Samstag, 30. Dezember 2017

"May We All Have A Vision Now And Then"



Am Ende dieses Jahres möchte ich nichts resümieren, nicht zurückschauen und auch nicht in die Zukunft schauen, von der ich mir vielleicht das eine oder andere wünschte.
Stattdessen lese ich die Zusammenfassungen anderer, lächle, schmunzle, fühle mit oder fühle mich an Eigenes erinnert. Lehne mich hier zurück im fast dunklen Zimmer, die Gedanken treiben wie die zarten Schneeflocken heute Morgen hierhin, dahin, begleitet von der spärlichen Beleuchtung des Weihnachtssterns und der Musik auf den Ohren, während draußen der letzte klägliche Rest Schnee mit den Regentropfen ringt.


Die Ruhe der letzten Tage habe ich unendlich genossen. Am Ufer stehen, wunderbares Sonnenwetter und dieser Blick über das schier endlos wirkende Meer.. Kein Ende in Sicht, kein Limit, herrliche Weite, und einmal mehr fühle ich mich an jenen wunderbaren Moment erinnert, als ich nackt in das Meer sprang, mit weit geöffneten Augen durch das Wasser tauchte und vom Grund her nach oben schaute, wo sich die Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche brachen... Kaum zuvor und nie wieder danach habe ich mich so herrlich frei und losgelöst von allem gefühlt - und wann immer ich genau hier stehe, fühle ich mich daran erinnert. Wird die Seele frei, fallen alle Gedanken aus dem Kopf heraus, einer nach dem anderen zerbröseln sie und zerrieseln wie dieser feine Sand zwischen den Fingern...

Wenn ich einen Wunsch an das Jahr 2018 äußern darf, dann... wäre es das, mich wieder öfter genau so fühlen zu dürfen.. Und mir ist durchaus sehr bewusst, wie viel ich dem Jahr 2018 da abverlange..
Sei es drum.

Kommt gut in das neue Jahr, seid glücklich, seid fröhlich, genießt die erfüllten Momente, um all die anderen Augenblicke überstehen zu können.. Bleibt gesund, bleibt stark - ich versuche das auch :)
Denn wünschen darf man.

Montag, 18. Dezember 2017

Goodbye and Hello.






Ihr Lieben.
Ich weiß nicht, ob ich in diesem Jahr noch etwas schreiben werde oder möchte. Vielleicht, vielleicht aber auch nicht - und bevor ich mich von diesem Jahr verabschiede, möchte ich Euch von Herzen eine gute Zeit wünschen.
Eine wunderbare Weihnachtszeit, erfüllt von glücklichen, vielleicht (hoffentlich) zärtlichen Momenten, mit Schneeflocken auf der Zunge, mit Tanzen im Schnee, mit glücklich erhitzten und zugleich rotgefrorenen Wangen, während die Hände in den Strickhandschuhen die heiße Teetasse oder mit heißer Schokolade umfassen, Blicke ineinander versinken, oder auch Blicke, die das Treiben um einen herum wahrnehmen, begleiten, Vorstellungen zaubern vom möglichen Leben der anderen (ja, ich mag das, Menschen interessieren mich, auch wenn sie mich heute eher erschrecken als faszinieren), mit Spaziergängen, die den Kopf befreien und die Seele mit etwas Leichtigkeit füllen.
Eine hoffentlich wunderbare Zeit auch zum Loslassen von Gewesenem, vom Abschied des Jahres 2017 mit all dem, das man nicht gebraucht hätte und.. der Vorfreude auf ein neues Jahr 2018, das uns Menschen hoffentlich wieder etwas ruhiger und glücklicher sein lässt, mit weniger Hass und Häme, dafür wieder mit mehr.. Gefühl, mit viel mehr Zugewandtheit, Zuhören und.. da sein.

Mittwoch, 13. Dezember 2017

"Lass Dich nicht ärgern!"


Ich hatte mal einen Vorgesetzten, bei dem man morgens niemals wusste, was einem an jedem einzelnen Tag so passieren würde. Er war einfach unberechenbar und wenn es besonders arg wurde, munkelte die Belegschaft hinter vorgehaltener Hand, dass es ganz offensichtlich mal wieder keinen Sex zu Hause gegeben hatte. Ob oder ob nicht, interessierte mich selber herzlich wenig - aber ich war regelmäßig die Erste, die die Auswirkungen zu spüren bekam: Als Assistenz ist man naturgemäß einfach die allererste, die in die Schusslinie gerät.
Back Office finde ich insofern eine Lüge - in Wahrheit ist es nämlich ein Front Office. Jegliche Stimmungsschwankungen, jegliches Darmkneifen, das nicht unentdeckt entweichen konnte, jegliches Essen, das auch nur 5 Minuten zu spät eingenommen wurde und so weiter und so weiter - man bekommt alles 1 zu 1 übergebügelt.
Insofern war mein zweiter Chef, ein waschechter Holländer, ein Geschenk des Himmels. Einer, der mir zuliebe eine Kollegin behielt, nur damit ich nicht an meiner Kündigung festhielt, die ich ausgesprochen hatte, als ich mein Leben noch in eine ganz andere Richtung geplant hatte, bevor alles völlig anders kam und ich der neu eingestellten Kollegin diesen Platz aber auch nicht wieder wegnehmen wollte.
"Du musst an dich denken, nicht an sie. Du hast zwei Kinder, sie hat noch keine."
"Aber das hier ist ihr erster fester Job seit Jahren, das mach ich nicht. Ich finde schon noch was anderes."
"Dann behalte ich euch eben alle beide", hatte er nach einer Stunde angestrengter Verhandlung entschieden - und damit das entspannteste Arbeiten aller Zeiten eingeläutet. Er vertraute mir mehr als ich mir selber, und regelmäßig durfte ich ihn in die Mittagspausen begleiten, weil "die Wände hier haben Ohren". Und es ging nicht selten um firmenpolitische Entscheidungen, zu denen er immer meine Einschätzung hören wollte - was auch immer er anschließend draus machte. Erst Jahre später, lange nach dem Ende der Zusammenarbeit, wurde mir zugetragen, dass er mir damit eher geschadet hatte: "Du und er, ihr hattet doch was miteinander. Alle haben das gesagt. Ihr wart ja fast jeden Mittag zusammen weg." 
Ich war nicht schockiert, dass Menschen tratschten. 
"Solange sie über dich reden, bist du interessant für sie", sagt meine Mama immer.
Aber ich war schockiert, dass sie mir zutrauten, dass ich, selber gerade kaum über dreißig, eine Affäre mit einem verheirateten Mann anfing, der überdies gute dreißig Jahre älter war als ich. Eine Singlefrau ist weder Freiwild noch notgeil und käuflich bin ich schon gar nicht. 
Aber ich mochte seinen Humor. 
Kaffee, den ich einst zu spät in die Sitzung brachte, entschuldigte ich charmant: "Ich entschuldige mich für das Personal, es gab Streik auf der Kaffeeplantage." Alles lachte, auch er.
Tage später trug er mir erneut auf, ihm Kaffee zu bringen. In die Arbeit vertieft, vergaß ich das natürlich, bis er - fix und fertig angezogen - vor meinem Schreibtisch stand.
"Willst du weg? Du kannst jetzt nicht weg, du hast gleich ein Meeting."
"Ahh.. ich weiß nicht.. ich wollte noch mal schnell zur Plantage gucken, ich glaube, die streiken da schon wieder."

Ich denke noch heute manchmal an ihn. Frage mich, wie es ihm wohl so geht, seit er nach Holland zurückgekehrt und zugleich in den Ruhestand gegangen ist. Eine Zeitlang mailten wir noch, irgendwann schlief es ein. Ich denke, wir mochten uns wirklich - und jedenfalls ich meine das rein asexuell. 
Mir fehlt seine entspannte Denk- und Lebensweise - neben dem herrlichen Holländerdeutsch. Damals wusste ich noch nicht, dass ich selber zu 25 Prozent Holländerin bin, dank der Wurzeln meiner Mama. Vor allem fehlt mir der respektvolle Umgang, auch dann, wenn irgendwo was schiefgelaufen war. Er hat sich vor anderen nie im Ton vergriffen, aber jeder konnte die leuchtendrote Zornesfalte auf der Stirn sehen. 

Einen guten Chef macht für mich nicht aus, dass er Feste veranstaltet und - wenn er gut drauf ist - Esprit versprüht. Dafür dann - wenn er mies drauf ist - jeden ebenso unbeherrscht daran teilhaben lässt. Einen guten Chef macht für mich ein Mensch mit Führungsqualität aus. Der es versteht, die Mitarbeiter zu motivieren und sie auch zu kritisieren, ohne sich in Ton und Wort zu vergreifen. Der dringend nötige Gespräche nicht xfach verschiebt und dann währenddessen nicht noch E-Mails checkt und sms liest. Der neben der positiven Bilanz am Jahresende auch immer noch den Mitarbeiter im Fokus hat - denn ohne einen guten Mitarbeiter gibt es auch keine gute Bilanz, auch dann nicht, wenn er glaubt, sowieso alles ganz allein gemacht zu haben. 

"Lass dich nicht ärgern!" wurde mir zu Beginn der Woche gleich von zwei Seiten gewünscht - und während ich für einen flüchtigen Augenblick unterstellte, beide Seiten mögen das wohl nicht wirklich ehrlich gemeint haben, begriff ich heute Abend, dass diese Wortwendung nicht impliziert, dass es eine gute Woche würde, sondern dass man gut durch diese Woche käme - egal, wie sie sich gestaltete.

Sie hat schon beschissen angefangen - und ich kann Euch sagen, sie ist heute zur Wochenmitte auch nicht besser geworden. Den privaten Flächenbrand ergänzte heute nun also auch noch der dienstliche Flächenbrand - und während ich beim heutigen Frontalangriff nur ein einziges Mal eine kurze, wenngleich auch heftige Zorneswallung verspürte, die ich auch ohne Schauspielkurs wirklich 1 A im Griff behielt, so weinte sich die Kollegin hernach beinah eine ganze Stunde lang die Augen aus. "Das ist so ungerecht, ich bin so scheiße wütend!"
"Er wird sich auf jeden Fall bei dir entschuldigen, morgen oder spätestens Freitag."
"Da scheiß ich aber drauf!"
"Ha ha, ich auch", amüsierte ich mich - und war tatsächlich auch ein wenig über mich erstaunt, dass ich es nicht nur so sagte, sondern auch genauso meinte und obendrein auch so empfand. 
Wir können die Menschen sowieso nicht ändern, wir werden auch nichts ändern - entweder finden wir uns damit ab oder wir nehmen unseren Hut. Zehn Jahre diplomatischer Einfluss haben zu wenig bewirkt, offensichtlich. 

"Wie war das Gespräch?" wurde ich heute Abend gefragt.
"Unfair und unbeherrscht wie immer. M. hat geweint, ich nicht. Keine einzige Träne."
Ich hatte mir anschließend einen Kaffee geholt und einfach weiter meine Arbeit gemacht, wie immer lange über Dienstschluss hinaus. Das interessiert nämlich auch niemanden, und hey, ich habe auch nur eine Teilzeitstelle. Ja also eigentlich! Das interessiert nämlich so lange niemanden, bis du mal zehn Minuten eher gehst - dann drehen alle durch.

"Maybe I'm defected or maybe I'm dumb" - den Song von gestern habe ich in Dauerschleife auf der halbstündigen Heimfahrt derart laut gehört, dass mein Brustkorb vibrierte. Er hat einfach gerade den haargenau richtigen Beat, den ich im Moment brauche. Und ich höre ihn jetzt grad rauf und runter, dass die Haarspitzen vibrieren. Ich werde demnächst wohl ein paar neue Lautsprecher benötigen und vielleicht auch noch einen Tinnitus bekommen, aber das ist mir jetzt irgendwie auch wurscht. 

Das alte Jahr, so lässt sichs vermuten, wills irgendwie anscheinend noch mal wissen, bevor es vorbei ist.

Dienstag, 12. Dezember 2017

Netz mit doppeltem Boden



Durchwachte Nächte, ruhloser Schlaf, wirre Träume, verworrene Situationen, nachts fernsehen, wenn der Schlaf nicht zurückkehren will. Worte in meinem Kopf, Worte in meinem Telefon, die mich in der Nacht anstarren, anschreien, und ich lege das Telefon wieder aus der Hand. Entsperre den Bildschirm gar nicht erst, ich hab auch so genug gelesen.
Ich verstehe die Gedanken, ich verstehe die Empfindungen, aber die Wortwahl trifft mich zielsicher. Macht mich stumm.
Gute Nacht.
Ja schlaf Du auch schön.
Spüre, wie ich in tausende kleine Stückchen zerfalle. Mühsames Auflesen und Wiederzusammensetzen. Stück für Stück, bis der Morgen graut.
Zappe mich durch die Programme, fühle meinen Herzschlag, gleich zerspringt der Kopf, vielleicht vom Denken, vielleicht habe ich aber auch nur wieder zu wenig getrunken. Stehe auf, fülle ein Glas Wasser, trinke gierig noch in der Küche, starre hinaus in die Nacht und frage mich...
Nein, ich frage mich nicht.
Es gibt kein "Was wäre gewesen, wenn?"
Es gibt kein Leben im Konjunktiv, nur eins im Hier und Jetzt. Das Leben, das man selbst gewählt hat.

Dieses Jahr 2017 zählt nur noch einige Tage, dann endet es - und ich werde aufatmen. Einmal mehr aufatmen. Vorbei, Gott sei Dank. Eine neue Hoffnung auf ein neues, vielleicht entspannteres Jahr. Wenigstens alle Behördenkämpfe gewonnen, Forderungen durchgesetzt und bekommen. Fühlbare Erleichterung in jedem Zentimeter von mir. Dankbarkeit für ein wenig Aufatmen für den Moment.
Die Begierde, länger von diesem Gefühl kosten zu können. Tanzen vor Freude und nicht tanzen für das Lockererwerden.

"Warum springst du nicht endlich einfach?"
Furcht kriecht mir den Rücken hoch, tastet sich über den Nacken, diese Linie bis zum Haaransatz, fühlen, wie sich jedes einzelne dieser winzigen Härchen aufstellt.
"Weil ich dann meine Beweglichkeit aufgebe. Meine Unabhängigkeit."
Und weil ich nicht weiß, ob das Netz mich hält. Schon gehabt. Schon gelebt. Schon zweimal ganz von vorn begonnen.
Und Du glaubst, ich lebte hier ein zweites Leben.