Freitag, 18. Februar 2022

Die Holzwagen mit eckigen Rädern


Endlich Wochenende.
Hinter mir liegt eine Woche, die sich irgendwie zäh anfühlte. In der irgendwie nichts wirklich rund lief, eher wie ein Holzwagen mit eckigen Rädern. 
Ich schaffe vieles, aber nicht alles das, was ich wollte.
Ich mache vieles, aber nicht alles richtig.
Warum ich da und dort einen Fehler einbaue, weiß ich nicht, aber es nervt mich. Es nervt mich, weil es nicht hätte sein müssen. Nicht dieses "Ich habs nicht besser gewusst", sondern "Zu schnell gemacht, falsch gemacht". Ich bin die einzige, die das gerade ultra nervt, aber das hilft mir jetzt auch nicht.
Soeben habe ich ein Glas Weißwein geleert, ein Prosit auf das Wochenende und darauf, dass die letzten 5 Tage vorbei sind. Neue Woche, neues Glück - vielleicht - und dazwischen liegen zwei freie Tage, von denen der eine schon einem Marathonspaziergang zum Opfer fallen soll. Jedenfalls, wenn es nach dem Mann gehen soll, und ich hab noch keinen Schimmer, ob und wie ich mich da rauslavieren kann.
Ob er meinen Muskelkater gelten lassen wird?
Seit ein paar Tagen habe ich immerhin ein paar neue Übungen in meinem Sportprogramm, und die lassen mich zumindest wissen: "Joar, da lebt noch was unterm alten Knitterkleid!"
Andererseits könntsch mich vielleicht auch mit dem Bügelberg rausreden. Wenn ich um den jetzt ne Lichterkette drumwickel, könnt er immerhin als Tannenbaum durchgehen. 
Andererseits... ist es vielleicht auch gerade gut, mir ein bisschen Wind durch die Haare wuseln zu lassen. Wobei wuseln angesichts der Wettervorhersage ja auch ziemlich optimistisch ist. 
Solange mir nicht grad das Dach vom Haus fliegt oder die Bäume vor den Fenstern einen guten Morgen auf der Terrasse wünschen, liebe ich den Wind. Ich liebe es, nachts beim geöffneten Fenster im Bett zu liegen und zuzuhören, wie es durch die Bäume rauscht, wie es um die Ecken pfeift. Dann denke ich immer, ich bin zu Hause am Meer. Statt des Sandkastens hinterm Haus ist da das Meer (und ja, Sturmfluten blende ich auch aus), die Möwen kreischen und auf der Zunge hab ich schon den salzigen Geschmack des Meeres und zupfe mir die winzig kleinen Algen von der Haut und aus den Haaren. 
Ich war ja grad erst zu Hause und war gefühlt doch wieder zu lange nicht dort. Vielleicht hab ich es auch nur nicht intensiv genug gespürt und nicht genug auf mich wirken lassen. 
Und vielleicht kann ich es beim nächsten Mal besser machen, wenn ich mit meinen beiden Jungen an die Küste fahre. Mir die Mama und den Papa schnappen, die Jungen, am Strand langlaufen, einen Milchkaffee irgendwo kaufen, glücklicherweise kann ich ja dann auch wieder in ein Cafe hineingehen. Muscheln sammeln, vielleicht Hühnergötter finden.
Übrigens haben der Mann und ich in diesem Jahr nach längerer Pause mal wieder einen Urlaub vor der Insel Venedig geplant. Darauf freu ich mich wahnsinnig, denn wir waren dort schon mal - und wovon ich restlos begeistert war, waren die Muscheln. 
"Es gibt keine Muscheln!" hat der Mann gedroht, als ich das Wort auch nur wagte, in den Mund zu nehmen, aber ich hab ihn ausgelacht: "Und ob es die gibt!" Und wenn ich mir ein kleines Schraubglas mitnehmen muss. Ein paar reichen ja. Vielleicht. Also bestimmt. Na gut, vielleicht wirds doch ein etwas größeres Glas ;)
"Wo willst du mit dem ganzen Zeug hin? Wir haben so schon keinen Platz!"
Da mag er sicherlich recht haben. Aber in meinem Kopf.. Da träume ich immer noch von einer Wohnung mit einem Zimmer mehr. Ich weiß genau, wie das aussehen soll. Da wird einer dieser Holztische stehen, so ganz einfache, die aber unter der Platte eine oder zwei Schubläden haben. Typische Künstlertische :) Damit ich mein Malzeug ausbreiten kann, ohne alles immer hin und her zu räumen, was ja die Kreativität empfindlich stört. Ist wirklich so! An einer Wand steht ein Regal voll mit unseren Büchern, unseren Schallplatten und Holzfiguren, einem alten Telefon, einer Uralt-Schreibmaschine - und eben den Muscheln... An der anderen Wand stehen Bilder auf einer Bilderleiste, die großen stehen unten an der Erde. Auf dem wunderbaren Dielenboden liegt ein weicher weißer Teppich, grad groß genug, dass ich mich darauf ausstrecken und die Arme ausbreiten kann, wenn ich Musik höre. Und dann steht da noch einer dieser alten Sessel mit der hohen Lehne und den wunderbaren, schlicht gedrechselten Holzfüßen, in dem ich sitzen und lesen oder einfach nur zum Fenster hinausschauen kann... Ja und das wars, mehr gibts da nicht in diesem Zimmer.. 

So ein Zimmer würde mir völlig genügen, um Tage wie diese von mir wieder abfallen lassen zu können. Um wieder zurückzufinden in meine Mitte. In meine Leichtigkeit. Weg von der Müdigkeit derzeit, die an meinen Armen und Beinen zerrt, trotzdem ich mehr als genug schlafe. Weg von dem Gefühl derzeit, als würde irgendetwas fehlen, ohne dass ich sagen könnte, was. Weg von diesem bleiernden Gefühl, das mich gerade irgendwie lähmt, und ich weiß nicht wieso. 
Aber na ja, solche Tage muss es eben auch geben. Glücklicherweise kommen immer wieder neue und bessere, an denen die Holzwägen wieder auf runden Rädern gleichmäßig rollen.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Schon seit vielen Jahren vertrete ich allein aus meiner eigenen Erfahrung heraus die Auffassung, dass man einen Menschen erst dann wirklich kennenlernt, wenn man sich von ihm trennt. Was dann viel zu oft zum Vorschein kommt, hat mich schon oft vor die Frage gestellt: Hat man es einfach nicht gesehen oder wollte man das einfach auch nicht sehen?

Als ich mich von meinem Ehemann trennte und auch unmittelbar danach auszog, da habe ich mir eine Liste aufgestellt: Wer verdient was, wieviel Guthaben haben wir, wer braucht was?
Als ich gegangen bin, ging ich nur mit den Klamotten, einem Kleiderschrank & einem Bett aus dem Kinderzimmer. Vom Guthaben nahm ich mir 700 Euro, die restlichen Tausenden Euros sagte ich ihm zu, dass er damit die Familienkutsche bezahlen sollte, die wir noch weit vor der Trennung gekauft hatten und auf die noch eine Restschuldsumme von 6.000 Euro stand. 
Ich ging davon aus: Jeder hat einen Job, jeder hat ein Auto, jeder ein Kind (weil der Große anfangs beim Vater bleiben wollte), ich zahle an den Ex einen Ausgleich, damit jeder dasselbe Netto hatte (dass ich allein aufs Erzählen vertraute und nie einen Lohnzettel sah, verstehe ich allerdings heute auch nicht mehr) - und ich dachte, damit hätte jeder genügend Rüstzeug, um sein Leben nochmal neu und mit dem dann hoffentlich richtigen Partner zu beginnen. 
Was ich allerdings in den Jahren ab der Trennung erlebte, habe ich tatsächlich im Traum nicht gedacht. Wollte ich nicht sehen, wer er war? 
Irgendwann im Lauf dieser Zeit begann ich mich zu fragen: "Habe ich ihn eigentlich überhaupt jemals geliebt?"
Heute weiß ich: Nein. Liebe war das nicht. Ich war fasziniert von seinem selbstsicheren Auftreten (und realisierte erst viele Jahre später, dass es genau gegenteilig war), sicherlich auch angezogen von seinem Äußeren - aber Liebe.. Nein, Liebe war das nicht. Wir haben nach nicht mal einem Jahr geheiratet, weil er der Meinung war: "Wenn du in meine Stadt ziehst, will ich auch, dass du meine Frau bist. Sonst lernst du vielleicht noch einen anderen kennen und rennst dann weg."
Ich war 20, was soll ich sagen... Von nichts eine Ahnung. Vom Leben nicht und von der Liebe gleich gar nicht. 

Man sagt, dass man vergangene Zeiten immer verklärt betrachtet. Dass man ab irgendeinem Tag nur noch die positiven Dinge sieht, jedoch nicht, was einen getrennt hat.
Das kann ich für mich nicht bestätigen: Ich kann mich einfach nicht an positive Dinge erinnern, tatsächlich nicht. Obwohl es sie sicherlich gegeben hat. Und wenn ich heute Fotos von ihm sehe, ist er ein fremder Mensch für mich geworden. Unvorstellbar, mit ihm irgendwann mal zusammen gelebt zu haben. Nicht nachvollziehbar, dass ich das einst selbst so gewollt hatte. 
Wenn Außenstehende ihn sehen, finden sie ihn attraktiv und vermutlich ist er das auch.
Vermutlich kann ich ihn nur nicht objektiv betrachten. Vermutlich sehe ich all die Jahre nach der Trennung in seinem Gesicht, verbinde all diese Erfahrungen mit diesem Gesicht - und sehe demnach nicht, was andere sehen. 

Wie ich darauf komme?
Gestern entdeckte ich bei FB eine Nachricht im persönlichen Bereich. Ich bin ja fast nur noch mit dem Handy online, und leider wird mir dann da nicht angezeigt, dass eine Nachricht eingegangen ist.
Sie war von einer Frau, die ich schon sehr lange kenne, aber unser Kontakt ist in all den Jahren eher lose geblieben. Eine Frau, die sich immer schon, so lange, wie ich sie kenne, ein Kind, eine richtige Familie gewünscht hatte. Irgendwann hatte sie sich diesen Traum dann doch noch erfüllt: Mann, Haus, Kinder. 
Und wie sie mir gestern schrieb, ist der schon vor über einem Jahr ausgezogen, lebt jetzt mit seiner Affäre zusammen, das Haus ist verkauft, doch statt dass er ihr ihren Anteil auszahlt, werden die Finanzen so getürkt und gedreht, dass jetzt für ihn ein Anspruch von ein paar Tausend Euros entsteht, die sie ihm zahlen soll. Nicht er muss ihr beweisen, dass alles getürkt ist - nein, sie muss es IHM nachweisen.. Eine junge Mama mit zwei kleineren Kindern, voll berufstätig wieder - aber er hält die Hand auf, obwohl ER es ist, der zu Hause auf seinem Geldsack hockt.. Und ER eigentlich daran interessiert sein sollte, dass es vor allem seinen Kindern gut geht. Und gehts den Eltern gut, geht es auch den Kindern gut... Ist jedenfalls meine Denkweise.. (Aber vielleicht hatte ich es ja mit dieser Einstellung auch deshalb nie zu etwas gebracht.)

Der Mann und ich werden heiraten in diesem Jahr. 
(Ja, so hab ich auch geguckt ;))

Dass er einen Ehevertrag will, stört mich nicht, war auch nie ein Problem für mich.
"Ich will dich aus Liebe, dein Geld interessiert mich nicht", habe ich gesagt und stehe auch dazu.
Bis mir eines Tages in einem eigentlich belanglosen Gespräch aufging: Der will nicht sich absichern, der will MICH mit diesem Vertrag absichern. Weil es auch in seinem früheren Leben Dinge gibt, die mir eventuell das Leben schwer machen könnten, sollte ihm eines Tages etwas passieren. 
Ich wusste schon immer, dass er für mich der Richtige ist, auch dann, wenn wir gerade kein Paar waren. Dass wir eines Tages sogar Mann & Frau in echt werden würden, dachte ich allerdings nicht.
Doch spätestens nach diesem Gespräch wusste ich einmal mehr: Dieses Mal habe ich es wirklich richtig gemacht.

Donnerstag, 17. Februar 2022

32

 Ja Hase, die Zeit schreitet voran. Wie schon bei Deinem Bruder habe ich auch bei Dir dieses Mal nicht den punktgenauen Geburtstagsgruß setzen können - aber dafür war ich ja an Deinem Tag auch bei Dir :) Überhaupt: Grad warst Du noch der kleine Wissbegierige, der auf und unter die Tische und um die Autos herum kroch, der alles wissen und erkunden wollte, der kaum aufhörte, Fragen zu stellen und sich nicht damit zufrieden gab, wenn er nicht alles beantwortet fand.
Und jetzt bist Du einen Meter vierundneunzig groß, schaust auf mich herunter, meist mit einem schiefen Lächeln, manchmal unsicher, manchmal abwartend, meistens genervt, und alles, das nicht zu Deinen Interessen zählt, muss man Dir mindestens zweimal sagen. Gerne auch mal dreimal ;) 
Und ganz oft kann ich drauf wetten, dass Du beschwörst, nie nicht auch nur ein einziges Wort vom Gesagten gehört zu haben, wenn man Dich dann nochmal an etwas erinnert. 
Für jemanden wie Dich ist es ein Segen, dass wir im digitalen Zeitalter leben: Es gibt kaum etwas Wichtiges, das sich nicht digital und damit ohne großen Aufwand erledigen lässt, gerne auch von mir in Deinem Namen. Sei es die Steuererklärung, seien es einst die Bewerbungen gewesen oder die An- und wieder Abmeldungen beim Amt. Ich weiß, dass ich Dir da zuviel abnehme. Manchmal überrascht Du mich dann aber auch. So wie im vergangenen Jahr, als Dein 1. Jahr Befristung sich dem Ende neigte und ich Dich fragte, ob Du bei Deinem Arbeitgeber nicht mal nachfragen könntest oder so. Und Du winktest ab: "Ach Mutsch, hab ich doch alles schon geklärt, schon vor zwei Monaten." 
Es ist ja nicht so, dass ich Dir das nicht zutraue. Ich weiß, dass Du alles allein machen kannst.
Mich hat nur vor allem überrascht, dass Du ganz von allein dran gedacht und alles geregelt hattest. Denn so verpeilt Du oft bist, so sehr lebst Du ganz oft auch in Deiner eigenen Welt. Und so schnöde Alltagsgeschichten gehören da vermutlich nicht wirklich rein ;) Ach wenn Du wüsstest, wie sehr ich mich in Dir wiederkenne... So wie Du heute bist, haargenau so war ich, bevor Du und Dein Bruder auf die Welt gekommen sind. Genau genommen habe ich erst mit Euch und vor allem mit Dir begonnen, das Leben in die Hand zu nehmen. 
Mich mit Ämtern, Behörden und Ärzten auseinanderzusetzen, mich manchmal auch mit ihnen zu streiten. Nicht alles einfach so hinzunehmen. 
Mit Euch habe ich gelernt, mich im Leben durchzusetzen - und ich kann Dir sagen: Das war ein langer Weg!

Im Moment genieße ich noch immer die Zeit, wenn ich nach L komme, in unsere "alte" Wohnung. 
Ich liebe es, für Euch etwas Schönes zu essen zuzubereiten, die Wäsche zu sortieren, hin und wieder etwas zu backen und vor allem Dir morgens ein Fresspaket mit auf den Weg zu geben, von dem Ihr anfangs immer etwas geschmunzelt habt: "Sollen wir auswandern?"
Überhaupt denke ich in letzter Zeit oft an die früheren Jahre. Wir drei in unserer kleinen Wohnung, in der es manchmal ganz ordentlich zuging, wenn Ihr Euch mit Matchbox’ beworfen oder Euch wenigstens verbal um die Ohren gehauen habt, dass die Heide nur so rauchte. (An dieser Stelle lobe ich mir auch dieses Tagebuch hier, so kann ich immer mal das eine oder andere nachlesen, lachen und mich sagen hören: "Ach ja, stimmt, so war das, hattsch schon ganz vergessen!") 
Wir drei, wie wir morgens in der kleinen Küche an dem Holztisch saßen und über alles mögliche sprachen. So hatte ich mir das immer gewünscht: eine gemütliche Küche, an der alle sitzen, essen, trinken, erzählen...
Ich erinnere mich auch, dass ich manchmal ziemlich unnachgiebig sein konnte. Wie zum Beispiel an dem Tag, als es Lachs mit Nudeln gab und Du sagtest: "Äh ne, das mag ich nicht, das schmeckt mir nicht." Eigentlich ist das tatsächlich nicht weiter wild, denn aus Dir war schon längst ein guter Esser geworden - Sorgen musste ich mir da also nicht machen. Warum ich trotzdem darauf bestand, dass wenigstens probiert und was gegessen wurde, kann ich heute nicht mal sagen. Aber ich bestand darauf - und die Konsequenz ist, dass Du Fisch bis heute zutiefst verabscheust. Schon aus Prinzip vermutlich 😌
Wusstest Du eigentlich, dass Deine Oma mit mir mal genau dasselbe gemacht hat, als ich so um die elf, zwölf Jahre alt war? Damals sollte ich gefüllte Paprikaschoten essen - und ich mochte die gekochte Paprika überhaupt nicht. Oma ließ mich bis zum Nachmittag am Küchentisch sitzen, längst war natürlich alles kalt geworden (Mikrowellen gabs damals noch nicht), natürlich waren alle anderen schon vom Tisch aufgestanden, nur ich musste da sitzen und schob missmutig das Essen mit der Gabel auf dem Teller hin und her. Schob alles immer so zusammen, dass es aussah, als hätte ich was davon gegessen - aber natürlich hatte ich keinen einzigen Bissen davon runterbekommen. Irgendwann gab Oma auf und meinte: "Na los, steh auf."
Ich glaub, so ähnlich hatte ich das mit Dir auch gemacht - aber ich schwöre: Das war wirklich keine Absicht! Mir ist erst viel später mal aufgegangen, wie viel man aus der Kindheit heute doch macht, obwohl man sich einst geschworen hatte: "Wenn ICH mal Kinder hab, wird ALLES anders!"
Ha ha, ja ne! Wirds natürlich nicht :)

Und wenn Du nicht willst, dann willst Du auch nicht - und das ist echt richtig schwer, Dich von etwas anderem zu überzeugen. Ich habe, glaube ich, auch noch niemals erlebt, dass Du entgegen Deiner Überzeugung handelst. Wenn Du an einen Weg oder an eine Sache nicht glaubst, wenn Du diesem nicht vertraust oder gar weißt, dass es falsch wäre, dann machst Du es auch nicht. 
Allerdings ist es auch relativ leicht, Dich zu verunsichern, leider, und dann wirds richtig schwierig.
So wie in der vergangenen Woche, als klar war, dass die Reparatur Deines kleinen Flitzers mehr kosten sollte als er noch wert ist - und wir uns nach Alternativen umgeschaut hatten. Ein denkbar schwieriger Zeitpunkt aktuell, aber manchmal lässt einem die Realität kaum eine oder auch gar keine Wahl.
Und wenn Dir jemand sagt, dass man ein Auto deutscher Marke nicht mit einem Kilometerstand von 90.000 kauft,  auch dann nicht, wenn man den Verkäufer kennt, dann bekommt man Dich auch nicht mit guten Argumenten überzeugt. Allerdings, wenn das Budget nur begrenzt ist, solange man nicht in Ratenzahlung verfallen will, dann kann man zwar Vorstellungen haben, aber die Realität ist einem dann doch um einige Schritte voraus. 
Probefahrten haben wir dennoch gemacht, Du warst vom einen oder anderen auch ganz angetan, aber die Randbedingungen stimmten letztlich nicht. 
Bezeichnend der Moment: Der Verkäufer steigt ins Auto und will es zurück auf den Hof fahren, da fängt es an zu piepen. Ich kenne dieses Geräusch inzwischen und weiß, dass sich hier die Batterie verabschiedet hat. Du jedoch drehst Dich erschrocken um und rufst ihm zu: "Oh! Hab ich da jetzt was kaputtgemacht?" Ich schaue Dich entsetzt mit großen Augen an WAS REDEST DU DENN DA??, doch der Verkäufer winkt schon ab: "Ja ne, das liegt an der Sitzheizung, die zieht immer den Strom weg. Ist nicht Ihre Schuld!"
Und Du lächelst entspannt: "Na Gott sei Dank, ich fürchtete schon!"
"Wieso denkst du immer gleich, dass der Fehler bei dir lag?" frage ich Dich und Du sagst: "Na hätte doch sein können." Und ich sage: "Im Gegenteil, da siehst du mal, was für eine Möhre das ist und wie unvorbereitet der Verkäufer war!" Du jedoch siehst das anders, für Dich ist es Pech, keine Absicht - und ich hole tief Luft, dann sage ich: "Weißt du, was ich wirklich an dir liebe? Dass du immer an das Gute in den Menschen glaubst. Aber manchmal wollen sie einen tatsächlich einfach nur über den Tisch ziehen."

Manchmal betrachte ich Dich, wenn Du auf Deinem Bett liegst und surfst oder auf dem Balkon hockst und eine rauchst. Du vergisst IMMER, die Tür hinter Dir zu schließen. Das sind Dinge, die Dich eher nicht interessieren, auch wenn Du nicht IN der Wohnung rauchen wollen würdest. Der Gestank zieht dann trotzdem jedesmal bis überall hin, also mahne ich jedesmal neu: "Mach! Die! Tür! zu!"
Wie die neue Waschmaschine und auch der neue Trockner (ja, manchmal kommen wirklich ALLE Dinge auf einmal) funktionieren, interessiert Dich bis heute nicht. Machen ja Dein Bruder und ich. 
Dafür bist Du jemand, auf den man sich tausendprozentig verlassen kann. 
Wenn man Dich um Hilfe bittet, sagst Du niemals nein. Du bist ein Mensch, den man nachts anrufen könnte - Du würdest kommen und helfen. Du bist ein Mensch, der niemals seine Hilfe verweigern würde. Du bist ein Mensch, der mit allen mitfühlt, der überhaupt sehr feine Antennen besitzt - auch wenn Du diese zu Hause mittlerweile unter einer sehr stachlichen Hülle verbirgst. Du bist schon oft enttäuscht worden und heute.. glaubst Du an nichts mehr. Aber Du hast begonnen, Dich zu schützen. 
Dich und Dein - wie Dein Bruder auch heute immer noch sagt - goldenes Herz.

Ich betrachte Dich und dann denke ich wirklich jedesmal, wie sehr ich Dir wünsche, dass Du eines Tages endlich ankommst. Dass Du genau die Freundin findest, die Du brauchst, um Dich glücklich zu fühlen. Die vielleicht auch mit Dir auf der Konsole zockt, die mit Dir einkaufen geht und Dich beim Shoppen berät. Die einfach DICH sieht, mit all dem Wunderbaren, das Dich ausmacht. Und die mit Dir genauso glücklich ist wie Du mit ihr ♥️

Ich wünsche Dir das so sehr und ganz von Herzen - und auch, wenn Du selbst diesen Gedanken längst losgelassen hast, ich selbst glaube wirklich daran, dass es Dir eines Tages gelingt. Es kann doch gar nicht sein, dass so ein wunderbarer Mensch wie Du allein bleiben soll.

Ich lieb Dich wirklich sehr,
Deine Mama 



Mittwoch, 2. Februar 2022

...manchmal ist es einfach und manchmal nicht.


Vor einigen Tagen stand ich in meiner Küche und überlegte, was ich für das Abendessen zubereiten wollen würde. Ab und an wandte ich den Blick nach draußen, nur um dabei zuzusehen, wie das Wetter sich nicht zu entscheiden vermochte, ob es lieber regnen oder schneien wollte. 
Kalt war es wieder geworden, eisig kalt, doch hier drinnen hatte ich es warm und behaglich. Mein Wohlfühlort, meine kleine Insel für alle Zeit, wenn es mir draußen zu wild, zu durcheinander, zu fremd geworden war. 
Und die Musik und ich. Eine Symbiose bis in alle Ewigkeit. Ich spüre, wie sich die bevorzugte Songliste verändert. Mal ist sie lebendig, mal eher melancholisch.. Und im Moment fühlt sie sich eher melancholisch an. Sanfte melodische Titel, in denen ich mich wiegen kann, in die ich mich einhüllen kann wie in eine liebevolle Umarmung..

Quelle: Found on Instagram

Ich dachte an die vergangenen Tage und Wochen und wie sehr mir die Worte, die Sprache ausgegangen waren. Wie wortlos ich mich fühlte, wie leer und doch.. wie zugleich auch irgendwie erfüllt von dem Leben und von der Hoffnung und der Zuversicht. Gedanken so durcheinander wie die Schneeflocken vor dem Fenster. 
Und unvermittelt begann ich zu tanzen.. Ganz sanft, nur leicht und zurückhaltend - und dann schloss ich die Augen und drehte mich hin und her auf diesen wenigen Metern Fläche.. Wiegte mich selbst im Takt der Musik, hob die nackten Füße auf die Zehenspitzen und verlor mich in Raum & Zeit...
In der Hand hielt ich ein Glas mit dem letzten Rest eines Rotweins, von dem der Mann mich daran erinnerte, dass wir genau diesen auch in unserer allerersten gemeinsame Nacht miteinander geleert hatten. Grundgütiger, wie lange das her ist. Ein halbes Leben, eine halbe Ewigkeit und doch scheint es mir noch immer, als sei es gar nicht so lange her, als wären wir uns erst im letzten Jahr begegnet..
All das Erlebte, die schönen und auch die traurigen, die einsamen Momente und Erfahrungen, die scheinen so weit weggerückt. Und noch weiter das Leben, das ich führte, bevor wir einander begegneten..
Unlängst schaute ich auf den Kalender, überlegte, wie lang das alles schon her war - und wunderte mich. Weil, ich fühle mich genau genommen kein Jahr älter seit unserer Begegnung. Für mich fühlt auch er sich immer noch so an wie damals, vor vielen Jahren im September. Im Netz hatte ich erzählt von meiner letzten Reise im Sommer an das Meer, von meinen Eindrücken, von  meiner Liebe zum Meer. Er hatte es gelesen und mir geschrieben. Eine dieser ersten E-Mails besitzen wir noch, wir haben sie ausgedruckt, auf Papier gebannt, bevor sie im Nirvana versinken würden..
Ich liebe an ihm, dass wir streiten können, ohne einander zu verletzen. (Okay, auch wenn ich dann und wann anschließend erwog, auszuziehen und fortzugehen, aber das war eher den Themen geschuldet, die unüberbrückbare Differenzen anmuten ließen.)
Ich liebe an ihm, wie er mich anschaut, wenn wir über das Leben philosophieren und er es nicht immer  ausspricht, mich aber für ein bisschen weltfremd hält.
Ich liebe an ihm, dass er mich und meine Empfindungen respektiert, auch wenn sie ihm selbst fremd sein mögen. 
Ich liebe an ihm, dass er immer spürt, wie ich mich fühle, auch wenn ich sogar hunderte Kilometer von ihm entfernt bin. 
Ich liebe sein Lächeln und seine Faxen. (So wie jetzt gerade, als wir etwa zwei Meter voneinander entfernt sitzen und uns einander die dunkelblauen Rotweinzungen herausstrecken, so weit der Muskel reicht ;))
Ich liebe an ihm, dass er noch immer ein Junge ist und doch ein ganzer Mann. 
Ich liebe es, wenn wir gemeinsam in alten Songs herumkramen und mitsingen, so weit die Texterinnerung reicht. 
Ich liebe ihn dafür, dass er - im Gegensatz zu mir - alle meine Bilder mag, die ich male, und dass er an mich glaubt. Viel mehr als ich das tue, denn wenn ich sehe, was andere zu malen vermögen, fühle ich mich viel mehr als klein. 
Ich liebe an ihm, dass ich seinetwegen mit Liebe Essen zubereiten und Kuchen backen mag. 
Ich spüre, wie er mich verändert und wie er sich durch mich verändert. 
Dank ihm besitze ich heute ein Aktienkonto, von dem ich maximal weiß, wie ich Anteile verkaufen und auf mein Konto schieben kann. Allerdings hör ich auch nicht wirklich zu, wenn er mir die Dinge zeigen und erklären will. Ich tue dann sehr interessiert, darin kann ich tatsächlich überzeugend sein, aber wenn ich ehrlich sein soll, ist mir doch wurscht, was DAX & Co. tun, solange der Mann nicht sagt: "Ich denke, du solltest hier und da was verkaufen." Zugegeben, ich verlass mich da ganz auf ihn. Kann ich auch, denn das Referenzkonto ist meins. Abhauen mit meiner Kohle kann er also nicht. Lohnt aber auch nicht *harhar*. Noch nicht! :)

Wenn ich daran denke, wie viel Zeit es gebraucht hat, bis heute hier an diesen Punkt zu kommen, dann denke ich manchmal: "Das hätten wir beide eigentlich auch einfacher haben können."
Aber.. Was ist schon einfach?
Und.. Am Ende habe ich immer noch die Musik und das Meer. Und den Reichtum in meiner Seele.