Die zwei Tage vor Ort im Büro sind immer Stress. Immer. Der Tag beginnt viel zu früh und endet zu spät nach meist 17 Stunden. 17 Stunden, die derart angefüllt sind, dass die Synapsen kollern und vibrieren, wo ich kaum zum Nachdenken, eher nur zum Reagieren komme. Ein guter, handfester Plan gibt so ein bisschen wie Struktur, der Rest ist Improvisation.
An diesen beiden Tagen gibt es einen derartigen Informationsfluss, dass ich Mühe bekomme, diese Informationen zu sortieren in "Wichtig" oder "Nebensächlich". Rechnet man dann doch die Komponente hinzu, dass ich eben ein Mensch bin und keine Maschine, kommt irgendwann doch mal, was kommen muss: Ich mache einen Fehler.
Diesen Fehler einer unglücklichen Aneinanderkettung von Zufällen (an die ich ja eigentlich nicht glaube) zuzuschreiben, macht ihn vielleicht nachvollziehbar (was ich können muss, um zu verhindern, dass mir sowas noch mal passiert), aber eben nicht ungeschehen.
Ergebnis war, dass Chef derart an die Decke ging, dass ich ihn zwar verstand und auch seiner Argumentation folgen konnte: "Das ist eigentlich eine Abmahnung wert!", ich dann aber doch abseits ein paar Tränen nicht aufhalten konnte. Tränen über die eigene Trotteligkeit, Tränen der Wut auf mich selbst und Tränen der Fassungslosigkeit. Gepaart mit der Erkenntnis: Ich lasse mich einfach immer zu leicht ablenken, dann wird es in Zukunft kein "Guck mal hier mit drauf" geben, während ich gerade was anderes mache (vorzugsweise Online-Überweisungen oder Versenden von E-Mails mit nicht unwichtigem Teilnehmerkreis), oder "He, hör du mal mit zu, du verstehst doch auch was davon", während ich eben mit anderen, nicht unwichtigen Dingen beschäftigt bin. Dann wird eben auch der Chef in Zukunft mal warten müssen, bis ich zumindest einen wichtigen Geschäftsakt erledigt habe. (Gerade überkommt mich so die Idee, ob solche Dinge die Firmen veranlasst, junge, dynamische, geistig bewegliche und vor allem flexible Leute einzustellen? Vielleicht werde ich doch langsam zu... äh... unbeweglich? Na ja nee, eigentlich nicht, aber vielleicht werd ich mich das wohl doch mal fragen müssen?)
Er hat sich noch am Abend und auch noch mal am nächsten Tag bei mir entschuldigt, doch wie gesagt: Vom Grundsatz her hatte er vollkommen recht, das hätte mir nicht passieren dürfen.
Am nächsten Tag dann bin ich heimgefahren. Meine erste Erfahrung mit dem ADAC-Reisebus für 12,90 Euro. Mein Fazit? Kann man durchaus empfehlen gerade für Zeiten wie diesen, wo es wahlweise draußen gefriert oder - wie heute morgen - Schneesturm gibt. Punktgenaue Abreise, punktgenaue Ankunft, zwei Pausen zwischendrin von jeweils ca. 12 min, es gibt Kaffee für 1 Euro und Snacks für rund 3 Euro. Leider nur in den beiden Pausen, ansonsten ist die Kaffee-Küchen-Bar leider verschlossen. Aber wenn mans weiß, ist es okay. Auch die Sitzlehnen verstellbar, was wirklich angenehm ist bei immerhin sechs Stunden Fahrt - und das ist der einzige Wermutstropfen: Die Reisezeit, die mit bis zu 2,5 Stunden länger ist als mit dem Auto. Dafür aber reist man unerreichbar günstig und vor allem sicher. In M selbst kriegte ich fast einen Koller: Der ZOB grottig ausgeschildert, die Straßenbahn mit nur zwei Waggons derart brechend voll, dass sie nicht alle Fahrgäste mitnehmen konnte. Mit so nem schweren Seesack (da war unter anderem ein neuer Laptop mit an Bord) auf dem Buckel wird das für jemanden wie mich dann doch zu ner... nun sagen wir... Nervenprobe. Was hilft dagegen? Genau - ein Coffee to go.
Nach sieben Stunden endlich zu Hause angelangt, hatte ich mich bereits eine Stunde später ins Nirvana hinübergeschlafen - für geschlagene 12 Stunden.
Gestern und heute hätte ich eigentlich frei, das Stundenkonto ist bereits voll, aber na ja, wenn man weiß, da gibts noch was zu tun... Ich drücke mich da nicht. Was jedoch im konkreten Falle bedeutete, dass ich gestern den Rechner erst am Nachmittag startete. Und sah, dass jemand Geburtstag hatte.
Als der Chef aus seiner Besprechung raus war und sich auf den Weg zur nächsten machte, befragte ich ihn, ob er über diesen Termin von meiner Vertretung schon informiert sei. War er nicht.
"Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?"
"Doch... Hast du ihn denn heute schon gesehen?" fragte ich beklommen.
"Nein, aber trotzdem!"
Hmpf. Nu ja. Aber es war ja immer noch Geburtstag, war also noch nix passiert?
Heute musste ich dann zu meinem Entsetzen auch noch feststellen, dass ich, um Rechnungen bezahlen zu können, ein entscheidendes Utensil in der fernen Stadt liegenlassen hatte. Ohne dem ist eine Ausführung nicht möglich - aber man kanns hier in jedem Technikladen kaufen. Was ich morgen auch machen werde - auf eigene Rechnung freilich. Da lasse ich mir nix nachsagen. (Genauso wenig wie "Euer Geld wollt ihr alle immer pünktlich haben, aber dann nur so Scheiße machen!" Pffff. Die Gehälter der Kollegen habe ich, soweit möglich, überwiesen. Meins noch nicht. Das sitze ich aus. Da habe ich meinen Stolz. Denn wenn ich mich fürs Pünktliche stark mache, dann vor allem auch für die Leute, nicht für mich allein. Wenn die Leute ihm abwandern, weil sie unzufrieden sind, hat keiner was gekonnt.)
Prompt (Papa sagt zu sowas immer: "Der kann Katzenscheiße im Dunkeln riechen", was bedeutet, dass jemand das Timing beherrscht, genau dann was zu wollen, wenn es eben gerade nicht geht) rief Chef noch an und fragte, ob ich mal eine Überweisung für ihn ausführen könnte, trotz des freien Tages. Trotzdem ich heute noch ein Projekt korrekturgelesen und ein Leistungsverzeichnis geprüft und für die Unternehmer versandbereit hergestellt hatte. Was man eben so macht an freien Tagen. (Chef sagt immer, er sei viel zu gut und viel zu blöd, und so falsch ist das nicht - aber für einige seiner Mitarbeiter gilt das auch, aber das zählt dann eben nicht.) Und nein, ich konnte es eben nicht, weil ich eben noch nicht in der Stadt gewesen war, um besagtes Technikteil zu kaufen.
"Also Mensch, ganz ernsthaft, du musst dich auch mal bisschen konzentrieren!"
Ja genau. Weil ich jeden Tag 10 Stunden lang Arbeit und Kollegen und Chef im Kopf rumtrage, selbst an Wochenenden, wo der Liebste immer schon fragt, ob ich wirklich glaube, dass das alles gut so sei. Weil mein Job nicht nur zum Geldverdienen ist, sondern auch mein Herzblut mit drin steckt. Weil mir ja jeden Tag die Sonne aus dem - sorry - Arsch scheint, mit oder ohne Home Office.
Ich, die gerade vollgepackt nach Hause gekommen war, auf dem Telefon zwei unbeantwortete Anrufe, die noch Arbeit bedeuteten, im Kopf dazu die Sorge um beide Eltern, denen es beiden aktuell überhaupt nicht gut geht (Mum, du kannst reden wie du willst, ich kann zwischen deinen Zeilen lesen und vor allem kenne ich den Klang deiner Stimme aus dem Effeff, da weiß ich genau, was die Uhr geschlagen hat - und auch der Papa war ungewöhnlich still, viel zu still!), die Gedanken um Junior II, der ernsthaft erwägt, so kurz vorm Ziel die Ausbildung abzubrechen, und die Gedanken an Junior I, der am Dienstagabend so am Boden zerstört war, dass er fast geweint hatte. Eine ganze Stunde lang hatte ich ihm zugehört und ihn dann dazu gebracht, doch etwas zu Abend zu essen. Essen und Trinken hält eben doch manchmal Leib und Seele zusammen - und anschließend ging es ihm dann auch wieder viel besser.
Und dann: "...du musst dich auch mal bisschen konzentrieren!" Als wäre ich so eine Schluse, die sich hier nen faulen Lenz macht und der alles nicht so wichtig ist, das nichts mit ihr zu tun hat.
Da bin ich - zugegeben - heftig geworden. Garantiert unangemessen heftig, und ich habe mich anschließend auch entschuldigt. Doch Chefs Argument "Es ist mir einfach zuviel Arbeit" betrifft auch uns. Auch für uns wird es mehr und mehr und man fragt sich, wie man alles koordinieren kann, ohne eben Stockfehler zu wiederholen. Neues Personal wurde eingestellt und wird auch weiter eingestellt, aber das muss sich auch erst warmlaufen. Es ist viel - ja, aber das ist es für uns alle.
Na ja... Wir haben uns dann gegenseitig gesagt, dass wir am Limit seien und dass wir es beide nicht so meinten. Auch habe ich mich für meine Heftigkeit entschuldigt, die mir einfach auch nicht zusteht. Und dann habe ich noch seine Frau zurückgerufen und ein paar Dateien nach ihren Wünschen umgeändert. Danach habe ich meine Waschmaschine bestückt und mir einen Kaffee gemacht.
Besser fühle ich mich immer noch nicht.
Im Gegenteil.
Irgendwie fühle ich mich total beschissen.
Eine scheiß kack Dreckswoche. Die nur ein was Gutes hat: Sie ist zuende. Morgen kommt der Liebste nach Hause. Dann ist Wochenende, und wehe, das funzt nicht.