Als ich noch in M wohnte, hab ich jobbedingt meine Jungen in L in überwiegender Regelmäßigkeit alle zwei Wochen besucht. Blieb 3 Tage bei ihnen, bevor ich mich wieder auf den Weg nach M machte.
Seit wir nun wieder in L wohnen (das ist schon wieder über ein Jahr her, ist das zu fassen? Unglaublich, wie rasch die Zeit verfliegt.), besuche ich meinen Jungen mindestens einmal in der Woche. Der Jüngere ist ja schon im letzten Jahr aus- und mit der Freundin zusammengezogen - der Ältere residiert nun in unserer einstigen gemeinsamen Wohnung und hält damit die Erinnerung an vergangene Jahre, gemeinsames Erlebtes aufrecht. Dann bleibe ich einen halben Tag bei ihm, bereite ihm etwas Leckeres zu essen, sortiere die Wäsche, bringe ein wenig Ordnung in diesen Männerhaushalt.
"Warum machst du das immer?" fragt der Mann beinah jedesmal und weist mich mindestens genauso oft daraufhin, dass ich sowas doch nicht machen muss, der Junge sei doch nun wirklich alt genug. Und mindestens genauso oft antworte ich dann, dass ich das nicht tue, weil ich muss, sondern weil ich es möchte. Wir alle haben jemanden, der mal für uns ein Frühstück, ein Mittagessen, ein Abendessen zubereitet, vielleicht mal etwas einkauft, für uns sorgt, wenn es uns mal nicht so wohl ist oder so. Und der Junge? Er hat niemanden sonst. Und solange das so ist.. Warum soll ich mir nicht Zeit für ihn und für alltägliche Dinge nehmen - und einfach mal etwas für ihn tun, einfach so? Ich weiß, dass der Junge allein kann - aber darum gehts ja nicht.
Vergangenen Dienstag jedenfalls kehrte ich wieder mal bei ihm ein, mit der kleinen Reisetasche an der Schulter - wie ich das immer handhabe, wenn der Mann für einige Tage verreist. Diese Zeit nutze ich dann, um mir wirklich Zeit zu nehmen. Zu schwatzen, über Gott und die Welt zu ratschen, Filme oder Dokumentationen (natürlich Crime Dokus, was sonst?) zu schauen, zu kommentieren. Irgendwann an diesem ersten Abend klingelte das Telefon und so recht Bock hatte der Junge nicht, das Gespräch anzunehmen. Gleichwohl fühlte er sich emotional verpflichtet, denn es war der Vater, der anrief.
Also drückte er irgendwann auf Annehmen und gleichzeitig auf Lautsprecher, damit der das Telefon nicht auch noch in die Hand nehmen musste. Somit hörte ich auch zwangsläufig die allererste Frage, die der Vater dem Jungen stellte: "Hast du mal was von deiner Mutter gehört?" und der Junge sagte: "Joar, die sitzt grad neben mir." "Ach so." Dann redeten sie weiter und ich verließ das Zimmer. Dachte so bei mir, wieso der Vater nach mir fragte. Schließlich haben wir schon seit einigen Jahren nichts mehr miteinander zu tun, auch nichts mehr abzusprechen. Wir haben schlichtweg seit diesen Jahren keinen Kontakt mehr, weil wir es weder brauchen und ich auch nicht möchte. Und als ich ihn so reden hörte, dem Klang der Stimme, den Worten lauschte, bevor ich das Zimmer verließ, da wurde mir einmal mehr bewusst, wie unfassbar lange die Trennung zurücklag, wie sehr wir entfremdet voneinander inzwischen sind - und wie sehr ich mich seither selbst verändert habe. Meinem Gefühl nach ist er derselbe Mensch geblieben, er ist wie immer. Was für die meisten Menschen eine Konstante bedeutet, eine Konstante, die auch Sicherheit und vermutlich auch Geborgenheit vermitteln könnte, stellte für mich jedoch nur eine einzige Frage in den Raum: "Wie hab ich das sechzehn Jahre lang ertragen?" Mir wurde bewusst, wie wenig wir miteinander gemeinsam hatten. Genau genommen: gar nichts. Das ist nichts, was man jemandem vorwerfen darf - das tue ich auch nicht. Er ist wie er ist - und für jemanden, der ihn aufrichtig liebt, ist er auch richtig so. Damals, nach der Trennung, habe ich mich oft gefragt, ob ich ihn wirklich jemals wirklich geliebt hatte - oder ob ich nicht eher davon beeindruckt und fasziniert gewesen war, wie sicher er auftrat und sich gab. Wir hatten nach nicht einmal einem Jahr nach unserer ersten Begegnung geheiratet - und gesehen hatten wir uns bis dahin etwas um 8 Wochenenden lang. Noch heute höre ich, wie er damals sagte: "Wenn du zu mir ziehst, dann will ich auch, dass du meine Frau bist, sonst schnappt dich mir noch jemand weg." Zu dem Zeitpunkt war ich zwanzig Jahre alt - und man konnte mir alles vom Fuchs & vom Schwein erzählen. Will sagen: Es war damals unfassbar leicht, mich zu beeindrucken.
Am Mittwoch Morgen saß ich im Büro, öffnete den Kalender und "stolperte" über den heutigen Termin, den mein Mann mir vor wenigen Wochen geschickt hatte "Blocker Königinnentag" - und ich musste unwillkürlich lächeln. Ich weiß gar nicht, wann das begonnen hatte, dass ich für ihn die Königin wurde und er mich manchmal auch so bezeichnet. Dieser Termin in meinem Kalender jedoch.. Irgendwie steht er nicht nur für den Tag, den er uns damit freihalten wollte, nämlich meinem Geburtstag, sondern überhaupt für die so ganz andere Umgangsweise, die ich früher gewohnt war. Als ich mich damals von meinem ersten Mann trennte, kannte ich meinen "Herrn Blau" (Langzeitleser kennen diese Bezeichnung vielleicht noch ;)) noch nicht - aber ich hatte damals eine Ahnung, eine Idee davon, was ich mir für mein Leben wünschte. Mir war vielleicht nicht so hundertprozentig bewusst, was ich konkret wollte - aber in einem war ich mir vollkommen sicher: in dem, was ich nicht mehr wollte. Zu dem Zeitpunkt war ich sehr, sehr verliebt in einen anderen Menschen. Aber nicht alles im Leben hat seinen Platz, nicht seine Berechtigung - und mit der Zeit, mit den Jahren begriff ich auch, dass diese tiefe Liebe so auch nicht erwidert worden war - in all der Zeit nicht. Ich verstand, dass jemand auch "nur" darin verliebt sein kann, wie er wiederum von jemandem geliebt wird. Dass es gar nicht um den Menschen, also mich, ging - sondern nur darum, was ich ihm vermittelte, was ich ihn fühlen ließ. Klingt grad bisschen kompliziert, aber so empfinde ich es bis heute. Eine Erkenntnis, die damals unglaublich und auch sehr lange sehr geschmerzt hat - doch das ist viele Jahre her und für mich auch seit sehr langer Zeit vorbei. Ich bin so jemand, der Dinge immer verstehen können muss. Manchmal denke ich, vielleicht war das alles deshalb nie wirklich abgeschlossen für mich, vielleicht hatte ich deshalb immer das Gefühl, das war es noch nicht, wir sehen uns nochmal wieder. So ist es ja auch gekommen - und erst da begriff ich es. Ich sah den Menschen genau so wie er war. Und nicht so, wie ich ihn hatte sehen wollen. Und wenn ich einmal das Wesen eines Menschen und einer "Beziehung" erfasst und verstanden habe, dann kann ich, wenn es die Situation so hergibt, auch damit abschließen. Seither habe ich auch nicht mehr das Empfinden, man würde sich noch einmal begegnen.
Ich denke, so ähnlich war es auch mit meinem ersten Mann. Ich hab ihn niemals so geliebt wie den Menschen nach ihm. Aber heute weiß ich, dass ich mich schon lange vor der eigentlichen Trennung von ihm gelöst und verabschiedet hatte. Damals hab ich mich nur deshalb so schwer mit einer Entscheidung getan, weil wir Kinder miteinander haben. Und diese Kinder waren damals noch klein. In all den Jahren hatte ich vor allem eines vermittelt bekommen: "Du kannst nichts. Du bist nichts. Du bist ein Versager. Du siehst scheiße aus. Andere Frauen können dies/ das/ jenes besser und machen das besser. Du nicht." Ich habe mir einfach nichts mehr zugetraut - und ich habe mich sehr lange gefragt, ob ich das machen darf. Ob ich gehen darf. Ob ich den Kindern das Zuhause und die Eltern "kaputtmachen" darf. Von den gemeinsamen sechzehn Jahren habe ich mich das neun Jahre lang gefragt. Und ich erinnere mich noch heute sehr daran, wie er in das damalige Büro kam und wir beide raus vor die Tür. Wie wir im Schnee standen, wie ich auf seine Schuhe schaute, tief Luft holte und sagte: "Ja, ich will das so. Es bleibt dabei, ich möchte, dass wir uns scheiden lassen." Es hat mich Überwindung gekostet, einem anderen Menschen, mit dem man trotz allem so lange zusammen war, so etwas zu sagen. Ihm Schmerz zuzufügen. Noch mehr Schmerz zuzufügen.
Es war das Telefonat am Dienstagabend, das der Sohn mit dem Vater führte, das mich an diese Zeit erinnerte. An die gemeinsamen Jahre. An die Ehe und die Trennungsjahre. Es war der Termin im Outlook am Mittwochmorgen, der mir entgegenblinkte und mir einmal mehr vor Augen führte, wie so sehr anders mein Leben heute ist. So viel unbeschwerter, so viel leichter, so viel liebevoller, so viel zugewandter. Natürlich kracht und funkelt es auch hier - und die ersten Jahre des On & Offs waren alles andere als einfach. Doch all das liegt hinter uns, all unsere Erlebnisse liegen hinter uns - und für all das, was wir heute haben, dafür bin ich zutiefst dankbar. Dankbar auch, dass mein Geburtstag tatsächlich vom Gefühl her ein "Königinnentag" geworden ist.
Happy Birthday to me.