Meine Freundin hatte mir einen Floh ins Ohr gesetzt: Sie erzählte mir, dass sie alle Sachen, die sie nicht mehr braucht oder will, für fünf Euro je Stück verkauft. Ob sie damit Erfolg hat, habe ich sie nicht gefragt - aber ich dachte wieder daran, als wir begonnen hatten, die ersten Umzugskartons zu packen.
Und weil der Mann unlängst für schlappe sieben Tage im Wintersport weilte, dachte ich mir: "Könntsch ja eigentlich auch mal probieren? Zeit genug haste abends ja.."
Gesagt - getan. Ich sortierte aus, was entweder nicht mehr passt, nicht mehr zu mir passt - oder was mir schlichtweg einfach nicht mehr gefällt. Und fand das alles ziemlich aufwendig. Ein Foto auf dem Bügel, eins angezogen. Ich weiß ja, wie mir das geht: Ich seh ganz gerne, wie Klamotten angezogen aussehen - da können Welten zwischen liegen!
Irgendwann gegen Mitternacht war ich damit durch - und da rieselten schon die ersten Nachfragen rein.
Bei Kleidungsstück 51 wurde ich vom System informiert, dass nur die ersten 50 Anzeigen je Monat kostenlos sind; ab dem 51. Stück kostet es knapp nen Euro je Anzeige. Klar könnte ich diesen Euro auf das Kleidungsstück aufschlagen, wollte ich aber irgendwie auch nicht - und dann hatte der Mann die irre Idee: "Kannst ja meinen Account mit nutzen, ich geb dir mein Passwort."
Es konnte ja keiner ahnen, was da abgeht!
Nach Tag 3 jedenfalls war ich komplett erschöpft: Tagsüber Stress im Office, mit Zahlen, mit Werten, mit Angeboten, ein Projekt nach dem anderen auf dem Tisch - ich wusste so schon kaum noch, wo hinten und vorn ist. Im Anschluss zig Nachrichten und Nachfragen beantworten nach Maßen, Produktdetails - dazu das Feilschen um Versandkosten.
Boar ey.
Nicht nur, dass ich jeden Tag bis weit nach Mitternacht schrieb, Päckchen packte, Häufchen sortierte - ich musste mir auch ab Tag 2 schon Listen anlegen, auf denen ich mir notierte, wer was geordert hatte und wer davon bezahlt hatte und wer nicht. Und dann immer aufpassen, auf welchem Kanal man eigentlich gerade ist und wem man gerade schreibt. Das ist wie jede Woche in einem anderen Hotel zu übernachten und sich morgens zu fragen, wo man eigentlich gerade sei. Eine Mammutaufgabe - ich hätte eigentlich keinen Job gebraucht ;)
Und wie das hier aussah!
Die Stimme des inneren Monks war schon schrill und heiser geworden vom hysterischen Kreischen - aber morgens um 2.30 Uhr hatte ich einfach keinen Bock mehr auf Ordnung machen. Da wollte ich nur noch schlafen. Auf dem Rücken, mit offenem Mund und alle Viere von mir gestreckt. Für etwa drei, vier Stunden, dann ging der Irrsinn weiter.
Ordnung habe ich erst am Abend zuvor gemacht, bevor der Mann aus dem Skiurlaub heimkehrte.
Und inzwischen hat er dank mir einige Follower mehr und seine Beliebtheit ist auf "Besonders freundlich" hochgestuft worden. Wenn DIE wüssten! :D
Zwischendrin musste ich auch wieder nach L fahren. Office vor Ort ist schon noch eine ganz andere Hausnummer. Zwar weiß ich inzwischen, dass ich durchaus sehr diszipliniert im Home Office arbeiten kann und das auch tu. Aber es ist einfach anders als vor Ort. Keiner, der ständig nach einem ruft. Niemand, der permanent die Tür aufreißt und Fragen stellt. Keine drei Telefone, die gern zeitgleich klingeln. Dazwischen eine Unmenge an Aufgaben und ein offenes Ohr für den Frust und den Kummer anderer haben. Abends heimfahren, Essen zubereiten, Ordnung machen und noch den Rest des Abends mit dem großen Jungen verbringen. Nebenbei Löcher in Sachen stopfen, bügeln, Wäsche waschen.
Ich schlief wenig in diesen Tagen und mehr als einmal hatte ich so ein Gefühl, wie wenn ich gleich einen Infarkt bekäme. Bekam ich natürlich nicht, bin ja eine robuste nordische Stranddistel, auch wenn man mir das nicht unbedingt so ansieht.
Wenigstens aber einen Wutschrei bin ich losgeworden am Samstag auf dem Heimweg. Rund vierhundert Kilometer lang fast durchweg Stop & Go - ich dachte, ich würde wahnsinnig. Ich war müde, ich war wirklich erschöpft. Kam nicht mittags, sondern erst am späten Nachmittag nach Hause, aß eine Kleinigkeit und legte mich für eine halbe Stunde schlafen. Dann aufstehen, duschen und zu Freunden des Mannes fahren, die ja extra für uns gekocht hatten. Es war auch wirklich ein schöner Abend - aber gegen 22.30 Uhr war ich einfach nur müde und wollte heim.
Sonntag die Freundin treffen in der Stadt, anschließend mit dem Mann und dessen Wanderfreund noch auf eine Kaffeerunde - dann war ich durch. Komplett durch.
Wir haben am Abend trotzdem noch ein bisschen weiter eingepackt und der Mann meinte noch: "Also wenn das so entspannt weitergeht mit dem Packen, dann freut mich das."
Das war Sonntag. Heute ist Dienstag - und er kam schon genervt nach Hause.
Er hasst es, wenn irgendein Plan nicht funktioniert - und fauchte dann entsprechend hier rum. Alles müsse er allein machen und wenn er mich was frage, bekäme er keine Antwort.
Irgendwann fauchte ich dann auch zurück. Schließlich war ich mit dem Job noch nicht ganz durch, hatte mich auch ordentlich zu konzentrieren - Budget, Budgetnachträge, Zahlungsanweisungen, da darf mir kein Fehler unterlaufen - da konnte ich nicht sofort auf alles reagieren.
"Dann hätte ich mich gar nicht so stressen und eher heimkommen müssen", murrte er.
"Ich wusste ja gar nicht, dass du das vorhattest", gab ich zurück (Stichwort Kommunikation - ha!), knipste dann den Laptop aus, schnappte mir ein Päckchen, das es noch wegzubringen galt - und begab mich hinaus an die eiskalte Luft.
Hätte ihm ja eigentlich eher gutgetan, sagte ich mir, aber huch ne, von da war er ja grad erst heimgekommen.
Er ist heut Abend dann doch noch zum Yoga gegangen, obwohl er gar keine Lust hatte ("Hab einfach den Kopf grad nicht frei!"), während ich letzte Nachrichten zum Kleiderverkauf beantwortete, noch zwei weitere Päckchen verpackte mit Karten schreiben und einen Stein dazulegen (ja, die müssen ja irgendwie auch noch unter die Leute, sonst haben wir ein paar Kilo Ballast mehr :)) - und dann legte ich die Beine hoch. Überlegte, ob ich für ein paar Minuten die Augen zumache und entschied mich dann doch dagegen, weil ich sonst wieder die halbe Nacht aufbleiben würde.
Stattdessen sitze ich hier, schreibe einen Post darüber, wie es hier so weitergeht mit unserem "Projekt L" und überlege in Gedanken, von welchem Geschirr ich mich trennen möchte (natürlich entscheide ich nur über meins ;)) und was ich jetzt schon einpacken kann, ohne in den kommenden fünf Wochen nochmal wild in den bereits gepackten Kisten rumkramen und rumsuchen zu müssen.
Eine Freundin fragte letzte Woche wiederholt, wie ich das eigentlich alles mache und aushalte, gerade auch mit diesem Irrsinn im Office, und immer noch so gelassen bin. Na ja, ich wirke nach außen vielleicht so ;)
Aber ansonsten.. Wisst Ihr, ich kann eigentlich an kaum etwas anderes denken als an die Zeit, wenn wir in L sind und ich wieder mehr Zeit mit und für meine Söhne habe. Dort laufen die Wege gerade nicht so wie sie sollten. Der eine leidet unter Depressionen, weil er zuviel allein ist. Der andere steuert aktuell geradewegs darauf zu, weil er zu wenig allein ist. Ich werde Entwicklungen nicht verhindern können - aber ich weiß, dass es möglich ist, Entwicklungen positiv zu beeinflussen. Allein dadurch, dass man DA ist. Dass man zuhört. Etwas zu essen macht. Sich Zeit nimmt. Auffängt. Abfängt. Ihren Weg gehen sie am Ende allein - und sie können das auch.
Und ich freue mich auf die Zeit, in der es wieder leichter und einfacher wird, für sie da zu sein. So wie sie es brauchen. Und wollen. Und zulassen. Ich freue mich auf die Zeit, in der das Leben wieder ruhiger wird, innen und außen. Und mir dann auch wieder genug Zeit bleibt für das Malen und die Musik.
Ich freue mich auf die Zeit in L, weil es mir vor allem auch mehr Zeit ermöglicht für die Menschen, die schon da sind, die dann hoffentlich immer noch da sind - und die ich einfach nur ganz sehr umarmen möchte. Es ist so vieles, auf das ich mich freue, und ich sehe viel mehr davon als von dem, was mich hier gerade umgibt. Das ist es, was mich immer wieder neu antreibt und mich zugleich im Inneren auch völlig entspannt. Und ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so.