Mittwoch, 30. März 2016

"Ich habe mich umgesehen: Wir sind die geilsten hier!"

"Ich halte es für gesünder, durch ein Fenster zu schauen statt in einen Spiegel. Denn sonst siehst Du nur Dich selbst und das, was hinter Dir ist."
Bill Withers


Dieser Tage habe ich in verschiedenen Blogs oder in whatsapp Gedanken gelesen über das Älterwerden, über dick und dünn, über kranke Körper oder erkrankte Seelen.
Ich gebe zu, ich bin zuweilen ein Ego-Helikopter. Jemand, der ab und zu dermaßen um sich selber kreist, dass er froh ist, wenn er anhalten und aussteigen kann. Entweder aus eigener Kraft oder weil mich jemand rauszieht. Zwar eher nur, wenn es Kummer & Sorgen gibt - aber ich würde lügen, wenn ich nicht ab und zu auch in den Spiegel schaue und denke: "Scheiße. Letztes Jahr war das noch nicht so!"
Wer hat schon nicht dann und wann darüber nachgedacht, was das Altern mit einem macht? Mal abgesehen von den Silberfäden im Haar, den Linien, die sich zu den Lachfalten dazugesellen - und nachlassendem Bindegewebe.
Das ist sicherlich auch nicht zum ersten Mal ein Thema in meinem Blog - trotzdem komm ich dann und wann dahin zurück. Weil ich manchmal immer noch staune und mich wundere, wie viel Gewicht dem Äußeren beigemessen wird. Also dem Äußeren im Sinne von: Ich bin zwar schon 58, aber ich muss jetzt unbedingt noch wie 30 aussehen - maximal!
Seit ich hier in M wohne, begegnen mir verhältnismäßig oft Frauen und Männer (!), denen die Angst vor dem Altern unübersehbar aus dem Gesicht geschnitten, gespritzt wurde - und die noch eine ordentliche Packung Sonnenstudio obendrauf packen. Die darauf bestehen, dass sie maximal Größe 38 benötigen. Eher eine 36. Ich muss immer in mich reinschmunzeln, wenn sie ein Teil hochhalten und der Verkäuferin zurufen: "Wie, in 36 haben Sie das nicht mehr? Ja dann.... Nein, keine 38, wie sieht das aus, wenn das an mir rumschlappert."
Dann muss ich immer an den Witz über die Oma denken, die aus der Umkleide kommt, wo sie einen Bikini probierte: "Die Hose passt super!" - "Ja und das Oberteil?" - "Ach, das brauch ich nicht, hab alles in die Hose bekommen."

Erst heute habe ich meine Gedanken zum Thema in einen Blog geschrieben:

Ich kenne zumindest keine Frau, die nicht mal darüber nachdenkt und gewisse Zahlen große PipiKaka findet.
Als ich 16 wurde, fühlte ich mich richtig geil.
Als ich 18 wurde, fühlte ich mich uralt.
Als ich 30 wurde, dachte ich: Mal sehen, was kommt!
Als ich 33 wurde, fühlte ich: Das ist die beste Zeit meines Lebens – weil, nach der Ehe und endlich mal ganz für mich alleine, wenn man mal vom Irrsinn dieser Trennungszeit absieht.
Als ich 40 wurde, dachte ich: Nu ja – und hatte das Bild einer 42jährigen vor Augen, die nach 19 Jahren zum zweiten Mal schwanger war und nicht nur ganz toll aussah, sondern einfach vermittelte: Auch mit 40 is noch nix zuende :)
Als ich 43 wurde, dachte ich: Hmmm.
In ein paar Wochen werde ich nun 47 und denke: Ja dat is schon man büschen scheiße irgendwie.
Aber weißt Du was? Ich hab mir nie wirklich den Kopf darüber zerbrochen oder mit Zahlen gehadert, die ich eh nicht ändern kann. Ich habe einfach drauflos gelebt, in jedem Lebensjahr.
Und nur darauf kommts an. Völlig wurscht, was im Pass steht.
Und die junggebliebenen Ommas sind sowieso die coolsten!
Als ich heute noch nackt in den Spiegel schaute, dachte ich nicht "Huch, das Kleid muss aber noch gebügelt werden" - nein, ich dachte: "Waaah, es ist sooo geiles Wetter - was ziehe ich an? Kleid oder Jeans? Ballerinas oder Chucks? Haare auf oder Knoten oder nur bisschen zusammenstecken?" Weil es mich einfach vor die Tür zog. Ich wollte raus, ich musste raus. Sah mich schon im Straßencafe sitzen, die Beine entspannt von mir gestreckt, in den Ohren die Musik, vor mir einen leckeren Milchkaffee und übers Handy Blogs lesen.

Man sagt, man wird mit dem Alter immer entspannter - und vielleicht ist das auch so?
Ich zerbreche mir nicht den Kopf über (nicht elementare) Dinge, die ich nicht ändern kann - aber das habe ich sowieso noch nie.
Ich habe keine Vorbilder und keine Idole, aber die hatte ich auch nie.
Mir ist sowas von egal, wie man mit 20, mit 30, 50 oder 80 zu sein hat; schon meine Mum hat immer gesagt: "Solange die Leute über dich reden, bist du interessant für sie."

Auch glaube ich, dass es völlig egal ist, was man tut oder wie man lebt; entscheidend finde ich nur, dass man das, was man tut und lebt, mit Herzblut macht. Dass man es gern tut.
Wer bügelt schon gern oder putzt gern das Klo? Gemacht werden muss es trotzdem - und dann dreh ich die Mucke auf und lasse mich von den stimmungsgerechten Songs berieseln. Manchmal so arg, dass meine Haut vibriert - und dann tanze ich, dann springe ich durch die Wohnung - und genieße ein so geiles Lebensgefühl.
Das ist es auch, was ich am Home Office so liebe: Ich stehe um halb acht auf und bin trotzdem Punkt acht Uhr am Arbeitsplatz. Kann in Pausen, wenn Chefs im Meeting sind, die Musik aufdrehen, die Tür zur Terrasse öffnen, Licht und Luft hineinlassen oder auch mal auf eine Kaffeepause mit nackten Beinen auf den Holzdielen der Terrasse sitzen und einfach mal... an gar nichts denken.
Oder daran denken, wie schön es ist, jetzt gerade hier zu sitzen, die Kaffeetasse zwischen den Händen und den angewinkelten Beinen.
Daran denken, wie schön es ist, dass jetzt der Frühling angekommen ist.
Daran denken, wie sehr ich den Moment genieße.
Daran denken, wie gut es mir tut, mich gerade ein wenig entschleunigt zu haben.
Und was für ein Glücksgefühl es ist, wenn der Mann nach Hause kommt und mich anlächelt.

Was interessiert mich meine Kleidergröße, die vor 10 Jahren noch eine andere war als jetzt?
Was interessiert mich die Zahl in meinem Pass?
Ich lebe und ich genieße, so gut ich das kann, so gut man mich lässt. Ich bin fast angekommen da, wo ich hin wollte - und nur das ganz allein zählt für mich. Für das, was noch fehlt, kommt auch noch die Zeit, davon bin ich überzeugt. Aber auch bis dahin will ich gelebt, genossen und ausgekostet haben.

Es gibt Menschen, die schaue ich an und bewundere sie für ihre unfassbare Ruhe, die in ihnen liegt. Die sich mit allem Zeit lassen, weil sie einfach daran glauben, dass sie diese Zeit auch haben. Die an sich glauben und an das, was sie tun. Die lieben und genießen, was sie tun - und nicht ihre Zeit damit vertun, Dinge zu beklagen, die sie sowieso nicht ändern können; die aber ihre Energie dafür einsetzen, alles ein wenig schöner machen zu wollen.
Das sind sie für mich, diese wunderschönen Menschen. Egal wie alt sie auch sein mögen, wie faltig sie sind oder ob ihre Brüste in der Bikinihose stecken.





10 Kommentare:

A. hat gesagt…

Die Überschrift! ;D So isses, würd ich gern sagen, aber mir ist heut nicht danach.

Schöne Gedanken und in einigen finde ich mich (mal wieder) wieder. Habe gestern in den Spiegel geschaut und festgestellt, dass das eigentlich eine spannende Sache ist. Da hast du ein Gesicht, an das du dich im Lauf der Zeit gewöhnt hast und dann bekommst du plötzlich ein neues und kannst es nicht mal umtauschen, wenn du damit nicht zufrieden bist (Man merkt, dass ich Onlineshopperin bin, oder?) und nen anderen Körper gibt's auch noch dazu. DAS ist jetzt wohl der optimale Zeitpunkt, um endlich nicht mehr gegen alles anzukämpfen. Den Kampf um das jüngere Ich verlierst du eh und je länger du dich darin verstrickst, desto lächerlicher wird es. Ich habe jahrelang jünger ausgesehen und manchmal höre ich immer noch "oh, ich hätte dich für jünger gehalten" (das gilt nur, wen die Klamotten an sind *g*), aber irgendwie ist mir das wurscht. Ich möchte nicht jünger aussehen. Sondern so, als ob ich mit mir im Reinen bin und endlich angekommen bin. Dieses Strahlen und diese Ausstrahlung nimmt dir keiner - auch nicht mit 90. Der Rest ist Pillepalle. ;)

Hans hat gesagt…

16. Februar 2016 - leichtes Übergewicht
17. Februar 2017 - Idealgewicht
Ich liebe Geburtstage!

Frau Vau hat gesagt…

Hans, wenn du dich mit der Blume zusammen wiegst und dann durch zwei teilst gildet das nicht..... *g*

Frau Vau hat gesagt…

Helm, ich stimme dir zu 100% zu. Und je oller ich werde umso mehr bin ich, genau wie du, bei mir angekommen.

Goldi hat gesagt…

Ich hab Dich gelesen, mag Dich für den Text umarmen, mehr ist im Moment nicht drin :-*

lautleise hat gesagt…

Jetzt musste ich so lange pausieren, und dann gleich ein so tiefgehender Text!
Vielen Dank, ich hatte jetzt vier Wochen Zeit, meine Dinge von einer ganz anderen Seite zu beleuchten. Ich dachte, ich gehe mal eben zum Arzt und komme dort als schwerkranker Mann wieder raus.
Aber ich bin über den Berg und gebügelt wird heute Abend vor dem Spiegel garantiert nicht mehr.
Ach, Helma, manchmal sind einem andere Menschen so nah wie die nächte Seidenhose.
http://schoeneaus.blogspot.de/

Ganz liebe Grüße - Wolf.

~ Clara P. ~ hat gesagt…

So langsam aber sicher komme ich da auch immer mehr hin. Und ich bin echt dankbar dafür, weil dieses ganze ständige Genörgle am eigenen Aussehen soviel Lebenszeit und soviele kostbare Momente, in denen man sich einfach freuen könnte, auffrisst.

Lieben Gruss
Clara

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Genau Anna - was soll ich sagen: So isses! Auch bei mir :)

Hans: Idealgewicht? Ich mag meinen Kaffee mit viel Milch und ohne Zucker - ich finde, das muss reichen.

Frau Vau - ich muss lachen :) Stelle mir grad Hans mit seiner Blume auf der Waage vor...

Liebe Goldi, Dich mag ich einfach nur umarmen. Ganz still, aber herzlich an mich drücken :(

Wolf - Dir hab ich "drüben" geschrieben. Und auch hier noch mal: Von Herzen wünsch ich Dir alles Gute und dass es Dir bald wieder gut geht!!







lautleise hat gesagt…

Aaaaaahhhhh, tut das gut!
Clara - ja, ich verbringe jetzt mehr Zeit mit Nachdenken und Genießen sowieso.
In der REHA werde ich mir den David Foster Wallace gönnen, genau für eine solche Zeit habe ich mir den aufgehoben ...
Und weil ich so abgenommen habe: Keine Skrupel mit einer Tafel Milka am Abend ...
Liebe Grüße - Wolf.

Bohli hat gesagt…

Perfekter Ansatz Helma - Sonne - Kaffee und ein wenig Musik auf den Ohren. Für mich immer wieder ein Weg meinen Akku aufzuladen.