Donnerstag, 12. Dezember 2019

Keep Bleeding



Wie ich in den Raum gekommen bin, weiß ich nicht, aber ich fand mich dort wieder: weiß gekachelte Wände, eine Liege, verschiedene Instrumente. Was auf mich zukommt, weiß ich nicht, ich bin nicht einmal sicher, warum ich überhaupt hier bin.
Eigentlich denke ich überhaupt nichts - bis ich stürze und irgendetwas an meinem linken Arm aufreißt. So tief und so heftig, dass mit jedem Herzschlag immer mehr Blut aus meinem Körper pulsiert und ich innerhalb kürzester Zeit barfuß in meinem eigenen Blut stehe. Und ich weiß, wenn ich jetzt nicht gehe und Hilfe hole, dann werde ich hier sterben.
Also gehe ich los, hinterlasse tiefrote Spuren meiner nackten Füße auf dem weißen Fußboden, betrete den langen, schmalen und wahnsinnig hellen Gang, an dessen Ende irgendein Weißkittel um die Ecke kommt.
Ich sehe ihn - und alles, was ich dann erlebe, geschieht wie in Zeitlupe: dass ich zu Boden falle, mein Kopf auf dem Boden aufschlägt und ich weiß, dass es das jetzt war.
Es ist der Mann, der mich vom Boden aufheben will, der mich in seine Arme nimmt, und obschon ich ihn nicht wirklich sehen kann, fühle ich, dass er da ist. Bei mir. Und vor meinen Augen wird alles immer heller, immer lichter, immer leichter, verschwimmen alle Konturen.
"Es wird ja alles ganz hell", lächle ich ihn beruhigend an, und als er zu weinen beginnt, erwache ich.

Ich bin kein Traumdeuter, aber diesen begreife sogar ich.

Blut als Symbol des Lebens. Der Lebensenergie.

Es ist eine Freundin, die mir auf meinen gestrigen Post heute Morgen einige Nachrichten schreibt und Sprachnachrichten schickt und deren Pling mich davor rettet, den Tag zu spät zu beginnen. Die nachfragt, was da gerade los ist, die mir ihre Sorge darüber mitteilt - und die mich in meinem Bauchgefühl nur bestätigt: Ich kann gerade nichts tun, nicht an jener Stelle aktiv werden und keinen Schutz bieten. Man kann das nicht, wenn der andere es nicht (wahrhaben) will. Ihm im Gegenzug die Tür verschließen, das werde ich nicht. Aber ich habe für mich erneut eine Linie gezogen, in den heutigen frühen Morgenstunden. Einmal mehr, denn eine ähnlich hilflose Situation, die in einer Katastrophe endete, durchlebte ich vor Jahren schon ein Mal. Seither bin ich viel vorsichtiger geworden. Wen ich in mein Leben hineinlasse und wie sehr.

"...Es ist die Fülle an negativer Einflüssen, die im Moment von mehreren Seiten kommt, und mit dem im Gegensatz zu wenig Positiven ist ein Ungleichgewicht entstanden. Eins, mit dem ich mich nicht gut fühle", fasse ich der Freundin gegenüber im Lauf des Tages, nachdem ich mir den zweiten Kaffee des Tages zubereitet und ihre letzten Sprachnachrichten abgehört habe, zusammen.
Gestern, nur einen Tag nach der zuletzt geführten heftigen Auseinandersetzung, die mich kaum mehr als verzweifelte Hilflosigkeit fühlen ließ, habe ich den ganzen Abend lang nur noch Musik gehört.
Manchmal brauche ich das genau so. So wie ich mir manchmal auch triviale Sendungen reinziehe, während ich auf dem Sofa lümmle und an nichts mehr denke. So wie ich nicht jeden Tag Nachrichten schaue und auch nicht lese. So wie ich mir nicht alle möglichen "Hast du das schon gehört?"-Nachrichten von Freunden, Familie oder Kollegen anhören mag oder Videos ungesehen lösche. Das Leben geschieht sowieso, ob ich mir nun alles mit anschaue oder nicht.

Ich will mir aber nicht mehr alles mit anschauen. Es gibt nur ganz wenige Menschen in meinem Leben, für die ich mein Blut hergebe. Über alles andere entscheide ich jeden Tag neu. Dafür oder dagegen. Ich muss darüber jeden Tag neu entscheiden. Die wesentlichen Dinge übersiehst du sowieso nicht.



4 Kommentare:

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Die ersten Zeilen deines Artikels haben mir einen Schreck eingejagt und ich war wieder mal froh, dass ich entweder gar nicht träume (ist aber unwissenschaftlich) oder mich zumindest nicht an meine Träume erinnere. - Das, was ich gelesen habe, hörte sich so nach probesterben an. Das machst du aber bittebittebitte noch nicht, weder zur Probe noch gar im Ernst! - Und auf alte Leute muss man hören!!!!
Gute Nacht!

Anonym hat gesagt…

One day someone is going to hug you so tight, that all of your broken pieces will stick back together.

♥️

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Hey Clara, der Mann dachte auch gleich an Probesterben - aber ich interpretiere den Traum ganz anders: Auf mich aufzupassen, dass mir all die negativen Einflüsse nicht die Energie abziehen, die ich auch für mich und meine eigenen Baustellen brauche.
Ich träume in letzter Zeit viele komische Sachen und während der Mann sagt "Das hast du davon, wenn du nachts immer so viel Krimizeugs guckst", denke ich, das kommt von all den Dingen, die ich mir mit in meinen Kopf packe, viel mehr als da rein passt. Wenn jemand heute zu mir sagt "Pass auf dich auf", dann empfinde ich das schon lange nicht mehr als Floskel, sondern weiß genau, was er meint und was ich dazu tun muss.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Many many thanks for the right words at the right time.. It almost made me cry..