Der Liebste hat mir eine Frau vorgestellt. Sie war jung. Sie hatte langes blondes Haar.
Er hielt sie an der Hand, schwirrte um sie herum in dieser ganz eigenen Art und Weise, von der jede Frau weiß, was dies bedeutet.
"Es war nichts zwischen uns", versprach er. Verspricht er wiederholt.
Bis ich herausfinde, dass dem nicht so war. Dass die beiden sehr viel mehr miteinander hatten - seit einigen Jahren schon. Neben mir. Unerkannt und unentdeckt.
Ich empfinde ein Mischung aus... Verletztheit, Wut, vielleicht auch Hass, aber keine Verzweiflung.
Ich weiß ganz genau, wie mein Weg jetzt weiterführt.
Überall liegen Sachen von mir, von den Söhnen.
Geöffnete Taschen, geöffnete Koffer, ich stopfe alles hinein, nicht ziellos, nicht planlos, denn ich habe einen Weg, der mich weiterführt.
Es ist die Stimme meines Ex-Mannes in meinem Kopf, die da sagt: "Jetzt weißt du, wie das ist."
Aber ich weiß das doch schon längst. Ich wusste auch vorher schon, wie es sich anfühlt, betrogen zu werden.
"Es ist doch alles gar nicht so schlimm", will der Liebste beschwichtigen.
Ich schlage seine Hand weg, die nach mir greifen will: "FASS! MICH! NICHT! AN!"
Dann erwache ich.
Starre schockiert in das Gesicht des Mannes neben mir, der mich anschaut, fragend, weil er auf die Antwort wartet: "Möchtest du mit mir frühstücken?"
Es ist die vierte Nacht in Folge, in der ich von ihm träume. Wild durcheinander. Betrügen. Verunglücken. Anderes, das ich vergessen habe.
Die wunderbare Emma Thompson in ihrer Rolle der Ehefrau, die in der Vorweihnachtszeit eine goldene Kette in den Sachen ihres Mannes findet. Eine goldene Kette mit einem Herzanhänger, die er aber nicht ihr schenkt...
(und hier noch mal der Song in voller Länge... Ich liebe, liebe, liebe diesen Song - seit Februar 2005...)
Wie ich jetzt auf diesen Posttitel gekommen bin, weiß ich doch nicht. Haschen hat ja irgendwie was mit Fangen zu tun, Fangen mit Finden, Finden mit Suchen. Suchen mit Suchbegriffen. Zum Blog beispielsweise. Muss lachen: So ne bekloppte Denkkette kann auch nur ich anstellen.
Egal.
Ich könnte Euch ja jetzt erzählen, dass ich morgen früh wieder in die Chirurgie muss. Dass ich nur meine Röntgenbilder, Instruktionen und einen Termin abholen soll. Höchstwahrscheinlich nächste Woche Freitag, wenn alles klappt. Dass mir jetzt der Arsch auf Grundeis geht (Es sollte ja schnell gehen, aber jetzt geht es schnell - sogar mein Herzschlag, womit ich wiederum echt Kacke finde, dass damit der Alterungsprozess angekurbelt wird. Da hilft dann auch kein Mizellenwasser mehr! Ich vermute, die Haut hängt dann nicht in 15, sondern in 7,5 Jahren? Das wird man doch wohl noch Kacke finden dürfen!) und der Liebste mir ein Bildchen schickte, wo der Fisch hilflos an der Angel hängt "Da hängste jetzt." (Sagte ich schon, dass er anfallsweise unter völliger Empathiefreiheit leidet? Passiert immer, wenn er seine Pillen nicht genommen hat!)
Wie gesagt, ich könnte Euch davon erzählen.
Aber wird ja wiederum auch langweilig, immer nur das eine Thema.
Stattdessen könnte ich ja darüber berichten, mit welchen Suchbegriffen zu meinem Blog gefunden wurde.
ziggenheimer
Ganze drei mal wurde dieser Begriff heute eingegeben. Schön, schön! Schön, dass Ihr Euch meinen Namen merken könnt! Ich bete ja drum, dass die die Narkose nicht versauen und ich hinterher immer noch weiß, wer ich bin und dass ich hier diesen Blog führe. Ob ich vielleicht vorher noch schnell die Zugangsdaten an Herrn Blau....
bald ist weihnachten
Ja. Leise rieselt auch schon der erste Schnee, verdammte Axt. Ich fand den beginnenden November mit seinen durchschnittlichen Temperaturen von 10 Grad irgendwie toller. War halt mal was anderes.
Herr Blau fragte mich gestern, ob ich schon was für ihn zu Weihnachten hätte, und ehrlich, wie ich bin, schüttelte ich energisch den Kopf und erklärte inbrünstig: "Hallo? Wir haben grad mal November! Ich hab noch nicht mal eine Idee!"
"Ach weißt du, eigentlich müssen wir uns auch nichts schenken, ääährlich!"
"Pfffff. MÜSSEN sowieso nicht! Hier MUSS gar nix! Ich finde es aber schön, den anderen mit was Schönem zu überraschen. Muss doch nix Dolles sein." Und wenn mir auf die letzten Meter doch nix mehr einfallen will (schließlich steht mir gerade Größeres bevor, da wird man doch wohl mal Prioritäten setzen dürfen - Angstpflege zum Beispiel!), dann binde ich mir eben einfach eine Schleife um und schenke mich. "Von Rückgabe und Umtausch ausgeschlossen, Aufreißen der Verpackung verpflichtet zum Ehelichen." muhahahhaaarghh! Ich vermute, ich sitze dann nächstes Jahr noch mit der blöden Schleife da. Und übernächstes. Und wenn ich dann noch nicht gestorben bin, sitze ich auch morgen noch kraftvoll mit dieser dämlichen Schleife da.
elefantöse brüste
Ich habe echt keinen blassen Schimmer, wieso DAS zu meinem Blog führt. Immerhin habe ich mich hier nie darüber ausgelassen, wie das bei mir denn eigentlich aussieht. Übrigens habe ich gestern, auf dem Weg zur Zahnfee, festgestellt, dass ich schätzungsweise 20 Minuten zu früh war - und bin in der am Weg liegenden Boutique eingekehrt. Wo ich ein wirklich herziges Teilchen entdeckte. Leider nur noch in der Größe S, aber die fiel echt groß aus! Nein, riesig fiel die aus! Habe ich also trotzdem anprobiert und war hoffnungslos begeistert, dass die mir sogar passte. Nur eben... Es gab da ein kleines Problem. Genau genommen gab es zwei kleine Probleme. Krümelkackergenau genommen gab es da zwei größere Probleme. Elefantöse Probleme! Und die Bluse leider nicht mal eine Nummer größer.
guter sex ist wenn selbst die nachbarn eine rauchen
Ich gebe dies mal kommentarlos an den Mann weiter. Manchmal müssen schließlich Blicke reichen!
kameradenbetrüger
Ach Gott, alter Hut. Unser Geschirrschrank ist voll davon. Aber solange wir nur wahlweise Kaffee oder Tee draus trinken.... Obwohl... In Anbetracht des mir Bevorstehenden könnte ich ja auf Kaffee Französisch umsteigen (So heißt doch der Kaffee mit Brandy, oder? Ach, am Ende völlig wurscht, wie der heißt, Hauptsache, er wirkt!).
sprüche ratiopharm
Gibts Propofol eigentlich auch von Ratiopharm, Goldi? Und ohne Rezept? So für den Hausgebrauch?
Mehr Suchbegriffe gabs heute nicht.
Ziemlich langweilig, finde ich. Meine Bloginhalte werde ich trotzdem nicht überdenken.
Vor kurzem las ich übrigens in einem anderen Blog die Thematik, wie authentisch man als Blogger ist, nicht ist, sein soll oder nicht sein soll.
Also eins kann ich Euch versichern: An mir ist alles echt - leider! Außer mein Name hier, aber das hatten wir ja schon. Und freilich ist auch eins klar: Was ich hier schreibe, ist echt. Wie ich mich hier gebe, ist auch echt (ich kann nicht anders sein als ich selbst bin, mich verstellen ist mir zu anstrengend) - aber es wäre doch schlimm, wenn das hier die einzige Seite wäre, die ich hätte. Natürlich ist das hier also nur eine Facette. Immerhin bin ich Sternzeichen Zwilling, von denen sagt man ohnehin, sie hätten zwei Gesichter. Pah. Zwei! Zwei? Wie lächerlich!
Ein bisschen musste ich ja doch lachen: Irgendwie dachte mein "Umfeld", dass die Nadel schon gestern ans Tageslicht befördert worden war. Aber ach - so schnell schießen die Preußen nicht - und die Leute hier erst recht nicht! Gestern war lediglich der Tag der Begutachtung beim Chirurgen in seiner Praxis für ambulantes Operieren - und meine Chance, ihn um etwas Schlaf während der OP anzuflehen. Ich hatte mich übrigens doch wieder für die Uggs entschieden: Die Praxis liegt ca. 10 Laufminuten von der U-Bahn entfernt - da konnte ich nur flache, weiche Schuhe anziehen und für Turnschuhe isses mir momentan zu kalt. Da ich nun nur noch schwarze Socken besitze, dachte ich: Trick 17, Elsa! und zog mir unter die schwarzen Socken ein paar Feinstrumpfsöckchen. Beim Ausziehen allerdings musste ich feststellen: Schwarze Socken sind... hartnäckig.
Nu ja. Die Leute dort waren echt nett, angefangen von der Rezeption bis hin zum Doc. Alles sehr entspannt und beinah gemütlich.
Das Röntgenzimmer allerdings... entlockte mir nicht wirklich Vertrauen... Alles ziemlich alt und abgewetzt - und die einst weißen Wände würden auch einen Frischanstrich längst vertragen haben. Hinzu die Tür zur Dunkelkammer, in der die Bildchen entwickelt wurden: Die ging einfach nicht zu. Nur mit... äh.. Nachdruck. Vergilbte Tür mit abblätterndem Lack... Nu ja. Die Röntgenmaus jedenfalls pappte alsdann die Fotos an die Lichtwand, verschwand, um den Doc zu holen, während ich fix die Kamera zückte und so von hinten versteckt ein Foto schoss. Da kam ich mir fast vor wie Karla Kolumna - immer live aus dem Orbit! Wie man sieht, ist es dennoch recht gut gelungen. Im Original kann man von der Nadel sogar das Nadelöhr sehen - aber da war ja gor keen Faden mehr dran! *kreisch*
"Na? Und was sagen Sie?" fragte mich der Doc.
"Ich habe krumme Füße", sinnierte ich. "Die sehen ja aus wie Krallen." Typisch Frau halt. Das Wesentliche bleibt erst mal unsichtbar, Hauptsache, man sieht gut aus. Oder so. Er befühlte meinen Fuß, auch die einstige Eintrittsstelle. "Nee, fühlen kann man nichts. Das geht ziemlich tief. Und es wird nicht einfach, die Nadel zu finden." Er schaute mich an. Ich schaute ihn an. "Da kann man ziemlich viel kaputtmachen", sagte er dann, "wenn man da wild drin herumsucht. Da sind zu viele Nerven und so, da kann man nur mit Bildgebung arbeiten während der OP. Damit man sieht, wo man ist und nicht zuviel anderes verletzt." Mir fielen die Worte des Chirurgen von 2008 wieder ein, der mir damals schon die Narkose versprach: "Natürlich sollen Sie dabei schlafen. Sie wollen ja sicherlich nicht mit anhören, wie ich fluche, weil ich die Nadel nicht finde."
"Eine Bitte hätte ich", versuchte ich es also mit - hoffentlich gekonntem, weil nicht geübten - Augenaufschlag, "ich bin vielleicht nicht der allergrößte Angsthase, aber das hier möchte ich mir nicht live antun. Ich würde gerne..." - "Natürlich nicht", unterbrach er mich freundlich, "natürlich werden Sie dabei schlafen. Das geht hier auch gar nicht anders."
Du blöder, blöder, dusseliger Hausarzt! Ich hätte vielleicht mal ein ganz entspanntes Wochenende gehabt haben können!
Und nun hätte ich ja hier wirklich gerne vor Erleichterung getanzt!
"Aber hier mache ich das nicht, das lehne ich ab, das Risiko ist mir zu hoch. Ich spreche mal mit der xy-Klinik am Mittwoch, kläre das dort und dann rufen ich Sie an. Das muss in der Klinik gemacht werden." Als ich die Praxis nur 30 Minuten nach Eintritt wieder verließ, schien immer noch helle Sonne an diesem klirrend kalten Tag. Aber mir war nach Hawaihemd, Pina Colada und Musik.
Und während der Mann diesen für mich so wichtigen Termin vergessen hatte ("Wieso? Wo bist du denn schon wieder?") erreichten mich whatsapp-Nachfragen aus Ganzwoandersher, von wo ich sie nun gar nicht erwartet hatte. Umso doller habe ich mich darüber gefreut!!
Und mir (und dem Mann, auch wenn ers wieder nicht verdient hatte) einen Erleichterungskrapfen gekauft, diesmal mit herrlicher Vanille gefüllt. Sehr, sehr lecker.
"Und? Wie gehts dir heute?" wurde ich heute Morgen bei Dienstantritt gefragt.
"Ähm... Gut eigentlich."
"Wieso eigentlich?"
"Na ja... Ich wollte unbedingt eine Narkose. Dass ich schlafen kann und von dem ganzen Procedere nix mitkriege. Inklusive Schneiden, Fluchen, Rummehren und so."
"Aber du kriegst doch jetzt eine."
"Ja. Aber jetzt habe ich Angst, dass ich nicht wieder aufwache."
Mir ist nicht mehr zu helfen, ich seh's selber ein.
P.S. Was das für drei helle Punkte am Fußknochen sind, weiß ich nicht. Ich dachte ja erst, das wären die Fettfinger von der Röntgenmaus? Goldi, Du bist gefragt :) Das ist nämlich genau die Stelle, die mir eigentlich weh tut. (Die Nadel kommt aber trotzdem raus. Der Papa hat gesagt, dass die Mama sie endlich mal zurückhaben will! :D)
Am Wochenende mochte ich noch nicht darüber schreiben. Stattdessen habe ich nach ewig langer Zeit das Malzeug ausgepackt und festgestellt: Ich muss und ich möchte wieder öfter malen. Es hat gut getan, die Gedanken zu beruhigen. (Und ich möchte das Malzeug nicht anschließend immer wieder wegräumen müssen. Irgendwie... behindert mich das in meiner Kreativität. Doch, wirklich.)
Am Samstag sind wir in die Innenstadt gefahren. Mit der U-Bahn, wie immer.
Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Umso eher dann, wenn ich oder wir zu Zeiten fahren, an denen die U-Bahnen nicht gar so voll sind. Diese Menge von Menschen, die aneinanderdrängen, aneinander vorbeidrängen und man so eng steht, dass man wahlweise die Nasen- oder Ohrenhaare des anderen begutachten kann, gerne auch begleitet von allen möglichen Gerüchen - das ist nicht meins. Aber die U-Bahn genießt ihren unschlagbaren Vorteil, innerhalb weniger Minuten an einem ganz anderen Punkt in der großen Stadt zu sein.
Die Angst vor einem Anschlag, einem Attentat, vor dem gewaltsamen Ende des Lebens - ich hatte sie verdrängt. Erfolgreich verdrängt. Bis wir ausstiegen. Bis wir all die schwarz gekleideten jungen Männer sahen, teilweise vermummt, teilweise mit Tüchern vor dem Gesicht. Bis wir Schreie hörten, Schreie von Männern, so laut und durcheinander, dass kein Wort zu verstehen ist. Mir hat das Herz bis zum Hals geklopft. Richtung Rolltreppe, hochfahren, raus wollen. Die Rolltreppe endlos lang, ausgerechnet jetzt und hier. Warum sind wir nicht woanders ausgestiegen? "Rennt! Rennt!! RENNT!!!" höre ich Männer schreien - und während mir das Herz derart klopft, als wolle es aus der Brust springen, werden gleichzeitig die Knie butterweich, verkrampfen sich meine Finger in die Jacke des Liebsten, flüstere ich flehend seinen Namen. "Bleib ganz ruhig", sagt dieser - und er tut nicht nur so ruhig, er steht tatsächlich ruhig. Wie der Fels in meiner Brandung. Der Krach tobt in meinen Ohren, ob gleich Schüsse fallen werden? Etwas explodiert? Die Schwarzgekleideten kommen gerannt, zur Rolltreppe, sie rennen die Rolltreppe hoch, an uns vorbei, oder fahren mit uns hoch. Ich versuche die Gesichter zu sehen, ihre Mimik zu erkennen: Was wollen sie? "Ist garantiert wieder irgendwo Fußball", sagt der Mann. "Du musst da ganz ruhig bleiben. Panik hilft dir nicht."
"Panik? Ich habe Angst! Ich will hier weg! Hast du denn keine Angst?"
"Nein. Ich analysiere erst, was das sein könnte."
Aha.
Analysieren.
Toll.
Wenn mir alles um die Ohren fliegt, ist keine Zeit mehr dazu, sich in Sicherheit zu bringen. Aber wenigstens habe ich analysiert und erkannt, dass es das jetzt war!
Die Schwarzgekleideten laufen an uns vorbei, im Schnitt sind sie alle nicht älter als meine Söhne.
"Lauft weiter, wir teilen uns auf, wir treffen uns dann da und dort", rufen sie einander zu. Und einer unmittelbar neben mir sagt zum anderen: "SO macht Fußball doch Spaß!" Es ist der Moment, wo ich kurz davor bin, mich zu vergessen. SO macht Fußball SPASS?
Noch eine Stunde danach zittern mir die Hände, sind die Beine immer noch wie Butter. Aber ich weiß, der Mann hat recht: Panik ist das letzte, was man in so einem Moment gebrauchen kann.
Später, auf dem Rückweg nach Hause, lesen wir es am U-Bahn-Ticker: "Aufgrund eines Fußballspiels kommt es zu Verzögerungen auf den Linien...."
"Keiner von ihnen trug einen Schal oder irgendwas, woran man sie erkennt, die Fans", sagte ich.
"Das waren auch keine Fans", antwortete der Mann, "das waren nur die, die sich prügeln wollen."
Junge Männer wie meine Söhne. Keiner meiner Söhne käme auch nur im Ansatz auf die Idee, zu Fußballspielen zu fahren, um sich dort zu prügeln. Was geht bei solchen Menschen schief? Wann und warum? In der Kindheit? Im Elternhaus? Mit den falschen Freunden? Prügeln als Ausdruck von was? Von was in diesen Zeiten?
Heute Nachmittag werde ich wieder U-Bahn fahren, wenn ich zum Chirurgen muss.
Am Samstag war ich wirklich froh, nicht allein gewesen zu sein in jenem Moment. Heute bin ich allein. Angst habe ich inzwischen wieder verdrängt - das Malen hat mir geholfen. Aber ein mulmiges Gefühl... bleibt.
Heute nun ist Tag 1 von etwas, wo es mir jetzt doch nachhaltig im Bauch grummelt.
Heute Morgen nahm ich nun im dritten Anlauf den Termin beim Hausarzt wahr und gestand ihm, dass sich seit nunmehr 35 Jahren die Nähnadel meiner Mum in meinem linken Fuß befindet. Erst nickte er, dann stutzte er.
"Wie jetzt... Wie lange?"
"Seit ungefähr 35 Jahren."
"Und wieso ist da bis heute nichts gemacht worden?"
"Weil ich Schiss hatte und demzufolge niemandem was davon sagte!" bekannte ich freimütig.
Ich zeigte ihm (stolz) meine neuen Ugg-Boots (also formschön ist ja was anderes und sexy sowieso, aber ey, die sind voll bequem und vor allem warm) und sagte: "Sehnse! Ich kann nur noch sowas tragen: Flach und weich!"
"Ziehnse doch mal aus, ich guck mir das mal an."
"Fünfunddreißig Jahre", erinnerte ich ihn, "da sehnse gar nix."
Doch, wir sahen was - leider: Millionen schwarze Fusseln von der blöden Socke zwischen den Zehen und unter der Fußsohle! Ei - wie peinlich!!!! Das sah sooo ungepflegt aus - und dabei hatte ich sorgsam geduscht, sorgsam frische Wäsche ausgewählt - und nun sah ich aus wie Frieda Strunz.
"Merken Sie das nur beim Abrollen oder auch in Ruhe?"
"Auch in Ruhe, leider, sonst hätte ich es ja noch weitere 35 Jahre ausgehalten."
"Na dann wirds jetzt aber höchste Zeit."
Flugs war die Überweisung ausgestellt, doch die für mich wichtigste Frage an dieser Stelle musste ich noch loswerden: "Bekomme ich wenigstens eine Narkose?" Er schaute mich an, als hätte ich nicht alle Krapfen in der Röhre. "Das steht doch in gar keinem Verhältnis", kopfschüttelte er, "überlegen Sie mal, Klinikaufenthalt, Narkosemittel, Beatmungsgerät und so!"
"Nein nein", beruhigte ich ihn (und mich), "doch nicht so! Nur ein kleines Narkös-chen, so eine, die ich beim Magenspiegeln immer krieg."
"Ach Sie wollen in den Dämmerschlaf."
Er grinste - und ich lächelte hoffnungsvoll.
"Leider nein."
Mein Lächeln starb. "Nein?"
"Das merken Sie doch alles gar nicht. Ein Pieks und das ganze Bein ist stillgelegt."
"Ja sehnse, genau der Pieks ist mein Problem. BIS das Bein schläft! In den Arm, in den Bauch - kein Thema. Aber zwischen Finger oder Zehen, da ist doch nix, kein Polster, nur Haut und Knochen! Das tut doch weh!"
Er hat gelacht und ich setzte erneut nach: "Hat der Patient denn da absolut kein Mitspracherecht?"
"Ich denke nicht. Aber Sie können gerne mit dem Chirurgen reden. Ist ein ganz Netter!"
Ja, grummelte ich im Stillen, ganz anders als du!
"Bekomm ich dann wenigstens was zur Beruhigung? Aber nicht nur ein bisschen. Ganz viel! Dreifachdosis! Die für den Elefanten!"
Er grinste wieder. Schadenfreude, wa?
Auf dem Heimweg habe ich mir jedenfalls einen Verzweiflungskrapfen gekauft: mit ganz viel Schokolade außen und innen. Schokolade macht doch fröhlich! Beruhigt die Nerven!
Eigentlich habe ich den anderen für den Liebsten mitgekauft. Eigentlich! Denn als allererstes fragte der mich lediglich, ob mein Fuß denn jetzt noch dran sei. Seelisch-moralischer Beistand sieht vielleicht mal anders aus! Verdient hat er den Krapfen also nicht. Und momentan tut die Schokolade ihr Werk - oder ist das dieser Galgenhumor, den ich gerne an den Tag lege, wenn es mir an den Kragen geht?
"Hier ist die Stimme der Verzweiflung", sagte ich jedenfalls, als das Telefon klingelte und Chef wissen wollte, ob wir denn jetzt endlich mal mit der Arbeit beginnen könnten.
"Montag muss ich zum Chirurgen", informierte ich ihn. "Und am Mittwoch zum Zahnarzt: Ich habe ein Gummibärchen gegessen und jetzt fehlt mir irgendwie ein Viertelzahn."
"Und warum verbindest du nicht gleich beide Termine am Montag? Da bin ich eh unterwegs."
"Weil ich zwei solche Termine an einem Tag nicht verkrafte", ächzte ich.
Ich glaube, ich esse doch noch den zweiten Krapfen.
Da soll alles erlaubt sein, sagt man. Ich finde diese Aussage als eine der am wenigsten zutreffendsten, die es gibt. Als eine der geschmacklosesten und widerlichsten, wenn man mal genauer darüber nachdenkt, was man da eigentlich sagt.
Als ich gestern über die neue Brille schrieb und in diesem Zusammenhang über den sinnbildlichen Durchblick über Hintergründe und Wahrheiten über Ereignisse, da vermochte ich noch gar nicht in Worte zu fassen, was dann Ken (der leider - wie ich finde - viel zu selten schreibt) "für mich" übernahm.
Treffender kann man es wirklich nicht mehr bezeichnen. Schon als es im Januar überall hieß "Wir sind Charlie", Profilfotos in FB, whatsapp & Co. geändert wurden, hat es mir irgendwie... die Augenbrauen hochgezogen. Und wiederhole an dieser Stelle die Frage, die Ken so treffend gestellt hat: "Warum sind wir nicht Syrien? Warum sind wir nicht Palästina, Lybien, Ukraine, Irak, Turkmenistan oder Afghanistan? Ist es zweitrangig, dass dort jeden Tag Kinder, Frauen und Männer sterben? Sind das Menschen zweiter Klasse?"
Ja, es hat mich entsetzt und schockiert, was Freitagnacht in Paris passiert ist. Aber eins verstehe ich eben nicht: Was macht das Leben der Pariser anders als das Leben in all den anderen Staaten, in denen einfach keine Ruhe einkehrt?
Die National-Elf war in Paris. Übernachtete im Stadion und ließ am Morgen ihre persönlichen Sachen aus dem Hotel holen. Sie ließen sie holen. Sie holten sie nicht selbst. Aus Angst vor einem weiteren Anschlag? Ist ihr Leben mehr wert als das derjenigen, die sie vorschickten? Nur weil für die Elfer Millionen bezahlt wurden, die man ja nicht in den Sand gesetzt haben will? Geht es noch menschenverachtender?
Ist ein Anschlag in Frankreich näher als der in Syrien? Als in Afghanistan? Weil es hier neben uns stattfindet - und wir uns spätestens jetzt beginnen zu fragen: "Und wann kommt es zu uns?" Weil Krieg, Not und Elend immer noch weit genug weg waren? Und jetzt erneut und mit Nachdruck die Urängste befeuert werden, die um die Kinder, Familie, um die Menschen, die wir lieben? Um uns selbst?
Denn ehrlich: Ich lebe in einer Stadt, in der nicht abwegig wäre, wenn wie vor Jahren in Madrid Sprengsätze in der U-Bahn explodieren. Oder der Weihnachtsmarkt... Tausende von Menschen im Stadtinneren - vielleicht auch ein Ziel? Ängste zulassen, sich aber nicht beherrschen lassen...
Manchmal sagt sich das so leicht. Angesichts der Ereignisse, von denen wir tagtäglich hören und lesen. Wenn der Mann und ich Bundeswehr- und Polizeihubschrauber beobachten, wie sie unweit vor uns am Himmel kreisen, am Tag und auch in der Nacht. "Sie suchen wieder jemanden", sagte der Mann. "Kommt so zweimal im Jahr vor, dass sie nachts mit Wärmebildkameras den Fluss absuchen."
Und ich stehe da und frage mich beklommen: Suchen sie tatsächlich nach jemandem, der vermisst wird? Oder nach was suchen sie wirklich?
Schlagen wir die Geschichtsbücher auf, gab es wohl keine einzige Epoche, in der die Menschen nicht miteinander gekämpft haben. Es hat sich "nur" ihre Technik verändert. Beängstigend verändert, dass mit einem Schlag Tausende Menschen ihr Leben verlieren, Menschen wie Du und ich, die mit diesem verdammten scheiß Krieg genauso wenig zu tun haben wie wir.
Beängstigend verändert, dass mit einem Schlag Millionen von Menschen ihr Leben verlieren könnten, wenn nur einer den falschen Knopf drückt. Grausam und brutal war der Mensch schon immer, so, wie er immer schon nach mehr Macht und Geld gegiert hat; nach Besitz, der nicht seiner war.
Und der, der nicht danach giert, diese Gier aber unterstützt, indem er Waffen verkauft, Sprengsätze, Kampfmittel aller Art und damit die eigene Wirtschaft stützt - ist der weniger schuldig als der, der die Waffe in die Hand genommen hat?? Nein, ist er nicht! WIR sind nicht weniger schuldig. Und warum stehen wir dann nicht auf? Schauen wir so lange zu, bis es uns eines Tages selber trifft?
Die Arroganz der Ami's kotzt mich an; die, mit der sie sich für die Weltpolizei halten und glauben, unter diesem Deckmantel dürften sie alles und hätten auch alle Freiheiten der Welt, für oder gegen etwas zu sein. Und allen anderen zu diktieren, was sie zu tun und zu lassen haben.
Sehr bezeichnend übrigens in einer Folge "Castle", dass der Schriftsteller, der den Stoff seiner Romane aus dem Begleiten "echter" Fälle zieht, sich das Bein verletzt, zu Hause bleiben muss und sich langweilt. Bis er dank Fernglas und so feststellt, dass im Haus gegenüber ein Mann seine Verlobte umbringt. Inklusive Blutspritzer an der weißen Wand, die man erfolglos versucht hatte zu übertünchen. Fünfundvierzig Minuten lang Spurensuche, bis sich im Finale herausstellt: War ja gar kein Mordfall - war alles nur inszeniert, um dem gelangweilten Geliebten etwas Ablenkung zu verschaffen und die Laune aufzubessern: "Surprise!! And Happy Birthday to you!" Und er sagt: "Das ist das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich je bekommen habe!"
Sorry, aber bei sowas muss ich einfach nur noch kotzen.
Wenn sowas die schönsten Geschenke definiert, dann will ich überhaupt nicht mehr beschenkt werden.
Heute Nachmittag schaute der Mann "Die Tribute von Panem". Und ich sage: "Verstehe ich nicht, sowas. Da bescheißen sie sich sonst immer wegen FSK, und jetzt bringen sie Mord und Totschlag schon am Sonntagnachmittag. Für die ganze Familie." Ich habe mich da lieber an meinen Schreibtisch gesetzt, die Kopfhörer aufgesetzt, weil ich alles, das mit Gewalt und Töten von Grund auf verabscheue, weil ich gespielte Gewalt und Töten nicht mehr sehen will und auch das gespielte Schreien von irgendwelchen Darstellern mir gehörig auf den Sack geht. Gibt es nicht schon genug Brutalität im wahren Leben?
Ja, ich schaue dann und wann gerne Shopping Queen. Nicht, weil ich mich nicht für das reale Leben interessiere. Sondern weil es - ausgenommen vom Musikantenstadl oder von Kochshows, die ich alle nicht schaue - eine Sendung ist, die ohne jegliche Gewalt und auch ohne jegliche fäkalen und sonstige Kraftausdrücke auskommt. Ich empfinde das insbesondere momentan als unglaublich wohltuend! Als irgendwie bereinigend!
Ganz im Gegensatz zum Beispiel auch zu gewissen anderen Shows, die einfach nicht ohne Beleidigungen auskommt, bei denen sich das Publikum begeistert auf die Schenkel schlägt und kreischend klatscht. Selbstdarstellungen vom Feinsten auf Kosten anderer.
"Dann schau doch einfach keinen TV mehr", könnte man jetzt sagen. Aber ist das die Lösung? Auf alles nach und nach verzichten, weil "das einfach nicht mehr geht"? Ist DAS die Lösung? Verzicht statt besser machen? Wegschauen statt besser machen?
Sie ist nun da - die neue Brille. Die mit dem Durchblick. Oder für den Durchblick? Ein Herrenmodell übrigens, für das ich mich entschieden hatte, weil mir das Angebot für die Damen zu... schnörklig schien.
Ich muss mich erst noch an sie gewöhnen. Daran, dass die geschliffenen, extra auf mich abgestimmten Gläser nur noch einen bestimmten Lesebereich besitzen.
Ein bestimmter Bereich für einen bestimmten Durchblick... Manchmal möchte ich so viel sehen und erkennen - und dann wieder doch nicht.
Mit dem Sohn gesprochen, auch mit dem anderen - hier empfinde ich momentan Erleichterung.
Letzte Nacht lege ich mich gemeinsam mit dem Mann an meiner Seite ins Bett - und erwache ohne ihn. Er hat die halbe Nacht lang Nachrichten geschaut. Die jüngsten Ereignisse erschüttern, entsetzen. Ob sie so unverhofft kamen? Ich weiß es nicht.
Ein Fußballstadion.
Restaurants. Bars. Cafés.
Normales Leben an einem ganz normalen Freitagabend.
Normales Leben, das sich von einem Moment auf den anderen ändert.
Als ich am Nachmittag mit Sohn II telefoniere, hat er seinen Whatsapp-Status gerade geändert "Pray for Paris". Dass er sich interessiert, finde ich gut. Dass er sich positioniert, finde ich gut. Eines Tages will er ja dabei sein - bei der Bundespolizei. Die, die heute auch überall in den U-Bahnen präsent war.
Pray for Paris...
Pray for the damned whole world!
Der Mann und ich laufen durch die Stadt, in den Straßen liegt der Duft nach süßen Mandeln, nach Kaffee, nach Schweiß und Parfüm. Ich betrachte junge Menschen, kleine Kinder. Die, die einmal die Zukunft sein werden. Was für eine Zukunft? In was für einer Welt?
Heute sind sie klein, betrachten mit großen Augen die ersten Lichterketten, das Spielzeug in den Läden. Halten ein trockenes Brötchen in der Hand oder einen Apfel.
Das Wichtigste ist für sie, bei Mama oder Papa zu sein, an deren Hand, auf deren Arm.
Und was ist morgen das Wichtigste für sie? Wann ändert sich das, wann prägt sich das?
Und was tragen sie dann morgen in ihrer Hand?
Tragen sie morgen ein Gewehr in der Hand, das auf Dich oder mich gerichtet ist, während wir eigentlich nur eine Tasse Kaffee an den Mund führen wollten?
Kann dieser Wahnsinn nie ein Ende haben, weil es immer Mächtige geben wird, die nach noch mehr Macht gieren?
Haben wir davon geträumt, als wir Kinder waren? Von Macht und Geld um jeden Preis?
Wir waren doch alle mal Kinder...
Aus Sicht von vor rund 24 - 25 Jahren hätte ich diesen Satz so nicht unterschreiben mögen. Der Junge hat mir schon damals viele schlaflose Nächte bereitet. Sehr viele.
Dass es phasenweise heute nicht anders ist - macht Sorgen weder kleiner noch größer.
Sie sind eben da.
Er war immer ein bisschen anders als andere.
Als Kleinkind unglaublich kontaktfreudig, unbedarft, wissbegierig wie kaum ein anderes. Oft dachte er schneller als er zu sprechen vermochte. Und er schmuste viel und gern.
Liebte die Zeichentrickfilme von Bugs Bunny und das Vorlesen, bis er selber lesen konnte.
"Ich habe ihn mal beobachtet", sagte seine Tante zu Beginn des zweiten Schuljahres, "er liest und vergleicht dabei sofort mit den Bildern, ob das, was er da liest, auch zu den Bildern passt. Verstehendes Lesen nennt man das. Dass er das jetzt schon kann, ist außergewöhnlich. Normalerweise kommt das später."
Die ersten drei Lebensjahre schlief er nachts nicht. Schrie die halbe Nacht. Beruhigte sich weder auf dem Arm noch im Bett neben mir. So schlagartig, wie es begann, hörte es vier Wochen vor dem dritten Geburtstag auf.
Er war drei Jahre alt war, als die Diagnose "Absencen" gestellt wurde. Ihm fehle ein Drittel des Tages, das er nicht wahrnehme und nicht aufnehme.
Er war fünf Jahre alt, als die Diagnose "Infektallergie" gestellt wurde - und dass die Mandeln raus müssten, sie würden ihre Funktion eingestellt haben und ihn stattdessen "vergiften". Ihn zu operieren unter den Medikamenten, die er für die Absencen bekam, hätte einen Atemstillstand während der OP verursachen können. Ich vergesse nie niemals die Reaktion des bis dahin behandelnden Neurologen: "Na und? Und wenn das passiert, gibt es auch genug Mittel und Wege, ihn wieder zurückzuholen."
Ich bin dort nie wieder hingegangen, habe mich zur Uni-Kinderklinik überweisen lassen.
Dort konnten die Absencen nicht bestätigt werden, "wohl eher frühkindliche Anomalien, gibts bei jedem dritten Kind, merkt bloß kaum einer". Die Medikamente wurden ausgeschlichen, dafür Ritalin verabreicht für ein Kind, das innerlich immer noch unglaublich rege und beweglich war und äußerlich immer irgendwie "in Bewegung". Und sei es mit Bein schaukeln oder an den Fingernägeln knabbern.
Unter Ritalin wurden seine schulischen Leistungen merklich besser, als Dauermedikation habe ich es trotzdem abgelehnt.
Er war sechs Jahre alt, als er nachts schreiend aus den Träumen hochschreckte. Das ging lange, ziemlich lange. Drei, vier Jahre lang.
Er war in der 7. Klasse, als er sagte: "Hier fühle ich mich jetzt richtig, richtig wohl!"
Ein halbes Jahr später trennte ich mich von seinem Vater und der Junge sagte: "Ich will hier bei ihm bleiben."
Was das bedeutete, was das nach sich zog und was in all den Jahren vorgefallen ist - weiß bis heute niemand wirklich hundertprozentig genau. Und der Junge spricht kaum darüber. Nur dann, wenn die Seele kurz vor dem Reißen ist. Zwar war ich immer in seiner Nähe, immer da, auch dann, als er ganz zu uns zog, aber gut machen... kann ich nichts. Gar nichts.
"Ich bringe dich um, wenn du es wagst, mir auch den Jungen wegzunehmen", habe ich oft genug vom Ex gehört. Die kleine thailändische Masseuse übrigens wundert sich heute über meine rechte Schulter. Die, die er mir im rechten Winkel "verbog", vor den Augen der Söhne. Dass der Große nicht wusste, wohin er schauen, was er sagen, was er tun sollte.
"Deine Mutter hat mich geschlagen, hast du das gesehen? Ich musste mich doch wehren! Hast du das nicht gesehen?"
"Nein", antwortet der Junge leise, "das habe ich nicht gesehen."
Das war im Mai 2003.
Warum nur war ich damals noch nicht so weit wie heute? Wie viel mehr hätte ich schützen können und müssen? Seit Jahren zerfleische ich mich damit. Ich weiß, dass ich Vergangenes nicht ändern kann. Aber ich weiß auch nicht, ob die Gegenwart hilft.
Er hat sich durchgekämpft, der Junge. Die 10. Klasse mit gutem Abschluss. Die 1. Ausbildung überraschend geschafft: "Lassen Sie ihn abbrechen, das liegt ihm so gar nicht. Er ist noch viel zu verspielt und verträumt, so hat er das 1. Jahr überhaupt nicht mitgemacht und genau das fehlt ihm jetzt. Die Praxis wird er schaffen, aber die Theorie nicht." Es war genau umgekehrt. Die Theorie bestand er mit Zwei, durch die Praxis fiel er im 1. Anlauf, im 2. kam er durch. Er wollte es selber unbedingt schaffen: "Eine abgebrochene Ausbildung sieht doch scheiße aus." Und er wusste: "Ich will danach was anderes machen, nicht als Elektroniker arbeiten, das ist so gar nicht meins."
Er wurde medizinischer Dokumentationsassistent, er blühte regelrecht auf. Genoss es, den Führerschein in der Tasche zu haben - und sein erstes eigenes Auto zu fahren.
In diesem Job dann auch zu arbeiten, ist ihm nicht gelungen. "Mangelnde Berufserfahrung". Ja, wie soll man die auch haben, wenn man in diesem Job nicht arbeiten kann? Seine Noten waren durchschnittlich, manche sehr gut, manche nicht so prall, aber auch nicht schlecht. Gereicht hat es bislang nirgendwo. Dann kamen die Callcenter. Das letzte für 8 Monate. Ich habe ihn selten so unter Strom erlebt wie in dieser Zeit. Am Anfang gefiel es ihm dort. Dann wurde er immer stiller, in sich gekehrter. Auf mein Nachfragen erzählte er nur wenig: "Ich komme irgendwie mit der Firmenphilosophie nicht klar. Auf deutsch gesagt soll ich den Leuten das Geld aus der Tasche locken, indem ich ihnen einrede, dass es ohne Monteur nicht geht. Anfahrtpauschale 75 Euro. Weg für nichts. Weg für Sachen, die man sicherlich auch telefonisch klären kann, manchmal. Aber Tipps darf ich nicht geben. Die passen echt auf." Und: "Am Anfang waren da paar Leute bei, mit denen ich mich richtig gut verstanden habe. Von denen ist kaum noch einer da. Manche nur zwei Wochen. Eine ist krank geworden, ist dann gleich gekündigt worden. Irgendwie..." Er verlor die Motivation, den Spaß - nur den Ehrgeiz nicht. Wollte - wie schon als Kind - immer der Beste sein. Dass er gründlich ist, verdirbt seinen Zeitschnitt. Er liegt in etwa immer eine Minute irgendwas über der Zielzeit. Die liegt zuletzt bei 4,50 Minuten für Telefonat und Dokumentieren im PC.
Er isst kaum noch, schläft kaum noch, die täglich wechselnden Einsatzzeiten stressen zusätzlich. Dafür raucht er viel. Mehr als sonst. War er immer schon hager, wird er nun regelrecht dünn.
Als er im April kurz vor Ende der Probezeit die Kündigung bekommt, bricht trotz allem eine Welt für ihn zusammen. Es ist, als gäbe er auf. "Alles umsonst", sagt er, "es ist immer alles umsonst. Und gerade hatte ich noch gefragt, wie es weiterginge. Ich solle mir doch keine Sorgen und Gedanken machen. Auch wenn ich Eins Nochwas über der Zielzeit liege, ich bin der Vize bei den meisten Auftragseinholungen." Eine Woche später die Kündigung.
Dann kommt er zu uns.
"Er begreift seine Chance nicht, er nimmt sie nicht wahr", heißt es oft.
Er verschläft oft, der ganze Körper zittert, die Augen werden immer größer, der Junge immer dünner. Er schläft während der Arbeit während des Schreibens ein, kann sich nicht konzentrieren. Ihm fallen während der Autofahrt die Augen zu. Erzählt er erst, als alles kurz vor dem Eskalieren ist.
Ein scheiß Sommer 2015.
Morbus Basedow bei ausgeprägtem Tremor, lautet schlussendlich die Diagnose. Die Blutwerte grottenschlecht.
Er wird vier Wochen krank geschrieben, auf Medikamente eingestellt, dann macht er wieder weiter. Nach und nach stelle ich fest: Er wird viel ruhiger, endlich schläft er auch nachts, er schläft oft schon vor zwanzig Uhr ein. Endlich nimmt er auch wieder ein wenig zu, ich sehs vor allem in seinem Gesicht. Morgens verschläft er nicht mehr. Er vergisst keine Termine mehr, keine wichtigen Dinge. Alles ein Zeichen für den richtigen Weg? Einen guten Weg?
Eine Therapie für seine Seele beginnt er ab 2. Dezember. Es wird lange dauern. Sehr lange. Aber was früher oft als "Schande" empfunden und bezeichnet wurde, erhoffe ich mir für ihn vor allem als Beistand für seine Seele. Verarbeiten, was in den früheren Jahren vorgefallen ist. Erkennen, dass auch er ein sehr wertvoller Mensch ist - so wie er ist.
Vor drei oder vier Wochen sagt der Hausarzt, dass er nun gar keine Medikamente mehr nehmen soll - seine Blutwerte zeigten, er würde jetzt in Richtung Unterfunktion tendieren, nicht mehr die Überfunktion. Zu seinem Facharzt soll er erst am 17. Dezember wieder hinkommen. Also nimmt er jetzt gar nichts mehr seit diesen Wochen - und fühlte sich anfangs trotzdem wohl.
Den Geburtstag vom Opa, an dem er sehr hängt, hat er vor drei Tagen vergessen.
Heute morgen bekomme ich die Nachricht, dass er wieder verschlafen hat. Das zweite Mal in dieser Woche. Mit ihm selber gesprochen habe ich noch nicht. Aber der Chef.
"Das Schlimme ist, wie er einen anguckt und man sieht, wie er mit den Tränen kämpft", sagt Chef, "wie hilflos und unsicher er sich fühlt wahrscheinlich. Aber auch wenn er Ziggenheimer heißt, kann er keine Sonderstellung kriegen."
Nein. Kann er nicht und soll er auch nicht.
Ich hatte gerade begonnen, mich zu entspannen. Gerade dieser Tage gedacht, wie gut es ist, dass unser aller Leben gerade wieder in ruhigeren Bahnen läuft.
Und jetzt habe ich Angst. Angst, dass alles wieder von vorn losgeht. Angst davor, dass er ganz aufgibt. Ich werde heute Abend mal mit ihm sprechen. In der Hoffnung, ihn zu erreichen.
Als ich gestern in einem Kommentar bei Clara die Aussage las, dass Menschen ohne zum Beispiel Facebook wesentlich glücklicher wären, da fiel mir wieder ein, dass ja auch mein eigenes FB-Profil immer noch inaktiv ist. Seit Anfang September, glaube ich, und spontan fragte ich mich: "Habe ich etwas vermisst? Hat mir die Pause gut getan? Will ich das Profil wiederbeleben?"
Nein.
Ja.
Und nein.
Ich hatte mich erstmals 2008 dort angemeldet, war dort eigentlich durchweg immer dabei; anfangs nachlässiger, weil ich das Medium an sich noch nicht ganz einzusetzen wusste, später intensiver. Und je intensiver ich es nutzte, überall herumlas etc., musste ich feststellen, dass insbesondere in diesem Jahr die Fülle an "Ich will unbedingt mehr Likes und ich mache alles, damit ich die kriegen kann" mir irgendwann nicht mehr gut tat. Teils deshalb, weil mich eine permanente Oberflächlichkeit entsetzte. Teils der Doppelmoral "gelikter" Beiträge und Aussagen wegen und zuletzt vor allem der Hass- und Hetzkampagnen aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen rund um die Flüchtlingsmenschen. Wobei ich bei letzterem aber immer öfter auch den Eindruck bekam, dass das Pro für Flüchtlinge stellenweise derart plakativ dargestellt wurde, dass es schon wieder unglaubwürdig erschien. Das ist mir übrigens auch in einigen, wenigen Blogs aufgefallen.
Ich kriege einen Kotzkrampf, wenn ich kitschige und kitschigste Herzchenbilder sehe, mit denen gefordert wird "Teile (oder like), wenn Du Dein Kind [man setze hier auch wahllos Familienmitglieder, Hunde, Katzen oder grüne Männchen ein] liebst." Die Vielzahl solcher völlig sinnfreien Postings hat mich fast mürbe gemacht. Natürlich kann man die getrost ignorieren, doch wenn man so etwas tagtäglich seitenweise ignorieren muss, wirds schwierig - für mich.
Ebenso die permanenten Einladungen zu irgendwelchen Online-Games. (Ich schloss mich da irgendwann aus Jux mal der Gruppe "Schicke mir noch einmal eine Farmville-Einladung - und ich fackel deine Farm ab!" an.) Natürlich bringt das nix, aber es bringt einen dazu, sich dann und wann die Freundes-Liste genauer anzusehen.
Ich kriege einen Kotzkrampf, wenn in politischen oder gesellschaftlichen Diskussionen die sachlichen Argumente kaum noch Beachtung finden, während die Zahl der primitiven Marktschreier mehr und mehr überwiegt.
Zugleich fragte ich mich: Vermisse ich ohne FB den Kontakt zu anderen Menschen, den ich sonst nicht habe? In meiner Freundschaftsliste finden sich keine achtzig Kontakte, weil es mir nichts gibt - wie letztens bei den Simpsons wunderbar skizziert wurde - rund eintausend Freunde zu "wähnen" und im Realen trotzdem allein zu sein. Fast alle in meiner Freundesliste kenne ich persönlich, andere noch nicht persönlich, dafür bislang durch das Bloggen.
Heute, rund zwei Monate ohne Facebook, geht es mir entschieden besser. Ich schaue immer noch Nachrichten - aber wohldosiert. Ich lese keine Online-Nachrichten mehr und diesbezüglich auch nicht mehr in Foren. Ich interessiere mich nach wie vor - aber ich wähle sorgsamer aus.
Es gibt in unser aller realem Leben so viele Dummschwätzer, dass ich mir das nicht auch noch vor dem TV oder dem Laptop geben muss - schon gar nicht freiwillig.
Heute Abend, es war schon dunkel geworden, die Stadt beleuchtet von Autos, Straßenlaternen, Geschäften; Menschen eilten geschäftig hin und her, ich mittendrin - und ich lächelte. Ich hatte meine Musik, einen Abholschein in der Tasche, ich registrierte die Warteschlange am Postamt bis zur Tür hinaus - ich stellte mich an und ich lächelte. Unbewusst. Bis ich es selber wahrnahm. Reaktionen um mich herum wahrnahm. Und ich erinnerte mich, dass ich in letzter Zeit öfter gefragt wurde, warum ich gerade lächelte - und dass ich antwortete: "Weiß ich gar nicht, nicht bewusst, ich habe an nichts gedacht." Ja, das geht: Man kann wirklich auch an nichts denken und sich trotzdem - oder vielleicht deshalb - wunderbar fühlen. Schwere ist von mir abgefallen, die Schwere aus den Septembertagen.
Vielleicht, weil ich mich seither tatsächlich konsequent abwandte von Dingen, die mir nicht gut taten. Vielleicht, weil ich mich seither in meine eigene Welt zurückzog?
Nana, Du hast recht: Ich wäre für einen Job, wie Du ihn gemacht hast, nicht geschaffen. Ich weiß, ich hätte ihn mit Herzblut, mit Enthusiasmus - aber vor allem mit der Illusion getan, dass man anderen Menschen helfen muss und dass man es kann. Aber nach zehn Jahren wäre ich nicht mehr ich. Ich wäre meines Herzbluts beraubt, meiner Illusionen und meiner Vorstellung einer... besseren Welt. Meiner Hoffnung auf eine bessere Welt.
Ich wäre nicht mehr die mit dem Lächeln im Gesicht.
Und es gibt doch schon so viele, die resigniert und mit herabgesenkten Mundwinkeln durch die Straßen laufen, in ihren Büros sitzen.
Es ist mir völlig gleichgültig, was andere Menschen von mir denken und halten, die mich nicht einmal kennen. Es ist mir völlig gleichgültig, für wie weltfremd ich gehalten werde.
Die Welt kann und sie darf gar nicht nur aus Pessimisten, Realisten und Zynikern bestehen.
Was wäre eine Welt ohne uns, die hoffen, glauben, wünschen und träumen?
Was wäre eine Welt ohne... Sonne?
Was wäre die Welt ohne Menschen, die das Leben wirklich lieben - und diese Liebe nach draußen tragen? Die ihren Mann, ihre Frau, ihre Kinder mit Liebe und Wertschätzung betrachten und auch so behandeln? Ich schaue mich um, beim Einkauf, beim Bummel, bei der Fahrt in der U-Bahn, im Bus: Die Menschen begegnen dir, wie du ihnen begegnest - meistens.
Weihnachten steht vor der Tür, bald.
Ich persönlich verbinde Weihnachten noch immer mit dem süßen Duft nach Bratäpfeln, Zimtkakao, den Stricksocken meiner Mum - und Märchenfilmen.
Das sage ich beinah jedem, der mir die Ohren zumüllen will mit "Einkaufsstress", "Konsumwahn", "Koch- und Backstress" etc.
Weihnachten ist immer nur das, was wir selbst draus machen - und zulassen.
Das Leben ist immer nur das, was wir selbst draus machen. Wir alle. Und wir im einzelnen.
Diesen Satz von Nana habe ich mir irgendwie... angenommen. Seit sie ihn mir geschrieben hat, denke ich in manchen Momenten daran, denke an die Bedeutung. Bei der guten-Morgen-Kaffeetasse, die ich noch müde in den Händen halte und entspannt zurücklehne und aus dem Fenster schaue, wie der Novemberwind die gelben Blätter vor sich her treibt.
Während ich Zahlen addiere und Bewertungen schreibe.
Während ich mir ein Brot schmiere oder eine Banane schäle.
Während ich mich erinnere, wo ich herkomme, was mich prägte. Was mich umgab, freiwillig oder unfreiwillig. Was ich aufgab und stattdessen dafür bekam. Wann ich mich auch innerlich befreite und die Flügel ausbreitete. Wann und wie ich ICH wurde. Wann ich wuchs und ob ich überhaupt wuchs.
Distel oder Rose.
Stranddistel! Eine Stranddistel inmitten des sandigen Bodens, und die Wurzeln lang genug, um aus der Tiefe die lebensnotwendige Nahrung zu holen.
Während ich mich zugleich zurückerinnere, wer mir in meinem Leben begegnet ist. Manche begleiten mich noch heute, von anderen ist lediglich die Erinnerung geblieben. Erinnerungen, die einfach nicht verblassen.
Denke an die Single-Plattformen, auf denen ich dann und wann herumwandelte und es toll fand, so viele Menschen kennen zu lernen. Für jemanden, der bis zu diesem Zeitpunkt kaum jemanden kannte, war das schon toll! So viele verschiedene Menschen, die einander aber doch wiederum so ähnlich waren. Bis mir klar wurde: Ich kann und ich will gar nicht so viele Menschen kennen. Qualität statt Quantität.
Ich erinnere mich an Begegnungen, die mir Angst anderer Art machten: Angst, dass ich den Ansprüchen nicht genügen würde. Angst, dass es falsch sein könnte, morgens ausschlafen zu wollen, erst am Mittag frühstücken zu wollen - am liebsten auch im Bett, Kaffee mit viel Milch und eine Zeitung, einander vorlesen, zuhören, dösen. Angst, dass es falsch sein könnte, weil ich entweder zu laut lache oder wiederum zu still bin. Zu kopflastig manchmal. Zu oberflächlich manchmal. Zu verträumt manchmal. Zu albern manchmal. Zu ernst manchmal.
Angst, dass es falsch sein könnte, einfach nur ICH zu sein. Ich, die gerne auch mal eine Runde Shopping-Queen schaut, weil man dann nicht nachdenken muss. Einfach nur die Beine ausstrecken, eine Tasse Kaffee oder lecker Kakao zwischen den Händen - und dem Prinz Charming von Vox zuhören, wie er das Einkaufen der Damen kommentiert. Lustig, respektvoll - und niemals verletzend. Ein Mensch mit Aura, finde ich.
Angst, dass es nicht genügen könnte. ["Ich hielt dich immer für etwas Besonderes. Bis ich dann feststellte, dass du einfach nur genauso bist wie ich." Was "genauso" bedeutet, habe ich nie erfahren. Vermutlich war es am Ende nichts Gutes - für mich.]
Lieber gehen, bevor der andere geht.
Lieber auf nichts einlassen, bevor ich es doch tue - und mir selber Kummer zufüge.
Ich erinnere mich an so wenige Menschen, deren Begegnung ich einfach nicht missen möchte. Auf die ich beginne zu warten, wenn sie sagen: "Ich vergesse Dich schon nicht."
So wenige Menschen, die ich als etwas so Besonderes empfand, dass ich zugleich die Befürchtung entwickle, dass ich ihnen.. nicht gewachsen bin. Nicht gewachsen sein könnte.
Manchmal lasse ich sie gehen, ohne sie gebeten zu haben zu bleiben. Diese edlen, besonderen "Pflanzen", für die ich mich selber nicht besonders hielt. Ich als Kieselstein neben den Diamanten.
Ich gebe zu, es ist ein "schweres" Thema zum Montagmorgen, wo man eh schon leicht bedröppelt in die Welt schaut und denkt: Hupps... [Es gab ja mal Zeiten, da bin ich jeden Morgen, egal ob montags, dienstags und sowieso freitags singend und swingend ins Office gefahren. Inzwischen mehren sich die Morgen, an denen ich mich müde an die Decke strecke und denke "Muss ich jetzt wirklich schon aufstehen? Nicht noch fünf Minuten?"]
Jedenfalls, als ich vergangenen Samstag zurück nach M kehrte, da verzichtete ich erstmals auf die musikalische Begleitung meiner eigenen Datenbank, sondern hörte Radio. Bayern 1, um genau zu sein. Normalerweise schalte ich bei Diskussionsrunden sofort weiter, weils mir zu ermüdend ist und überhaupt. An einer jedoch blieb ich hängen, weil ich mich just in dem Moment zuschaltete, als über ein Thema debattiert wurde, das letztlich ja irgendwie... auch mich betrifft: Leben mit dem Schmerz im Körper - und dass die "geschäftsmäßige Sterbehilfe" in Deutschland nunmehr verboten werden soll.
Obwohl - Diskussionsrunde konnte man das Ganze wohl eher nicht nennen, beteiligt waren hier lediglich der Radiomoderator, eine (vermutlich) Ärztin, die viele, viele Jahre praktiziert hatte auf dem Gebiet der Schmerzerkrankungen - und Zuhörer, die sich telefonisch beteiligen bzw. Fragen stellen konnten.
Es rief ein Mann an, der berichtete, dass seine Frau seit 3 oder 4 Jahren an Fibromyalgie litt sowie auch am Reizdarmsyndrom, dass man von medizinischer Seite alles versucht hätte, auch durch mehrere Ärzte, verschiedene Medikamente, verschiedene Ansätze zur Behandlung - alles habe nicht zum Erfolg, sprich: zur Schmerzlinderung oder gar -auflösung geführt. Und die aktuelle Debatte im Bundestag hinterließe nunmehr die Frage, was das konkret für ihn und seine Frau bedeute.
Noch während der Mann sprach und also noch bevor die Ärztin antwortete, ging mir durch den Kopf, wie viele Jahre eigentlich ich mit dem Schmerz lebe. Im Februar werden es elf Jahre. Elf Jahre mit einem Schmerz in meiner linken Körperhälfte, ähnlich dem wie Zahnschmerzen, der in allen linken Gelenken pocht - ständig und ohne Pause, aber wenigstens mit unterschiedlicher Intensität. Elf Jahre Schmerz ohne Unterlass, morgens, mittags, abends, nachts. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist", hatte meine Mum vor ein paar Jahren gesagt und ich hatte geantwortet "Das kann sich auch niemand vorstellen, der das nicht selber erlebt" - und dann habe ich geweint.
In den schlimmsten Schmerzschüben war ich schon auch sehr verzweifelt, verheult, habe mich phasenweise zurückgezogen oder dankbar nach jedem Strohhalm gegriffen, der geboten wurde. Habe alle möglichen Untersuchungen über mich ergehen lassen immer in der Hoffnung, man würde die Ursache finden und bekämpfen - und nicht (nur) die Auswirkung. Typische neurologische Untersuchungen (EMG und Nervenwasser punktieren zählen übrigens zu meinen "muss ich nicht noch mal haben-Untersuchungen), Hirnscans (wo man auch keine Ursache fand, dafür aber anderes, das man "Zufallsbefund" nennt und inzwischen 4 x 5 Zentimeter misst; ich nenne es seither inzwischen liebevoll "mein zweites Hirn"). Auch die Nadel im Fuß habe ich schon 2008 in der Schmerzklinik angesprochen, ich habe auch ein Röntgenfoto davon bekommen mit der Aussage: "Dafür sind wir hier nicht zuständig." Während die Neurologen da wie auch zu Hause das Bild betrachteten und alle sich einig waren "An der Nadel liegt es nicht."
Mit der Fibromyalgie (Muskelrheuma) waren sich die Ärzte auch nicht einig, nur darin, dass es eben keine einseitige Fibromyalgie gibt. Wenn, dann beherrscht diese den ganzen Körper, nicht nur eine Hälfte. Und letztlich ist es ja so: Findet sich keine klinische, körperliche Diagnose - dann kann es nur die Seele sein. Irgendwann mochte ich gar nicht mehr erwähnen: geschieden, alleinerziehend, hässlicher Rosenkrieg, vollzeitbeschäftigt, schwierige Beziehungskonstellation. Weil man allein mit so einer Biografie viel schneller in der Schublade steckt als man bis drei zählen kann.
"Kann ja sein, dass mein Leben meinen Schmerz nicht positiv beeinflusst", habe ich demzufolge immer gesagt, "aber ich glaube nicht, dass das die Ursache ist, und ich glaube auch nicht, dass das die ganze Wahrheit ist."
Vor allem: Müsste denn dann auch in diesem Fall nicht der "ganze Körper betroffen sein" - und nicht nur der halbe?
Aber - bei allem, das ich durch und mit Ärzten erlebte, in der Schmerzklinik damals und auch in den schlaflosen Nächten, an den Tagen, an denen ich kaum sitzen, stehen, liegen konnte - habe ich eigentlich auch daran gedacht, so nicht mehr leben zu wollen oder zu können?
Ich habe mich das ganze Wochenende lang damit beschäftigt, in meinen Erinnerungen gekramt.
Wie mühselig und langwierig der Weg war zu begreifen, dass Akzeptanz und Resignation nicht dasselbe sind, dass Akzeptanz es zwar leichter macht, mit etwas umzugehen, diese aber auch.. "lähmen" kann, weil man eine Situation eben nimmt wie sie ist, das Beste daraus macht - aber irgendwann aufhört, sich aktiv um eine Lösung zu kümmern. Eigentlich tue ich das nur dann, wenn der Akutzustand wieder eintritt und mich daran erinnert, dass da noch etwas zu erledigen ist. In den Phasen, wo es mir besser geht, gewöhne ich mich daran, dass es eben schmerzt.
Zur Auswahl beim Hausarzt standen zwei Termine, um sich endlich mal der Nadel im Fuß anzunehmen - ich habe sie verstreichen lassen, weil einfach die Zeit fehlte.
Dafür aber gehen wir seit einigen Wochen regelmäßig zur Thai-Massage - weil die, das muss ich echt mal so sagen - tatsächlich effektiver sind als ich das hier von unseren klassischen Massagen her kenne. Die haben so richtig fiese Griffe, wo ich mich immer frage, woher diese kleinen zarten Persönchen ihre Kraft nehmen, während ich ins Handtuch beiße und mir der Schweiß auf die Stirn tritt und die Tränen in die Augen steigen.
"Du hast einen schwierigen Körper", sagte sie mir nach der vorletzten Behandlung. [Andere sagen das ja auch von meinem Wesen - und dabei dachte ich immer, ich sei das friedfertigste, pflegeleichteste Ding der Welt, nu ja meistens jedenfalls.] Und ich finde das schon phantastisch, wie die zu Beginn der Behandlung erst mal mit flachen Händen den ganzen Körper abtasten und sofort herausfinden, wo es aktuell am schlimmsten "klemmt".
Dazu die Dehnübungen, die ich - zugegebenermaßen - nicht mehr täglich mache. Manchmal nicht, weils mir besser geht und ich dann nachlässig werde; manchmal nicht, weil mir einfach die Zeit fehlt. Schmerzmedikamente nehme ich seit Jahren gar keine - weil auch keine geholfen hatten; nur wenn ich es gar nicht aushalte, nehme ich zwei Ibu oder Para - das aber eher als Pseudomedikament, weil ich zwar weiß, dass die nicht helfen, aber der Geist registriert, dass man sich was eingeworfen hat.
Aber wollte ich... tot sein? Wollte ich nicht mehr da sein, um all dem zu entgehen? Ruhe zu haben? Dass es endlich vorbei ist?
Ganz klar: Nein. An diesen Punkt bin ich nie niemals gekommen. Es gab trotz allem immer noch so vieles im Leben, das so wunderbar war, für das es sich da zu sein lohnte; so vieles, das man immer noch genießen konnte - außerhalb der akuten Schübe. Und irgendwie auch... trotz allem immer die Hoffnung, dass es "eines Tages schon werden würde".
Und so hörte ich dem Mann zu, dessen Frau sich zwar nicht die Frage stellt, ob sie noch leben will oder kann, die aber trotzdem wissen will, was in dem Moment ist, wo sie tatsächlich nicht mehr kann. Ich erinnerte mich an eine Reportage im TV über eine Frau, deren erwachsene Tochter zurückgeblieben war, weil die Mutter - auch eine Schmerzpatientin - sich das Leben genommen hatte. Dieser Weg als letzter Ausweg, weil keine andere Hilfe mehr möglich schien.
"Das Recht auf Selbstbestimmung bleibt freilich erhalten", sagte nun die Ärztin im Radio, "wenn Ihre Frau sich umbringen will, kann sie das natürlich immer noch tun. Es darf ihr eben nur niemand dabei helfen." Und dann hielt sie einen Monolog darüber, dass man diesen Weg doch gar nicht in Erwägung ziehen sollte, wenn es denn nachweislich keine körperliche Ursache für den Schmerz gab. Dass es dann immer noch Mittel und Wege gäbe, den Schmerz erträglicher zu machen. Dass mit Sicherheit noch nicht alles ausgeschöpft sei, es gäbe so viele Medikamente, an die sich ein Körper freilich erst gewöhnen müsse - aber dann! Es gäbe keinen einzigen Schmerz, den man nicht lindern könne.
Der Mann am Telefon klang müde. Ich konnte mir vorstellen, dass er und seine Frau solche Aussagen zu oft gehört hatten. Irgendwann nimmt man es nur noch hin - oder hört auch gar nicht mehr zu.
"Glauben Sie mir, es IST alles gemacht, alles versucht worden", sagte er lediglich, und dann ließ er sie nur reden, bedankte sich und legte auf.
Ich schaltete anschließend weiter, hörte Musik und ließ meine Gedanken treiben.
Von jeher wehrte ich mich dagegen, mich mit Schmerzmitteln vollpumpen zu lassen, nur damit andere sagen konnten: "Es passiert ja was, warte ab, dann wirds auch besser."
Ich erinnerte mich an all die Medikamente, die entweder bewirkten, dass mir mein Wortschatz verloren ging (ich wusste zwar, was ich sagen wollte, aber mir fielen die Begriffe nicht mehr ein bzw. konnte ich sie nicht mehr aussprechen; meine Mum hat geweint am Telefon, als sie mich so hörte) und an Medikamente, unter denen ich irgendwie "aus meinem Körper heraustrat", mich an die Zimmerdecke erhob und von dort auf mich runtersah, wie ich da lag auf meiner dunkelroten Matratze, zusammengekrümmt wie ein Embryo. Das war 2006 oder 2007, danach ließ ich nichts mehr an mir ausprobieren oder mich zu irgendwelchen Mitteln überreden. Ich hatte echt genug. Nicht nur der Nebenwirkungen wegen: Trotz allem wurde der Schmerz selbst nicht gedämpft.
"Opioide wirken sich natürlich auf den Darm aus", sagte die Ärztin zu dem Mann, "klar, der wird dann träge und es führt zu Verstopfungen. Aber dagegen kann man ja auch was machen, da gibts ja auch Mittel."
Soll das die Lösung sein? Soll das der Weg sein? Du nimmst irgendwas, um die Auswirkungen zu bekämpfen, tust aber nichts gegen die Ursache, weil Du dieser nicht auf die Spur kommst - und dann nimmst Du noch fünf andere Medikamente, um die jeweiligen Nebenwirkungen zu bekämpfen?
Das kann es doch nicht sein. Das kann doch nicht die Lösung sein? Was für ein Leben soll das sein?
Viel zu oft höre ich im Zusammenhang mit chronischem Schmerz das Wort "Medikament". Aus meiner Sicht aber wird viel zu wenig erwähnt, dass der Schmerz ja den Körper selbst auch verändert. WIR verändern den Körper. Mit Schonhaltungen, mit Ausweichhandlungen. Und wir bedenken nicht, dass unsere Muskulatur sich viel zu schnell zurückbildet. Wir bedenken nicht, dass eine "erschlaffte" Muskulatur unser Skelett nicht mehr tragen kann, ohne dass es zusätzlich Schmerzen verursacht.
Wir bedenken nicht, dass Dauerschmerz unsere Muskulatur verkrampft, weil WIR verkrampft sind: Es beginnt im Kopf.
Ja, das Umdenken hat auch bei mir sehr lange gedauert. Die Muskulatur entkrampfen, dehnen - und neu aufbauen auch dann, wenn es weh tut. Natürlich tut das weh. Langfristig jedoch... wird es erträglicher, weitaus erträglicher. Das habe ich 2011 in der Reha gelernt und begriffen.
Vielleicht werde ich nie mehr schmerzfrei sein. Aber der letzte akute Schub, der ganze drei Monate anhielt, ist zwei Jahre her. Danach nur noch mal ein kurzer, eine Woche oder zwei. Und sonst kann ich es aushalten. Sonst kann ich mit dem Schmerzlevel leben, inzwischen.
Es ist so erschütternd, wenn ein Mensch an einen Punkt gerät, wo er nicht mehr leben kann. Wo er zumindest glaubt, dass er es nicht mehr kann. Ich weiß nicht, ob es ein "zu früh aufgeben" gibt oder nicht. Wege, sich selbst das Leben zu nehmen, gibt es auch ohne das Gesetz sicherlich genug, nur sehen die meist weniger human aus als könnten wir wie in der Schweiz zu einer Institution gehen, etwas unterschreiben und dann verabreicht bekommen.
Ich möchte nicht darüber entscheiden müssen, ob jemand diesen Weg wählen darf oder nicht. Vielleicht hätte auch ich die Befürchtung, dass ein Mensch zu früh aufgibt. Aber wenn wir es sowieso nicht verhindern können, warum kann man es dem Betroffenen dann nicht doch "leichter" machen? Es ist aus meiner Sicht schon ein Unterschied, ob ich ein Medikament verabreicht bekomme, mit dem ich mich "hinüberschlafe" - oder mich von einer Brücke stürze.
Ich finde es erschütternd, ohne Hoffnung zu sein.
Ich finde es aber auch erschütternd, mit dieser Hoffnungslosigkeit allein gelassen zu werden.
Dieses Mal habe ich es nicht rechtzeitig geschafft. Es ist Null Uhr Vier.
Vor vier Minuten hat Dein Geburtstag geendet - nun bist Du zwanzig Jahre alt und empfindest dabei eine "Endzeitstimmung", wie ich selbst diese zu meinem Achtzehnten gefühlt hatte: "Jetzt bist du erwachsen, jetzt ist die Kindheit vorbei, jetzt dürfen sie alle möglichen Sachen von dir erwarten - und jetzt wirst du ganz schnell alt werden."
So ähnlich hast Du Dich geäußert, als wir am Mittwoch Abend nebeneinander auf Deinem Bett lagen und über alles mögliche philosophierten. Ich wagte mich irgendwie nicht zu fragen, aber irgendwie kamen wir dann doch auf deinen derzeit großen Kummer zu sprechen: Das Mädchen, das Du sehr gern hast, will auf einmal keinen Kontakt mehr zu Dir - und so sehr Du Dich auch bemühst, Du bekommst keine Antworten. Leider aber auch kein klares "Nein, ich will dich nicht mehr, nein, ich gebe uns keine Chance mehr."
Und während Du mir von den letzten Wochen erzählst und Du relativ entspannt wirkst, schaue ich Dich immer mal wieder von der Seite an und bewundere zum einen Deine Entwicklung, aber auch Deine Schönheit: die von innen. Du bist ein junger Mann geworden, der mir erst vor rund zwei Wochen erklärte: "Ich habe schon vor zwei Jahren aufgehört, an die Liebe zu glauben."
Mich hat das irgendwie getroffen. Natürlich weiß ich von all den Mädchen, die Du kennst, und ich weiß auch von denen, die Dir mehr bedeutet haben. Und natürlich weiß ich, dass Du mir nicht alles erzählst. Das musst Du auch nicht. Aber nicht mehr an die Liebe glauben?
"Ich weiß nur, dass sie ihren Vater nicht kennt, mit ihrer Mutter überhaupt nicht klargekommen ist, dass sie irgendwie in ner Jugendgruppe gelebt hat und jetzt, mit 18, in einer WG mit ihrer Freundin. Und dass sie mir ihre Arme nicht zeigen will und auch nicht will, dass ich sie danach frage. Vielleicht ist es ja die Freundin, die uns auseinanderbringen will - die kann mich nicht leiden, das beruht aber auf Gegenseitigkeit - aber vielleicht ist da ja auch noch mehr. Ich weiß zu wenig von ihr, aber sie spricht generell nicht gern über ihre Gefühle. Und auch nicht gerne über Persönliches. Wenn sie nicht will, spricht sie gar nicht mit mir und antwortet mir tagelang nicht auf meine Nachrichten. In einem Moment ist alles gut und im anderen kommt dann wieder 'Es hat irgendwie keinen Sinn.' Und wenn ich nachfrage, spricht sie einfach nicht mit mir. Sie sagt mir nie, was los ist und ich hänge hier, über fünfhundert Kilometer weit weg und dreh am Rad. Würde am liebsten zu ihr fahren - aber was mach ich, wenn sie mich da am Bahnhof stehenlässt? Ihre Tante sagt, ich soll das lieber nicht machen, das könne sie gar nicht haben."
Ich frage Dich, ob es tatsächlich das ist, was Du willst: eine Beziehung zu einem Mädchen, die alles andere als unbelastet und unbeschwert ist; eine Beziehung zu einem Mädchen, die nicht willens oder nicht in der Lage ist, Gedanken, Wünsche, Vorstellungen zu äußern - aber sofort schlecht über Dich spricht, wenn die Dinge anders sind als sie es haben wollte.
"Ich will nicht einfach so aufgeben", sagst Du und lächelst und für einen Moment kann ich sehen, wie viel mehr sich hinter diesem Lächeln versteckt.
Dennoch hinterfrage ich: "Das kann ich verstehen, sehr gut sogar. Aber mit 18? Mit 20? Wo der Himmel eigentlich voller Geigen hängen sollte, wo ihr euer Leben genießen solltet, weil alles andere noch früh genug kommt? Und wo sie ein Mensch ist, der Gefühle weder zeigt noch darüber spricht, der dich tagelang im Ungewissen lässt? Der keinen Sex mehr will, weil es ihm zu einseitig ist? Nach drei gemeinsamen Wochenenden? Der dir das aber auch weder sagen noch sonstwie kommunizieren kann und dir lediglich sagt 'Dir muss doch klar sein, dass es einen Grund hat, dass ich nicht mit dir schlafen will?' - und das wars dann? Ja, sie ist sehr schön, aber ist das denn alles? Ist es das einzige, das einen Menschen besonders macht?"
Vor vier Tagen fragst Du sie, ob sie am Wochenende zu Deinem Geburtstag bei Dir sein möchte - und Du bietest ihr an, alle Kosten dafür zu übernehmen. Weil Du gehört hast, dass die Fernbeziehung eigentlich ihr Problem ist - und die finanzielle Belastung. Sie antwortet bis heute nicht.
Und dann wartest Du. Jeden Tag. Du wartest nicht so sehr auf die Antwort auf Deine Frage. Du wartest, dass sie sich überhaupt meldet. Heute Abend, als ich aus dem Büro komme, kurz die frische Wäsche zusammenlege, bevor wir in die Stadt zu Deinem Lieblingsitaliener fahren, da bist Du eher still und in Dich gekehrt - und Du wirkst unglaublich erwachsen.
Ich spüre, wie sehr Du immer noch wartest und Du sagst: "Ich verstehe nicht, dass sie sich nicht wenigstens einfach mal so meldet. Wenigstens, um mir zu meinem Geburtstag zu gratulieren."
Das verstehe ich auch nicht.
Wie gerne möchte ich Dich einfach nur an mich drücken - und das mache ich auch: unter dem Vorwand, dass Du ja immer noch ein Geburtstagskind bist.
Letztes Jahr zu Deinem Geburtstag bist Du überraschend krank geworden, ziemlich krank sogar. Dieses Jahr bist Du wieder krank - nur anders.
"Weißt du, wie blöd das ist, dass man bei jeder eingehenden Nachricht hofft, dass die von ihr kommt - und dann sieht, dass sie doch nicht von ihr ist?"
"Oh ja, ich kenne dieses Gefühl sehr, sehr gut. Man kann eben leider auch einfach nur nichts dagegen tun. Man muss warten, bis es aufhört, weh zu tun."
Wir essen, wir reden alle drei über alles mögliche, aktuelle Ereignisse und Dein Bruder erzählt von sich. Ich bemerke, wie abwesend Du bist und wie Du immer stiller wirst. Das geht mir irgendwie durch und durch. Es erinnert mich an das Gefühl wie damals, als Du erst ein paar Tage alt warst und man mir sagte, Du hättest eine ausgeprägte Neugeborenen-Gelbsucht, und dann legte man Dich zwei volle Tage in diese Art Brutkasten unter blauem Licht und einer Mütze über den Augen. Mit nichts bekleidet außer einer Windel, und Du weinst leise und irgendwie herzzerreißend - und ich stehe davor und weine mit Dir. Sobald ich Dich herausnehmen darf, um Dir zu trinken zu geben, wirst Du ruhig und still in meinem Arm. Zur Ruhe findest Du nicht - erst als unsere Hebamme Dich zu mir bringt und sagt: "Der hat keinen Durst, der will zu seiner Mama, na klar" und dann schläfst Du ganze vier Stunden auf meinem Bauch, bis die grobe Kinderschwester kommt und Dich wieder entreißt mit den Worten "Na also so geht das ja auch nicht, wo kommen wir denn da hin?"
So ähnlich fühle ich mich heute neben Dir.
Ich kann Dir nicht helfen, und das wissen wir beide.
Aber ich bin da, und das wissen wir auch beide.
In den letzten zwei Tagen haben wir so offen wie noch nie auch über meine Kindheit gesprochen, über Dinge, die und wie ich sie erlebt habe - und Du sagst zu mir: "Ich hatte diese Angst nie. Nie. Ich wusste immer, dass ich geliebt werde und da bin ich auch echt froh drüber."
Seit zwei oder drei Jahren bist Du nun auf der Suche nach dieser anderen Liebe, die jeder Mensch wenigstens einmal in seinem Leben erfahren haben sollte.
"Ich glaube nicht, dass ich noch mal so einer begegne wie ihr. Und ich glaube nicht, dass ich mich noch mal so fühlen kann wie bei ihr. Ich glaube nicht, dass es noch größer geht."
Ich lehne meinen Kopf an Deinen Kopf.
"Wäre es aber.. irgendwie nicht schade, wenn man mit zwanzig Jahren schon alles gesehen und erlebt hätte? Was sollte denn da noch kommen? Du hast noch so wahnsinnig viel Zeit..."
Später erst fällt mir auf, dass das die fast identischen Worte waren, die meine Mum zu mir sagte, damals, als ich 34 Jahre alt war und glaubte, mein ganzes Leben sei mit jenen Erfahrungen nun vorüber.
Natürlich war es nicht vorüber.
Im Gegenteil.
Es hat da erst richtig begonnen.
Und das, mein Schmunzelhase, das wünsche ich Dir auch. Dass Du Tiefen überwindest und sie Dich aber nicht brechen, sondern Dich stark machen. Dass sie Dir nicht das Selbstvertrauen nehmen und Dich auch nicht abbringen von dem Weg, den Du für Dich gehen möchtest.
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du Dich glücklich und geliebt fühlst und dass Du immer Türen findest, durch die Du gehen kannst und magst. Dass Du in jedem neuen Tag auch die Möglichkeiten erkennst, die jeder einzelne Tag mit sich bringen kann.
Das alles... wusste ich mit zwanzig nicht. Ich wusste es auch noch nicht mit vierunddreißig. Aber ich habe es gelernt - und ich hadere nicht damit, keine zwanzig oder vierunddreißig Jahre alt mehr zu sein. Es ist nicht entscheidend, welche Zeit wir schreiben. Es ist entscheidend, wie wir uns fühlen und wie wir leben.
Deinen aktuellen Kummer rede ich Dir nicht klein, ich messe ihn auch nicht an anderen schlimmen Dingen. Es wird immer ganz vieles geben, das noch schlimmer ist. Das erdet - aber es ist kein Universalschlüssel.
Aber eines kann ich Dir versprechen: Ich werde immer, immer für Dich da sein. Dir zuhören, Dich begleiten, Dich auffangen. Das wird sich auch niemals ändern. Und wenn es etwas gibt, das ich für Dich tun kann, dann werde ich es tun.
Du warst schon als Baby, als Kleinkind und auch als Teenie ein Sonnenscheinchen. Und ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass ein Teil dessen immer in Dir bewahrt bleibt.
Sagte ich Dir schon, dass ich es liebe, Dich lachen zu sehen?
Und dabei wollte ich es diesmal einfach nur... besonders machen. Weil - einfach kann ja jeder. Dachte ich. Vermutlich kann ich weder einfach noch besonders, aber egal.
Rezept jedenfalls:
Man schweife kurzweilig durch den Supermarkt, lasse sich ob der herrlichen Herbstsonne inspirieren von dem Gefühl: "Mach deinem Mann doch einfach mal was Besonderes!" (nein, nicht das, was Ihr denkt, das hier ist ein äh... füralleAltersklassenerlaubterBlog!):
- besonders gute Butter (gut & günstig kann ja auch jeder).
- besonders gutes Maismehl (wer will schon immer den Vierhundertfünfweizenscheiß?)
- besondere Eier von besonders glücklichen Hühnern (Die waren sogar extra groß. Also die Eier!)
- eine echte Vanilleschote für den besonderen Touch (steh ich drauf)
- ein bisschen Kardamom für den besonders indisch angehauchten Touch (steht der Mann drauf)
Man lasse die ganzen leckeren Zutaten zwei Tage liegen, weil irgendwie nach dem Bezahlvorgang die Motivation flöten ging.
Man erbarme sich der besonderen Zutaten noch vor ihrem besonderen Verfall und stelle sich alles zurecht.
Man nehme ein viel zu kleines Gefäß für geschätzte 400 ml Milch und lese das Rezept gründlich durch, fülle das Maismehl in die viel zu kleine Schüssel und gebe einen Teelöffel Salz und eine Prise Backpulver hinzu. Merke: Bitte VORHER die Brille aufsetzen, dann liest man auch, dass es eine Prise Salz war und ein Teelöffel Backpulver. Mal gucken, ob der Mann das merkt!
Vier Eier sollen mit der Milch verquirlt werden. Ich entscheide mich für fünf, weil, ich nehme ja schließlich auch 150 g mehr Maismehl. Nur - nach bereits drei Eiern ist die Kanne voll.
Na gut, denkt sich die besonders denkende Gourmetzubereiterin, rührste eben erst die drei, dann fügste die anderen beiden Eier noch dazu...
Merke: Von so ein bisschen elektrischem Quirl bloß nicht bekloppt machen lassen und bloß nicht vor Schreck von Stufe 1 auf 3 statt auf Aus AUS!!! zu schalten.
Anschließend wische man sorgsam und mit Liebe den Küchenfußboden, dabei ein bisschen singen tut nicht weh, beflügelt aber den Vorgang.
Man tausche die zu kleine Rührschüssel vorsichtshalber in eine doppelt so große.
Man rühre die Zutaten zusammen.
Man streue großzügig Kardamom drüber (was sind schon fünf Gramm?).
Man schneide gewandt mit dem spitzesten, schärfsten, leider auch größten Messer die Vanilleschote auf. Man verschone dabei den Zeigefinger. Man schnuppere NICHT an der sezierten Vanilleschote der Duftnote Schnürsenkel. Verdirbt nur die Vorfreude.
Man betrachte argwöhnisch die entstandene gelbe, zähe Masse - und gieße großzügig noch den letzten Rest Milch drüber.
Ich kann Euch noch nicht sagen, ob das Ganze nun schmeckt.
Mit Brille las ich dann nämlich, dass man den Teig einen ganzen Tag ruhen lassen sollte.
Na ja Ruhe... wird eh überbewertet.
Die Ruhezeit mit der Dauer eines Blogposts muss reichen.
Berichte dann heute Abend oder morgen darüber, ob das Experiment gelungen ist.
Falls nicht, streue einfach ein bisschen Glitzer drüber und vergiss den Abend. Prost!