Dienstag, 7. März 2017
Polizeiruf 110
Ich war müde gestern Morgen, als ich mich auf den Weg machte. Im Grunde fahr ich gerne Auto, sehr gern sogar. Es gibt kaum einen anderen Ort, an dem ich so mit mir selber bin wie da. Nur die Musik und ich. Na ja und all die anderen Autofahrer. Da kann man schon mal einem Herzinfarkt erliegen, wenn urplötzlich vor dir jemand die Spur wechselt - ohne Blinken, versteht sich.
Oder man selber mit 180, 190 kmh in der dritten Spur unterwegs ist, vor dir jemand, neben dir jemand und trotzdem kommt da jemand angekachelt und will dich mittels Lichthupe und dichtem Auffahren am liebsten von der Straße schubsen. Da frage ich mich auch manchmal: Sehen die nicht, dass die Straße nicht frei ist - weder vor mir noch neben mir?
Es hat auch schon jemanden gegeben, der mich mehrmals fotografierte, weil ich erst von links nach rechts, dann eine Weile geradeaus und dann doch wieder nach links fuhr - und er offenbar der Meinung war, ich hätte ihn rechts überholt. Er hielt sich daraufhin hartnäckig und recht nah an meinem Heck, vermutlich nur, um zu demonstrieren, dass er mich jetzt mindestens fünfmal fotografiert hatte. Na gut, nicht mich. Mein Auto. Beeindruckt hat er mich damit nicht. Fahrspuren sind dazu da, dass man sie auch wechselt, anstatt sich notorisch links zu halten.
Gestern Morgen nun war ich müde, die Autobahnen voll und ich etwas angespannt. Der anhaltende Schneeregen tat sein übriges, spätestens beim Aquaplaning war ich hellwach.
Drei Stunden später, drei Spuren, die Geschwindigkeit freigegeben, ich links, der Tacho zeigte knapp über 180 kmh. Es hatte aufgehört zu regnen, das Thermometer zeigte fünf Grad (und ich noch im Frühlingsmodus nach den wunderbar milden Temperaturen vom Wochenende) und dann sah ich ihn. Den alten Mann.
Er stand da, an der Mittelleitplanke, nicht dahinter, sondern davor, mitten an der Fahrbahn. Nur eben... in der Mitte. Links. Nicht am rechten Rand. Er stand da in seinem rostroten Pullover, ohne Jacke, das graue Haar wirr und in der Hand hielt er eine zusammengeknüllte weiße Plastiktüte, die augenscheinlich leer war.
Nur ein Schritt noch hat gefehlt.
Und dann war ich schon vorbei.
Griff mit zitternden Händen nach dem Telefon und wählte die 110. Spätestens in diesem Moment war ich dankbar für kurze knappe Notrufnummern, die einem von Kindesbeinen an in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Noch am Abend haben mir die Hände gezittert und habe ich das Internet rauf und runter gesucht in der Hoffnung, einen Hinweis zu finden, dass man den alten Herrn rechtzeitig und wohlbehalten von der Fahrbahn geholt hatte. Weil ich nichts fand außer den Hinweis, dass man an der entsprechenden Stelle zur entsprechenden Uhrzeit "alle Fahrbahnen geräumt" hätte, gehe ich davon aus, dass man den alten Herrn heil in Sicherheit gebracht hatte.
Wie kam er überhaupt da hin? Was machte er dort? Es sind keine Ortschaften dort in der Nähe.
Wie hatte er es überhaupt "heil" bis in die Mitte gebracht - und wo wollte er überhaupt hin?
Und ich habe darüber nachgedacht, warum mich das so nachhaltig geschockt hatte. Wo doch alles gut gegangen war. Auch wenn nur noch ein Schritt gefehlt hatte. Ein einziger Schritt. Ein knapper Meter, der darüber entscheidet, ob ein Leben jetzt und hier endet..
Jetzt mit ein paar Stunden Abstand denke ich, mein Schockzustand hing wohl eher mit jener Nacht vor Jahren zusammen, als ich schon einmal mit zitternden Händen die 110 wählte. Pandoras Box hatte sich wieder geöffnet, doch mit zwei kleinen Reststücken des halb vertrockneten Geburtstagskuchens konnte ich sie gestern Abend dann auch wieder schließen.
Ich sollte öfter etwas Schokoladenkuchen im Haus haben.
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8 Kommentare:
Oh Gott, der Arme. Ich denke dement. Die findet man an den merkwürdigsten Orten.
Ja Nelly, das habe ich so auch zur Polizei gesagt, dass er irgendwie einen verwirrten Eindruck machte, soweit ich das überhaupt einschätzen konnte. Sie wollten sich sofort kümmern. Es hatte sich zeitgleich auch noch ein anderer bei der Polizei gemeldet.
Puuuuh was fuer ein Schock! Und wie gut, dass scheinbar alles gutgegangen ist.
Wie schön das nichts passiert ist und somit eigentlich zwei Menschen, nämlich der alte Herr und Du, doppelten Geburtstag feiern können.
Geh mal davon aus, dass dem alten Mann rechtzeitig geholfen werden konnte, Anderes hättest Du wahrscheinlich in den Nachrichten gehört... lieber immer positiv denken! :-)
Allerdings wäre diese Situation auch mein Albtraum: Linke Spur, full speed - und dann steht da einen Schritt von Deinem Kotflügel entfernt ein Mensch wie aus dem Nichts!?
Und was Thema "Idioten im Straßenverkehr" angeht, ich hab mir schon 20x überlegt, eine dashcam ins Auto zu klemmen. Nicht, dass man versuchen würde, mich zur Seite zu drängeln (es ist beschämend, welche Autorität beim Deutschen eine bloße Karosserie ausstrahlt), aber so manches Mal hätte ich mir gewünscht, Beweismaterial für eine Anzeige mit liefern zu können, wenn ich so sehe, was da manchmal auf den Straßen abgeht.
Oh Gott. Ich hätte auch den Schock meines Lebens. Finde ich klasse, dass du sofort den Notruf gewählt hast. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Personen kopfschüttelnd ohne eine Reaktion daran vorbei gefahren sind.
Ganz liebe Grüße
Nila
Ja Moya, ich bin auch froh! Daran, dass selbst mir etwas hätte passieren können, habe ich in dem Moment überhaupt nicht gedacht. Das kam mir erst viel später auf, als alles schon vorbei war. Und ich denke da eben wie Rain: Wenn dem Mann etwas passiert wäre, hätte man ganz sicher davon gelesen oder gehört.
Und Goldi, bei meiner Biografie könnte ich inzwischen den x-ten Geburtstag feiern.. Bzw. einfach nur dankbar sein, dass ich bis jetzt immer noch "davongekommen" bin.
Ja Rain, der stand da tatsächlich mit Mal wie aus dem Nichts. Man rechnet ja auch überhaupt nicht mit einem Menschen an der Stelle. Zudem war es noch diesig, dämmrig und der alte Herr in unauffälligen Farben gekleidet.
Eine dashcam.. Ja manchmal könnte man tatsächlich so ein Ding gebrauchen. Grad wenn man ein kleineres Auto fährt, benehmen sich die mit ihren fetten Karossen wie die Schweine. Muss man echt mal sagen. Es ist besser geworden, seit ich den kleinen Schwarzen mit den vier Ringen fahre. Und an seinem Heck eben nicht die Nummerierung (der kleinste seiner Klasse ;)) steht. Aber in dem Moment, wo vor mir und neben mir die Straße nicht frei ist - was bitte macht es dann für einen Sinn zu drängeln?? Ganz egal, wie klein oder groß mein Auto ist? Manchmal möchte selbst ich als sanftes Nordkind denjenigen ausbremsen, aus dem Auto holen und eine aufs Maul hauen. Echt jetzt!
Nila, ich weiß nur, dass zeitgleich mit mir noch jemand angerufen hatte und die Polizei sich sofort drum kümmern wollte. Was sie offensichtlich auch gemacht hatten.
Die Polizei, Dein Freund & Helfer ;)
Schlimm! Neulich kam in den Nachrichten, dass ein Mann versucht hat, die Autobahn komplett zu queren, er ist nicht auf der anderen Seite angekommen. War aber sicher nicht "dein" Opa, ist länger her. Und abgesehen davon, dass man selbst ja in erhebliche Gefahr kommt, wie soll man dann mit der "Schuld" leben? Da würde ich auch länger zittern.
Aber ich bin ja Vielfahrer, und zu den Dränglern, die nerven, kommen ja noch die Kandidaten, die mal eben auf die 3. Spur tuckern, natürlich ohne blinken und man selbst kann sehen, wie mann von den 190 ...oder so... runter kommt. Ein Blick ins Auto macht alles klar...meist so Kandidaten, die wahrscheinlich schon 60 Jahre "unfallfrei" fahren....
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