Der Mann sammelt Vinyls, schon seit er Kind war. Die Scheiben aus seiner Jugend hat er irgendwann als Twen verkauft, als er Geld fürs Moped brauchte. Das bedauert er heute noch. Und als ich mir vor einiger Zeit die Mühe machte, seinen Bestand durchzugucken, was er alles so hat (beziehungsweise nicht hat), stellte ich verwundert fest, dass er alles mögliche besitzt - aber keine Scheibe aus jener Zeit.
Das habe ich zum Anlass genommen, selbst in diese Welt einzutauchen und ihm eine Originalscheibe zum Geburtstag zu schenken.
"Was hast du denn dafür bezahlt?" hat er ganz verwundert heute Nacht, kurz nach Mitternacht gefragt und ich hab gegrinst: "Geld!"
"Oh Gott, du hast bestimmt zuviel bezahlt!"
"Leg sie doch mal auf."
Ich will diese Zeit damals gar nicht verklären. Ich kenne einige, die sich nicht gerne erinnern. Und die froh sind, dass es die DDR nicht mehr gibt. Nach allem, was ich irgendwann später las, sah und erfuhr, sehe ich es zumindest so, dass es gut ist, dass es diese Diktatur nicht mehr gibt.
Aber wir lagen bis heute morgen irgendwas nach zwei Uhr auf dem Sofa und tauchten beim immer und immer wieder hören dieser LP von Electra in Erinnerungen ein.
Meine frühen Erinnerungen an die Ferien bei der Oma auf dem Land. Wo ich Frösche fing und wieder freiließ. Wo ich in den Bäumen herumkletterte und Eierpflaumen pflückte. Wo ich Kartoffelkäfer in einen Blecheimer sammelte. Wo ich zwischen den Großeltern schlief, weil ich zu groß für das Gitterbett, aber noch zu klein (und zu ängstlich) für das Sofa im dunklen Wohnzimmer war. Wie meine Oma ihre Zinkwanne auf den Küchentisch stellte und mich hineinsetzte. Ich auf meine Beine sah und partout nicht auf das Wort "Härchen" kam und sagte: "Oma, jetzt werden meine Federn ganz nass!" Wie in jedem ihrer Pakete, die sie von Besuchen bei ihrer Schwester im Westen schickte, immer Kaugummis drin waren, die ich in die Hand nahm, die Straße vor unserem Haus hinunterlief, mich dort in den Sand setzte und einen nach dem anderen auswickelte, kaute, ausspuckte, sobald sich der Zuckergeschmack verlor, und die Bildchen sammelte. Diese Fix und Foxi-Tattoos so lange stolz auf dem Arm spazieren trug, bis der wirklich aller-allerletzte Rest beim Baden vom Arm gekratzt werden musste. Wie meine Mama am Küchentisch saß, den Kopf in die Hände gestützt, und der Papa kam von der Arbeit, sah sie da so sitzen und fragte nur noch: "Wer ist es diesmal?" Was völlig egal war, denn war einer krank geworden, wurden es unmittelbar danach die anderen beiden eh. Für meine Eltern hieß es damals nur: Noch weniger Geld, denn bezahlte Freistellung im Krankheitsfall kam erst, als sie es nicht mehr brauchten.
Wie die Mama mir und meinem jüngeren Bruder ein Zuckerei aufschlug, die Stühle auf den Küchentisch stapelte und uns hineinsetzte, während sie den Küchenboden wischte - und wir da oben längst wieder raus wollten, obwohl der Boden noch nicht wieder trocken war. Den Geruch nach Bohnerwachs habe ich bis heute in der Nase - und mag ihn immer noch nicht :)
"Wir sollten schlafen gehen", hat der Mann so gegen zwei Uhr gesagt - und eigentlich war ich so hellwach, dass ich noch viel länger hätte Erinnerungen auskramen oder mir seine anschauen wollen. Aber ich hatte erst am Montag die Nacht zum Tage gemacht und hatte erst irgendwas nach drei Uhr mit eiskalten Beinen ins Bettchen gefunden. Da siegte jetzt einfach die Vernunft.
Heute Morgen gegen 8 Uhr 30 weckte mich dann der Piepston der Kollegin, die mir schrieb, ich möge doch mal den Chef zurückrufen, der sei schon ganz wuschig.
Das ist das Schöne am Home Office: Du wirst wach, springst aus dem Bett und bist innerhalb von 3 Sekunden erstmal am Arbeitsplatz. WIE das aussieht, interessiert ja hier keinen :)
3 Kommentare:
Erst einmal herzlichen Glückwunsch, nicht nur zum Geburtstag, sondern zu der neuen Platte aus der Zeit, in der die Geburt stattfand.
Ich hatte zwar keine Landverwandtschaft und überhaupt ganz wenig Verwandtschaft, zu der ich hätte fahren können oder die zu uns kamen, so dass meine Erinnerungen sehr einseitig sind. Deine habe ich gern gelesen und konnte mir trotzdem alles gut vorstellen.
Und tschüss!
Liebe Clara, vielen lieben Dank - ich habs ihm ausgerichtet! Er ist aber ein bisschen älter als die LP *hust* Ich hab erst viel später realisiert, dass meine Verwandtschaft auf der Insel viel größer war als ich angenommen hatte. Am liebsten war ich dennoch nur bei der einen Oma.
Ich bin ein Ossi-Kind, Jahrgang 77 und ich pflege meine Erinnerungen an damals sehr. Es war eben doch ein bisschen anders, im Osten aufzuwachsen. Mein Sohn findet die alten Geschichten dann auch immer sehr spannend, die guten genauso wie die schlechten. Denn so war es eben. Es gab gute Dinge im Osten und auch schlechte, wie überall und in jeder Kindheit. Ich zum Beispiel liebte die Ferienlager. Die ganzen Sommerferien weg sein, 5 Wochen an der Ostsee mit den anderen Kindern. Spielen im Sand, Wassermelonen vom Lastwagen runter geklauft (ja, das Wort gab´s im Osten wirklich) und Frühsport vor dem Frühstück. Das bringt mich heute noch zum schmunzeln.
Liebe Grüße (jetzt) aus dem Allgäu
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