Ich bin unendlich müde, doch ich kann nicht schlafen und ich finde auch nicht zur Ruhe.
Gestern Abend hast Du mir den Boden unter den Füßen weggezogen - und ich hab noch immer den weichen Klang Deiner Stimme im Ohr, wie Du etwas sagtest, das mich zutiefst erschütterte: "Du weißt es noch nicht, oder?"
Du wolltest, dass wir miteinander sprechen, solange Du noch würdest sprechen können. Ich habe mich in das Bett gelegt, das Telefon auf das Kissen gelegt und meinen Kopf darauf. Dann habe ich die Augen zugemacht. Es wurden die vermutlich längsten drei Stunden meines Lebens. Und vermutlich waren es die offensten Worte, die wir je miteinander gewechselt haben. Über unsere Träume, über unsere Wünsche, über das, was wir gern tun wollten, solange wir es nicht tun mussten. Alles können, nichts müssen. Wir erinnerten einander an unseren Traum von diesem Cafe am Meer - und zugleich waren wir beide auch realistisch genug zu wissen, dass insbesondere in und nach einer Zeit wie dieser nicht wirklich Platz für diese Träume ist. Dennoch waren wir uns beide einig, dass es uns nicht hindern würde, weiter davon zu träumen. Warum nicht mit Vorstellungen, mit Bildern im Kopf leben, auch wenn sie sich so vielleicht nie erfüllen lassen? Sind es nicht unsere Träume, die uns tragen? Die uns ein wunderbares Lebensgefühl vermitteln, einfach weil sie sich gut anfühlen? Und weil wir wissen, dass wir mit genau diesem wunderbaren Lebensgefühl immer einen Weg finden würden, das Leben auch wirklich wunderbar gestalten zu können? So wie mit meinem Traum von diesem uralten Haus am Meer? Ist es denn nicht auch so, dass "wirklich reich nur derjenige ist, der mehr Träume in seiner Seele trägt, als die Realität zu zerstören vermag"? Daran glaube ich ganz sehr, weil ich genau das lebe, solange ich denken kann.
Du sagtest, man müsse sich ja auch im Klaren darüber sein, dass die wirklich schönen kleinen alten Häuser inzwischen unbezahlbar seien - und ich antwortete: "Was macht das schon? Es muss nicht ein Haus sein. Es kann genauso gut auch eine wunderhübsche kleine Altbauwohnung sein, weißt du, so eine mit Holzfußboden und hohen Fenstern. Hauptsache, sie ist ganz nah am Meer" und Du lächeltest und sagtest: "Ja."
Ich werde ihn nicht los, diesen Klang Deiner Stimme, so weich, so sanft.
In ein paar Stunden wirst Du operiert. Anschließend werden sie Dich zwei Tage schlafen lassen, damit Du Dich vom Schlimmsten erholen kannst. Was danach werden wird, kann niemand vorhersagen. Ob Du noch sprechen kannst. Ob Du Gesprochenes umsetzen kannst. Wie lange es dauern wird. Niemand weiß es.
Ich weiß nur, dass ich hier bei meinem Telefon liege und warte. Und hoffe. Wenn ich Dich jetzt doch nur umarmen könnte, ganz sehr, Dich an mich drücken könnte.