murrte er.
"Ich wusste ja gar nicht, dass du das vorhattest", gab ich zurück (Stichwort Kommunikation - ha!), knipste dann den Laptop aus, schnappte mir ein Päckchen, das es noch wegzubringen galt - und begab mich hinaus an die eiskalte Luft.
Hätte ihm ja eigentlich eher gutgetan, sagte ich mir, aber huch ne, von da war er ja grad erst heimgekommen.
Er ist heut Abend dann doch noch zum Yoga gegangen, obwohl er gar keine Lust hatte ("Hab einfach den Kopf grad nicht frei!"), während ich letzte Nachrichten zum Kleiderverkauf beantwortete, noch zwei weitere Päckchen verpackte mit Karten schreiben und einen Stein dazulegen (ja, die müssen ja irgendwie auch noch unter die Leute, sonst haben wir ein paar Kilo Ballast mehr :)) - und dann legte ich die Beine hoch. Überlegte, ob ich für ein paar Minuten die Augen zumache und entschied mich dann doch dagegen, weil ich sonst wieder die halbe Nacht aufbleiben würde.
Stattdessen sitze ich hier, schreibe einen Post darüber, wie es hier so weitergeht mit unserem "Projekt L" und überlege in Gedanken, von welchem Geschirr ich mich trennen möchte (natürlich entscheide ich nur über meins ;)) und was ich jetzt schon einpacken kann, ohne in den kommenden fünf Wochen nochmal wild in den bereits gepackten Kisten rumkramen und rumsuchen zu müssen.
Eine Freundin fragte letzte Woche wiederholt, wie ich das eigentlich alles mache und aushalte, gerade auch mit diesem Irrsinn im Office, und immer noch so gelassen bin. Na ja, ich wirke nach außen vielleicht so ;)
Aber ansonsten.. Wisst Ihr, ich kann eigentlich an kaum etwas anderes denken als an die Zeit, wenn wir in L sind und ich wieder mehr Zeit mit und für meine Söhne habe. Dort laufen die Wege gerade nicht so wie sie sollten. Der eine leidet unter Depressionen, weil er zuviel allein ist. Der andere steuert aktuell geradewegs darauf zu, weil er zu wenig allein ist. Ich werde Entwicklungen nicht verhindern können - aber ich weiß, dass es möglich ist, Entwicklungen positiv zu beeinflussen. Allein dadurch, dass man DA ist. Dass man zuhört. Etwas zu essen macht. Sich Zeit nimmt. Auffängt. Abfängt. Ihren Weg gehen sie am Ende allein - und sie können das auch.
Und ich freue mich auf die Zeit, in der es wieder leichter und einfacher wird, für sie da zu sein. So wie sie es brauchen. Und wollen. Und zulassen. Ich freue mich auf die Zeit, in der das Leben wieder ruhiger wird, innen und außen. Und mir dann auch wieder genug Zeit bleibt für das Malen und die Musik.
Ich freue mich auf die Zeit in L, weil es mir vor allem auch mehr Zeit ermöglicht für die Menschen, die schon da sind, die dann hoffentlich immer noch da sind - und die ich einfach nur ganz sehr umarmen möchte. Es ist so vieles, auf das ich mich freue, und ich sehe viel mehr davon als von dem, was mich hier gerade umgibt. Das ist es, was mich immer wieder neu antreibt und mich zugleich im Inneren auch völlig entspannt. Und ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so.
Montag, 23. Januar 2023
Die Spiele mögen beginnen!
Wir sind ja jetzt hier nicht im römischen Reich (glücklicherweise nicht), aber die Spiele haben tatsächlich begonnen: Nachdem der Mann am vergangenen Samstag nach sieben Tagen Spaß im Schnee auf Skiern, Schneeschuhen und Wanderschuhen zurückkehrte, ausgeruht, ausgetobt und wohlig entspannt, da lümmelte er hier zu Hause bei einer Tasse guten Kaffees, ließ den Blick schweifen und meinte dann: "Eigentlich könnten wir doch heute schon mit dem Verpacken beginnen."
Wir haben noch circa acht Wochen bis zum errechneten Geburts Umzugstermin, aber ich hatte längst eingesehen, dass meine bisherige Umzugsmasche nicht ziehen konnte: Als ich aus der damaligen Wohnung anno 2003 im Januar auszog, nahm ich nichts mit außer das Bett und den Kleiderschrank aus dem Kinderzimmer - und unsere Kleidung. Da war ein Umzug mehr als easy, da bedurfte es keiner großartigen Planung und auch keines großen Kraftaktes. Da wurde erst am Abend vor dem Umzug alles in Kisten verpackt und verstaut, weil mein innerer Monk eine Kette an Zusammenbrüchen erlebt, wenn er im Chaos hausen muss - und das hat auch immer super funktioniert, weil ich eben einfach auch nie viel hatte. Diese erste eigene Wohnung ist mir in mein Gedächtnis gebrannt, als wäre es erst gestern gewesen. Das Klappsofa einer Freundin, auf dem ich mit meinen Söhnen schlief, einer rechts, einer links, in der Mitte ich - und aus der winzigen Musikanlage auf dem Holzfußboden spielte leise die Musik, während ich mit großen Augen in die Nacht starrte. Die erste eigene Anschaffung war ein grün-rotes XXL-Bild mit einem großen Herzen und einem roten Rahmen. Dieses Bild besitze ich bis heute und will ich auch nicht hergeben: Es stand und steht für einen völligen Neuanfang. Es steht für all das, was zur Trennung vom Ex-Mann geführt hat, es steht für alles, was in den folgenden Jahren auf mich eingestürmt ist - und dass ich inmitten all dieser auch schlimmen Zeit immer in einem Punkt sicher war: Zurück geht es auf gar keinen Fall. Insofern steht dieses Bild auch für den Mut trotz aller Angst - aber ich muss auch hinzufügen, dass ich mir damals weitaus weniger Gedanken um alles und noch viel weniger geplant als einfach gehandelt habe. Meine Intuition war damals wirklich sehr gut ausgeprägt; heute wird sie leider viel zu oft vom Kopf überstimmt.
Egal, was wollte ich erzählen.. Ach ja: Ich hatte also nicht viele Möbel - ich brauchte auch nie viel, um mich glücklich zu fühlen. Da war diese Musikanlage auf dem Fußboden, das Klappsofa für die Kinder und mich, das Herz-Foto, das auf der anderen Seite des Zimmers an der Wand lehnte - und im Zinkeimer standen mitten im Februar die ersten Kastanienzweige mit noch zarten Blüten. Das war ich. So war ich. So brauchte ich das und so brauchte es meine Seele. Alles, was ich brauchte und hatte, ließ sich entspannt an einem Abend verstauen und am nächsten Tag problemlos in das neue Nest transportieren. Dort saßen wir dann auf Kisten, aßen einen Döner vom Laden um die Ecke, tranken, schwatzten - und wenn sich die Meute verabschiedet hatte, dann begann das große Einräumen. Ich hasse es, aus Koffern oder Kisten leben zu sollen - und lieber wühlte ich bis tief in die Nacht (oder besser gesagt: bis der Morgen graute), aber DANN konnte ich auch in aller Seelenruhe ins Bett sinken, sozusagen tot hineinkippen - aber wenn ich dann nach ausreichend Schönheitsschlaf wieder erwachte und aufstand, dann war alles an seinem Platz, bis hin zum Kaffeelöffel und zur Zahnbürste. Alles. SO liebe ich das, SO brauche ich das! (Off Tonic: Meine Mama ist sich nicht mehr sicher, wann genau ich eigentlich zur Welt gekommen bin. Also den Tag weiß sie schon noch, sie is ja nich senil - aber mit der Uhrzeit haperts eben doch. In meinem ganz bescheidenen Falle krankt es an genau einer Stunde - und diese eine Stunde entscheidet darüber, ob ich im Aszendenten eine Waage oder doch eine Jungfrau bin. Humbug hin oder her - ich amüsiere mich da jedesmal drüber, weil alle Tendenzen mittlerweile doch zur Jungfrau neigen. Zwar brauche ich es harmonisch und ausgeglichen für meine Seele, aber ich brauche vor allem auch Ordnung und eine Struktur. Also jedenfalls, je älter ich werde ;) Und Letzteres ist eigentlich nicht das, was man einer Waage nachsagt ;))
Jedenfalls, um nun endlich mal zum Eingangswort zurückzukehren: Der Mann in seiner grandiosen Entspanntheit nach dem ausgiebigen Skisport beschloss spontan, den Sonntag zu opfern, übers Kleinanzeigenportal ein paar Umzugskisten zu ordern und - wenn wir schon mal bei spontan sind - auch gleich mit dem Abbau des ersten Übels unserer Wohnung zu beginnen: dem Bücher- und Schallplattenregal in unserem Wohnraum. Ein zwei mal zwei Meter-Teil, das irgendwie unscheinbar wirkt, aber letztlich doch eine ungeahnte Fülle beherbergt. (Fun Fact: Bei mir ist das genau andersrum: Meine ungeahnte Fülle beherbergt Unscheinbares. Bücherregal müsste man sein! *kreisch!*)
"Wohlann", sprach der Mann, zückte die ersten Kartons, faltete diese fachgerecht zusammen, stellte flugs den Werkzeugkoffer dazu - und dann konnten die Spiele beginnen. Und glaubt mir, ich wusste genau, dass die heilige Stimmung nur bis zur ersten Schraube reichen würde, die sich nicht sang- und klanglos aus teils lädiert anmutenden Bohrlöchern drehen lassen wollten. Wies halt so is mit Möbeln, die man schon dreimal auseinander- und wieder zusammengeschraubt hatte. Da fliegt nicht nur - zack! - schnell mal ein unflätiges Wort durch den Raum, da fliegt auch ganz gerne mal irgendein Gegenstand durch das Zimmer, dem ich lediglich interessiert nachschaue, was getroffen wird und ob Flugobjekt und Zielobjekt das Ganze überstanden hatten. Sagen darf ich da nix und ich werde mich auch schwer hüten! Man rennt ja schließlich nicht freiwillig mit einer Fackel ins Munitionslager. Aber weil ich ihn kenne, weiß ich auch: So schnell, wie dat explodiert, so schnell geit dat auch wieder aufn Boden zurück - und man kann in aller Seelenruhe weiterpacken. Wir haben dann tatsächlich auch wirklich nur dieses eine Regal an diesem Sonntag ausgeräumt, in Kisten verpackt, das Skelett anschließend nochmal entstaubt, dann auseinandergeschraubt, die Teile an die Wand gelehnt, die Kisten davorgestellt - und dann warn mer fertsch. Der Mann hatte anschließend Rücken und ich Kaffeedurst - und zwar ordentlichen.
"Das kann ja was werden zum Umzug", sinnierte der Mann und im Stillen pflichtete ich ihm bei. Gesagt hab ich aber nix - man muss ja die Motivation hochhalten.
Ich habe dann heute noch zwei weitere Kisten gepackt, bevor der Mann am Abend aus dem Büro heimkehrte. Das heißt, hier lagern jetzt bereits zehn Kisten voll verpackt, hübsch sorgsam und ordentlich an die Seite gestellt, so dass man nicht sofort einen Schreikrampf bekommt. Doch ich frage mich ernsthaft, wie man eine Zwei- bis Dreizimmerwohnung mit fünfundzwanzig Kisten kalkulieren kann?? Also nicht wir - das habe ich in einem Angebot gelesen. Und noch ernsthafter frage ich mich: WER HAT ALL DIESES GANZE ZEUG GEKAUFT??? Das waren doch nur Bücher, Schallplatten und unsere Ordner mit unserem Schriftkram. Und der Mann ist nun wirklich ein Packkünstler; ich staune immer, wieviel er selbst in kleinsten Taschen unterbringen kann. In unserem Keller stehen jetzt noch dreißig weitere Kartons, die auf ihren Einsatz warten. Ich hoffe nur, die reichen auch wirklich. Und ich hoffe, mein innerer Monk dreht bis März nicht völlig ab.
Am meisten aber staune ich, was so eine Wohnung tatsächlich alles (er)tragen kann. Irre. Also ich könnts nicht. Aber ich bin ja auch kein Bücherregal - und auch kein Betonklotz :)
Donnerstag, 5. Januar 2023
KnickKnack
Ich muss zugeben, ich hab den Mann ja immer ein wenig belächelt. Zwar kann ich von mir nicht behaupten, dass ich zu sorglos mit meinen Onlinedaten umgehe - aber ich kann jetzt auch nicht von mir behaupten, ein Freak zu sein. Den Mann hingegen hielt ich für einen solchen. Sein Laptop glich für mich eher einem HighTech-Alcatraz in seiner schlimmsten Form. Ich konnte nie einfach nur den Browser bedienen, irgendwas aufrufen, ohne nicht je-den ein-zel-nen verdammten Schritt extra freigeben zu müssen. Mir war das zu mühselig, deshalb nutzte ich seinen Laptop auch nie gern fürs Bloggen oder so.
Einen ersten Knacks bekam ich, als ich im letzten Sommer eine E-Mail von einem meiner bevorzugten Onlineshops erhielt - allerdings aus Holland, in holländisch und mit einer Bestellung über ein Paar rosafarbene Sneakers, die ich sowieso nie bestellen würde, real aber tatsächlich eben auch nie bestellt habe. Da ist mir schon das Herz in die bunten Shorts gerutscht - aber ich sah auch, dass als Zahlungsmethode Paypal angegeben worden war. Dort nachgeschaut, war alles in Ordnung. Musste auch, ist ja mit Zweifaktorauthorisierung abgesichert - da geht nix ohne meine Freigabe vom Zweithandy. Ich habe mich dennoch sofort an den Onlineshop sowohl in Deutschland als auch Holland gewandt, eine Antwort aber bis heute nicht bekommen.
Nun werden wir ja demnächst umziehen und die ganze Gestaltung und Dekoration hat schon für einigen Sturm im Hause Blaues Ziggenheim gesorgt. Was im aktuellen Wohnbereich easypeasy hinsichtlich der Soundanlage des Mannes (Frontboxen, Rückboxen, Centerbox, Subwoofer - da wirste blöde, wirklich) gelöst werden konnte, sorgte für den neuen Wohnbereich für ein ordentliches Nussknacken. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten müsste ich damit leben, dass da oder dort ein Kabel zu sehen wäre, das über den Parkettboden gelegt würde. Ähm. Ja. Ne! Nicht nur mein innerer Monk, auch mein ästhetisches Auge bekamen beinah sofort Schnappatmung. Zwar haben wir im neuen Wohnbereich Steckdosen hinterm Sofa, so dass man die Rückboxen, die bei dieser Unternehmung tatsächlich die einzige Nuss darstellen, drahtlos verbinden könnte. Bis der Mann erfuhr, dass Boxen des Herstellers seines Vertrauens zwar eben Boxen verkaufen, die das können - aber seine aktuellen könnens eben nicht. Also kauft er zu den Sendern/ Empfängern entweder noch einen Verstärker und landet damit bei ca. 800 Euro - oder er kauft die Funkboxen zum schlappen Preis von 1400 Euro. Ähm. Ne.
Er hat sich dann auf die Suche gemacht und wurde fündig bei Ebay Kleinanzeigen, die ein anderes Funkset, aber passend und vor allem wesentlich günstiger für uns anboten. Knackpunkt: Er konnte sich nicht in seinen Account einloggen - angeblich sei sein Konto gehackt worden und die Freischaltung müsse er erst neu beantragen. Also bat er mich, den Kauf abzuwickeln, was ich natürlich nur zu gerne tat, wenn der Preis dafür war, keine blöden Kabel übers Parkett geführt zu bekommen. Auch nicht für Kurzstrecken ;) Inmitten all der folgenden Konversation wurde dann sein Account wieder freigeschalten - und siehe da: Es war tatsächlich geknackt worden. Irgendjemand hatte sich als eine Sabine ausgegeben und irgendwelches Küchenzeugs angeboten, für das er/sie/es offenbar mehrfach Geld einstrich, aber freilich keine Ware verschickte. Alle entsprechenden Nachrichten waren noch sichtbar. Soweit bereinigt, soweit alles wieder gut. Bis er vor zwei Tagen eine E-Mail erhielt mit einer offenen Forderung in Höhe von über 500 Euro von einem Versandhändler, bei dem er im letzten Juni eingekauft hatte. Wohlgemerkt: Er besaß dort kein Konto, hatte damals lediglich als Gast bestellt. Zunächst ging er also von einer Fake-Mahnung aus, aber nachdem ich mir die mit angeschaut hatte, überkamen mich Zweifel. Also telefonierte er und tatsächlich stellte sich heraus: Da hat jemand seine E-Mail-Adresse genutzt und für sich eingekauft. Interessant nur: Weder bekam der Mann auf seine E-Mail-Adresse jemals eine Bestellbestätigung noch eine Rechnung - nur eben die Mahnung. Und die wird auch nicht ausgesetzt; es sei denn, er stellt Strafanzeige bei der Polizei und übermittelt das Aktenzeichen an Onlineshop und Zahlungsdienstleister. Genau das hat er dann gestern auch gemacht. Seitdem herrscht erstmal Ruhe im Wald..
(Fun Fact: Ermittlungen werden übrigens seitens der Polizei nicht geführt, weil (noch) niemand zu Schaden gekommen ist - und der Shop ein englischer Shop ist und obendrein dieses Verfahren selbst anstrengen muss. Meine Annahme, dass man solchen Betrügern ja aber dennoch mal einen richterlichen Denkzettel überziehen wollte, stellte sich als "leider falsch" heraus. Woarrh! Können diejenigen schadlos weitermachen und die Onlineshops um ihr Geld bringen - und kein Schwein interessierts?)
Mich stimmte das wirklich sehr nachdenklich. Sowieso ist der Mann ja Apfelfan, die sollen grundsätzlich schon mal besser gegen Angriffe von außen aufgestellt sein. Aber sein Apfel ist eben auch noch ein Alcatraz, also extra noch mit allen möglichen Schikanen gesichert. Heute habe ich mir dann die Mühe gemacht und in sämtlichen meiner Onlinekonten E-Mail-Adresse und Passwörter geändert und da, wo möglich, eine Zweifaktorauthorisierung eingeführt. Mache ich zwar ohnehin, aber ich gebe zu: nicht oft genug, weils mir einfach auch zu mühselig war... Und als käme es wie gerufen, lief gestern Mittag auf ZDFinfo noch ein Beitrag über Cyberkriminalität. Wenn man das alles so sieht und hört, dann war ich schon versucht zurückzukehren zu Stift, Papier, Bargeld und Analogtelefon. Nur.. Die Digitalisierung in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf - und die Ziggenheimern schon mal gleich gar nicht ;) Aber e bissl Fracksausen kriegt man da schon!
Das Pling im Kopf
Im Wandel
Dienstag, 20. Dezember 2022
Von M zu L
Im Januar 2014 haben der Mann und ich beschlossen, dass wir zusammenziehen. Nach all der Zeit, all den Höhen und Tiefen, den On-and-Offs unserer Beziehung haben wir entschieden, dass wir nunmehr einen Schritt weiter gehen müssten. Uns trennten etwas über vierhundert Kilometer - und wir waren beide an einen Punkt gekommen, wo wir müde geworden waren. Im Job beide voll beansprucht, jeder mit seinem Alltag - wir wussten: Wir müssen JETZT etwas entscheiden, ansonsten werden wir uns verlieren, weil uns nach gut 7 Jahren Fernbeziehung die Energie ausging.
Habe ich diese Entscheidung bereut?
Nein. Ich denke, sie war wichtig für mich und auch für ihn - und auch für meine Söhne. Das einzige, was mir immer nachhing, war die Trennung von den beiden. Ich bin jetzt keine Übermama, die auf ihren Kindern hockt und nicht loslassen kann oder will. Aber ich wollte, dass es ihnen gut ging. Ich wollte, dass sie sich ihre Wünsche und ihre Träume erfüllten - und ich wünschte mir für sie, dass jemand in ihrer Nähe war, wenn es ihnen gerade nicht gut ging. Dass jemand greifbar war, wenn sie es brauchen würden.
M ist eine Stadt, in die ich mich sehr, sehr schnell eingelebt habe. Mich persönlich hat das wirklich überrascht: M ist eigentlich bekannt für Schickimicki, für sehen-und-gesehen-werden, für den schönen Schein nach außen, während es im Inneren modert. Das ist nicht meine Welt. Mich interessiert nicht, was jemand an Hab & Gut besitzt und welches Label er spazieren führt. Das beeindruckt mich nicht. Bussi Bussi und falsches Getue widern mich an, genauso wie diese Mädels mit ihren Taschen in der Armbeuge.
Was mich fasziniert und interessiert, sind Menschen, keine Darsteller.
Nichtsdestotrotz ging es mit M und mir wirklich rasant. Ich gewöhnte mich in Nullkommanix ans U-Bahn-Fahren, obwohl Enge und Gedränge schwierig sind für mich. Nach Japan sollte ich da vermutlich nicht auswandern wollen ;)
Es gibt so einige Ecken, in die ich mich verliebte - und die ich auch vermissen werde.
Aber es war immer klar: Ich werde nicht für immer in M bleiben, auch nicht dort begraben werden. Es war immer klar, dass ich notfalls auch allein wieder weggehen würde.
Das Jahr 2022 hat so einiges an Überraschungen für mich bereitgehalten. Die eine war der Antrag vom Mann - und dass wir dann auch wirklich geheiratet haben.
Die andere - für mich große - Überraschung war, dass wir eine Wohnung gefunden haben und im März umziehen werden. Und zwar nicht innerhalb von M - sondern zurück nach L.
Anfangs konnte ich wirklich nicht glauben, dass der Mann dazu bereit sein würde. Ich war mir sicher, dass er spätestens dann, bevor es wirklich ernst würde, einen Rückzieher machen und genug Gründe finden würde, nicht wegzugehen.
Aber auch er überrascht mich immer wieder - auch nach so vielen Jahren noch.
Bei unserem vorletzten Besuch in L haben wir uns gemeinsam ein paar Wohnungen angeschaut - und uns für eine von diesen entschieden. Sie hat alles, was uns wichtig war (na gut, nicht ganz, ich vermisse mein Mal-Schreib-Musik-Zimmer, also ein Zimmer ganz für mich allein). Sie liegt in einem der beliebtesten Stadtviertel in L, wir können fußläufig zur Mama oder auch auf einen Kaffee in die Innenstadt, ich habe einen entspannten Weg ins Office - und wenn der Mann seine sportlichen Anfälle bekommt, kann er sich im angrenzenden riesengroßen Park austoben nach Lust & Laune. Und ich kann jederzeit meine Söhne sehen oder sie zu mir einladen, wenn sie es möchten.
Wir haben den Zuschlag bekommen, obwohl die Wohnung von einem anderen Paar reserviert worden war. Das muss aber wohl schon länger her sein - und jetzt haben wir sie genommen und bekommen.
Preiswert ist sie nicht, das muss man sagen. Aber auch hier hat mich der Mann überrascht, als er zu mir sagte: "Du hast nie wirklich schön gewohnt, ich hab nie wirklich schön gewohnt. Wir haben unser ganzes Leben lang viel gearbeitet und sollten uns jetzt einfach mal etwas gönnen."
Zurück in M, kündigte der Mann die dortige Wohnung, den dortigen zusätzlichen Tiefgaragenstellplatz, fand in Nullkommanix einen Nachmieter, entwickelte Pläne und Ideen, dass selbst ich kaum hinterher kam. Und natürlich sind wir auch fast sofort in einen Ehekrach gestrandet, weil jeder von uns seine Ideen und Vorstellungen einbringen will, die - klar - nicht zu den Ideen und Vorstellungen des anderen passten.
"Wir könnens auch lassen und hierbleiben", hat der Mann gefaucht.
"Wir werden uns schon noch einig", hab ich geantwortet, "aber nicht dahingehend, dass alles nur nach deinem Kopf geht."
"Aber auch nicht nur nach deinem!"
"Natürlich nicht", habe ich breit gegrinst.
Am Freitag kommt er nach L, am Montag fahren wir zur Wohnung, geben den unterschriebenen Mietvertrag ab, messen alle Räume nochmal genau aus.
Auf unserer virtuellen Liste stehen bereits eine Menge Dinge, die wir brauchen werden.
Auf Instagram haben wir einige Dinge im Speicher, die uns inspirieren.
Früher war es ja immer so: Ich habe ungefähr einen Tag vor dem Umzug alles zusammengepackt, am Umzugstag alles transportieren lassen und dann bis in die frühen Morgenstunden so lange geräumt und geputzt, bis ich todmüde ins Bett fallen konnte, irgendwann später wieder aufstand und alles an seinem Platz fand: Vom Kaffeelöffel und Kaffeebecher bis zur Zahnbürste war alles an seinem Platz. So liebte ich das!
Dass das hier eine ganz andere Nummer werden wird, ist mir bewusst.
Fest steht für mich nur, dass es bei mir und mit mir keine Kisten geben wird, die ungeöffnet irgendwo rumstehen. Der Mann kann sowas - ich nicht. Das stört mein ästhetisches Auge *kreisch*
Insofern steht auch fest, dass zwar alles schnell seinen Platz bekommen wird - aber es steht auch fest, dass wir für das Gestalten unseres neuen Zuhauses etwas mehr Zeit brauchen werden. Es muss reifen - mit all den Ideen, die wir jetzt schon haben.
Im März ist es soweit, dann gehen wir weg von M zurück nach L und ich denke, dass wir im Juni vielleicht oder auch erst im Juli oder August unsere Einzugsparty feiern werden.
Aber Fakt ist vor allem: Wir freuen uns beide wahnsinnig auf diesen Schritt - auch wenn ich es irgendwie noch immer nicht glauben kann - und im Gegenzug der Mann langsam Muffensausen bekommt und auch schon erste Anwandlungen von "Wollen wir nicht vielleicht doch hier in M bleiben?"
Nein, wollen wir nicht :)
Montag, 19. Dezember 2022
Wolkig mit der Aussicht auf Wattebällchen
Wäre alles nach Plan verlaufen, würde ich heute Abend in M meine Tasche packen und mich morgen früh auf den Weg nach L machen.
In der Realität aber bin ich von L beim letzten Mal gar nicht erst weggefahren. Sondern buchstäblich im wahrsten Sinne des Wortes einfach liegengeblieben - mit Blick zum Fenster hinaus. Dort ist quasi das Leben an mir vorübergezogen: Sonne, Sturm, Nebel, Regen, Schnee. Begleitet von kannenweise Tee jeden Tag, Fieber, Mörder-Halsweh und Husten.
Und ja, es ist Corona. Hat der Sohn aus der Klinik mit nach Hause gebracht. Ausgerechnet derjenige, der sich übervorsichtig verhält. Der Coronapatienten nur im Vollschutz betreuen darf - und auch abseits der Coronapatienten empfindlich darauf geachtet hat, nichts ohne frische Handschuhe zu berühren und sowieso niemandem näher als notwendig zu kommen. Das Bubbelchen.
Woher er dann trotzdem die Infektion bekam, kann er sich partout nicht erklären.
Jedenfalls meine ist von ihm und begann nachts buchstäblich von einem Moment auf den anderen mit ordentlichem Schüttelfrost.
Wie fühlt sich Corona momentan für mich an? Wenn ich ehrlich sein soll, nicht anders als früher, wenn eine Virusgrippe ihre klebrigen Griffel nach mir ausstreckte. Damit möchte ich weder etwas relativieren noch verharmlosen. So fühlt sichs einfach an. Und mir sind zwei Dinge aufgefallen: Das Schmerzlevel ist in diesen Tagen deutlich niedriger als sonst. Und ich schwitze natürlich nach wie vor, grad als das Fieber so hoch war - aber ich habe null Schweißgeruch. Ich war immer sicher, dass ich jeden Tag ein Deo nutzen muss - ohne war überhaupt nicht denkbar für mich, auch wenn der Mann noch so beschwor: "Ich weiß gar nicht, was du hast, du riechst nicht!" ICH bildete mir ein, da wäre was; also habe ich jeden Tag Deo benutzt - und aktuell brauche ich das Null.
Der Junge brauchte 1,5 Wochen, um wieder fit zu sein - bei mir sinds aktuell auch 1,5 Wochen und ich bin noch nicht ganz so weit wie er. Natürlich hab ich drüber nachgedacht, warum das so ist, unabhängig von dem Bewusstsein, dass ja jeder Mensch anders mit denselben Dingen umgeht.
Ich denke, dass es bei mir insbesondere an den Spritzen liegt, die ich mir seit ungefähr einem Jahr jede Woche setzen muss und die mein Immunsystem unterdrücken. Genau das Immunsystem, das ich jetzt eigentlich bräuchte. Stattdessen liegt es sozusagen in der Ecke und guckt mir knurrend wie ein widerwillig gebändigter Kettenhund zu, wie ich mich hier abmühe, meinen Feind quasi mit Wattebällchen zu bewerfen.
Der Mann schrieb vor ein paar Tagen, es erinnere ihn an unsere früheren Zeiten - er sei dort, ich sei hier, er könne sich nicht um mich kümmern und es würde zwei oder drei Wochen dauern, bis wir uns wiedersehen. Damit wird er nun recht behalten. Wenn er zu Weihnachten nach L kommt, werden wir uns drei Wochen nicht gesehen haben.
Dass wir uns also nichts schenken, stimmt damit auch in diesem Jahr nicht wirklich: Wenn ich bis dahin negativ bin, wird er mein Geschenk zu Weihnachten sein. Ich empfinde das umso mehr, wenn ich sehe, was aktuell in anderen Beziehungen um mich herum los ist - und warum. Betrachte irgendwie mit Wehmut, mit einer gewissen Traurigkeit, wie Menschen miteinander umgehen. Die aneinander hängen (bleiben), weil sie Angst vor dem Alleinsein haben, Angst vor einer ungewissen finanziellen Zukunft, aus Unsicherheit. Aus allem möglichen - aber am allerwenigsten aus Liebe. Liebe ist sicherlich nicht alles - aber sie sollte der wichtigste Grund sein, zusammen sein zu wollen.
Das Jahr 2022 ist fast vorüber, fast geschafft. Viel ist passiert, ganz viel Schlimmes, viel Nachdenkenswertes - und für viele von uns auch viel Schönes. Meine Dankbarkeit dafür möchte ich nicht verlieren. Das, was wunderbar ist, möchte ich auch morgen noch sehen können, sehen dürfen - und wertschätzen. Auch im Jahr 2022 bin ich erschüttert vom Egoismus, der mich mehr oder weniger nah umgibt; von der Gleichgültigkeit und von Desinteresse an Dingen, die für bestimmte Menschen nicht uninteressant sein dürfen. Ich bin enttäuscht von manchen Menschen - und im Gegenzug positiv überrascht von anderen, auf die ich aktuell eher weniger gekommen wäre. So ist es wohl, dieses einzige Leben, das wir alle haben.
Manchmal beißt man sich durch mit der Kraft eines Löwen - und manchmal kämpft man mit Wattebällchen.