"Hast du schon wieder Musik im Kopf?" fragt der Mann mit missmutigem Blick auf meinen rechten wippenden Fuß, als wir auf unserem Sofa lümmeln, uns einen Film reinziehen und aber die dort dargestellte Situation alles andere als musikalisch anmutet.
"Ja hab ich."
"Du machst mich nervös!"
Meine neueste Entdeckung des obigen Tracks dank Streaming vor einigen Tagen ging mir sofort ins Ohr, ins Blut und in die Beine. Der Mann kann dieser Musik nichts abgewinnen, sie triggert seinen Tinnitus und nervt ihn ob seiner Hyperakusis. Ich selbst bin ja nun auch mit so einigem "geschlagen", aber glücklicherweise weder mit Tinnitus noch der damit oft verbundenen Hyperakusis. Wenn, dann leide ich eher unter selektiver Hörschwäche ;)
Insofern könnte ich mir diesen Track stundenlang reinziehen, natürlich in entsprechender Lautstärke, weil, leise geht bei SO einer Musik nun wirklich nicht. Wenn das gerade nicht möglich ist, weil wir ja auch noch ein gemeinsames Leben miteinander führen, dann spielt diese Musik unablässig in meinem Kopf. Ich kann da nichts dafür, ich wurde so geboren!
Nicht umsonst sag ich ja immer, dass meine Blutkörperchen aus Kaffeebohnen und die Blutplättchen aus Musiknoten bestehen.
Es ist die Musik, die mir derzeit hilft, das eine oder andere so lange ausblenden zu können, bis einen die Realität wieder einholt. Ich weiß gar nicht, ob ich Menschen bewundern oder bemitleiden soll, die es schaffen, sich täglich oder wenigstens regelmäßig mit Nachrichten zu versorgen.
Eine Schulfreundin, die ich in der vergangenen Woche nach ewig langer Zeit wiedersah, meinte, sie müsse sich das regelmäßig anschauen bzw. anhören, weil sie sich vorbereiten wolle.
Ja nur... Vorbereiten auf was? Ist es nur (m)ein Gefühl oder haben wir aktuell wirklich eine der unbeständigsten Zeiten? Was bleibt, was ändert sich, was kommt, wie wirds?
Jeden Tag neue, andere, ähnliche, auch wieder zurückgenommene Meldungen - muss man da nicht irre werden im Kopf?
Als die Havarie der Nordstream-Leitungen bekannt wurde, sagte ich zum Mann: "Und du wirst sehen, sie werdens den Russen in die Schuhe schieben."
Erste Meldungen gehen mittlerweile tatsächlich in diese Richtung - verbunden mit der Aussage, dass beide Leitungen irreparabel beschädigt seien. Was der Russe von dieser Zerstörung haben soll, erschließt sich mir noch nicht. Gas abzustellen genügte ja auch, um die Versorgung zu kappen und die Abhängigkeit deutlich zu machen.. Eher könnte ich mir die ganz andere Richtung vorstellen; zum einen, um bestehende europäische Konflikte zu vertiefen; zum anderen, um "die drohende Gefahr" etwaiger diplomatischer Lösungen zur Wiederaufnahme der Versorgung vorsorglich gleich ganz vom Tisch zu fegen. Wie war denn das zum Beispiel mit dem Irak-Krieg? Amerika und England wollten diesen Krieg unbedingt, und hatte sich Powell nicht später entschuldigt dafür, dass dieser Krieg auf Lügen aufgebaut gewesen war?
Waren die Amerikaner nicht von Anfang an gegen dieses Leitungssystem?
Und: Wem nutzt es wirklich, wenn Nordstream 1 und 2 nicht mehr betrieben werden können?
Wem nutzt es, wenn Europa instabil wirkt und wird?
Was mir zum Beispiel nicht so bewusst war, ist, dass das Land Niedersachsen auf so reichen Erdgasvorkommen sitzt, dass damit Deutschland gut ein Jahrzehnt lang versorgt werden könnte. Zeit also, um dieses Erdgas zu fördern und zu nutzen, währenddessen an der alternativen Energie gearbeitet werden kann?
Die Wege freizumachen für zum Beispiel Wasserstoff: Fördermittel freigeben, Genehmigungsverfahren vereinfachen bzw. verkürzen. Denn wenn Jahre verschenkt werden, um Geplantes überhaupt erstmal genehmigt zu bekommen, neue Systeme aber ebenso Jahre brauchen, um gebaut zu werden, dann wirds irgendwann knapp..
Wobei ich ja auch immer irgendwie schmunzeln muss: Wie sie doch alle schreien nach der erneuerbaren Energie - und wie schwierig die Umsetzung dahingehend ist, als dass die Energie aus Sonne und Wind, die sich bis dato noch nicht speichern lässt, aus dem Norden beispielsweise ja auch in den Süden geleitet werden müsste/ könnte, die Menschen jedoch die damit verbundene Trasse, ob nun ober- oder unterirdisch, aber nicht haben wollen. Und Windräder wollen sie auch keine in ihrer Nähe.
Dazu hatte ich unlängst übrigens gelesen, dass die Windkraft selbst allein durch die Errichtung von Windrädern abnimmt - und damit weniger Energie gewonnen wird als zu Beginn des Ganzen. Also ist dieser grüne Weg auf lange Sicht auch keine Perspektive?
Warum man also auf einer so unsicheren Basis die Atomkraftwerke stilllegt, erschließt sich mir da auch nicht. Ich bin nicht für Grün und hab die auch nicht gewählt, aber diesen Beschluss haben auch nicht die Grünen gefällt, sondern die Schwarzen. Die Grünen wollen nur weiter dran festhalten, aber ich frage mich, ob das in der aktuellen Situation das Richtige ist.
Diese ganze Energieproblematik kostet einen so dermaßen Haufen Asche, dass einem schwindlig davon wird - und dann befeuern wir das alles noch, indem wir überteuerte Energie aus Nachbarländern, Asien und Amerika beziehen, die im Übrigen auch bloß keine grüne ist. Für den Übergang, heißt es - aber wie lange soll dieser Übergang andauern? Könnte man diesen Übergang nicht auch "einfacher" haben, wenn man beispielsweise die Laufzeit der AKWs limitiert verlängert, bis wir selber eigene Alternativen geschaffen haben?
So viele Gedanken und Fragen, aber auch so vieles im Konjunktiv - worauf soll man sich nun vorbereiten?
Quelle: Cartoon Madness - Clemens Ottawa
Manchmal, da liegen der Mann und ich nachts Nase an Nase, halten uns an den Händen und flüstern leise über dies und jenes. Über das Heute, über das Jetzt und Hier. Manchmal atmen wir tief ein ob der schweren Gedanken, aber manchmal lachen wir einfach auch. Ist es nicht der Humor, der verhindert, dass einem der Kragen platzt? Und ist es nicht der Humor, mit dem sich alles irgendwie leichter er/tragen lässt? Jedenfalls hin und wieder?
Letzte Nacht lagen wir wieder so beieinander, und ich schwör, ich liebe diese vertrauten, stillen Momente.
Vertraut und still bis zu jenem Moment, in dem er rügte, dass ich seiner Meinung nach immer noch zu wenig trinke.
"Die drei Tassen Tee heut Abend sind nicht genug."
"Ich hatte noch zwei große Käffchen tagsüber."
"Das machts Kraut auch nicht fett."
"Es könnten auch drei gewesen sein!"
"Das! Reicht! Nicht! Bei deiner Körpermasse..."
Was er dann noch sagte, verstand ich nicht mehr; das ging unter in meinem herzhaften Gelächter, unter dem ich fast vom Laken gesprungen wäre.
"Hast du jetzt echt KörperMASSE gesagt?" kreischte ich begeistert.
"Du weißt doch, wie ich das meine! Du mein Rosenblatt."
"Hast du jetzt etwa RosenPFERD zu mir gesagt??" Ich kam aus dem Lachen echt überhaupt nicht mehr raus.
"BLATT! Ich sagte: RosenBLATT!"
"Ach soooo! Na ja MASSE und PFERD liegen ja nun auch nicht soooo weit auseinander!"
Es sind solche Momente, die mir guttun.
Und es ist die Musik, die mir guttut.
Ich weiß, dass man nicht alles ignorieren, ausblenden oder wegtanzen kann. Dass das nur für begrenzte Momente so funktioniert.
Mir ist bewusst, dass man sich auf ein anderes Leben einstimmen muss. Anders als das, was wir bisher kannten. Mir ist auch bewusst, dass der Mensch dem Überfluss so lange frönt, bis er dazu gezwungen ist, es anders zu handhaben. Dass er seinen Überfluss nicht freiwillig aufgibt.
Aber ich denke an all jene Menschen, die eben nicht im Überfluss leben. Und wie ich es erst letztens zum Chef sagte: "Du musst da gar nicht nur an die Rentner oder Hartz IV-Empfänger denken. Wir sind auch schon längst angekommen bei den mittleren Einkommen, für die das Leben immer weniger bezahlbar wird."
Ich denke da an meinen Ältesten, der - und da könnte ich tatsächlich immer noch vor Freude im Kreis tanzen - Anfang September seinen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen hat. Ihr glaubt gar nicht, wie glücklich, dankbar und erleichtert ich bin. Von meinem Begeisterungsschrei müsste der Junge eigentlich einen Hörschaden erlitten haben; wenigstens entrang es ihm ein latent genervtes "Orrrrrr Mudders!"
Gefreut hat es ihn natürlich auch, aber das Igelchen mit seiner harten Außenschale kanns halt nicht mehr so zeigen.
Aber selbst mit dem Einkommen aus dem nun unbefristeten Vollzeitjob wird er sein Leben nicht so ohne Weiteres allein finanzieren können, wenn er noch etwas mehr vom diesem Leben wünscht als zu schlafen, zu essen und zur Arbeit zu fahren. Auch deshalb hält er weiterhin fest am Nebenjob, egal was wir um ihn herum dazu sagen. Er weiß, dass er das auf lange Sicht nicht durchhalten kann, beispielsweise drei Wochen am Stück ohne auch nur einen einzigen Tag Pause durchzuarbeiten.
Aber er sagt: "Solange ich das hinkriege, werde ich das machen müssen."
In den letzten Wochen bin ich immer öfter in verschiedenster Hinsicht an diesen Punkt gekommen, wo ich mir sage: "Entspann dich. Rankommen lassen. Du kannst nicht alles ändern und hast auch nicht alles in der Hand."
Und es ist vor allem die Musik, die mir dabei hilft, das auch so zu leben.
Ganz gleich, ob sie den Raum füllt oder nur in meinem Kopf spielt.