Freitag, 14. Februar 2025

Die Welt außerhalb des Badezimmerspiegels



In meinem Kopf wohnt seit jeher eine ungeahnte Fülle aller möglichen Phantasien und auch eine nicht minder gute Vorstellungskraft. Doch eines konnte ich mir niemals vorstellen: Wie es sein würde, alt zu sein. Wie ich aussehen würde, wie ich mich anfühlen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich Linien in mein Gesicht zeichnen und sich auch vertiefen würden. In der Welt in meinem Kopf würde ich immer jung bleiben, ganz gleich, was in meinem Pass stünde. Im Grunde glaube ich das eigentlich immer noch, doch wenn ich mich morgens in meinem Badezimmerspiegel betrachte, dann denke ich: Hör wieder viel mehr Musik und arbeite viel weniger.
Denn der Badezimmerspiegel.. der liebt mich. Der macht mich schön, ganz gleich, ob morgens oder mittags oder nachts. Ob geschminkt oder ungeschminkt. 
Die Welt jedoch lebt nicht in meinem Badezimmer, und wenn das Bild in meinem Kopf erhalten möchte, dann... muss ich unbedingt wieder ganz viel mehr Musik hören und weniger arbeiten. Weniger denken, mehr genießen. 

Und dann, die ersten Anzeichen des Alters entdeckte ich nicht auf meiner Haut, nicht in meinem Gesicht - ich entdeckte sie beim Lesen eines Buches - und dass es weniger anstrengend war, wenn dabei eine Brille auf meiner Nase balancierte. Meine ersten Modelle waren die Sparmodelle aus dem Drogeriemarkt. Und dann, vor etwa neun Jahren entschied ich, die tatsächliche Sehkraft feststellen und mir eine eigens auf mich zugeschnittene Brille anfertigen zu lassen. 


Als Augenmensch verliebte ich mich spontan in ein klassisches Herrenmodell, ganz gleich, was mir auch an Alternativen vorgeschlagen worden war. Ich kann mit diesen Frauendingern irgendwie nichts anfangen. Rot, gelb, blau, grün. Katzenaugenformen. Achteckig. Sechseckig. Rund. Zarte Gestelle. Klobige Gestelle. Kaum etwas Klassisches. Und alle in einer Standard-Breite, die mir nicht gefällt. Das Herrenmodell hingegen bot alles, das mir gefällt. 

Die Brille wurde mir dann allerdings ein oder zwei Jahre später geklaut. Bis heute hattee ich mir kein Modell nachanfertigen lassen. Genauer gesagt: Bis vor vier Tagen nicht. Da begleitete ich den Mann zum Optiker und während er auf eine Nachmessung seiner Sehkraft verzichtete, entschied ich mich zu einem Test. Immerhin liebäugelte mein trübes Auge mit einem sehr ähnlichen Modell wie aus 2016. Aber dass meine Augen in nur neun Jahren von Null Komma Fünf Dioptrien auf Zwo Komma Sieben bzw. Drei Komma Null zugelegt hatten, das hatte mich dann doch etwas irritiert. Ich meine, dass die Sehkraft etwas nachgelassen hatte, bekomme ich vor allem beim Malen zu spüren. Die feinen Null Komma Null Drei-Linien - da brauche ich schon etwas mehr als Eins Komma Null oder so. Aber Drei?

"Alles okay?" fragte der Mann, als er mich wiedersah. 

"Noch ein paar Jahre und du kannst Buddelflink zu mir sagen. Oder Pauli. Pauli geht auch."

 Aber es hilft ja nix. Es ist wie es ist. 

Nur wenn ich das Bild da oben betrachte, das von vor sieben oder acht Jahren, dann beschließe ich hier und jetzt, wirklich wieder viel mehr Musik zu hören, wieder viel mehr zu genießen und weniger zu arbeiten. Mehr zu schlafen. Ich glaub, das stand mir deutlich besser.  Und vielleicht erholen sich dann auch die Augen wieder.