Samstag, 12. März 2022

...somebody told me to believe in better times

Am 24. Februar hat sich mein ehemaliger Chef von dieser Welt verabschiedet. Es heißt, er habe zuletzt sehr isoliert gelebt, selbst den Besuch der eigenen Schwester habe der Sohn nicht zugelassen. Über die Gründe könnte man allenfalls nur spekulieren, eine Beurteilung maße ich mir auch nicht an. Gleichwohl ist es wohl eine Art und Weise, wie man sich sicherlich nicht für immer verabschieden möchte. Irgendwie beklemmend auch der Gedanke, dass jemand anderes für Dich und über Dich entscheidet und Du nichts dagegen tun kannst. 

Der 24. Februar war auch der Tag, an dem Putin beschlossen hatte, in die Ukraine einzumarschieren und das Land zu bombardieren. In meinem Kopf hatte ich immer noch die ukrainische Studentin, die wenige Tage zuvor noch gesagt hatte, dass sie sich einen Krieg in der heutigen Zeit gar nicht würde vorstellen können. Dass sie einfach nicht glaube, dass es zu einem Krieg kommen könnte. In einem Europa, in dem wir uns so modern und aufgeschlossen und aufgeklärt fühlen. Und mit einem Mal war sie da, die Furcht, dass auch uns ein Krieg passieren könnte. Dass es nicht gelingen würde, die Krise auf diplomatischem Wege zu beenden. Wir fahren über die Straßen und laufen über die Wege, über uns ein strahlenblauer Himmel, alles mutet so friedvoll an - und dann denkt man an all jene Menschen nur etwa zwei Flugstunden von uns entfernt, die denselben Himmel sehen, dieselbe Sonne, dieselben Sterne - und für die das Leben von heute auf morgen nicht mehr das Leben ist, das sie kannten. Ich musste darüber nachdenken, wie sicher ich mich all die Jahre gefühlt hatte - aber was ist schon Sicherheit...

Wie müssen sich die russischen Frauen und Mütter fühlen, die ihre Männer, ihre Söhne für diesen Krieg hergeben müssen, ob sie es befürworten oder auch nicht? Wie müssen sich die ukrainischen Frauen und Mütter fühlen, die ihre Männer, ihre Söhne zurücklassen müssen, weil denen eine Flucht nicht erlaubt ist? Wie würde ich mich fühlen, wenn ich meine Söhne, meinen Mann, meine Brüder hergeben soll für einen Krieg, den ich niemals wollte? Den Menschen beschließen, denen es nur um Macht, Geld und die Ressourcen eines anderen Landes geht, die aber selbst niemals in den Krieg ziehen? Die sich hinter ihren sicheren Mauern zurücklehnen, Entscheidungen treffen, die ihr eigenes Leben nicht beeinflussen und nicht verändern? Die niemanden hergeben müssen, allenfalls aber die Liebsten lieber im sicheren Ausland "parken"?

Ich hab nie zuvor eine solche Angst vor Krieg bekommen wie in diesen Tagen. Ich hab nie zuvor eine solche Beklemmung und Sorge um meine Liebsten empfunden. Als einzig positiv empfand ich die Solidarität, mit der sich "die Welt" für die Ukraine zusammenschloss. Dass selbst Länder wie Schweden sich offen bekannten und die Ukraine militärisch unterstützen. Ich hoffte auf das passende diplomatische Auftreten, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Mensch wie Putin sich von Sanktionen und sich weiter verschärfendem Druck von außen zur Aufgabe bringen ließe. Im Gegenteil, Menschen wie ihn an die Wand zu drängen, empfinde ich als ausgesprochen gefährlich. In solchen Momenten fragte ich mich, ob eine Kanzlerin wie die Frau Merkel nicht doch die bessere Wahl gewesen wäre; zugleich überlegte ich auch, meine Einschätzung über Scholz dahingehend zu revidieren, als dass er vermutlich ähnlich diplomatisch und vorsichtig auftritt wie sie. Während mich mehr und mehr das Gefühl überkam, dass die Grünen gar nicht so pazifistisch denken und handeln, wie sie das eigentlich selber immer verkaufen. Von wegen "Sicherheit, Frieden und Abrüstung"...

Ich muss gestehen, ich habe viel zu wenig Ahnung von dieser ganzen Thematik und mir ist auch bewusst, dass ich viel zu wenig über die ganzen historischen Vorgänge weiß, die heute in den Ukraine-Krieg gipfelten. Über (gebrochene) NATO-Versprechen, (gebrochene) Vereinbarungen und rote Linien, die man versprach, nicht zu überschreiten und es  nach und nach dann doch tat. Dennoch begann ich mich irgendwann zu fragen, wem und was man eigentlich glauben soll. Das begann mit dem Live-Ticker des ÖR, der unter jeder einzelnen Meldung darauf verwies, dass es sich um nicht verifizierbare Meldungen handele. Warum schreibt Ihr die Scheiße dann auf, wenn Ihr gar nicht wisst, ob das alles überhaupt so stimmt?? Das begann mit den Aussagen, dass "die aus dem Osten sowieso Putin-Freunde sind, begründet aus der Historie in der DDR-Ära". Und Aussagen, dass es ja Nazis seien, die aktuell hinter Putin stünden. Das begann mit den Aussagen, dass die Ukraine zu den Ländern mit der höchsten Korruption in Europa gehört. (Kann man auch nachlesen unter https://www.laenderdaten.info/korruption.php) Das begann mit den Aussagen Selenskyis, dass die NATO-Länder mit schuld seien am Tod ihrer Frauen, Männer und Kinder, weil sie die Flugverbotszone ablehnte. Mit seinen Aussagen, dass sie dort auch für uns sterben würden. Dass sie die Bewohner Kiews nicht gehen lassen wollten, weil sie befürchteten, dass die Russen Kiew dann gnadenlos bombardieren und zerstören würden. (Und wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt... sind dann die Zivilisten dort für Selenskyi das lebende Schutzschild?) Darf, sollte ein Staatschef so polemisch denken und reden? Was passiert mit den Millionen Unterstützungsgeldern, die nicht nur aus Deutschland fließen? Kommen sie wirklich da an, wofür sie gedacht sind - oder versickert das ganze in irgendwelchen Kanälen, von denen wir hier gar keine Ahnung haben, aber mit Geld erstmal unser Gewissen beruhigen?

Heute Abend, ein Abend, an dem ich eigentlich bei der Mama am Küchentisch sitzen wollte, sie hatte an mich drücken wollen, da saß ich stattdessen mit dem Mann und einem gemeinsamen Freund in einem unserer Lieblingslokale beim Kaffee - und ich fragte, wann das alles begonnen hätte. Meinem Empfinden nach kommt der Deutsche aus seinem Eskalier- und Katastrophenmodus nicht mehr heraus. Und in diesem Modus gibt es nur noch Schwarz und Weiß, nur noch Pro oder Contra - und Contra ist immer ablehnens- und verachtenswert und vor allem braun. Immer öfter hatte ich gelesen oder gehört: "Natürlich darfst du deine eigene Meinung haben, aber du musst auch die Reaktion vertragen." Was aber, wenn die Reaktion nicht in einem - von mir aus auch leidenschaftlich geführten - Diskurs endet, sondern in die Einstufung von Gruppen, Bewegungen, in die man gar nicht gehört und damit auch in die berufliche Existenz eingreift? So wie zum Beispiel beim Amtsarzt des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg - und noch anderen? Warum ist man ein Querdenker, wenn man Wege zu hinterfragen oder auch zu kritisieren begann, die sich als nicht wirksam und zielführend erwiesen und die trotzdem fortgeführt wurden? Warum ist man ein Putin-Freund oder gleich auch ein Nazi, wenn man ab irgendeinem Punkt begann zu hinterfragen, warum es so weit kommen konnte? Wie es zu diesem irrsinnigen Krieg führen konnte? Wieso Obama einen Friedensnobelpreis bekommen hatte bzw. behalten durfte, obwohl unter seiner Präsidentschaft bisher am längsten Krieg in verschiedenen Ländern geführt wurde? Weil er einfach Pech mit seinem politischen Erbe hatte? Ist das tatsächlich so.. einfach? Wieso es zuvor keine solche Welle an Friedensbekundungen, Solidarität und zugleich Verurteilung der Kriegführenden gegeben hatte? Warum sind die Amis immer die Guten, obwohl die Amerikaner bisher auf fast jedem Kontinent einen Krieg geführt haben mit dem Ziel, diese Länder zu destabilisieren? Wann ist er wieder aufgelebt, dieser kalte Krieg - und warum? Wars nicht der Altkanzler Schmidt, der einst sagte, es gäbe keinen Frieden in Europa ohne Russland? Wer war das, der Russland zum Feind erklärte, lange vor diesem irrsinnigen Krieg?

Ich sags nochmal: Ich habe von alldem nicht wirklich Ahnung und sollte deshalb auch keine Meinung zu all dem vertreten. Was ich habe, ist letztendlich nur ein Gefühl, von dem ich nicht mal weiß, ob es richtig oder falsch ist. Was ich habe, ist Angst. Ich hab Angst oder eher Sorge um meine Jungen. Und was ich auch habe, sind die Hoffnung und die Zuversicht, dass "sie das irgendwie wieder hinbekommen, diplomatisch und bitte ganz schnell". Weil ich Furcht davor habe, dass es am Ende keinen Sieger geben wird, nur Verlierer.

Noch vor zwei Tagen hatte ich gedacht und gehofft, all dem für ein paar Tage entfliehen zu können. Meine Jungen einzusammeln und mit ihnen an die Küste fahren zu können, nach Hause fahren zu können. Nach all der Zeit, all den Jahren ist es immer noch ein nach Hause kommen für mich. Mein Ruhepol da oben am Fuße des Meeres. Noch immer ist es ein Gefühl für mich wie in einer völlig anderen Welt zu sein. Einer besseren Welt... Daraus ist nun nichts geworden, das hat mir der Papa gestern am Telefon gesagt und dann hat er angefangen zu weinen. Er und die Mama sind vor ungefähr drei Wochen an Corona erkrankt. Während er, der all die Zeit über immer die größte Angst von allen hatte, recht schnell wieder auf den Beinen war, hat es die Mama so richtig umgehauen. So sehr, dass ich anfangs nachts kaum noch schlafen konnte vor Sorge, mich entweder ruhelos hin und her wälzte im Bett - oder auch gleich ganz aufblieb und mir reihenweise irgendwelche Filmchen reinzog, nur um nicht denken zu müssen. Sie ist noch immer nicht gesund und vor allem immer noch positiv. Zwar sind meine Jungen auch geboostert, aber der Papa sagte: "Das sind deine Mutter und ich auch, und jetzt siehst du ja die Scheiße. Ich würde mir das niemals verzeihen, wenn ihr wegen uns krank werdet."

Den Urlaub haben wir jetzt also verschoben. Leicht ist uns allen das nicht gefallen. Gerade auch für meinen Ältesten wäre dieser Urlaub jetzt wichtig gewesen. Wichtig für seine Seele, denn die hängt im Moment so richtig durch, und ich kann kaum oder eher gar nichts dagegen tun. Dieses Jahr ist kaum drei Monate alt - und in all dieser Zeit fühlt sich kaum etwas darin richtig oder unbeschwert oder einfach nur zufrieden an. Eher ist es gefüllt mit Sorge um Menschen, an denen ich so sehr hänge. An Menschen, die ihre Sachen ordnen und regeln, damit sie sich in Ruhe von dieser Welt verabschieden können, wenn sie es müssten. An Menschen, die mir auf meine Worte, dass ich so vieles von ihnen gelernt hätte und noch würde lernen können, antworten, dass wir uns dann aber beeilen müssen, weil ihnen möglicherweise weniger als ein Jahr bleibt. Es ist gefüllt mit den Worten einer Freundin, die mich fragt, ob wir uns noch mal wiedersehen, damit sie mich umarmen kann, bevor es vielleicht überhaupt niemals mehr geht, weil irgendein Irrer auf den falschen Knopf gedrückt hat. Es ist gefüllt mit den Worten meines Jungen, der in einer Lagebesprechung erfährt, dass in der Nacht zuvor ein 17jähriger auf einen 19jährigen in der Straßenbahn einstach und ihn tödlich verletzte. Und wie normal solche Vorfälle geworden sind.. Wann ist das passiert? Wie konnte es so weit kommen, dass das normal geworden ist? Früher hat man sich was aufs Maul gehauen und der Kodex besagte: Wenn jemand am Boden liegt, hört man auf - während heute so lange zugetreten wird, bis der, der am Boden liegt, entweder tot oder für immer geschädigt bleibt? Oder eben gleich ein Messer gezogen wird? Ist das die Welt, in der ich Kinder haben wollte? Ist das die Welt, die ich meinen Kindern geben wollte? Ist das die Welt mit solchen Besserschissern wie diesen Kackvogel Böhmermann (den ich noch nie ausstehen konnte, gebe ich zu), der sich hinstellt und rumtönt, wir sollten uns doch alle nicht so haben, schließlich seien steigende Spritpreise das Letzte, woran die Ukrainer in ihren Kellern denken würden. Das ist zwar grundsätzlich richtig - aber richtig ist auch, dass - trotzdem die Ukrainer in ihren Kellern sitzen und hoffen, dass sie diesen scheiß Krieg überleben - hierzulande erwartet wird, dass jeder weiterhin seiner Arbeit nachgeht. Und er diesen Gang zur Arbeit auch finanzieren können muss, ganz egal, ob er im Minijob oder auf Mindestlohnbasis arbeitet. Und ihn keiner fragt, wie er das macht. Sondern ganz im Gegenteil das Wetterfähnchen Lindner klarstellt: "Der Staat kann all das nicht auffangen, das ist auch nicht seine Aufgabe. Der Staat verdient da auch nichts dran, weil sich die Ausgaben lediglich verschieben: Wenn der Mensch mehr für Benzin ausgeben muss, spart er an anderer Stelle und damit hat der Staat weniger Mehrwertsteuereinnahmen." (Frankreich und Polen übrigens haben ihre Steuerbelastung auf Kraftstoffe gesenkt. Nur mal so.) Was im Grunde nur heißt: Das Staatssäckchen füllst du schon noch, egal auf welche Weise. Ob du selber von deinem Lohn noch was hast oder auch nicht. Wie kannst du auch ans Lebensniveau denken, während andere in Kellern sitzen? (Warum eigentlich hat sich diese Frage so nicht gestellt, als die Wahnsinnigen Krieg beispielsweise in Syrien geführt hatten? Weils weit weg genug war?) Und meiner Meinung nach ist es Russland scheißegal, ob du in deiner Wohnung hockst und aus Solidarität frierst, utopische Summen an den Tankstellen zahlst oder du immer weniger im Einkaufskorb für eine doppelt hohe Rechnung hast und nicht mehr weißt, wie du dein Leben bezahlen sollst. Das durchschnittliche Jahreseinkommen des Deutschen wird mit rund 41.000 Euro beziffert - und mit diesem Einkommen muss man aktuell noch vermutlich weder frieren noch bei jedem Einkauf genau abwägen, was jetzt noch darf oder eher nicht mehr. Dieses Einkommen jedoch geht für wohl die meisten von uns hier in Deutschland gründlich an der Realität vorbei. 

Heute Abend im Lokal, da habe ich sie gesehen, schwangere Frauen, und irgendwie.. hat mir das einfach Mut gemacht. Mut und Hoffnung und Zuversicht. Wenn Menschen in Zeiten wie diesen Kinder bekommen, dann muss es doch auch wirklichen Raum für Hoffnung und Zuversicht geben? Hoffnung auf wieder bessere und vor allem friedliche Zeiten für uns alle? Für all die Menschen egal wo auf dieser Welt, die genauso leben, lieben, hoffen und träumen wie Du und ich? Ich möchte das glauben, ich möchte darauf hoffen und die Zuversicht nähren dürfen..