Donnerstag, 18. Februar 2021

Stille Zeiten

 Ich habe den Mann letztens gefragt, ob er eigentlich seiner Mama den Tipp gab, mir zu meinem letzten Geburtstag Acrylstifte zum Bemalen von Steinen zu schenken. 
"Da antworte ich nicht drauf", schmunzelte er.
Eigentlich ist es ja auch egal, andererseits: Wenn er es war, hat er es vielleicht inzwischen auch schon wieder bereut. Denn diese Stifte waren der Grundstein. Ich habe sehr schnell festgestellt, dass es wesentlich mehr an Stiften bedarf. Nicht allein der Farbpalette wegen, sondern auch, um Konturen zeichnen zu können, Schattierungen bzw. den Rest des Steines auszumalen - und habe mir nach und nach entsprechende Utensilien nachgekauft. 
Ich hab dabei eine solche Leidenschaft entwickelt, dass ich nun beinah jeden Abend an meinem Schreibtisch sitze, manchmal mit Musik in den Ohren, in letzter Zeit immer öfter auch ohne (denn dann kann man sich ab und an immer noch unterhalten), weil der Mann nun beklagt: "Wir machen ja überhaupt nichts mehr! Entweder malst du oder spielst an deinem iPad Solitär! Und schlafen kommst du erst irgendwann morgens um zwei oder um drei! Das Zusammenleben stelle ich mir anders vor!"

Auf seine Worte habe ich erstmal nicht reagiert, aber natürlich beschäftigen sie mich. 
Er hat ja irgendwie auch recht. 
Das Zusammenleben beschränkt sich aktuell tatsächlich eher auf Essen, Schlafen, Arbeiten und hier und da einen Film gemeinsam schauen. Doch während er meist gegen 21 oder 22 Uhr schlafmüde wird, bin ich noch munter und würde mich nur ruhlos im Bett hin und her wälzen, ohne in den Schlaf zu finden. 
Also bleibe ich eben auf, male oder schaue die Sendungen, die ich in seinem Beisein halt nicht schauen "darf". Mit "Crime Storys" oder "Medical Detectives" beispielsweise kann und will er einfach nix anfangen. Das akzeptiere ich, aber mich interessiert es trotzdem. 
Ich musste aber dann doch ein bisschen in mich hineinlachen: Ich hab wohl wirklich ziemlich viel von meiner Mama. Die malt zwar nicht, "versumpft" aber genauso beinah jeden Abend, jede Nacht entweder vor dem iPad oder zappt sich durch die Krimiserien, während der Papa schon zeitig zu Bett geht. 

Um nach einem Tag im Home Office wenigstens ein bisschen "Auslauf" zu bekommen, aber auch, um ein paar Momente miteinander zu haben, sind wir dazu übergegangen, dass ich ihn nunmehr beinah täglich von irgendeiner U-Bahn-Station abhole und dann laufen wir gemeinsam Hand in Hand nach Hause. Meistens spricht er über die Arbeit oder ich erzähle von meiner oder wir reden von Dingen, die wir gehört, gelesen haben oder die uns aktuell beschäftigen. Ich finde das wirklich schön und genieße das sehr. Und als ich gestern Abend las, wie wundervoll mild es die kommenden Tage werden soll, da blitzten doch die Augen und lachte das Herz. 
Überhaupt freue ich mich sehr auf den Frühling! Wenn alle Farben wieder erwachen, wenn die Knospen sich ausstrecken und alles wieder bunt und vor allem sattgrün wird. Das liebe ich so sehr und gibt so unfassbar viel an gutem Lebensgefühl! Irgendwie erhoffe ich mir davon auch, dass die Beschwerlichkeit der letzten Wochen von uns allen abfällt. Dass die Gereiztheit der Menschen wieder nachlässt, auch wenn ich absolut nachvollziehen kann, woher sie kommt. Dass ich selber immer noch relativ entspannt bleibe, liegt sicherlich an meinem friedfertigen Gemüt *kreisch*, aber vermutlich vor allem daran, dass ich selber wirklich wenig "auszustehen" habe. Und meist kann ich Stimmungen anderer recht gut abfangen, aber immer und vor allem auf Dauer gelingt mir das auch nicht. Vor allem, wenn es dann von allen Seiten kommt, dienstlich wie privat. Das sind dann aber vor allem die Momente, in denen ich mich in mich selbst zurückziehe, die Kopfhörer aufsetze und in der Musik versinke und mich auf das Malen konzentriere. So kann ich immer noch am allerbesten abschalten und "runterfahren", während der Mann am liebsten jeden Tag 20 Kilometer laufen wollen würde. 

Ich bin jetzt auch wetterbedingt seit Mitte Januar nicht mehr in L gewesen.
"Man muss es ja nicht provozieren, dass dir was passiert", hat der Chef gesagt und ich hab das wirklich begrüßt. Und den Fotos und Videos der Jungen nach zu urteilen, ist dort eine Menge Schnee runtergekommen. Bis heute (!) ist der auf sämtlichen Nebenstraßen nicht mal wenigstens geschoben worden. Es ist das erste Mal, dass ich den Winterdienst so versagen sehen habe. Aus den Parklücken rein wie raus haben es die Jungen nur mit Hilfe anderer Leute geschafft. Ne, das muss ich auch nicht haben. 
Am Anfang hat es den Mann doch irgendwie gestört, auch er liebt die Ruhe eines Home Office und "würde auch gerne mal wieder". Ein ziemlich ungutes Gefühl, wenn du für dich selber feststellst, dass du - egal wo - irgendwie auf Dauer zuviel bist und du selbst kein Zuhause hast, wo du vor allem den Raum für dich hast, den du brauchst und wo niemand dir vermittelt: "Wär schon schön, wenn du mal nicht da wärst."
Dieses Gefühl beruhte sowohl auf einer Aussage in L als auch auf einer Auseinandersetzung hier in M und vielleicht wirklich auf einem Missverständnis - aber es hat an mir genagt in den letzten Wochen. 
"Ich kann doch nichts dafür, dass die Wohnung zu klein ist auf Dauer und nur ein Zimmer mehr gleich zweitausend Euro Miete bedeutet", hatte ich dem Mann geantwortet, während er das ewig "arbeitende" Thema wieder aufbrachte, dass ich ja auch einen Job in M annehmen könnte, dann könne man auch über eine andere Wohnung sprechen. Wenn man aber grundsätzlich nicht bereit ist, soviel Geld für eine Mietwohnung auszugeben (und darin sind wir uns beide einig), dann ist dies aber auch kein wirklich gutes Argument ;)
Insgesamt aber war er wieder da..  Der Gedanke, irgendwo in irgendeiner Stadt eine kleine Wohnung ganz für mich allein zu haben. Vielleicht nur ein Zimmer mit Küche und Badezimmer, aber.. klein und vor allem mein. Klein, aber wundervoll. Meine ganz persönliche Rückzugsinsel, mein ganz persönliches Paradies, aus dem mich niemand vertreiben könnte - und wo mir niemand das Gefühl vermittelte, zuviel zu sein. In Gedanken richtete ich mich ein, ich wusste genau, wie es aussehen würde und beinah schon war ich versucht, mich auch nach einem solchen Kleinod umzuschauen.
Zurück hielt mich letztlich die Tatsache, dass ein solches Unterfangen hier in M aussichtslos ist. Man bezahlt so viel, dass man dann wirklich auch eine Zweitausendeuromietwohnung nehmen könnte.
Und aus M wegzugehen.. wieder eine Fernbeziehung zu führen.. Das würde auf Dauer nicht mehr gut gehen, das ist mir bewusst. Vor sechs Jahren wusste ich: Einer muss jetzt zum anderen ziehen, egal, wer zu wem, denn nach sieben Jahren Pendeln war uns irgendwie die Puste ausgegangen. 

Möglicherweise summiert sich auch grad einiges und im Frühjahr, im Sommer wird es wieder entspannter, leichter.. So allgemein und auch überhaupt..

Freitag, 12. Februar 2021

Ihre Ausreise! ...ach ne... Ihre Haare!



Da habe ich mich doch gestern Abend schon recht amüsiert, als ich obiges Sprachmemo zugeschickt bekam. Über whatsapp leider, der Urheber ist mir - wie meist bei solchen Sachen - nicht bekannt. Es ist jedenfalls nicht auf meinem Mist gewachsen (schade eigentlich, aber so kreativ bin ich dann doch nicht.) Ist ja schon erstaunlich genug, wie schnell sich jemand so etwas einfallen lässt.
(Übrigens, wenn ich noch an die - für mich - legendäre Original-Balkonszene denke, dann bekomme ich wirklich, wirklich bis heute Gänsehaut bei dem Aufschrei der Menschen.)

Die ersten Kunden hatten sich auch schon Termine gesichert - wohl dem, der Funk- oder gar private Nummern vom Friesemeister seines Vertrauens besitzt. Ich selber weiß nicht mal, ob meine (angestellte) Friseuse überhaupt noch da ist, aber ich hoffe es sehr. 

Insgesamt, wenn man so die Meldungen in den verschiedenen Gazetten und Kanälen verfolgt, dann ist wohl eher Kritik als Erleichterung vorherrschend - und ich kann die Kritik verstehen. Irgendwie kann ich schon auch nachvollziehen, dass man bei den Mutationen, von denen man bisher zumindest annimmt, dass sie sich wesentlich schneller verbreiten würden, vorsichtig sein möchte mit Lockerungen. Ich verstehe aber, wenn die Menschen langsam, aber offenbar immer nachhaltiger frustriert und genervt sind. Ich persönlich habe auch keinen Bock mehr, wenngleich mein Atem entschieden länger ist als der bei Familien und Selbständigen. Ich weiß, dass ich zu den Privilegierten gehöre (darf man das eigentlich überhaupt sagen? Heutzutage muss man sich ja wirklich jedes Wort überlegen.), die vom Ausmaß der ganzen Beschränkungen weniger betroffen sind. Wenn ich nicht verreisen darf, dann ist es eben so. Wenn ich nicht ins Kino oder ins Lieblingslokal darf, ist es eben so. Da kann ich warten. 
Aber ich habe meinen Job, ich bekomme mein Gehalt und muss mich nicht fragen, wovon ich nicht erst morgen, sondern schon heute die Kosten bestreiten soll. Was das für ein Gefühl ist, kenne ich noch sehr, sehr gut aus früheren Jahren - und das ist etwas, das einen zerstören kann. 
Da kann man von Geduld und Verständnis reden wie man will - wenn man all die gut frisierten, entspannten Politiker in der gestrigen Bundestagsdebatte so sieht und hört (wie sie da gelangweilt auf ihren Smartphones rumwischen, während ein anderer spricht - oder auch gleich mal ganz einpennen), da fragt man sich schon, ob die eigentlich wirklich wissen, wovon sie da sprechen in ihren Elfenbeintürmen - und ob sie wirklich wissen, was es bedeutet, wenn den Menschen das Geld ausgeht, noch mehr Schulden aufgebaut werden müssen und zugesagte Novemberhilfen auch vier Monate später noch nicht zur Auszahlung gekommen sind. Ob sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn sich nicht nur die Rechnungen stapeln, sondern auch Lebenswerke zerstört werden. Derzeit pendle ich nur - wenn überhaupt - zwischen M und L und arbeite in G, aber in allen drei Städten sehe ich Läden mit Schildern "Es tut uns leid, wir geben auf, vielen Dank unseren Kunden". 

Und ich sehe und höre, was in Familien abgeht, die ich kenne. Wo die Nerven mittlerweile tatsächlich blank liegen. Wo Grundschulkinder den Anschluss verlieren in Fächern, die eigentlich ihr Lieblingsfach waren. Was regelmäßig zu Ausbrüchen und Aggressionen führt. Und ich frage mich schon auch: Wenn die Grundlagen nicht richtig vermittelt werden - was wird das dann für die Zukunft? Vor allem für die Kinder?
Meine Cousine überlegt, ihre Tochter ein Jahr zurückzustellen, die Kleine das zweite Schuljahr wiederholen zu lassen. In der Hoffnung natürlich, dass sich die Gesamtsituation endlich beruhigt und wenigstens die Kinder vernünftig unterrichtet werden. Ich würde mir vermutlich dasselbe überlegen, wären meine Kinder heute in dem Alter. 
Oder dass ein achtjähriges Kind droht, abzuhauen - vorher aber noch dem Elternteil "die Fresse polieren will", und das nicht nur, weil es mit Home Schooling und Online-Unterricht überfordert ist. Von daher finde ich es wirklich gut, dass wenigstens die Grundschulen wieder geöffnet werden und auch künftige Schulabgänger wieder unterrichtet werden sollen. 

Solche Dinge haben für mich doch noch ein anderes Gewicht, als wenn man "davon nur" in den Nachrichten hört. Oder an einem goldenen Schreibtisch irgendwo etwas beschließt, das die Realität vieler Menschen nicht mal ansatzweise einfängt.

Der Mann hat übrigens gleich heute Morgen versucht, einen Friesemeistertermin zu ergattern. Wir sollen uns kommende Woche wieder melden, Terminvergabe erfolgt erst ab Montag. Einen Zopf kann er jedenfalls noch nicht flechten und meine Haare können ja wachsen wie se wolln. 
Über meinen Ältesten musste ich schon etwas erschrocken lachen, als ich im Videoanruf sah, wie er sich vor kurzem das Haar im Nullkommairgendwasbereich geschoren hatte. 
Es gibt schon einige Bereiche, wo man sich eine Zeitlang auch selber helfen kann. Mit Notlösungen und Provisorien leben kann. Aber das funktioniert eben nicht auf Dauer. 
Und wenn bisher immer die magische Grenze einer 50er Inzidenz gesetzt wurde und dies jetzt auf 35 runtergesetzt wurde, während dieser Möchtegernkanzler Söder schon beginnt, von einer 10er Inzidenz zu reden, dann frage ich mich aber wirklich einmal mehr, wo das Ganze noch hingeführt werden soll. Und was das dann mit den Menschen macht. Ich für mich denke, da gehts nicht nur um Perspektive für die Menschen, sondern vor allem um Verlässlichkeit... 

Montag, 8. Februar 2021

31

 


Ja Hase, in diesem Jahr habe ich irgendwie den Zeitpunkt verpasst, Dir rechtzeitig um 0 Uhr diesen Geburtstagsgruß zu schreiben. Da waren wir die letzten zwei Tage doch mehr auf die Wetterlage fokussiert und darauf, ob ich nun zu Euch kommen kann oder nicht - und nun sitze ich hier mit meiner ersten Tasse schönen heißen Kaffee (kennst mich ja :)) und schreibe Dir diesen Brief. Denn da sein kann ich in diesem Jahr nun nicht, aber glücklicherweise gibt es heutzutage viel mehr Möglichkeiten, den anderen zu erreichen. DICH zu erreichen.

Dieses Foto von Dir neben noch ein paar anderen fiel mir vor wenigen Wochen in die Hände. Wonach ich eigentlich gesucht hatte, weiß ich gar nicht mehr. Aber ich saß dann da auf dem Fußboden, schaute mir die Fotos durch und lächelte tatsächlich auch mit ein bisschen Wehmut. Wie klein und unbedarft Du da noch warst. So wissbegierig,so fröhlich. Ich weiß noch genau, wann und wo dieses Foto aufgenommen wurde. Bei Deinen Großeltern, die beide heute nicht mehr da sind, seit vielen Jahren schon nicht mehr. Die Brille, die Du da trägst, ist die Brille Deiner Großmutter. Und so klein Du damals auch warst, als sie starb - in Deiner Erinnerung ist sie nicht nur immer noch gegenwärtig, sondern Du kannst Dich auch an vieles noch erinnern. An viel mehr, als ich gedacht hätte. 

Ich schaue auf die Fotos von damals und schaue auf Dich heute. Wie groß Du geworden bist - und mit 1,95 m der größte von uns allen. Du schaust also auf uns alle hinunter - doch das aber nur körperlich. Denn in Deinem Wesen bist Du alles andere als herablassend. Im Gegenteil, Du bist zwar reserviert und zurückhaltend (geworden), aber Du bist wertschätzend (also zumindest mit Menschen ;)) und vor allem unfassbar sozial. 
Dir ist in Deinem Leben niemals etwas geschenkt worden, Du musstest Dir alles erkämpfen und für alles kämpfen. Wenn ich mir ein was im Leben wünschte, dann das, dass Du endlich ankommst, dass Du zur Ruhe kommst. 
Als Dein Bruder im letzten Jahr entschied, sein Zimmer umbauen zu müssen und dass die noch junge Wohnwand leider keinen Platz mehr finden würde und Du sagtest: "Na also DIE würdsch ooch nehmen", da war dies der Startschuss für Deinen Bruder und mich, Dir eine Grundlage zu schaffen. Wir waren uns einig: Was auch immer kommen kann und soll und wird, das fängt immer an einem grundlegenden Punkt an - und der, so meinten wir, beginnt in Deinem Zuhause. 
Dein bunt zusammengewürfeltes Zimmer aus Möbelstücken, die nicht nur alt, sondern auch abgewohnt und einfach nicht schön waren. Nichts, wo man sich wirklich gern jemanden einladen wollen würde.
Schau ich heute drauf, denke ich: JETZT kann er, wenn er es will. 
Sogar Dein Bruder sagt: "Es ist das erste Mal in den sechs Jahren, dass sein Zimmer schöner ist als meins."
Ungefähr zur selben Zeit hast Du Deinen neuen Job angetreten. Nicht, weil Dein alter Chef Dich nicht mehr wollte - ganz im Gegenteil. Zum ersten Mal in Deiner Laufbahn hast Du es erlebt, das jemand um Dich kämpfte, Dich einfach halten wollte. Er hatte Dir einiges versprochen, wenn Du dafür bleibst - und wenn Du mich fragst: Ich hatte das Gefühl, dass er es auch tatsächlich ernst meinte. 
Die Crux war eben nur: Man kann nie sagen, wie lange er sich an diese Zusagen gehalten hätte - und ob er Dir eines Tages nicht doch das eine oder andere wieder "weggenommen" hätte. Eine unkalkulierbare "Größe". Die, wo Du jetzt bist, birgt auch Unsicherheit - denn Du wirst zweimal für ein Jahr befristet. Ein normales Prozedere in Konzernen, habe ich von mehreren Seiten gehört. Es kommt also auf Dich an. Wie Du Dich machst, ob Du Dich engagierst und wie Du Dich einfügst.
Und auch hier muss ich sagen, hast Du mich ausgesprochen überrascht.
Eigentlich kenne ich Dich als einen Menschen, der seine Rituale pflegt und an seinen Gewohnheiten hängt. Veränderungen liegen Dir nicht.
Als Du zum Beispiel Dein "neues" Zimmer am Abend betratst, war das einzige, das Du sagtest: "Mutsch, du weißt doch, ich will mein Bett nicht ans Fenster!"
Und der zweite Satz war: "Wo ist meine Matratze?"
Damals musste ich wirklich lachen. Denn das alte schmale Bett war natürlich rausgeflogen und mit diesem auch die Matratze, die sich langsam, aber sicher durchlag.
"Mir egal", sagtest du, "ich hab mir meine Kuhle da reingesessen und die will ich zurück."
Natürlich gabs die nicht zurück und Du wusstest das auch. 
"Ein einfaches Danke würde mir auch reichen", habe ich gelacht und mir die schmerzenden Muskeln gerieben, während Dein Bruder nur mit den Augen rollte. 
Aber so bist Du inzwischen geworden: Harte Schale, weicher Kern. Du bist in Deinem Leben so oft verletzt worden, dass Du Dich heute schützt. Es ist gar nicht mal so schwer, durch Deine Schale zu dringen, aber manchmal denke ich, dass es Zeit wird, dass Du Dein Leben mit jemandem teilst. Nicht weil Du nicht allein sein kannst. Ganz im Gegenteil, das kannst Du sehr gut.
Aber eigentlich möchtest Du das gar nicht - auch wenn Du nicht daran glaubst, dass sich das je ändern würde. (Ich schon, wie Du weißt, und ich kann Dir wirklich ehrlich nicht sagen, woher ich dieses sichere Gefühl habe. Es ist auch keine Hoffnung, sondern tatsächlich.. ein sicheres Bauchgefühl.
Und doch stelle ich fest: Je länger Du allein lebst, desto mehr pflegst Du Deine Gewohnheiten, desto mehr kultivierst Du sie. Das bedeutet nicht, dass Du Dir damit Deinen Weg verbaust - aber Du bist ein Mensch,  den man entdecken muss, den man für sich entdecken muss. 
Wobei... Wenn ich das hier so schreibe und wenn ich darüber nachdenke... Da sind wir beide uns ja auch irgendwie ähnlich. Auch mir fiels nie wirklich schwer, Anschluss zu finden - aber ich war auch nie jemand, den man auf den ersten Blick unbedingt für sich gewinnen wollte. 
An der Stelle... denke ich dann doch wieder, dass es im Grunde egal ist, was Dein Umfeld denkt: Du machst Dein Ding. So war es immer schon. Wie oft hieß es "Das kann er nicht/ das schafft er nicht" - und Du hast allen das Gegenteil bewiesen. Ich liebe Deinen Kampfgeist, Deinen Ehrgeiz, Deine Loyalität, ich liebe vor allem Deine Persönlichkeit. Du bist unbedingt verlässlich. Gibst Du einmal Dein Wort, weichst Du davon auch nicht mehr ab. Du bist zutiefst aufrichtig. Zwar kennst Du Notlügen, aber Du magst sie nicht - und grundsätzlich Lügen lehnst Du ab. Das kommt für Dich nicht in Frage. Und ich liebe das wirklich an Dir. Weil es vor allem eins vermittelt: Auf Dich kann man bauen, auf Dich kann man sich verlassen. Du hast ein sehr starkes Wesen. Irgendwie musste ich mich bei Dir niemals sorgen, ob Du vom Weg abkommst, ob Du an falsche Freunde gerätst, ob Du Dir irgendwann mal was spritzen würdest oder gar kriminell werden könntest. Du bist einfach niemand, der alles dafür geben würde, irgendwo dazuzugehören. Du besitzt ein ausgesprochenes Gerechtigkeitsempfinden - und sobald Du spürst, dass da etwas in eine falsche Richtung geht, dann tust Du es nicht. Du würdest nie niemals jemandem schaden. 

Du glaubst nur nicht an Dich.
Dass Dein alter Chef Dich halten wollte, hieltst Du nicht für ein Kompliment an Dich, sondern sahst das ganz pragmatisch: "Ich bin ja auch der einzige, der sich jeden Dienst aufdrücken lässt."
Das sehe ich anders. Denn wenn man seinen Job nicht gut macht, dann spielt es keine Rolle, ob man in 6 Stunden oder in 10 Stunden "versagt". Und wenn man nicht gut in seinem Job ist, dann will man denjenigen auch keine 10 Stunden haben - dann ist man froh, wenn derjenige nach 6 Stunden heimgeht. Und sich über kurz oder lang was Neues sucht. 
Schon vor einem Jahr hatte Dein Chef Dich von sich aus angesprochen und Deine Entwicklung gelobt. Dass Du so weitermachen sollst und man dann über eine Gehaltserhöhung sprechen kann. 
Ob er zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass Dir manche Kollegen das Leben richtig schwer machten? Dass sich ein Umgang eingeschlichen hatte, der sich zum Mobbing entwickelte?
Im letzten Sommer hat Dein Chef Dich darauf angesprochen und Ihr habt sehr lange miteinander gesprochen. Erst da hast Du nach und nach einiges erzählt oder bestätigt. Eigentlich musste er es Dir aus der Nase ziehen, denn Du bist ein Mensch, der die Dinge für sich selbst klären und regeln will - und nicht zum Vorgesetzten geht. So wie die eine Kollegin Dich anmaulte: "Dann geh doch zu M. und beschwer dich über mich." Und Du sagtest: "Wieso sollte ich das tun, ich will nur meine Ruhe und meine Arbeit machen. Ich will mit den Leuten auskommen."
Und das sehe ich genauso: Man muss nicht mit jedem befreundet sein. Aber wenn man schon einen ganzen Tag lang miteinander arbeitet, dann sollte man schauen, dass man miteinander auskommt. Sich Dinge sagen kann, die nicht gut laufen, aber auch nicht jeden Tag aufeinander einhacken oder sich unnötig das Leben schwer machen. 

Ich bin noch heute überrascht, wie problemlos der Wechsel für Dich im letzten Jahr war. Auf die Frage, wie es Dir im neuen Job gefällt und ob Du Dich wohlfühlst, rollst Du immer nur mit den Augen: "Wieso fragt mich das jeder?" Und ich sage dann: "Weil es uns wichtig ist zu wissen, ob es dir gut geht."
Und das ist ja auch nicht nur mir wichtig :)
Du erzählst fast nichts von Deiner neuen Arbeit. Aber eins ist mir aufgefallen: Du wirkst entspannter. Ausgeglichener. Natürlich gibt es Tage, wo Dir manches zuviel ist und Du einfach nur in Ruhe gelassen werden willst. Die haben wir alle. Aber die grundlegende Tendenz... Du fühlst Dich gut an. Und Du glaubst gar nicht, wie wahnsinnig mich das für Dich freut. 
Es gab Zeiten, da hast Du öfter mal angerufen, wenn irgendwas schiefging oder Du bei irgendwas Hilfe brauchtest. Inzwischen meldest Du Dich fast gar nicht mehr :)

Auf meinem Schreibtisch hier stehen zwei Fotos: Das da oben mit der Brille und das andere mit Deinem Bruder, das Ihr mir vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt habt. Dazwischen liegen rund 30 Jahre. Ich schau sie mir oft im Wechsel an und so oft denke ich: Ich wünschte mir die Zeit zurück, als Du noch so klein warst. Wie vieles würde ich heute anders machen. Die Zeit mit Dir und dann später mit Deinem Bruder würde ich heute so gern und viel mehr genießen. 
Mir tut es bis heute weh, dass ich Vergangenes nicht mehr ändern bzw. auch nicht zurückholen kann. Denn es zählt wirklich nur das Eine: dass es Dir und Deinem Bruder gut geht. Dass Ihr zufrieden seid. Dass Ihr Euch ein Leben aufbauen könnt, das Euch glücklich macht. 
Dass Du Furcht vor Enttäuschungen hast, weiß ich.
Aber vor allem weiß ich, dass Du das kannst - und dass Du in Deinem ganz eigenen Tempo gehst, auch wenn Du selbst manchmal denkst, das würde sowieso nie und überhaupt. Auch wenn Du selber manchmal ungeduldig bist.

Du hast schon früher oft gesagt: "Ist ja klar, dass du an mich glaubst, ich bin ja auch dein Kind."
Aber eins kannst Du mir glauben: Es liegt nicht daran, dass Du mein Kind bist, sondern es liegt daran, dass ich an Dich als Mensch glaube. Weil Du so bist wie Du bist. Weil Du eine Persönlichkeit hast. Und weil es viel mehr Menschen wie Dich geben sollte. Das meine ich wirklich ehrlich.
Ich weiß genau, wie Du jetzt guckst, wenn Du das liest. Augenbrauen hoch, Augen rollen, der Mund verzieht sich. Und wenn ich daran denke, schmunzle ich. 

Ich lieb Dich wirklich, mein Junge, und ich bin wahnsinnig stolz auf Dich. Für das, was Du bis hierher aus Dir gemacht hast - und für das, wie Du Dich bis heute entwickelt hast.
Und ich freu mich wirklich auf alles, was jetzt noch kommt und wie es für Dich weitergehen wird.
Und ich freu mich darauf, dabei sein zu können, selbst von hier aus. 

Alles Liebe zu Deinem Geburtstag, mein Hase.
Heute Abend werden wir dann mal videotelefonieren - denn wir hätten da noch eine Überraschung für Dich :*

Deine Mama