Donnerstag, 31. Dezember 2020

Falies Nawidatt

... ja na oder so ähnlich. Irgendwie hab ichs die Tage nicht auf die Reihe gekriegt, mal noch was zu schreiben von wegen allen möglichen Wünschen und so - und jetzt versuche ich mich heute Abend allen Ernstes darin, obwohl ich schon mindestens zwei Likörschen und das dritte Glas roten Sekt verköstigt bekommen hab (jawohl, bekommen - alleene hättsch mir den nieeee ausm Kühlschrank geholt, aber ich wohn ja nich alleene hier). 

An den paar Worten bis hierher habe ich mich schon gefühlt fuffzsch mal verschrieben, vertippt, ver-was-weiß-ich - aber hey, ich kann doch hier nich weggehen, ohne das alte olle Jahr zu verabschieden und Euch jetzt aber wirklich mal von Herzen ein gutes neues Jahr zu wünschen. Auf dass es für viele von uns ein leichteres, entspannteres werden möge.
Verdammich, wir haben doch wirklich nur dieses eine Leben, keiner von uns weiß, wie lange - und irgendwie würde zumindest ich wirklich ungern abtreten mit dem Gefühl, nicht alles gelebt zu haben, was ich mir auf die Fahne.. ne, die Wishlist.. ach ne, die Löffelliste geschrieben hab. 
Hab ich denn eigentlich überhaupt ne Löffelliste? fällt mir grad so ein.
Eigentlich hab ich mir doch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, was ich will oder wohin ich will. Eigentlich hab ich mich doch eher immer lieber treiben lassen, bin mal hier, mal dort angedockt und dann doch wieder weitergezogen. Weil, wenn mir eins immer wichtig war, dann, dass das Leben mit Liebe gefüllt.. äh ne.. ERfüllt sein sollte. Ich wollte ankommen, ich wollte zur Ruhe finden - und na ja hey, irgendwann habsch dann doch noch gemerkt, dass das gar nichts mit nem Mann zu tun hat, sondern mit mir selber. Na ja und den Rest würde ich mir dann schon so irgendwie zurechtbasteln.

Andere Leute wollen alle möglichen Sachen machen. Mal ne Weltreise, n Haus bauen oder wenigstens kaufen, die Karriereleiter bis auf die letzte Sprosse hochächzen, viel Kohle verdienen und so n Kram. 
Was will ich eigentlich? 
Isch hab keene Ahnung, ehrlich gesagt. Immer noch nich. Ich will eigentlich nur.. das Leben mit Liebe füllen und Glück haben dürfen. Und keine Existenzangst mehr haben müssen, denn ehrlich, diese Jahre waren scheiße. 

Heute morgen, ich war gerade aus den Federn gekrochen, noch ganz warm vom Schlaf und so, da stand mein Käffchen schon aufm Tisch und die Sonne schaute drauf und beseelt von diesem Anblick schlug ich dem Mann vor, doch einen ausgedehnten Spaziergang zu machen, so weit mich die schmerzenden Knochen tragen würden. Also ich hatte ja gemeint, irgendwann am Tag, solange es noch hell war.
Der Mann verstand aber: Kaffee austrinken, anziehen, raus. 
Öhm.
Der hat mich echt wirklich so lange gestriezt und genervt, bis ich tatsächlich nach ner Stunde schon angezogen war. Passiert mir sonst nich so schnell, jedenfalls nicht an freien Tagen und erst recht nicht an denen, wo ich eigentlich auch nix vorhab. Er hat sich (oder mich?) dann mit einem lecker Käffchen rehabilitiert und ich habe diese Entschuldigung großmütig angenommen. Wenn also nix mehr geht - n Käffchen geht doch immer. Da brauchts keine Blumen oder so n Schietkram, keinen Diamanten oder so n Protzzeug. Kaffee handgemahlen oder wenigstens selber gekauft - und die Zigge is glücklich :)
Sagt doch mal, der Mann hat doch eigentlich Schwein, oder? 

Irgendwer hatte in seinem Status heute so n Wimmelbildchen oder wie die heißen. Die drei ersten Worte, die man liest, bestimmen das Jahr 2021.
Ja watt soll ich sagen. Ich hatt halt grad nix zu tun und habs probiert. 
Gesundheit, ne, ich glaub, Gesundheit war das nich, das war irgendwas anderes, so ähnlich vermutlich, das zweite hab ich vergessen, ach ne, das war Heilung! und das dritte war Liebe. 
Heilung klingt ja tatsächlich mal verlockend. Immerhin darf ich seit zwei Wochen kein Cortison mehr nehmen und was soll ich sagen... der Schmerzpegel is an manchen Tagen schon wieder scheiße hoch. Nicht erst seit zwei Wochen, das kam schon wieder, nachdem das Cortison deutlich runtergesenkt worden war. Trotz der Alternativpillen, die es nunmehr mit dazu gab und die leider nich wirklich ne Wirkung zeigen. Also der Schmerzpegel ist jetzt nich so, dass ich gleich verzweifeln täte, aber doch so, dass ich mir überlegen muss, ob ich zum Beispiel die mir wertvolle Tasse nicht besser beidhändig hochhebe und auf welche Seite ich mich lege. Ob ich die Treppen schaffe oder doch lieber den Lift nehme. Wie weit ich zu Fuß komme oder ob ich doch ne Abkürzung nehme. Das is nich kritisch und auch nich lebensbedrohlich, aber trotzdem isses scheiße. Weils nämlich weh tut, jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde, pausenlos und manchmal denke ich immer noch: Das haltsch keene fuffzsch Jahre mehr aus. Aber dreißig reichen ja vielleicht auch. Oder zwanzig. 
War der Mann doch tatsächlich verwundert, weil er meinte, er hätte das gar nich so mitgekricht. Ja was glaubt er denn, dass ich ihm was vorjammere oder mir n Schild an die Stirn hefte "Heute ma nich ansprechen"?! Wie lange kennter mich? 
Gestern hattsch dann doch noch irgendwie so n Geistesblitz und dachte: Warte mal.. wenn die gute alte DDR-Rheuma-Salbe an den Fußsohlen geholfen hatte, dann vielleicht auch an anderen Stellen? An denen, wo es besonders heftig weh tut?
Als dann der Mann sich dann nächtens über mich beugte, musste er aber dann doch lachen: "Ich rieche schon den Sex des Alters."
"Ach warte mal ab, wenn ich dann erst noch die Zähne rausnehme", gackerte ich ein bisschen mit. 
"Dann darfste auch wieder  zubeißen", konterte er.

Wahrscheinlich werde ich das alles bereuen, morgen, wenn ich wieder nüchtern bin. Also bereuen, was ich hier alles so ausplausche. Aber heute is mir das grad alles irgendwie wurschtpiepegal!
Ich weiß auch gar nicht, ob das hier überhaupt alles Sinn macht, was ich so aufgekritzelt hab, oder ob das genauso durcheinander geht wie mein Gedankengestöber im Kopf, weil, eigentlich wollt ich Euch ja wirklich nur eins sagen: Kommt gut ins neue Jahr und seid glücklich. Das hamwir uns alle verdient, irgendwie :)

Donnerstag, 17. Dezember 2020

Das wahre Gesicht

 Mir als Zwillinge-Geborener wird ja immer gerne nachgesagt, dass ich ein Mensch mit zwei Gesichtern sei. Deshalb sei mir nicht zu trauen. Dass mein Ex mir das am Ende unserer Ehe erklärte, konnte ich sogar nachvollziehen. Dass mein Chef mir das manchmal gerne vorhält, eher nicht, weil ich immer eine klare Linie verfolge: Fair muss es sein. Wenn ich einmal die Handlung eines Mitarbeiters kritisch empfinde, bedeutet das nicht, dass ich gleich den ganzen Menschen kritisch sehe - und es bedeutet auch nicht, dass dieser Mitarbeiter deswegen nicht auch positive Seiten hat. Dass der Chef das nicht trennen kann (oder will), ist sein Ding, nicht meins. 

Ich habe in meinem persönlichen Umfeld einige Freunde und ich habe virtuell wenige Freunde, mit denen ich grundlegend eine gemeinsame Basis empfinde. Es ist keiner dabei, der sich - in welcher Form auch immer - radikalisiert oder der völlig neben der eigenen Spur läuft. Schon zu Zeiten der Flüchtlingskrise und jetzt im Corona-Jahr zeigen die Menschen deutlicher Ansichten, die ich manchmal verwundert, manchmal irritiert betrachte und zur Kenntnis nehme, manchmal mit ihnen in (mitunter leidenschaftliche) Diskussionen verfalle - aber eins bleibt uns immer gleich: Wir mögen uns. So wie wir sind. Vielleicht gab es manchmal auch eine Zeitlang Funkstille, weil man etwas zu hitzig aneinander geraten war oder weil man einfach dachte: E bissl Abstand tut vielleicht auch mal ganz gut. Aber eine Freundschaft zu beenden... Grad wenn sie seit vielen Jahren besteht... 

Ich habe gelesen und gehört, dass manch einer von ihnen Freundschaften verloren hat ob ihres Standpunktes, doch für mich selbst hatte ich mir diese Frage bisher noch nie gestellt. Ich sah den Anlass nicht dafür. Weil ich gerade bei den persönlichen Freunden immer eins sehe: den eigentlichen Menschen dahinter, der mir etwas bedeutet. Kann man nicht verschiedener Meinung und trotzdem befreundet sein?

Gestern las ich im Status eines realen, persönlichen Freundes eine Mediennotiz über die Corona-Impfung. Warum sie besser sei als ihr Ruf - und warum die Bedenken unbegründet seien. Diesen Artikel habe ich mir fast bis zuende durchgelesen und dann habe ich den Freund gefragt, ob er selber auch daran glaubt, was er da vermittelt. (Ja, die Frage hätte ich mir eigentlich sparen können, denn irgendwann vor Jahren gehörte er selbst zur Medizin und dass er grundsätzlich alles befürwortet, wusste ich ja schon.) 
Er antwortete mir mit Verweis auf verschiedene Statistiken, aber eine belastbare Argumentation, die für die m/RNA-Impfung spricht, konnte er mir nicht geben. Natürlich kann er das nicht - das können selbst die Obersten vom RKI nicht, die zumindest an der Stelle im Oktober offen antworteten: „Wir gehen alle davon aus, dass im nächsten Jahr Impfstoffe zugelassen werden. Wir wissen nicht genau, wie die wirken, wie gut die wirken, was die bewirken, aber ich bin sehr optimistisch, dass es Impfstoffe gibt.“ (Quelle: https://correctiv.org/faktencheck/2020/12/09/unwissenheit-ueber-covid-19-impfstoffe-aelteres-interview-mit-rki-chef-wieler-wird-irrefuehrend-verbreitet/)

Wenn seit rund 25 Jahren an einem DNA-Impfstoff geforscht wird, wo es noch kein einziger bisher in die Zulassung geschafft hat - wie vertrauenswürdig ist es dann, innerhalb von nur sieben oder acht Monaten einen Impfstoff gegen ein neu mutiertes Virus zu finden, von dem man bis zu seinem ersten Auftreten in Europa noch so gar nichts wusste? Und wenn man dazu in öffentlich-rechtlichen Medien über die Wirkungsweise liest, warum darf man dann nicht Zweifel oder eben auch Furcht davor haben, was diese Impfung vielleicht in meinem eigenen Körper auslöst? Erkenntnisse darüber gibt es so ja nicht, können auch nicht vorliegen. 
"Welche Risiken und Nachteile gibt es? Bei DNA-Impfstoffen besteht theoretisch die Möglichkeit, dass die in die Zelle verbrachte DNA in das eigentliche Erbgut der Wirtszelle eingebracht wird. Als mögliche Folgen werden eine verstärkte Tumorbildung oder Autoimmunkrankheiten befürchtet. Umfangreiche Studien im Tierversuch haben keinen Hinweis darauf gegeben. Im Gegensatz zu DNA-Impfstoffen werden RNA-Impfstoffe nicht in den Zellkern transportiert. Daher besteht auch nicht die theoretische Gefahr, dass diese in das Erbgut von Körperzellen integriert wird. Theoretisch wäre es möglich, dass andere bereits im Körper vorhandene Viren die Impf-RNA in DNA "umschreiben", so dass diese sich doch in das Erbgut einer Zelle integrieren und dort Folgeschäden auslösen könnte. Eine solche Umschreibung wird jedoch nicht beobachtet. [...]" (Quelle: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/gentechnik-impfung-101.html)

Vielleicht verändert diese Form der Impfung also nicht meine DNA, bewirkt aber womöglich die Bildung von Tumoren? Natürlich ist mir bewusst, dass mir das jederzeit auch ohne diese Impfung widerfahren kann - aber muss ich dieses Risiko denn zusätzlich eingehen? Muss ich das, solange keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen (können)? Im Faktencheck von Correctiv wird ausgeführt, dass Wieler im Oktober ja nur so reden konnte, weil er die Ergebnisse noch nicht kannte, die dann Anfang November vorlagen. Ernsthaft? DAS soll mir die Sorge nehmen? Tut sie nicht. Weil es für mich persönlich keinen Unterschied macht, ob man 7 oder 8 Monate getestet und zusammengefasst hat. An allen sonstigen Impfstoffen wird doch sonst jahrelang getestet und ein aufwendiges Prozedere angewandt, bis eine Zulassung überhaupt erst möglich ist. 

Grundsätzlich zähle ich nicht zu den Impfgegnern. Meine Kinder und ich haben die übliche Grundimmunisierung und vor vier Jahren ließ ich mich auch gegen Hepatitis impfen, bevor wir nach Indien flogen. (Sicherlich habe ich mich ab und an schon mal gefragt, ob die nach einem halben Jahr nach der Reise - also gut ein Jahr nach der ersten Impfung - erstmals auftretenden Probleme daher kommen könnten, aber.. DAS zu hinterfragen, DEM nachzuforschen und das dann auch zu beweisen... geschenkt.) Einen sogenannten Vakzin-Impfstoff zu bekommen, habe ich so nie wirklich hinterfragt, weil ich mir immer sagte: Das ist in etwa wie sich im wahren Leben einen Virus einzufangen. Und entweder reagiert mein Körper darauf oder er tut es nicht. 
Aber einen DNA-Impfstoff nach nicht mal einem Jahr Testphase zu bekommen, dessen tatsächliche Auswirkungen erst mit den kommenden Jahren statistisch belastbar erfasst werden können? 

Als ich diese Gedanken gestern Abend über whatsapp dem Freund stellte, überraschte mich dann doch die recht heftige Reaktion, die vor allem eins beinhaltete: beleidigendes Vokabular und persönliche Abwertung all derer, die sich gegen die Impfung entscheiden - und eine persönliche Abwertung meiner Person. 
Das hat mich überrascht und es hat mich verletzt. Nicht nur, dass man als Art Egoistenschwein und Idiot bezeichnet wird, als "Anhänger Bhakdis, mit dem man nicht diskutieren kann", sondern auch mit "was ist denn dein bisschen Muskel-/Schmerz gegen uns Hochrisikopatienten?" Er empfahl mir, für den Fall einer Triage (sein Lieblings-Schlagwort momentan) eine Vollmacht zu unterzeichnen, dass ich im Fall eines Falles erst nach den Geimpften behandelt werden möchte, auch dann, wenn mir vorher die Luft ausgeht. Sein Kind sei schließlich grad in Quarantäne, weil Kontakt zu einer positiven Person - und ich fragte: "Du, das hat meine Freundin mit zwei Kindern schon mehrfach hinter sich [Kita und Schule, ein Trauerspiel für Eltern und Kinder, Anmerkung der Redaktion], was willst du mir denn jetzt damit sagen?"
 Nichts. Er wollte mir nichts mehr sagen - und ich kann grad nicht einschätzen: weil er keine Argumente hatte oder keinen Bock? Letzteres hätte ich sogar verstanden und akzeptiert. Wenn er gesagt hätte "Du pass auf, wir kommen da nicht zueinander, wir haben da grundverschiedene Standpunkte, belassen wir es dabei" - dann wäre es auch gut gewesen. Und ich hätte es verstanden und respektiert.
Und was antwortete er statt dessen?
Dass es ihm leid täte, aber die Freundschaft sei hiermit beendet, er könne da nicht weiter. 
Weil ich zu diesem Zeitpunkt noch unterwegs war und keine andere Möglichkeit hatte, schickte ich ihm eine Sprachnachricht, woraufhin er antwortete "Sprachnachrichten sind obsolet."
Wow. Okay. Also wenns mehr dazu nicht mehr zu sagen gab... Fünfzehn Jahre Freundschaft. Mit viel Begleitung und vielen Sendepausen zwischendurch, von denen man aber immer wusste: Der andere ist immer noch da. Und jetzt... das? 
Wofür? Ich habe das nicht verstanden, gestern Abend nicht - und ich verstehe es immer noch nicht.
Versuche zu reflektieren, was ich an welcher Stelle wie vielleicht missverständlich ausgedrückt haben könnte. Versuchte zu verstehen, warum ich ein Egoistenschwein bin, das wissentlich den Tod aller in meinem Umfeld befindlichen Hoch-/Risikopatienten in Kauf nimmt, obwohl ich sämtliche AHA-Regeln mitmache und nur diese Impfung für mich ablehne. Versuchte zu verstehen, warum er Angst um seinen Arsch hat, aber nicht versteht, dass ich mich genauso um meinen Arsch sorge? Weil ich sagte, dass ich aktuell genug Probleme mit meinem Körper habe und nicht noch mehr Probleme brauche - was ist falsch daran? Weil ich nicht zwangsläufig dran sterben muss? 
Ich fragte mich (und ihn), warum er mich nach den fünfzehn Jahren Freundschaft nicht besser kannte als mir zu unterstellen, ein Anhänger von irgendjemandem zu sein, von dem ich maximal weiß, wie man den Namen schreibt, aber mich noch nie mit seinen Aussagen und Thesen befasst hatte. Dass er mir nicht zugestand, mir eigene Gedanken zu machen aufgrund dessen, was auf offziellen, also anerkannten Seiten bekannt gemacht wurde.
Am Abend saß ich irgendwie geknickt und immer noch überrascht von all dem auf meinem Sofa, aber ich sagte mir dann auch: Wenn es so einfach für ihn ist.. Wenn er tatsächlich keine anderen Argumentationen als Beleidigungen hat, oder anstatt einfach zu sagen "Du pass auf, passt grad nicht für mich, ist mir zuviel", dann soll es so sein. Dann trennen sich von hier an die Wege. 
Er hatte mich dann ohnehin blockiert. So sei es dann.

Vor ein paar Wochen oder Monaten (ich hab so ein scheiß schreckliches Zeitgefühl) las ich irgendwo, dass Corona auch ein was Gutes hätte: Es würde viele (schmerzhafte) Wahrheiten zutage bringen, die man mitunter nicht für möglich gehalten hätte. Und vermutlich gehören solche Erfahrungen auch dazu. 
In einem ganz anderen Zusammenhang hatte ich erst vor zwei Tagen zu jemandem gesagt: "Schönwetterfreunde braucht kein Mensch. Wirklich kennenlernen tust du jemanden erst in Belastungsmomenten. Wenns drauf ankommt. Wer dann noch für dich da ist, auf den kannst du bauen. Auf alle anderen kannst du scheißen."

Dienstag, 15. Dezember 2020

Jerusalema


Dass ich schon seit etlichen Jahren kein Radio mehr höre, stelle ich vor allem immer wieder in der Rubrik "Musik & Hits" bei Quizduell fest. Ich hab überhaupt keine Ahnung mehr, was heute so gehört wird, ich kenne nur noch die Musiker von "früher" und bei manchen Bandnamen würde ich eher beispielsweise eine Käsesorte statt einer angesagten Band vermuten. 

Vor zwei Tagen entdeckte ich bei Facebook das Tanz-Video vom Herzzentrum Leipzig, untermalt mit einem Hit, der schon 2019 viral gegangen sein soll. An mir völlig vorbeigegangen - wie gesagt: selber schuld, wenn man nur eigens angelegte Songlisten rauf & runter hört ;) 
Bei diesem Video jedenfalls hatte ich eine Wahnsinns-Gänsehaut, nicht nur der Intention wegen, nicht nur Sehnsucht nach Leipzig und überhaupt wegen. Denn allem voran empfand ich vor allem eins: pure Lebensfreude. Das Bedürfnis, vom Drehstuhl aufzustehen und mitzumachen. Tanzen für den Moment, und dann am liebsten weitertanzen zur Tür hinaus...
Leider hat das Herzzentrum ihr wunderbares Video nicht auf youtube veröffentlicht (aber wer auch bei FB ist: https://www.facebook.com/heliosparkklinikum/ ), dafür fand ich eine Kurzversion der Uniklinik Leipzig. Sicherlich habe ich beim Rumstöbern auf youtube festgestellt, dass sich an dieser Tanzchallenge bereits etliche Kliniken bundesweit beteiligt hatten, aber ich wollte eben... Leipzig ♥️

Am vergangenen Wochenende habe ich mich vertieft darin, Überraschungen für einige wenige, für mich besondere Menschen vorzubereiten, weil es soviel mehr Spaß macht, etwas von sich abzugeben, das anderen (hoffentlich) Freude bereitet. Dabei habe ich diesen Song in Endlosschleife gehört und mich wunderbar dabei gefühlt. Und ich habe mich gefragt, was ich wohl tun würde, wäre ich allein, hätte nicht wirklich jemanden bei mir und so kurz vor den Weihnachtstagen auch nicht wirklich die Chance darauf, daran etwas zu ändern. Würde ich mich in das Schicksal ergeben oder würde ich mir etwas überlegen? Das Jahr 2003 fiel mir wieder ein, Weihnachten 2003. Die Jungen bei ihrem Vater, die Familie hunderte Kilometer weit weg und ich dort in meiner kleinen Wohnung mit dem mir gegenüber gebrochenen Versprechen: "Ich lasse dich Weihnachten doch nicht alleine."
Ich sah mich wieder mit der Flasche Rotwein (bis heute trinke ich keinen Rotwein mehr) in meinem Bett liegen und so lange auf das Leben anstoßen, bis ich vor lauter Selbstmitleid und einigen Prozenten im Blut erst das Heulen anfing und dann irgendwann darüber einschlief.
Würde ich das so wieder haben wollen?
Im Leben nicht. 
Aber damals setzte irgendso ein Denk- und Fühlprozess ein, den ich erst Jahre später wirklich bewusst in Worte fassen konnte: Ich kann mich nicht auf einen anderen Menschen verlassen, ich will mich auch nicht mehr auf einen anderen Menschen verlassen, weil ich dann völlig abhängig davon bin, ob der andere Mensch sein Wort hält oder nicht. Und tut er es nicht, stürze ich ab und falle tief. 
Mir ist das ja damals nicht zum ersten Mal passiert - da aber zum letzten Mal.
Von dem Moment an habe ich Stück für Stück (bewusst und unbewusst) daran gearbeitet, nie mehr abhängig von einem anderen Menschen zu sein. Nicht mehr davon abhängig zu sein, ob jemand mit mir sein konnte oder wollte. Es musste immer einen Plan A und einen Plan B geben, und Plan A beinhaltete zunächst vor allem erstmal mich und das, was ich mir für den Tag X vorgenommen hatte. Plan B war demzufolge höchstens die wundervolle Ergänzung. 
Was mich schon immer auf die Beine und nach vorn gebracht hat, war der unbedingte Wille nach Leben. Waren die Hoffnung und die Zuversicht. Woraus ich immer geschöpft habe, war und ist nach wie die Lebensfreude. Das bedeutet natürlich nicht, dass man nicht trotzdem dann und wann am Boden liegt und heult, aber spätestens nach drei Tagen kotzte ich mich selber an, stand auf, duschte, zog mir einen Lidstrich und ging wieder hinaus in die Welt. 



Was in damaliger Zeit, teils nächtelangen Gesprächen und Philosophierungen über das Leben und die Liebe eher noch wie eine unvorstellbare These für mich anmutete, entwickelte sich über die Jahre für mich zu einem Lebenskonzept: Heute kann ich sehr gut allein leben, mir selbst sehr gut genug sein und mein Leben auch dann mit genug Leben und Lieben füllen, wenn ich allein bin. Ja, ich bin dankbar für jeden Menschen in meinem Leben und dankbar dafür, dass ich es aktuell nicht allein leben muss. Jedoch die Furcht vor dem Alleinsein habe ich verloren - und das war eine meiner wichtigsten Lehren aus früheren Jahren. 

Was würde ich also heute mit all meinem Wissen anfangen? Was würde ich heute in Tagen wie diesen tun wollen? Ich würde mich sozial engagieren. Ehrenamtlich, aus Gründen. Ich würde das Internet rauf und runter lesen, mich informieren, wo Hilfe und Unterstützung gebraucht wird - und wo sie aktuell überhaupt angenommen werden darf. Ich glaube, dass die Dankbarkeit von Menschen das wirklich großartigste Geschenk ist, das man bekommen kann. Die Dankbarkeit in ihren Augen, in ihrem Lächeln. Nie vergesse ich das Lächeln in den Augen des alten Mannes, der im letzten Jahr bei uns immer am U-Bahn-Ausgang auf den eiskalten Steinplatten saß. Dem ich immer etwas zu essen und einen heißen Tee brachte und mich neben ihn kniete. Diese kleinen blauen Augen in dem überaus faltigen, runzligen Gesicht. Die Worte, die er zu mir sagte und die ich nicht verstand. Manches geht einfach ohne Worte. Wie er lächelte mit dem Mund fast ohne Zähne. 

Auch wenn du denkst, dass du nichts hast, hast du immer noch genug, um anderen davon abzugeben. Dann bist du nicht nur nicht allein, du bist dann auch.. beschenkt. Und alles ist immer noch besser, als zu Hause mit einer Flasche Rotwein dem Selbstmitleid zu frönen. Jedenfalls, wenn es länger als drei Tage dauert. 

Montag, 7. Dezember 2020

What If I'm Wrong


Es ist noch längst nicht acht Uhr und ich bin so müde, dass ich mich am liebsten schlafen legen möchte. Doch dann würde ich verpassen, wenn der Junge nach Hause kommt. Und auch, wenn er immer die Augen verdreht, wenn ich ihn ganz sehr umarme, so weiß ich doch, dass er sich freut, wenn ich zu ihnen nach Hause komme. 
Ein klein wenig Weihnachtsstimmung habe ich schon in ihr Zuhause gebracht, habe ihnen ein Abendessen zubereitet und möchte die Zeit, die wir hier haben, genießen. Gerade jetzt möchte ich umso mehr, dass sie es gut haben..

Vor gut einer Woche, vielleicht ist es auch noch ein paar Tage länger her, da debattierte ich mit einer Freundin über persönliche Befindlichkeiten und auch über die aktuellen Entwicklungen. Irgendwann schrieb sie mir, dass ich auf jedes schlüssige Argument ihrerseits ein schlüssiges Gegenargument hätte - und das war ein Moment, in dem ich mich irgendwie schlecht fühlte mit dieser Aussage. Mir ist bewusst, dass ich bei aller "Pflegeleichtigkeit" durchaus auch mal anstrengend sein kann. Nur geht es mir nicht darum, mich im Recht zu fühlen oder auf meiner Meinung zu beharren. Mit jedem Dialog habe ich die Chance, mich selbst zu hinterfragen, meinen Standpunkt zu hinterfragen - und diesen auch anzupassen oder gar zu wechseln, sofern die Argumente sich für mich stimmig anfühlen. Das bedeutet aber auch, nicht alles widerspruchslos hinzunehmen, sondern auch mal so lange zu fragen, bis mein Bauchgefühl mir signalisiert: Okay, gut jetzt. 
Doch je tiefer wir in die Debatte stiegen, desto mehr wurde mir vor allem eines bewusst: Eigentlich.. bin ich müde. Eigentlich weiß ich viel zu wenig. Eigentlich habe ich überhaupt keine Ahnung von vielen Dingen - und erlaube mir dennoch, eine Meinung zu haben. Eine Sicht auf die Dinge, von der ich genauso weiß, dass es vollkommen egal ist, was ich denke und was ich nicht denke. Ob ich falsch liege oder nicht. Es spielt einfach keine Rolle. 
Mit eben jener Freundin debattierte ich schon vor gut einem Jahr darüber, ob und was ich einem bestimmten Menschen glauben kann und glauben soll. Irgendwann in dieser Diskussion fragte sie mich: "Warum ist es dir so wichtig, ob das stimmt oder nicht?"
Damals konnte ich ihr nur vage auf diese Frage antworten, inzwischen weiß ich konkret, wann mir die Wahrheit wichtig ist: wenn es etwas mit mir selbst macht. Wenn ich nach Offenbarungen anderer nicht mehr schlafen und an kaum etwas anderes denken kann. Wenn ich nach Wegen suche, ob und wie ich dem anderen helfen kann, wenn man gemeinsam weint - dann will ich wissen, dass all das.. nicht auf einer Lüge basiert. Ich will nicht, dass mit dem Empfinden eines anderen Menschen gespielt wird - und ich will auch nicht, dass mit meinem Empfinden gespielt wird. 

Nach der letzten Aufzeichnung aus einer Sendeanstalt, in der drei Klinikärzte zu Gast waren, die mir die Freundin übermittelte und während der ich tatsächlich einige Male versucht war, zwischendrin auszuschalten und doch bis zur fast letzten Minute durchhielt, schrieb ich ihr meine - durchaus kritischen - Gedanken dazu und schloss mit der Intention, in der kommenden Zeit das Thema ruhen lassen zu wollen. Nicht weil ich die Diskussion scheute. Aber ich spürte, wie es in meinem Kopf arbeitete - und das in dem Bewusstsein, wie verschenkt diese Kopfarbeit war. Aktuelle Entscheidungen stehen, ob uns allen das nun so gefällt oder wir das in den Auslegungen gut heißen. 
Und als sie mir antwortete, dass ihr in vielen Dingen auch einfach das (Hintergrund-) Wissen fehlt und sie deshalb auf diejenigen vertraut, die Entscheidungen beeinflussen bzw. treffen dürfen, alles andere für sie zu schwierig und anstrengend sei, da dachte ich: Ja, sie hat recht. Es ist anstrengend und es ist irgendwie sinnlos anstrengend. 
Wofür tut man sich das an, wenn das Leben selbst.. die Lebenszeit so kostbar ist?
Vor siebzehn Tagen hat sich ein Mensch für immer verabschiedet. Ein Mensch, der per Definition vielleicht gerade so kein Kind mehr war, in seinem Wesen und aus verschiedenen medizinischen Gründen jedoch  das Kind geblieben war. Vielleicht ist dieser Abschied kein überraschender gewesen - aber zu sehen, wie sehr die Eltern unter diesem Abschied leiden, das ist kaum in Worte zu fassen. Und du kannst auch nicht wirklich etwas tun, außer ihnen zuzuhören, wann immer sie mit dir reden wollen, mit ihnen zu weinen, außer sie an dich zu drücken und einfach nur festzuhalten. Ihnen den Rücken freizuhalten von all den "irdischen" Dingen, für die ihnen noch immer Raum & Zeit fehlen. Tage, an denen sie sagen, sie möchten am liebsten überhaupt nicht aufstehen. Tage, an denen sie nur trinken, statt zu essen, und alles wieder zu erbrechen. 
Und mich berührt es umso mehr, weil ich selbst immer gesagt habe: Du kannst alles im Leben überstehen und irgendwie überwinden - aber nicht, wenn du dein eigenes Kind begraben musst. Selbst wenn du irgendwann an den Punkt gekommen bist, wo du ihn gehen lassen willst, weil alles andere auch kein wirkliches Leben mehr ist. Trotzdem bringt es dich um, wenn es eines Tages dann doch soweit ist und du derjenige bist, der seinem Kind die Augen schließen und ihn nach dem Waschen in den Sarg legen musst. 
In dem Moment spielt keine Rolle mehr, woran du glaubst oder glauben möchtest - da ist einfach nur noch Schmerz, den man versucht, mit aufzufangen, indem du auch nur irgendwas tust, dass es den Eltern leichter macht, sich nicht auch noch darum kümmern zu müssen. 
Und kaum bekommst du deine eigenen Gedanken und Empfindungen, dein Mitgefühl irgendwie wieder zurück in die Fassung, da erfährst du von der Diagnose eines anderen, den Du wirklich magst, und es zieht dir den Boden weg. In den Nächten danach konnte ich nicht mehr schlafen, las im Internet rauf und runter, was genau diese Diagnose bedeutet, wie sind vor allem die Chancen, aus dieser Scheiße lebend rauszukommen. Zog mir einen Film nach dem anderen rein, betäubte mich mit Musik. Allein wie er es seiner Frau und seiner Tochter sagen muss und wie er damit hadert, es irgendwie den Eltern sagen zu müssen.. Ich lese es, weil ihm für das Sprechen die Worte fehlen - und die Vorstellung dessen, wie er sich mit all dem fühlen muss, reißt mich mitten durch.
In solchen Momenten - aber da kann ich auch nur für mich sprechen - bin ich einfach nur dankbar, wenn ich in den Weihnachtstagen bei meinen Kindern sein kann, wenn ich den Mann mit mir nehmen kann, damit er bei seiner Mama sein kann. Vielleicht dürfen wir fünf alle an Weihnachten zusammen sein, vielleicht nun doch nicht - aber wie es auch kommen mag: Ich denke nicht mehr pro und nicht mehr contra - ich denke nur noch eins: Ich bin dankbar, wenn ich bei meinen Kindern sein darf. Ganz egal, ob es das Weihnachten ist, wie wir es uns gewünscht hätten, oder dass es vielleicht doch hätte anders gehen können. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte... dann, dass niemand einsam sein muss. Aber selbst auf meiner Blümcheninsel in meinem Kopf weiß ich, dass die Realität eine ganz andere ist. 

Und meinen nächsten möglichen Urlaub möchte ich mit meinen Eltern verbringen. Ganz egal, ob es nur vier oder fünf oder sieben Tage sein können oder dürfen. Hauptsache, man ist beieinander. 
bikerlara hat das auf Twitter - für mich wundervoll - in Worte gefasst: "Glück kann durch einander kommen." Und wir wissen schließlich einfach nicht, wie viel Zeit wir mit einander haben. Sicher ist nur, dass sie begrenzt ist.