Der Mann, den du liebst, verlässt dich eines Tages. Warum, das weißt du vielleicht oder weißt es auch nicht so genau, aber das einzige, worin du dir völlig sicher bist: Es liegt an dir. Es kann nur an dir gelegen haben. Dass du nicht genügt hast, dass du einfach nicht die Eine warst und es im Grunde auch nie sein konntest.
Also kehrst du nach Hause zurück und irgendwann fängst du neu an, lernst jemanden kennen und obwohl du dir nicht sicher bist, wagst du den Sprung und ziehst bereits nach kurzer Zeit mit diesem neuen Mann zusammen.
"Ich will es richtig oder gar nicht", begründest du. "Das Leben ist so, was soll da noch kommen?" fügst du hinzu und zuckst die Schultern.
Du versuchst, dich in deinem neuen Leben zurechtzufinden, einzurichten, und weil die Ablehnung nicht nur von deinem Mann, sondern auch öfter in verschiedenen Jobs kommt, zweifelst du immer mehr an dir und glaubst deinem Mann, wenn er dich beschimpft, verflucht und irgendwann auch zuschlägt. Du glaubst, dass er recht hat, auch wenn du dich zugleich dagegen wehrst.
"Oh Gott, er hat recht, du bist so hässlich", denkst du, wenn du morgens in den Spiegel schaust und an seine Worte denkst: "Dich will sowieso keiner, du fette Sau", und du weißt genau, es spielt gar keine Rolle, ob du gerade dabei bist, in Kleidergröße 34 abzurutschen oder eine 44 trägst. Es spielt einfach keine Rolle.
Du bist ein liebevoller Mensch, der das, was er tut, auch gern tun möchte. Der gerne Überraschungen bereitet und es seinen Liebsten einfach nur schön machen möchte. Aber du kannst nicht verhindern, dass das, was er dir ständig sagt und was er tut, an dir nagt, dich immer kleiner, wertloser, unbedeutender fühlen lässt und sich deine Mundwinkel mit jedem weiteren Jahr immer mehr nach unten neigen.
Du glaubst, dass das gemeinsame Kind etwas in ihm verändern könnte, und du glaubst, dass du es mit diesem Kind auch schaffst, dich zu beweisen, am meisten vor ihm. Vermutlich weißt du noch nicht, dass es egal ist, was du tust und wie viel du tust. Vermutlich ist das Problem, dass er sich dir unterlegen fühlt. Und während er bemüht ist, dich weit unter ihn zu stellen, zeigst du ihm nicht nur, sondern sagst ihm auch, dass er einfach nichts kann, weder im Haushalt noch im Umgang mit dem Kind.
Wenn er sich nachts auf dich rollt, schließt du die Augen und denkst, dass du gerade eigentlich und am liebsten ganz woanders wärst - und sowieso auch mit jemandem anderen. Es ist egal wer, Hauptsache einer, der viel mehr Liebe in Dein Leben bringt. Du träumst von einem anderen Leben, einem einfacheren Leben, in dem du nicht schon zu Beginn des Monats weißt, dass dein Geld nicht reichen wird für dich und das Kind, du den zweiten Job machst, während du in deinem Kopf noch seine Worte hörst, ob du nicht endlich mal den Arsch hochkriegen willst.
Ihr lebt gemeinsam in einem Haus und noch ist dir nicht bewusst, dass du bereits jetzt schon genau das lebst, wovor du im Grunde am meisten Angst hast: allein zu sein. Zu glauben, dass du es allein nicht schaffen wirst. Du weißt noch nicht, dass du es bereits all die Jahre schon allein geschafft hast.
Niemand kann verstehen, warum du bleibst, warum du nicht gehst, warum du nicht springst.
Niemand kann verstehen, dass du erst in dir selbst den Punkt erreichen musst, an dem du sagst: "JETZT ist es genug."
"Dabei ist es schon jetzt genug", sagst du leise, aber was noch in Kopf und Bauch arbeitet, reicht noch nicht aus, den Sprung zu wagen.
Eigentlich möchtest du ganz anders leben, du möchtest Kirschen aus Nachbars Garten klauen und mit Graffiti "Ich wünsche mir für die ganze Welt Frieden" an Häuserwände schreiben.
Du möchtest Cocktails trinken und die Seele baumeln lassen können.
Du möchtest im Regen tanzen, barfuß durch die Pfützen springen und fühlen, wie sehr und wie gerne du lebst.
Aber eigentlich bist du die ganze Zeit immer nur müde und während du bedauerst, dass ein weiterer Tag herum ist, bist du zugleich auch wieder froh, wenn es ein Tag war, an dem man dich in Ruhe gelassen hat.
Und während du nicht verhütest und er bereit ist, dir ein weiteres Kind zu machen, fragt er dich, wie du dir das alles eigentlich vorstellst und wie du das eigentlich alles schaffen willst.
"Ich hab mir schon immer zwei Kinder gewünscht. Eigentlich wollte ich immer vier Kinder."
"Ich auch. Aber ich habe R. zu spät kennen gelernt. Mit ihm hätte ich mir alles vorstellen können, mit dem anderen nicht."
Fassungslos rühre ich in meinem Milchkaffee.