Mein spontanes Ich dachte sofort: "Oh ja, das stimmt!"
Mein zweites Ich aber fügte alsbald hinzu: "Das denken aber vermutlich vor allem die Menschen, die gesund sind, nicht um Leib und Leben bangen und auch nicht jeden Einkauf vorab um Heller & Pfennig abwägen müssen"...
Als ich mich von meinem ersten Mann trennte, hatten wir uns ein Jahr zuvor eine neue Familienkutsche gekauft und ein kleines Sparguthaben auf dem Konto. Ich besah mir den Verdienst, den wir beide hatten, und schlug ihm vor, von dem Sparguthaben sein Fahrzeug abzubezahlen, mir 700 Euro auszuzahlen, den letzten Rest könnte er für sich nehmen. Für den Ältesten, der zunächst beim Vater bleiben wollte, zahlte ich anfangs 200 Euro im Monat. Damit, rein rechnerisch, verfügte jeder von uns beiden über ein Einkommen in gleicher Höhe, jeder hatte ein Kind, ein Fahrzeug, einen Job und ein Zuhause. Wir waren beide immer noch jung genug, noch einmal völlig neu anzufangen und so rum hatte jeder, so dachte ich damals, die gleichen Voraussetzungen und vor allem Chancen, neu zu beginnen.
Die Realität wurde aber anders als in meinen Vorstellungen.
Ich selbst brauchte für den Neuanfang nicht viel. Die Kleidung, den Kleiderschrank und das Bett vom Jüngsten hatte ich mitgenommen, von der Freundin ein altes Klappsofa geschenkt bekommen. Ich seh es heute noch vor mir, das kleine winzige Zimmer mit dem Holzfußboden, in dem nur dieses knarrende Sofa stand, meine Musikanlage auf dem Fußboden und an die Wand gelehnt das große gerahmte Bild mit einem bunten Herzen darin..
Das winzige Bad ohne Fenster und ohne Badewanne und ohne Platz für eine Waschmaschine, die ich zu diesem Zeitpunkt auch nicht besaß.
In die winzige Einbauküche mit zwei Kochplatten und ohne Backofen räumte ich das abgezählte gelbe Sonnengeschirr ein, das ich mir für drei Personen gekauft hatte, das Besteck, die Kochtöpfe. Ich hatte quasi nichts mehr und doch so unfassbar viel: Ich war frei. Vielleicht erst einmal nur äußerlich, aber.. Ich war frei.
Und dann schloss mein geschiedener Mann das einstige gemeinsame Konto mit einem Minusbetrag, den ich ausgleichen durfte, weil auch ich bereits mit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung ein eigenes Konto eingerichtet hatte und das einst gemeinsame nur geschlossen werden konnte, wenn es eben ausgeglichen war. Und er verklagte mich auf Trennungsunterhalt für sich selbst, weil er der Auffassung war, dass ihm das auch noch zustünde. Seinem Rechtsbeistand hatte er einen meiner Gehaltsbögen vorgelegt, mit dem mir aus der Ex-Firma Urlaubstage abgegolten wurden. Also ein Gehalt generiert worden war, das natürlich nur einmalig und nicht repräsentativ war. Warum sein Rechtsbeistand dennoch auf dieser Basis eine Klage auf Trennungsunterhalt anstrengte, erschloss sich mir nicht, veranlasste mich jedoch, mir selbst nun doch auch einen Rechtsbeistand zu organisieren.
Und irgendwann kommt man dann an einen Punkt, wo man wirklich nicht mehr weiß, wie man das alles bezahlen soll. Wie man sein Leben und das der Kinder finanzieren soll. Bis heute erinnere ich mich an das Gefühl vor dem Geldautomaten, der mir anzeigte, dass der Dispo ausgereizt sei und mir noch etwa vierzehn Euro zur Verfügung stünden; der gewünschte Betrag von dreißig Euro für den Wochenendeinkauf damit nicht ausgegeben werden kann.
Zu Hause zwei Kinder, die miteinander spielten und darauf warteten, dass die Mama einkaufte und das Wochenende beginnen konnte.
Bis heute erinnere ich mich wahnsinnig gut an das Empfinden, nachts hin und her zu wühlen in den Kissen, nicht in den Schlaf zu finden, nicht zu wissen, wie es weitergehen sollte.
Für einen Mietzuschuss war die Miete nicht hoch genug.
Für Aufstockung lag ich knapp, aber trotzdem über dem geforderten Limit.
Für die Medikamentenzuzahlung hatte ich nach dem körperlichen Übergriff des Ex-Mannes keine Mittel. Entweder Medikamente oder etwas zu essen für die Kinder.
In Zeiten allerhöchsten Engpasses habe ich meine Mama um Hilfe gebeten und auch bekommen. Aber ich konnte sie ja nicht ständig fragen.
Es hat viele Jahre und unendlich viel Kraft gebraucht, aus dieser Scheiße wieder herauszukommen - und ich habe es auch nur mit Hilfe anderer erreichen können. Etwas, wofür ich bis heute zutiefst dankbar bin. Und etwas, das mich bis heute immer und spontan veranlasst zu helfen, sobald ich spüre, dass jemand Hilfe benötigt. Eben weil ich weiß, wie verdammt schwierig es sein kann, ganz gleich, in welcher Lebensphase wir uns gerade befinden.
Dass ich mein Herzblut schon immer in meinen Job gesteckt habe, hat mit meiner grundlegenden Einstellung zu tun. Eine Karriere hatte ich dabei niemals im Sinn, ich hätte auch nicht mal gewusst, wohin ich mich denn überhaupt hätte entwickeln sollen.
Jedoch fleißig war ich immer, gearbeitet habe ich immer und auch immer viel - und irgendwann... hatte dies eben doch zur Folge, dass ich über die Jahre hinweg Stück für Stück etwas mehr Geld verdient habe.
Wenn ich also die obige Grafik betrachte, dann... denke ich noch immer, dass die vermutlich richtig ist. Dass all die darin aufgeführten Dinge aber nicht nur voraussetzen, dass wir in einem friedlichen, demokratischen Land leben, sondern auch, dass uns die Alltagssorgen nicht zerfressen. Und wenn die Politiker den Menschen sagen, ja, das Leben wird teurer werden und wir werden uns halt mehr einschränken müssen, dann können die, die gut verdienen und keine zu versorgenden Kinder haben, damit ganz anders umgehen als die Menschen, die mit Mindestlohn und den Kosten für die Kinder, für die Schule haushalten müssen. Auch die lesen gern. Auch die bereiten gern ihr Lieblingsessen zu. Auch die trennen sich von ihren Partnern, mit dem sie nicht mehr zusammen leben können. Trotz aller Existenzsorgen. Ob die sich aber auch alle im Luxus wähnten?
Luxus.. ist vermutlich wirklich, einen guten Nachtschlaf zu haben. Denn dieser setzt gewissermaßen voraus, dass es nicht wirklich etwas gibt, das einen um diesen Schlaf bringt. Und dann.. dann ist es wohl echter Luxus.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen