Sonntag, 16. April 2017

Von Milchkaffee in der Sonne, Raviolis und Frieden für alle








Viel zu oft vorgenommen und viel zu wenig gemacht: Städtetouren.
Angesichts der bevorstehenden freien Tage ein Länderticket gebucht und diesmal fiel die Auswahl auf Augsburg. Viel gehört, einiges gelesen - eine sehenswerte Stadt soll es sein - und davon wollten wir uns dann selbst überzeugen.

Was hat mich nun am nachhaltigsten beeindruckt? 
Der Dom Mariä Heimsuchung.
Ich bin weder ein Kirchgänger noch bin ich auch nur irgendeinem offiziellen Glauben anhängig.
Der Mann auch nicht - aber ihn faszinieren die Bauten.
Ich bin durch das Tor getreten und es ist schwierig zu beschreiben, was das in mir auslöste.
Da war eine Aura, die nur sehr schwer in Worte zu fassen ist.
Eine Aura, die mich still und zugleich so wunderbar ruhig fühlen ließ.
Den Blick nach vorn auf das bunte Ornamentfenster gerichtet, blieb ich stehen, es ist wirklich nicht so einfach zu beschreiben, aber da... war einfach etwas. Um mich herum, auf mir.
Ich wandte den Kopf nach rechts und da stand er immer noch, der alte Mann, der Bettler mit dem Becher in der Hand, draußen vor der Tür, und er schaute auch mich an. Machte ein, zwei Schritte, als wolle er auf mich zugehen. Natürlich ist mir bewusst, dass er lediglich in meiner Körpersprache erkannte: Da gibt es was. Mir sind ebenso all die Tatsachen über Bettlermafia bekannt.
Dennoch nahm ich all meine letzten Münzen, ging zurück vor das Tor und legte sie ihm in den Becher. Er lächelte freundlich aus braunen kleinen Augen.
Hernach war er fort.
"Warum machst du sowas?" kopfschüttelte der Mann, "kann man dich nicht mal einen Moment aus den Augen lassen? Du weißt doch, dass das alles Mafia ist."
"Ich weiß", lächelte ich ihn an und irgendwie.. war da einfach so eine.. unfassbare, zugleich aber wunderbare Ruhe in mir.
"Und warum machst du es dann? Warum die Mafia noch reicher machen?"
"Es war ein alter Mann, vielleicht Mafia, vielleicht aber auch nicht."
"Siehst du, der ist jetzt weg. Geld zählen vermutlich."
"Vielleicht, vielleicht aber auch nicht."
"Oder der ist jetzt in Ruhe frühstücken gegangen von deinem Geld."
"Ja, vielleicht, aber das wäre ja dann auch das Richtige."

Was hat mir am meisten gefallen?
Das "Barfüßer Café", das sich völlig unauffällig im Hinterhof einer Häuserzeile befindet und nur entdeckt werden kann, wenn man genauer hinschaut.
Ich liebe Cafés mit selbstgemalten Bildern, die dort überall an weißgetünchten Wänden hingen, und Tulpen auf den Tischen.
Wenn sie jetzt noch selbstgebackenen statt industriell gefertigten Kuchen anbieten würden, wäre dieses Kleinod kaum übertrefflich.

Was hat mich am meisten bewegt?
Der Ostermarsch mit dem Transparent "Frieden für alle und für immer". Überhaupt hörte man in den letzten Jahren deutlich weniger von Ostermärschen, von Friedensbewegungen - und dabei ist dieses Thema in dieser Zeit bedeutsamer als je zuvor.

Was ist mir eher unangenehm aufgefallen?
Die Blicke anderer Menschen. Sie haben mich verunsichert und mich fragen lassen, ob möglicherweise das Kleid zu kurz war. Wenn es nicht verrutscht (worauf ich eigentlich immer achte, dass das nicht passiert), endet es normalerweise kurz über dem Knie - und dann wieder dachte ich... Ich lebe in Europa, den Minirock (oder eben das kurze Kleid) gibt es seit rund 90 Jahren - und eigentlich möchte ich mich das nicht fragen müssen. Auch dann nicht, wenn es überwiegend Menschen anderer Kulturen waren, die mich musterten.
Als wir in Indien unterwegs waren, trug ich entweder bodenlange Röcke oder lange Hosen - aus Respekt vor der dortigen Kultur.
Ich möchte, dass man unsere hier in Europa genauso akzeptiert, dass man uns Europäer akzeptiert und nicht, wie auch im Post von Nila dargestellt, als Ungläubige empfindet, die keinen Respekt verdienen.

Was hat mich am meisten überrascht?
Der Stadtmarkt zwischen Fuggerstraße und Ernst-Reuter-Platz. Eher auf der Suche nach einer Lokalität um die Mittagszeit, fanden wir diesen Markt beim Herumstreifen in der City - und waren überrascht von der Vielfalt und den vor allem überall freundlichen, redseligen Menschen. Man begegnet einander freundlich, höflich, hilfsbereit ("Sie schauen so suchend, wo wollen Sie denn hin, kann ich Ihnen helfen?"), das Essen (Steinpilzravioli) war ausgesprochen lecker und die Johannisbeerschorle mit deutlich mehr Saft und weniger Wasser als man das beispielsweise hier in M serviert bekommt.

Als wir am Nachmittag mit der Bahn wieder heimfuhren, lehnte ich den Kopf an die Schulter des Mannes und schloss die Augen. Ich fühlte mich leichter, gelöster - und auf entspannte Art müde.
Dieser Tag hatte mir gut getan, so insgesamt.
Aber ich bin gerade nicht sicher, ob ich als Frau noch allein verreisen möchte.
Möglicherweise aber verreise ich im Moment auch sowieso viel zu selten.
Möglicherweise sollten wir das einfach wieder viel öfter tun.

9 Kommentare:

Goldi hat gesagt…

Schöne Bilder, schöne Erzählungen bis auf deinen Eindruck mit den "Betrachtern".

Nicht falsch verstehen, aber können es nicht auch "einfach" nur bewundernswerte/neugierige/fragende Blicke gewesen sein, die diese hübsche, liebenswerte Person mit dieser enormen warmen Ausstrahlung, den in schicken Stiefeln steckenden, geilen Beinen und dieser leckeren Figur entgegen gebracht wurden?

Anonym hat gesagt…

Blicke hättest du auch von mir bekommen. Aber nicht aus dem von "Goldi" genannten Gründen. Komisch sieht das aus, der Saum ist für diese Beine zu kurz und die Stiefel dazu gehen gar nicht. Aber die andere Interpretation der Blicke scheint besser in dein Weltbild zu passen.

LG A.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Aah Goldi, danke für das Blumenbeet, das Du mir da gepflanzt hast - aber dennoch ganz ehrlich: Das waren eher nicht Blicke, unter denen ich mich wohl fühlte.

Und damit komm ich zu Dir, liebe/r A.: Ich poste nicht von mir, um Komplimente zu bekommen, sondern ehrliche Meinungen, deshalb schätze ich auch die Deine. Ich muss nicht jedem/ jeder gefallen; ich mag es im Gegenzug, wenn jeder seinen eigenen Stil verfolgt und den schaue ich mir auch bei anderen Menschen sehr gerne an. Ja, ich schaue auch, natürlich.
Vielleicht ist es die Art der Blicke, die mich Samstag unangenehm berührt fühlen ließ, finster, so von oben nach unten, eher abwertend. So habe ich es empfunden und warum darf ich das auch nicht genauso sagen? Warum darf ich nicht auch sagen, wer mich so betrachtet hat? Wenn es doch so war?
Was bringe ich denn Deiner Meinung nach damit zum Ausdruck?
Welches Weltbild habe ich denn Deiner Meinung nach?
Das sind keine rhetorischen Fragen, das sind ernst gemeinte, von denen ich mir Deine Antwort wünsche.
Abgesehen davon gehe ich eigentlich davon aus, dass ich meinen Standpunkt, meine Auffassung immer klar gezeigt und vertreten habe: Menschen mit Respekt und Anstand und Würde zu behandeln, egal woher sie kommen und wohin sie eines Tages gehen wollen.
Ich empfinde es als ziemlich bezeichnend, dass man sich, was fremde Kulturen betrifft, nicht auch mal kritisch äußern darf, egal wo. Zumal ich doch schon hoffe, dennoch richtig verstanden zu werden.

Goldi hat gesagt…

Das war ehrlich, ich find Dich nun mal bezaubernd und Deine Beine lecker und es hätte ja auch an was auch immer liegen können.

Damit wollte ich Dir auf keinen Fall absprechen, dass Du es genau so empfunden hast wie Du beschreibst, aber ich denke das weißt Du auch. Ich bin vielleicht zu sehr Blümchenweichgespült und suche immer eine schönere Antwort ;) Drück Dich und noch einen schönen Ostereiermontag :-*

Pyrgus hat gesagt…

Frohe Ostern, ein großes, indiskutables Kompliment, sieht alles toll und stimmig aus an dir, und die Sache mit dem Bettler hätte ich wahrscheinlich auch so gehandhabt. Trotz des Wissens um die vermeintlichen Fakten hätte er was bekommen, weil es das Gute in mir gestärkt hätte, weil es für ihn vielleicht eine entscheidende Geste war, weil man seinem Bauchgefühl ruhig öfter nachgeben sollte.
Liebe Grüße
Gabi

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Goldi, Dir glaube ich wirklich jedes Wort - Du bist nicht jemand, der nach dem Mund redet. So ein geballtes Kompliment - das habe ich gar nicht erwartet 😘

Genau Gabi, einfach mehr dem eigenen Bauchgefühl trauen und nachgeben. Wenn ich immer nur kopflastig agiere, wäre ich heute vermutlich an einem ganz anderen Punkt und ich bin nicht sicher, ob das dann der richtige für mich gewesen wär.
Danke für Deine Worte und auch Dir noch einen schönen letzten Ostertag. Auch trotz Schietwetter 😎
P.S. Ich fand mich auch durchaus stimmig, ist halt Geschmackssache. 😇

Anonym hat gesagt…

Liebe/r Anonym, ich habe Deine Nase gefunden - sie war schon wieder in anderer Leute Angelegenheiten.


Liebe Helma,

Du bist warmherzig & manchmal zu geduldig mit Menschen wie "Anonym". Ausserdem bist Du ein bemerkenswerter, liebevoller und absolut liebenswerter Mensch. Und wie lang Dein Saum oder wie hoch Deine Stiefel sein dürfen, geht niemanden ausser Dich etwas an.

Lg
Luna

Anonym hat gesagt…

Liebe Luna, die Frau mit dem roten Kleid hat die Länge des Kleides selbst thematisiert. In einem für alle einsehbaren Text. Darum ging ich darauf ein. Hätte ich Helma in Augsburg getroffen, hätte ich sie auch angeschaut. Mit o.g. Gedanken.

Helma, ich (Frau, deutsch, <40) kenne "diese Art von Blicken". Es sind Männer (deutsch, meist >40), die mir auf die Oberweite starren und fast zu sabbern anfangen. Wo schicken wir die hin?

A.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Luna, ich dank Dir sehr für Deine Zeilen - es ist ja letztlich auch meine Sache und zu dieser stehe ich auch. Das gefällt nicht jedem und muss es auch nicht. Für mich ist wichtig, dass es dem Mann und mir gefällt - und das tat es.

Und deshalb, liebe A.: Dies ist ein öffentlicher Blog, in dem ich mich auch zeige und dann auch damit umgehen können muss, wenn jemandem etwas nicht gefällt oder zusagt.
Solange er mich nicht beleidigt - und das hast Du hier nicht.

Was mich jedoch an Deiner Antwort irritiert: Wo habe ich bitte geschrieben, dass diese Menschen weggeschickt werden sollten? Lies bitte meinen Post noch mal. Ich schrieb lediglich, dass ich mir (in dem Moment von Menschen fremder Kulturen) wünsche, als Europäer in Europa akzeptiert zu werden - hier in Europa, wo ich meinen Mann in der Öffentlichkeit auch mal umarmen, ihm einen Kuss geben oder einfach an der Hand halten möchte (was man z. B. in Indien nicht gern sieht). Hier in Europa, wo man je nach Belieben lange oder kurze Röcke und/ oder Hosen tragen kann und Haare und/ oder Gesicht nicht verschleiern muss. Und dass ich trotzdem ein MENSCH bin, der genauso wie alle anderen Respekt und Achtung verdient. Sollten wir nicht beiderseits Toleranz leben, wenn wir hier gemeinsam leben möchten? Darum ging es mir.
Wenn ein Mensch anders aufgewachsen ist, selbst im Hochsommer Arme und Beine sowie Kopf bedeckt, dann ist das seine Sache, für die ich ihn ja auch nicht verurteile oder bewerte.
Dass ich mich - aus Gründen - im Dunkeln fürchte und es vermeide, abends allein unterwegs zu sein, kommt schon aus meiner Kindheit und hat so gar nichts mit fremden Kulturen zu tun. Darum ging es aber eben in diesem Zusammenhang nicht.

Und ich stelle auch fest, dass Du mir auf meine weitergehenden Fragen nicht geantwortet hattest.