"I`m twenty nine.
Every time anybody asked me
how old you are? I say: twenty nine.
And they say: Nooooo!
A long time ago
I got a birthday card from Snoopy,
and he said:
The way to keep from getting older
was to pick an age you like and stick with it.
And so I did."
Quelle: Instagram/seniorlivingstories
Vor kurzem haben wir aus der Mediathek ein Porträt über Anna Lang ausgegraben. Als sie ihr erstes Kinderfoto zeigte, erinnerte ich mich wieder an sie und daran, dass ich diesen Beitrag vor langer Zeit schon einmal gesehen hatte. Ich hab ihn mir dennoch noch einmal angeschaut und war erneut tief berührt von einer Frau, die Zeit ihres Lebens das Leben anderer gelebt hatte - aber nicht ihr eigenes.
Ihren Vater kannte sie zunächst nicht, ihre Mutter heiratete stattdessen einen Mann, der das Kind völlig ablehnte, weil es nicht sein eigenes war - und dies dem Mädchen auch in jeder ihm zur Verfügung stehenden Form zeigte. Warum, wird in diesem Beitrag nicht beleuchtet, aber auch ihre Mutter war nicht in der Lage, ihrem eigenen Kind das grundlegendste zu vermitteln: Liebe.
Im Gegenteil: Sie hat zu gehorchen und sie hat den Weg zu gehen, der ihr vorgegeben wird. Sie hat die Ausbildung zu machen, die Geld verspricht - und nicht den Weg ans Theater zu gehen, was eigentlich ihren Neigungen entspricht.
Sie hat einen Mann zu heiraten, den die Mutter ihr vorgibt, auch wenn sie diesen nicht liebt.
Sie hat das Leben mit diesem Mann zu führen, der tut, wonach ihm ist - und im Gegenzug erwartet, dass sie arbeiten geht, den Haushalt führt, das Kind erzieht, seine Wäsche wäscht und ihm das Essen zubereitet. Sie darf nicht sein, wer sie ist. Ihre eigentliche Fröhlichkeit ist nicht gewünscht, erst recht nicht außerhalb der eigenen vier Wände. Es gibt keinen Raum für ihre Wünsche, für ihre Bedürfnisse.
Anna Lang hat sie alle überlebt: den Stiefvater, die Mutter, den Ehemann.
Sie ist etwa neunzig Jahre alt gewesen, als der Mann starb und sie vor allem eins war: frei.
Endlich einfach nur noch frei.
Mit ihrer Tochter hat sie nachgeholt, was ihr in all der Zeit verwehrt geblieben - und was jetzt noch möglich war: Sie hat sich die Welt angeschaut, so gut das noch möglich gewesen ist. Sie hat das Leben genossen, das ihr jetzt noch möglich war. Sie war 107 Jahre alt, als dieses Porträt aufgenommen worden ist. Mit 107 hat sie noch in ihrer eigenen Wohnung gelebt und sich ihr eigenes Essen zubereitet.
Etwa genau ein Jahr später hat sie sich dann für immer verabschiedet.
Doch wenn man sich das genau vor Augen führt... War es Glück? War es ihr unbedingter Wille, nicht von dieser Welt gehen zu müssen, solange sie nicht gelebt hatte? Was braucht es, um sie alle zu überleben, sie alle hinter sich zu lassen, bei denen man zu Lebzeiten nicht die Kraft hatte, sich durchzusetzen? Was, wenn sie keine einhundertundsieben Jahre alt geworden wäre?
Der Mann und ich, wir konnten zunächst nicht wirklich etwas sagen.
"Das ist genau der Grund, warum ich mich von meinem ersten Mann getrennt habe", sagte ich schließlich zu ihm. "Es war genau das, dass ich ein Leben führte, das nicht meins war. Wir wissen nicht, wie alt wir werden. Werde ich wirklich die hundertvier, die ich immer werden wollte - oder bereue ich diesen Wunsch vielleicht noch? Und hätte ich wirklich warten können, bis ich vielleicht achtzig oder neunzig werde und erst nach dem Tod des Mannes wirklich mein Leben hätte führen können? Ne... Ich bin froh, ich bin wirklich sehr froh, dass ich damals gegangen bin und noch genug Zeit hatte, ein neues Leben anzufangen."
Der Mann schaute mich an und sagte dann: "Ich bin auch sehr froh, dass du gegangen bist damals."
Ich war 33, als ich die Entscheidung traf.
Es war meine allererste Entscheidung, mit der ich mich durchsetzte.
Mein allererstes konsequentes "Nein."
Was dieser Entscheidung folgte, waren die - für mich - bis dahin traurigsten, schwierigsten, aufregendsten, tiefgründigsten, lehrreichsten, hoffnungsvollsten, einsamsten, zuversichtlichsten, zweifelndsten, zerrissensten - und liebevollsten Jahre. Sie alle haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Heute, wo der Mann manchmal belustigt den Kopf schieflegt, manchmal verblüfft lacht, manchmal sprachlos ist und dann sagt: "Warst du eigentlich immer schon so oder lerne ich dich immer wieder neu kennen?"
Manchmal bedauert er, dass wir uns nicht damals schon kennengelernt hatten. Damals, mit zwanzig, als alles noch vor uns lag. Dann schlinge ich meine Arme um seinen Hals: "Hauptsache, wir haben uns jetzt."
"Ja, aber jetzt sind wir alt."
"Wir sind nicht alt. Wir werden niemals alt."
Natürlich: Wenn ich mich heute im Spiegel betrachte, dann sehe ich die feinen Linien um die Augen, neben den Mundwinkeln, die tiefe Falte rechts und links der Nase.
Aber.. Wann immer ich in den Spiegel schaue, sehe ich irgendwie immer nur das Mädchen mit 33 Jahren. Keinen einzigen Tag älter. Genauso habe ich mich damals gefühlt: wie ein Mädchen, das die Welt beginnt zu entdecken.
"Das, was du heute erlebst, hatten wir alle mit sechzehn oder siebzehn", hat A. damals zu mir gesagt. Möglicherweise habe ich mich deshalb auch mit 33 noch wie ein Mädchen gefühlt. In meinem Kopf, in meiner Seele war ich das einfach auch.
Auch wenn ich mich manchmal wundere, weil das Spiegelbild nicht ganz zu dem Bild passt, das bis heute in meinem Kopf und in meiner Seele ist: Bis heute bin ich keinen einzigen Tag älter als 33 - und ich werde eines Tages im Alter von 33 sterben; ganz gleich, welche Zahl tatsächlich in meinem Pass steht.