In den vergangenen Tagen hatte ich mich ein wenig verloren. Es war nicht so sehr, dass ich mich... schlecht gefühlt hätte. Vielleicht war es aber auch nicht so, dass ich mich völlig eins mit mir gefühlt hätte. Hier und dort höre oder lese ich vom Leben anderer. Wie sie gerade an einem Punkt in ihrem Leben festhängen oder gerade einen Schritt weitergegangen sind. Wovon sie träumten und träumen, was sich davon erfüllen ließ oder sie es auf Niemalswiedersehen verabschiedet glauben.
In wenigen Tagen werde ich ein weiteres Jahr älter und beinah bin ich versucht, es so zu halten wie in einem Film gestern Abend: Er kam einfach nicht nach Hause, an diesem Tag nicht, in dieser Nacht nicht, und er glaubte, wenn er diesen seinen Tag nicht feiern würde, dann würde er vielleicht auch nicht dieses eine Jahr älter werden.
Tatsächlich werde ich auch nicht an diesem Tag zu Hause sein, doch wie ich konkret diesen Tag erleben werde, wie ich ihn erleben möchte, wie ich ihn überhaupt gestalten möchte in der Zeit, die mir von diesem Tag bleiben wird - das weiß ich nicht. Weil ich es weder plane noch mir überhaupt irgendetwas vornehme. Und mir wird bewusst, dass mein halbes Leben lang genauso verlaufen ist:
Ich habe einfach nichts geplant.
Ich hatte Träume, ich hatte Wünsche - und das einzige, was mich in all den Jahren unverändert begleitete, war der Traum von und der Wunsch nach der echten Liebe. Nach der Liebe, die nichts fragt und nichts fordert. In die ich mich hineinfallen lassen wie in ein übergroßes Netz, nicht zu straff gespannt und auch nicht so, dass ich auf dem Boden aufkommen würde.
Und doch tat ich es.
Mehrfach.
Und es hat verdammt geschmerzt.
Ich stelle mir nicht die Frage, ob das Herz nur ein Muskel und die Liebe lediglich aus einem Cocktail aus Hormonen und chemischen Verbindungen in meinem Kopf besteht. Ich will das auch gar nicht wissen.
Weil mir an dieser Stelle genügt, was ich fühle, wie ich empfinde - und wie groß sich das Loch in der Brust anfühlt in dem Moment eines Abschieds.
Wie wir alle werde ich ein Jahr älter und ich beginne mich zu fragen, ob ich vielleicht nicht wieder zwanzig sein wollen würde, aber dennoch gerne... jene Sorglosigkeit zurück hätte, mit der ich daran glaubte, dass am Ende einfach alles gut werden würde. Und ob es daran liegt, dass ich eben älter geworden bin, Dinge bewusster wahrnehme, in mir, um mich herum und in jedem Moment, in dem ich Nachrichten schaue oder lese. Und mich frage, ob das alles immer schon so war, irgendwie, oder ob der Mensch tatsächlich immer verrückter geworden ist. Ob ich es mit meinen zwanzig, siebenundzwanzig, dreiunddreißig Jahren nur nicht so wahrgenommen hatte, weil ich insbesondere mit meinen dreiunddreißig Jahren damals ernsthaft glaubte, mir selber die Tür geöffnet und damit mir selber alle Möglichkeiten in meine Hände gelegt zu haben, mit denen ich mir jetzt einfach alles vorstellen konnte. Alles, was sich gut und richtig anfühlen würde. Dass ich es jetzt eben nur richtig machen musste.
Vielleicht machte es den Eindruck, ziellos, planlos durch die "Welt" gelaufen zu sein, hierhin, dorthin, Menschen kennen gelernt zu haben, weitergezogen zu sein, ruhlos, rastlos, während im Weitergehen das Bisherige verarbeitet werden soll. Was nicht immer so geht, was mich zuweilen auch hemmte, mich zurückhielt und mich an einen Satz denken ließ, den ich einst auf einer Papiertüte las:
"Manchmal, wenn man gar nicht weiß, wohin man gehen soll, bleibt man am besten da, wo man gerade ist."
Und ich kann nicht mal sagen, ob sich das allgemein hin so feststellen lassen kann. Was, wenn ich nicht erkennen würde, dass es Zeit war, weiterzugehen? Was, wenn ich ewig feststehen würde, verharren würde und glauben würde, es gäbe kein... anders mehr? Was, wenn alles am Ende doch umsonst gewesen war? Für mich fühlte sich jeder Tag, jedes Jahr, das ich nicht vorankam, wie Stillstand an. Stillstand, der mir zäh an den Zehen klebte und es mir unmöglich machte, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen.
All die zergrübelten Nächte.
All die zerbissenen Kissen.
All die Tränen, die ungeweinten tief drinnen und die, die ich mir aus den Augen und von den Wangen wischte, während ich auf Knien vor der Keramikschüssel hockte.
Erst im Nachhinein begriff ich: Das musste genau so sein. Für MICH musste das genau so sein.
Weil ich mich begriff.
Weil ich mich in all der Zeit aus all den Häuten schälte, in die ich mich gehüllt hatte über all die Jahre hinweg, damit ich.. einfach nicht zerbrechen würde. Damit.. einfach nichts umsonst gewesen war.
Ich glaube nicht an Schicksal. Ich glaube auch nicht an Zufall. Ich glaube an Energie/n.
Das ist mir auch bewusst geworden, als mir mal jemand schrieb, dass meine roten Kleider dementsprechend wären. Ich will mich in nichts ergeben, das sich für mich nicht gut anfühlt - und das tue ich auch nicht. Aber ich habe gelernt zu warten. Auch in dem Bewusstsein, dass es vermutlich nie DEN richtigen Moment, den passenden Moment geben wird. Aber dass man in sich selbst genau den Punkt findet, in dem die Entscheidung steht - und dass sich ab diesem Augenblick auch jeder weitere Schritt richtig anfühlen wird.
Wenn mich all die vergangenen Jahre eines gelehrt haben, dann das, vor allem gut zu mir selber zu sein. Und zu begreifen, wie elementar das ist. Weil wir nichts von uns abgeben können, wenn wir leer sind. Weil wir niemanden glücklich machen können, wenn wir es selber nicht sind.
Mit dieser Begründung habe ich mich aus meiner Ehe verabschiedet. Weil ich es so dachte und so empfand.
Doch was das wirklich bedeutet, haben mir erst die folgenden Jahre und jede einzelne Begegnung danach gezeigt. Und das Gute... das Gute aus den Jahren... Das nimmt man mit sich mit und lässt den Rest irgendwann.. einfach zurück. Jedenfalls wünsche ich uns das.