Freitag, 12. Februar 2021

Ihre Ausreise! ...ach ne... Ihre Haare!



Da habe ich mich doch gestern Abend schon recht amüsiert, als ich obiges Sprachmemo zugeschickt bekam. Über whatsapp leider, der Urheber ist mir - wie meist bei solchen Sachen - nicht bekannt. Es ist jedenfalls nicht auf meinem Mist gewachsen (schade eigentlich, aber so kreativ bin ich dann doch nicht.) Ist ja schon erstaunlich genug, wie schnell sich jemand so etwas einfallen lässt.
(Übrigens, wenn ich noch an die - für mich - legendäre Original-Balkonszene denke, dann bekomme ich wirklich, wirklich bis heute Gänsehaut bei dem Aufschrei der Menschen.)

Die ersten Kunden hatten sich auch schon Termine gesichert - wohl dem, der Funk- oder gar private Nummern vom Friesemeister seines Vertrauens besitzt. Ich selber weiß nicht mal, ob meine (angestellte) Friseuse überhaupt noch da ist, aber ich hoffe es sehr. 

Insgesamt, wenn man so die Meldungen in den verschiedenen Gazetten und Kanälen verfolgt, dann ist wohl eher Kritik als Erleichterung vorherrschend - und ich kann die Kritik verstehen. Irgendwie kann ich schon auch nachvollziehen, dass man bei den Mutationen, von denen man bisher zumindest annimmt, dass sie sich wesentlich schneller verbreiten würden, vorsichtig sein möchte mit Lockerungen. Ich verstehe aber, wenn die Menschen langsam, aber offenbar immer nachhaltiger frustriert und genervt sind. Ich persönlich habe auch keinen Bock mehr, wenngleich mein Atem entschieden länger ist als der bei Familien und Selbständigen. Ich weiß, dass ich zu den Privilegierten gehöre (darf man das eigentlich überhaupt sagen? Heutzutage muss man sich ja wirklich jedes Wort überlegen.), die vom Ausmaß der ganzen Beschränkungen weniger betroffen sind. Wenn ich nicht verreisen darf, dann ist es eben so. Wenn ich nicht ins Kino oder ins Lieblingslokal darf, ist es eben so. Da kann ich warten. 
Aber ich habe meinen Job, ich bekomme mein Gehalt und muss mich nicht fragen, wovon ich nicht erst morgen, sondern schon heute die Kosten bestreiten soll. Was das für ein Gefühl ist, kenne ich noch sehr, sehr gut aus früheren Jahren - und das ist etwas, das einen zerstören kann. 
Da kann man von Geduld und Verständnis reden wie man will - wenn man all die gut frisierten, entspannten Politiker in der gestrigen Bundestagsdebatte so sieht und hört (wie sie da gelangweilt auf ihren Smartphones rumwischen, während ein anderer spricht - oder auch gleich mal ganz einpennen), da fragt man sich schon, ob die eigentlich wirklich wissen, wovon sie da sprechen in ihren Elfenbeintürmen - und ob sie wirklich wissen, was es bedeutet, wenn den Menschen das Geld ausgeht, noch mehr Schulden aufgebaut werden müssen und zugesagte Novemberhilfen auch vier Monate später noch nicht zur Auszahlung gekommen sind. Ob sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn sich nicht nur die Rechnungen stapeln, sondern auch Lebenswerke zerstört werden. Derzeit pendle ich nur - wenn überhaupt - zwischen M und L und arbeite in G, aber in allen drei Städten sehe ich Läden mit Schildern "Es tut uns leid, wir geben auf, vielen Dank unseren Kunden". 

Und ich sehe und höre, was in Familien abgeht, die ich kenne. Wo die Nerven mittlerweile tatsächlich blank liegen. Wo Grundschulkinder den Anschluss verlieren in Fächern, die eigentlich ihr Lieblingsfach waren. Was regelmäßig zu Ausbrüchen und Aggressionen führt. Und ich frage mich schon auch: Wenn die Grundlagen nicht richtig vermittelt werden - was wird das dann für die Zukunft? Vor allem für die Kinder?
Meine Cousine überlegt, ihre Tochter ein Jahr zurückzustellen, die Kleine das zweite Schuljahr wiederholen zu lassen. In der Hoffnung natürlich, dass sich die Gesamtsituation endlich beruhigt und wenigstens die Kinder vernünftig unterrichtet werden. Ich würde mir vermutlich dasselbe überlegen, wären meine Kinder heute in dem Alter. 
Oder dass ein achtjähriges Kind droht, abzuhauen - vorher aber noch dem Elternteil "die Fresse polieren will", und das nicht nur, weil es mit Home Schooling und Online-Unterricht überfordert ist. Von daher finde ich es wirklich gut, dass wenigstens die Grundschulen wieder geöffnet werden und auch künftige Schulabgänger wieder unterrichtet werden sollen. 

Solche Dinge haben für mich doch noch ein anderes Gewicht, als wenn man "davon nur" in den Nachrichten hört. Oder an einem goldenen Schreibtisch irgendwo etwas beschließt, das die Realität vieler Menschen nicht mal ansatzweise einfängt.

Der Mann hat übrigens gleich heute Morgen versucht, einen Friesemeistertermin zu ergattern. Wir sollen uns kommende Woche wieder melden, Terminvergabe erfolgt erst ab Montag. Einen Zopf kann er jedenfalls noch nicht flechten und meine Haare können ja wachsen wie se wolln. 
Über meinen Ältesten musste ich schon etwas erschrocken lachen, als ich im Videoanruf sah, wie er sich vor kurzem das Haar im Nullkommairgendwasbereich geschoren hatte. 
Es gibt schon einige Bereiche, wo man sich eine Zeitlang auch selber helfen kann. Mit Notlösungen und Provisorien leben kann. Aber das funktioniert eben nicht auf Dauer. 
Und wenn bisher immer die magische Grenze einer 50er Inzidenz gesetzt wurde und dies jetzt auf 35 runtergesetzt wurde, während dieser Möchtegernkanzler Söder schon beginnt, von einer 10er Inzidenz zu reden, dann frage ich mich aber wirklich einmal mehr, wo das Ganze noch hingeführt werden soll. Und was das dann mit den Menschen macht. Ich für mich denke, da gehts nicht nur um Perspektive für die Menschen, sondern vor allem um Verlässlichkeit... 

4 Kommentare:

Grit hat gesagt…

Guten Abend Helma,
ja bei dem Aufschrei der Menschen und den damit verbundenen Szenen läuft mir heute noch ein kalter Schauer über die Schulter, ein berührend und prägendes Ereignis. Ich habe heute einen Friseurtermin für den 8. März "geordert". Ich denke es gehört zum Wohlbefinden dazu, das Allerwichtigste ist es aber nicht. Homeschooling ist einfach nur anstrengend auch für die größeren Klassen, die Lernplattform ist permanent überlastet, bei manchen Thematiken fehlt einfach die Erklärung des Lehrers. Obwohl wir vom Intellekt her helfen können und dies auch gern tun, haben wir so manche Dinge einfach nicht gelernt. Also einlesen, selbst verstehen und versuchen weiter zu vermitteln. Da haben wir allerdings nur 1 Kind und können so gar nicht mitreden. Die Familien, welche mehrere Kinder haben und vielleicht auch Unterrichtsthemen nicht so gut vermitteln können, tun mir echt leid. Wenn mein Sohn nicht zu den Abschlussklassen gehören würde, wäre auch für mich eine Wiederholung des Schuljahres denkbar.
Durch Lehrermangel und ständiges kranksein der Lehrer hatte Sohnemann 65% Ausfall in Mathematik im Schuljahr 2018/2919. So ein langer Ausfall kann man auch zu Hause nicht mehr kompensieren. Also ob mit oder ohne Corona kommt fast das Gleiche raus. Durchhalten und die Hoffnung nicht aufgeben!
Viele Grüße, Grit.

Lutz hat gesagt…

Das Sprachdingens habe ich auch über einen Verteiler erhalten. Es gibt immer wieder solche Dinger - Videos, Audios oder Bilder - die graben sich einmal komplett durch die ganze Welt und dann wieder zurück. Gern zu Weihnachten oder Silvester, da bekommt man manchmal von den unterschiedlichsten Seiten, die definitiv miteinander keinen Kontakt haben, dieselben Dinger geschickt.

Meine Intervention beim Bundeskanzleramt war erfolgreich. Nachdem ich damit gedroht hatte, zukünftig nur noch böse Dinge über die Regierung zu verbreiten, wurde der Öffnungstermin für die Friseure auf den 1. März vorgezogen. Ich habe nämlich schon seit November einen Termin für den 3. März. Und bei meiner Friseuse gibt es selbst in normalen Zeiten eine Vorlaufzeit von mindestens einem Monat. Also musste ich dringend handeln, da Gefahr im Verzug war. So einfach sind manchmal solche so schwierig scheinende Zusammenhänge. ;-)

Die Situation ist für viel mehr Menschen problematisch, als die meisten glauben. Zum einen ist der finanzielle Aspekt. Es gibt so viele Leute, die immer tiefer in existenzielle Nöte geraten, als sich das Menschen vorstellen, die eine gängige Lebenssituation haben. Sämtliche Menschen aus dem Veranstaltungssektor - angefangen bei den Künstlern selbst, über Techniker, Veranstaltungsorganisatoren und noch allen anderen, die dazugehören. Jeder von diesen, der selbstständig ist, und das sind in der Branche nicht wenige, fällt von jetzt auf gleich ins komplette Nichts. Jeder braucht aber Geld, um seine Miete bezahlen zu können, um sich das Lebensnotwendigste kaufen zu können und (Tata!!) um die Krankenversicherung zu bezahlen. Da denkt niemand drüber nach, dass Selbstständige ja auch Krankenkassenbeitrag bezahlen müssen. Und zwar den vollen Betrag, weil es ja keinen Arbeitgeber gibt. Da sind, je nach Umständen, sofort mal 300, 400 oder 500 Euro weg, mindestens.

Und dann die ganzen Selbstständigen, die für ihre Berufsausübung Räumlichkeiten brauchen. Sie nehmen derzeit nicht einen Cent ein, müssen aber trotzdem ihre Mieten bezahlen. Gewerbemieten, die, häufig auch aufgrund der Lage, weitaus höher als Mieten für Wohnungen liegen. Seit Monaten ist ihnen ihre Berufsausübung verboten, die versprochenen finanziellen Hilfen lassen aber nun schon seit Monaten auf sich warten. Ob das nun fahrlässig oder gar vorsätzlich erfolgt, bleibt Spekulation. Fakt ist aber: In allerkürzester Zeit wird das, was sich die meisten über Jahre ganz langsam aufgebaut haben, ratzfatz vernichtet und sie stehen mit null da.

Und das sind nur wenige, ausgewählte Beispiele, die die finanzielle Seite dieses Fiaskos betreffen.

Lutz hat gesagt…

Aber auch psychologisch trifft es viele Menschen ganz hart. Die Situation von Eltern sowie deren Kindern wurde ja schon angerissen und ist derzeit wenigstens punktuell ein Thema. Aber was richtet es eigentlich psychologisch bei Menschen an, die alleine in einer Mietwohnung wohnen, derzeit nicht arbeiten gehen (dürfen) - egal ob nun wegen Kurzarbeit Null oder weil sie im Zuge der Krise schon entlassen wurden oder vorher schon arbeitslos waren - und selbst bei denen, die alleine zuhause sind und ausschließlich Homeoffice machen müssen? Sie sehen kein menschliches Wesen mehr - und das schon seit November! Sie gehen vielleicht noch ein-, zweimal die Woche einkaufen, da begegnen sie anderen Menschen. Alles andere ist auf null runtergefahren. Keinerlei Kontakte mehr bei irgendwelchen kulturellen Veranstaltungen. Keine Treffen mit Freunden in der Kneipe oder zuhause. Keine Kontakte mehr beim gemeinsamen Sport im Verein oder sonstwo.

Über all diese Dinge wird seit Monaten kein Sterbenswörtchen in den Medien und von der Politik verloren. Dabei ist das für uns Menschen doch so elemntar wichtig. Wir sind soziale Wesen, wir brauchen den Kontakt zu anderen Menschen wie die Luft zum Atmen. Die psychischen Folgen davon werden riesig sein.

Und zu den Inzidenzen gebe ich Dir auch recht. Man stelle sich einmal folgenden Fall vor. Vor Schuljahresbeginn verspricht man seinem Kind: Wenn Du auf dem Zeugnis maximal eine Drei hast und ansonsten überall mindestens eine Zwei, dann bekommst Du ein neues Handy. Boah, ist das geil. Und dann drei Wochen vor Schuljahresabschluss sagt man plötzlich: Ich habe es mir überlegt. Du musst in mindestens zwei Fächern eine Eins haben und darfst nirgends schlechter als Zwei stehen. Was wird unweigerlich passieren?

Verlässlichkeit ist ein hohes Gut. Deshalb überlege ich ja auch immer ziemlich lange, bevor ich jemandem ein Versprechen gebe. Weil ich ungern ein Versprechen nicht einhalte. Und auch da versuche ich noch Dinge zu berücksichtigen, die gar nicht in meiner Macht stehen, die dann aber trotzdem die Erfüllung meiner Zusage torpedieren könnten.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Lieber Lutz, was Nachrichten zu Weihnachten & Co. betrifft, da bin ich sehr eigen: Da bevorzuge ich persönliche Mitteilungen. Die müssen ja nicht lang oder irgendwas sein - aber eben persönlich. Einfach nur weitergereichte Nachrichten/ Bildchen, schlimmstenfalls noch ohne ein einziges persönliches Wort, äh ne, gruselig.

Ansonsten kann ich all Deine Worte nur unterschreiben.
Natürlich ist es unbestritten, dass das Leben das höchste Gut des Menschen ist. Und wenn wir über temporäre Einschränkungen reden zum Wohl aller, dann ist das auch völlig in Ordnung. Grad wenn wir uns von etwas konfrontiert sehen, das noch völlig unbekannt ist.
Aber über Monate hinweg, mit zunehmenden Erkenntnissen und dann das Ganze nach einer kurzen Sommerpause gleich nochmal - das kann nicht die Lösung sein. Und ich verstehe auch nicht, warum letztlich (gefühlt zumindest) nur die zustimmenden Meinungen zulässig sind. Kritik wird entweder gleich untergebuttert oder gar nicht erst zugelassen (ich erinnere mich da zB an eine diesbezügliche Aussage von Wieler).
Heute Morgen habe ich gelesen, dass die Nutzung der telefonischen Seelsorge aufgrund von Einsamkeit um 20 % zugenommen hat.
Verlässlichkeit setze ich auch gleich mit Glaubwürdigkeit. Die Politik war ja noch nie wirklich für Glaubwürdigkeit bekannt, aber jetzt... Nun ja.