Im Moment fühle ich mich unglaublich müde. So wie eine jener Aufziehfiguren, deren Antriebsfeder erschlafft ist. Man dreht und dreht und dreht und trotzdem setze ich nur einen müden Sprung - plopp - und falle um, anstatt wie gewohnt wie ein Duracell-Häschen motiviert durch die Gegend zu springen.
Ich bin sicherlich reflektiert genug zu erkennen, woher das kommt, und ich beklage das auch nicht. Vielleicht will ichs ja einfach nur mal so gesagt haben.
Als ich am Montag nach L kam, erwartete mich ein Chaos wie länger schon nicht mehr.
Während dem einen zuviel ist, sich allein um alles kümmern zu müssen, ist der andere aktuell komplett überfordert. Wie sehr, das sah ich am Dienstag, als er minutenlang den Ausdruck einer E-Mail vor sich liegen hatte, darauf starrte - und trotzdem nicht agierte. Einfach nur da saß und auf die E-Mail starrte "...anbei übergeben wir Ihnen unser Angebot Nr. xyz", mehr stand da nicht, und er saß und saß, bis ich ihn fragte, ob alles okay sei oder ich ihm helfen könne.
Er schreckte auf, murmelte etwas und schrieb dann weiter.
Später kam er zu mir, grau-gelb im Gesicht, und sagte: "Mir gehts heute wirklich richtig schlecht, irgendwie... komm ich einfach nicht mehr weiter. Ich werde auch den Nebenjob kündigen, ich kann echt nicht mehr."
Als am Mittwoch die Situation - nun sagen wir - leicht eskalierte, entschieden wir: So geht es nicht weiter. Er geht zu seinem Hausarzt. Dort war er am Donnerstag Morgen. Die Diagnose einer massiven Schilddrüsenüberfunktion steht, er bekommt ja auch seit Anfang Juli sein Medikament. Die Dosierung wurde nun heraufgesetzt, so dass er früh und abends eine Tablette nehmen soll - und er wurde sofort krank geschrieben. Was ihn zusätzlich momentan fast zerstört, ist der Druck, den er sich selbst macht. Die Angst, im neuen Job nicht zu bestehen. Der Anspruch an sich selbst, hier in diesem Job, den er nicht gelernt hatte, doppelt soviel leisten zu müssen und zu wollen, um nicht zu versagen.
Die Angst, die lähmt.
Er will so sehr, dass er sich selbst blockiert und aktuell so überhaupt nichts mehr geht.
Er glaubt niemandem aus der Firma, wenn es, wie nach gut 4 Wochen bei uns, hieß: "Also mir ist er echt eine große Hilfe geworden." Warum er das nicht glauben kann, begründet er so: "Das war in den beiden vorherigen Jobs auch so, dass es immer hieß, mach dir nicht so einen Druck, das läuft doch alles - und dann kam völlig unerwartet von einem Tag auf den anderen die Kündigung. Ich hab einfach so panische Angst, dass mir das bei euch auch passiert. Weil ich weiß, was dann kommt. Dann kann ich wieder zu den ganzen Zeitarbeitsfirmen rennen, die mich am Ende auch nur wieder in irgend so ein Callcenter stecken. Wenn denn überhaupt."
Dass er ohnehin nicht vor Selbstbewusstsein sprüht und zuallererst an sich zweifelt, wissen wir und wir kennen auch die Ursachen.
Nach diesen vier Wochen trat dieser Knick ein, so dass man zusehen konnte, wie die Leistungskurve nach unten ging. Bis hin zu diesem "Er sitzt vor der E-Mail und schaut und schaut, er weiß, was er hier zu tun hat - und sitzt und schaut." Wenn ich ihn so sehe und betrachte... dann bin ich nicht sicher, ob der Junge inzwischen eine handfeste Depression entwickelt hat. Er will - und allein mit dem Willen ist er schon so überfordert, dass nichts wird. Er kämpft und gibt gleichzeitig auf. Schwer zu beschreiben.
Am Mittwochabend während der Heimreise und am Donnerstag, nach Sohnemanns Termin beim Hausarzt, habe ich sehr lange mit meinem Sohn gesprochen, auch andere Wege aufgezeigt, wieder gesund oder zumindest wieder "fit" zu werden. Daraufhin habe ich meine Schmerzärztin angerufen. Die, die mich vor einigen Jahren über 1,5 Jahre verhaltenstherapeutisch begleitet hatte. Die, durch die ich am meisten gelernt habe. Die einzige Therapeutin, der ich vertraue. Ich habe sie angerufen und gefragt, wann sie einen Termin für Sohnemann frei hat. Am 23.09. Okay, das ist noch etwas hin, aber deutlich schneller als befürchtet. Als Alternative bot sie einen Termin im Institut für psychologische Therapie bei einer ihr bekannten Ärztin an. Dort hat der Junge sich noch am selben Tag angemeldet und auf die Warteliste setzen lassen. Wartezeit: vier bis sechs Wochen. Wir lassen jetzt beide Termine laufen.
Seit er krank geschrieben ist, schläft er die meiste Zeit. Er klingt sehr ruhig am Telefon, müde. Gesprochenes erfasst er, speichert es aber nicht mehr, er hat das meiste vergessen, sobald man aus der Tür ist.
Sein Facharzt, der Endokrinologe, meinte am Montag, das entspräche dem Krankheitsbild, aber das Zittern seiner rechten Hand sei doch sichtbar besser geworden. Zu diesem Termin, der sogenannten großen Auswertung, hatte der Junge gebeten, dass einer von uns ihn begleitet. Entweder Vater oder Mutter. Ich nehme an, weil er selber spürt, dass er vieles nicht mehr speichern kann.
Der Vater hatte gesagt, er nähme sich den Tag frei und begleite ihn. Dass er freigenommen hat, hatte der Vater nach nur acht Tagen auch nicht vergessen, aber das Vorhaben, den Sohn zu begleiten.
"Ich hab nicht mehr dran gedacht. Aber eigentlich bist du ja auch selber schuld, du hättest dich ja am Wochenende noch mal melden und mich dran erinnern können."
Wie bitte? Was? Ich konnte das gar nicht fassen, nicht glauben. Ja vielleicht hätte ich es vorher wissen müssen, dass man sich auf diesen Vater nicht verlassen kann. Vielleicht hätte ich es vorher wissen müssen, dass man so einen Vogel nicht in die Pflicht nehmen kann, weil der sich seit 2003 jeglicher Pflicht entzogen hatte. Der sich die fünf Euro für das Rezepteinlösen vom Sohn zurückfordert, die er für ihn ausgelegt hatte. (Hier kam mir das Kotzen, sorry. Ein Typ, der den eigenen Sohn jahrelang finanziell ausgenommen hat, der sich einen scheiß um seine Söhne kümmert, der auch, seit ich fortgezogen bin, überhaupt nicht darum kümmert, ob und wie das läuft bei den beiden, ob sie vielleicht hier und da bisschen Unterstützung gebraucht hätten - und der sich, trotzdem er nur 10 km "daneben hockt" wesentlich weniger sehen lässt als ich, die 430 km weit weg wohnt - ja was wollte ich da schon erwarten?) Dass man mir das zum Vorwurf macht, bitte sehr, ich mache mir selbst diesen Vorwurf. So wie ich auch mir selbst den Vorwurf mache, dass meine Familie und auch ich selbst lange Zeit unterschätzten, wie schlecht es dem Jungen wirklich geht. Dass wir andere Ursachen vermuteten und glaubten, es würde ausreichen, an seine Vernunft zu appellieren und vielleicht die einen oder anderen Dinge mitzusteuern.
Nur einen Vorwurf nehme ich mir nicht an: dass ich alles zu leicht genommen und alles zu sehr schleifen lassen hätte. Seit 25 Jahren kämpfe ich mit und um den Jungen, vielleicht habe ich Dinge übersehen und unterschätzt - aber habe ich es mir deshalb zu leicht gemacht? Ich denke nicht. Nein, ich weiß, dass ich es mir niemals zu leicht gemacht habe.
Und jetzt? Ich bin so unglaublich müde, dass ich es kaum beschreiben kann. Hinzu kommt, dass im Ergebnis meines eigenen Bluttests vor zwölf Tagen die Werte noch schlechter geworden sind. Der Arzt will trotzdem keine Behandlung starten: "Alle anderen Ärzte würden Ihnen da längst Schilddrüsentabletten verschreiben. Ich selber bin aber kein Freund von dauerhafter Medikamenteneinnahme." Dass er damit seiner eigenen Aussage nach dem ersten Bluttest im Februar widerspricht, darauf sch** ich inzwischen. Ich bin selbst auch kein Freund von Medikamententherapien, das weiß, glaube ich, inzwischen jeder, der mich kennt. Aber nachdem ich mich selbst noch mal zu diesem Thema belesen habe, habe ich es satt, dass - was auch immer - auf meine Kosten ausgetragen wird. Vermutlich belaste ich als "Langzeitpatient" das Arztbudget, aber das ist mir jetzt echt wirklich scheißegal! Die Symptome der Unterfunktion habe ich seit Jahren, nicht erst seit dem Test im Februar. Entweder hat man all die Jahre zuvor was übersehen oder einfach nie danach gesucht. Was im Endeffekt jetzt auch wirklich Rille ist - weil das Ergebnis zählt. Und das Ergebnis sind drei Tests, die nacheinander immer wieder entgleiste T-Werte im Blut zeigen. Sie schwanken, aber sie schwanken immer nur im Bereich der Unterfunktion. Ich wüsste nicht, worauf ich noch warten soll. Wir können auch bis zum Sankt Nimmerleinstag testen, wenn wir das wollen. Will ich aber nicht mehr. Wie ich auch dieser Tage las: Bereits geringe Abweichungen von den Normwerten lösen die Symptome aus bzw. machen sich körperlich und auch mental bemerkbar.
Der Arzt mag Recht haben, wenn er sagt, dass man ja nicht alles auf die Schilddrüse schieben könne. Jedoch denke ich inzwischen, dass man auch nicht alles bagatellisieren darf, wenn denn schon Blutwerte selbst für sich sprechen. Und dass auch niemandem geholfen ist, wenn man einem Patienten jahrelang erzählt, er solle seinen Stress reduzieren, dann würde auch alles wieder gut.
Ich lebe seit einem Jahr in M, und die Entscheidung hierfür habe ich auch unter dem Aspekt getroffen, dass ich selber zur Ruhe finden wollte. Das habe ich auch - besser fühlte ich mich dennoch nicht. Ruhiger und entspannter, ja, körperlich jedoch nicht besser.
In der kommenden Woche lasse ich mir einen Termin geben und dann trete ich bei meinem Hausarzt erneut auf. Gerne schreibe ich ihm auf, was sich alles bei mir verändert hat (damit ich auch nix vergesse vor lauter Aufregung, man kennt das ja) und dann erwarte ich eine Behandlung. Vielleicht reguliert sich das über kurz oder lang auch von selbst oder mit Hilfe eines Medikaments. Es ist ja nicht gesagt, dass ich Tabletten dann für den Rest meines Lebens nehmen muss.
Aber ich sehe keinen Grund, warum man das nicht wenigstens versuchen sollte.
Und ich bin schon sehr zuversichtlich, dass aus dem Plopp dann auch wieder das Häschen wird, das munter durch die Welt hüpft. Damit ich auch morgen noch wieder kraftvoll zubeißen kann.