Dienstag, 31. Januar 2023

Im Innen & Außen

 Meine Freundin hatte mir einen Floh ins Ohr gesetzt: Sie erzählte mir, dass sie alle Sachen, die sie nicht mehr braucht oder will, für fünf Euro je Stück verkauft. Ob sie damit Erfolg hat, habe ich sie nicht gefragt - aber ich dachte wieder daran, als wir begonnen hatten, die ersten Umzugskartons zu packen.
Und weil der Mann unlängst für schlappe sieben Tage im Wintersport weilte, dachte ich mir: "Könntsch ja eigentlich auch mal probieren? Zeit genug haste abends ja.."
Gesagt - getan. Ich sortierte aus, was entweder nicht mehr passt, nicht mehr zu mir passt - oder was mir schlichtweg einfach nicht mehr gefällt. Und fand das alles ziemlich aufwendig. Ein Foto auf dem Bügel, eins angezogen. Ich weiß ja, wie mir das geht: Ich seh ganz gerne, wie Klamotten angezogen aussehen - da können Welten zwischen liegen!
Irgendwann gegen Mitternacht war ich damit durch - und da rieselten schon die ersten Nachfragen rein.
Bei Kleidungsstück 51 wurde ich vom System informiert, dass nur die ersten 50 Anzeigen je Monat kostenlos sind; ab dem 51. Stück kostet es knapp nen Euro je Anzeige. Klar könnte ich diesen Euro auf das Kleidungsstück aufschlagen, wollte ich aber irgendwie auch nicht - und dann hatte der Mann die irre Idee: "Kannst ja meinen Account mit nutzen, ich geb dir mein Passwort."
Es konnte ja keiner ahnen, was da abgeht!

Nach Tag 3 jedenfalls war ich komplett erschöpft: Tagsüber Stress im Office, mit Zahlen, mit Werten, mit Angeboten, ein Projekt nach dem anderen auf dem Tisch - ich wusste so schon kaum noch, wo hinten und vorn ist. Im Anschluss zig Nachrichten und Nachfragen beantworten nach Maßen, Produktdetails - dazu das Feilschen um Versandkosten. 
Boar ey. 
Nicht nur, dass ich jeden Tag bis weit nach Mitternacht schrieb, Päckchen packte, Häufchen sortierte - ich musste mir auch ab Tag 2 schon Listen anlegen, auf denen ich mir notierte, wer was geordert hatte und wer davon bezahlt hatte und wer nicht. Und dann immer aufpassen, auf welchem Kanal man eigentlich gerade ist und wem man gerade schreibt. Das ist wie jede Woche in einem anderen Hotel zu übernachten und sich morgens zu fragen, wo man eigentlich gerade sei. Eine Mammutaufgabe - ich hätte eigentlich keinen Job gebraucht ;)
Und wie das hier aussah!
Die Stimme des inneren Monks war schon schrill und heiser geworden vom hysterischen Kreischen - aber morgens um 2.30 Uhr hatte ich einfach keinen Bock mehr auf Ordnung machen. Da wollte ich nur noch schlafen. Auf dem Rücken, mit offenem Mund und alle Viere von mir gestreckt. Für etwa drei, vier Stunden, dann ging der Irrsinn weiter. 
Ordnung habe ich erst am Abend zuvor gemacht, bevor der Mann aus dem Skiurlaub heimkehrte.
Und inzwischen hat er dank mir einige Follower mehr und seine Beliebtheit ist auf "Besonders freundlich" hochgestuft worden. Wenn DIE wüssten! :D 

Zwischendrin musste ich auch wieder nach L fahren. Office vor Ort ist schon noch eine ganz andere Hausnummer. Zwar weiß ich inzwischen, dass ich durchaus sehr diszipliniert im Home Office arbeiten kann und das auch tu. Aber es ist einfach anders als vor Ort. Keiner, der ständig nach einem ruft. Niemand, der permanent die Tür aufreißt und Fragen stellt. Keine drei Telefone, die gern zeitgleich klingeln. Dazwischen eine Unmenge an Aufgaben und ein offenes Ohr für den Frust und den Kummer anderer haben. Abends heimfahren, Essen zubereiten, Ordnung machen und noch den Rest des Abends mit dem großen Jungen verbringen. Nebenbei Löcher in Sachen stopfen, bügeln, Wäsche waschen. 
Ich schlief wenig in diesen Tagen und mehr als einmal hatte ich so ein Gefühl, wie wenn ich gleich einen Infarkt bekäme. Bekam ich natürlich nicht, bin ja eine robuste nordische Stranddistel, auch wenn man mir das nicht unbedingt so ansieht. 
Wenigstens aber einen Wutschrei bin ich losgeworden am Samstag auf dem Heimweg. Rund vierhundert Kilometer lang fast durchweg Stop & Go - ich dachte, ich würde wahnsinnig. Ich war müde, ich war wirklich erschöpft. Kam nicht mittags, sondern erst am späten Nachmittag nach Hause, aß eine Kleinigkeit und legte mich für eine halbe Stunde schlafen. Dann aufstehen, duschen und zu Freunden des Mannes fahren, die ja extra für uns gekocht hatten. Es war auch wirklich ein schöner Abend - aber gegen 22.30 Uhr war ich einfach nur müde und wollte heim.
Sonntag die Freundin treffen in der Stadt, anschließend mit dem Mann und dessen Wanderfreund noch auf eine Kaffeerunde - dann war ich durch. Komplett durch. 
Wir haben am Abend trotzdem noch ein bisschen weiter eingepackt und der Mann meinte noch: "Also wenn das so entspannt weitergeht mit dem Packen, dann freut mich das."
Das war Sonntag. Heute ist Dienstag - und er kam schon genervt nach Hause. 
Er hasst es, wenn irgendein Plan nicht funktioniert - und fauchte dann entsprechend hier rum. Alles müsse er allein machen und wenn er mich was frage, bekäme er keine Antwort.
Irgendwann fauchte ich dann auch zurück. Schließlich war ich mit dem Job noch nicht ganz durch, hatte mich auch ordentlich zu konzentrieren - Budget, Budgetnachträge, Zahlungsanweisungen, da darf mir kein Fehler unterlaufen - da konnte ich nicht sofort auf alles reagieren.
"Dann hätte ich mich gar nicht so stressen und eher heimkommen müssen",  murrte er.
"Ich wusste ja gar nicht, dass du das vorhattest", gab ich zurück (Stichwort Kommunikation - ha!), knipste dann den Laptop aus, schnappte mir ein Päckchen, das es noch wegzubringen galt - und begab mich hinaus an die eiskalte Luft.
Hätte ihm ja eigentlich eher gutgetan, sagte ich mir, aber huch ne, von da war er ja grad erst heimgekommen. 

Er ist heut Abend dann doch noch zum Yoga gegangen, obwohl er gar keine Lust hatte ("Hab einfach den Kopf grad nicht frei!"), während ich letzte Nachrichten zum Kleiderverkauf beantwortete, noch zwei weitere Päckchen verpackte mit Karten schreiben und einen Stein dazulegen (ja, die müssen ja irgendwie auch noch unter die Leute, sonst haben wir ein paar Kilo Ballast mehr :)) - und dann legte ich die Beine hoch. Überlegte, ob ich für ein paar Minuten die Augen zumache und entschied mich dann doch dagegen, weil ich sonst wieder die halbe Nacht aufbleiben würde. 
Stattdessen sitze ich hier, schreibe einen Post darüber, wie es hier so weitergeht mit unserem "Projekt L" und überlege in Gedanken, von welchem Geschirr ich mich trennen möchte (natürlich entscheide ich nur über meins ;)) und was ich jetzt schon einpacken kann, ohne in den kommenden fünf Wochen nochmal wild in den bereits gepackten Kisten rumkramen und rumsuchen zu müssen. 

Eine Freundin fragte letzte Woche wiederholt, wie ich das eigentlich alles mache und aushalte, gerade auch mit diesem Irrsinn im Office, und immer noch so gelassen bin. Na ja, ich wirke nach außen vielleicht so ;)
Aber ansonsten.. Wisst Ihr, ich kann eigentlich an kaum etwas anderes denken als an die Zeit, wenn wir in L sind und ich wieder mehr Zeit mit und für meine Söhne habe. Dort laufen die Wege gerade nicht so wie sie sollten. Der eine leidet unter Depressionen, weil er zuviel allein ist. Der andere steuert aktuell geradewegs darauf zu, weil er zu wenig allein ist. Ich werde Entwicklungen nicht verhindern können - aber ich weiß, dass es möglich ist, Entwicklungen positiv zu beeinflussen. Allein dadurch, dass man DA ist. Dass man zuhört. Etwas zu essen macht. Sich Zeit nimmt. Auffängt. Abfängt. Ihren Weg gehen sie am Ende allein - und sie können das auch.
Und ich freue mich auf die Zeit, in der es wieder leichter und einfacher wird, für sie da zu sein. So wie sie es brauchen. Und wollen. Und zulassen. Ich freue mich auf die Zeit, in der das Leben wieder ruhiger wird, innen und außen. Und mir dann auch wieder genug Zeit bleibt für das Malen und die Musik.

Ich freue mich auf die Zeit in L, weil es mir vor allem auch mehr Zeit ermöglicht für die Menschen, die schon da sind, die dann hoffentlich immer noch da sind - und die ich einfach nur ganz sehr umarmen möchte. Es ist so vieles, auf das ich mich freue, und ich sehe viel mehr davon als von dem, was mich hier gerade umgibt. Das ist es, was mich immer wieder neu antreibt und mich zugleich im Inneren auch völlig entspannt. Und ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so. 

7 Kommentare:

angelface hat gesagt…

uiiii ...welch ein Riesen-Programm...Das kann ich dir nachfühlen, ich glaube ja, wenn ich mir das angefangen hätte und merken würde wohin das läuft, hätte ich wahrscheinlich aufgegeben, bewundernswert; dass du es nicht tatest! Gratulation - !!!
ein Zeichen für dein gutes Durchhaltevermögen! sei stolz darauf..
aber - es ist und bleibt - ein Riesenprojekt !
ich kann es mir gut vorstellen - auch wenn keine BIlder davon im Post stehen:-))
Gut dein Bericht darüber , da können sich andere schon mal darauf einstellen W e l c h e Arbeit das macht und welch ein zeitfresser das ist wenn man sich darauf einlässt..
Ich hatte mal die Idee einige-viele meiner fast neuen Taschenbücher einzustellen um sie für kleines Geld anzubieten , doch als viele ausgesiebt wurden mit der Aussage: haben wir schon 3 x, oder lassen sich schwer verkaufen - hab ich es ratz fatz ruck Zuck wieder aus dem Netz genommen und sie stehen bis heute mitten zwischen unter geschätzten 4-500 Büchern noch in meinen Regalen!
herzlichst angel

Lutz hat gesagt…

Ach, du meine Nase. (Würde ein gewisser Kobold jetzt sagen.) ;-)

Nun bin ich ja auch schon so einige Male umgezogen. Aber nicht über so eine große Entfernung. Das ist schon ein erheblicher Unterschied. Und da ergeben sich auch ganz andere Probleme. Ich habe den gemieteten 3,5-Tonner richtig vollgepackt, bin fix in die neue Wohnung gefahren und habe mit den 5, 6 Freunden das Auto leergemacht. Dann wieder zurück und nochmal eine Tour.

Jetzt heißt es für Dich Augen zu und durch. Deine Motivation dafür, das durchzuhalten, hast Du ja glücklicherweise schon gefunden. Aber es ist schon ziemlich hart, wenn man das so liest. Sage Dir einfach, dass es jetzt nur noch 5 Wochen sind, die Du durchhalten musst.

Und wenn ihr dann erstmal im neuen Zuhause angekommen seid, dann kannst (musst!) Du es erstmal ruhiger angehen lassen. Und Schei... auf Deinen inneren Monk! Dann ist eben erstmal Unordnung. Aber wenn man total kaputt ist, hat die Erholung absoluten Vorrang. Es bringt ja nichts, wenn Du Dir am Ende zwar auf die Schulter klopfen kannst, dass alles erledigt ist, Du aber ansonsten wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängst. Also, die Intensität dosieren!

Nova hat gesagt…

Übermacht es Euch nicht und bleibt gut zueinander. Weiterhin viel Erfolg und gutes Gelingen! 🍀💚

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Angel, ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass das Projekt SO groß würde - eigentlich habe ich mir das entspannter und viel weniger aufwendig vorgestellt. Ist eben doch ein Unterschied, ob man alleine umzieht oder zu zweit ;)
Und ja - dieser Blog ist ja letztlich auch wie so eine Art Tagebuch für mich selbst: Da kann ich diese Stories selber alle nochmal nachlesen, bevor ich auch nur ansatzweise darüber nachdenken sollte, nochmal umzuziehen ;)
Eigentlich hatten wir ja schon noch den Traum, irgendwann an einer Küste zu wohnen. Und vielleicht ist Umziehen ja auch so ein bisschen wie das Kinderkriegen: Sobald es da ist, ist jeglicher Schmerz komplett vergessen :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ach Lutz, ich fürchte.. so wie ich mich kenne.. es wird und es MUSS ratzfatz gehen, dass die Wohnung gemütlich ist und alles eingeordnet. Unordnung, Kisten trallala, das macht mich nervös. Wir merkens jetzt schon, indem der Mann fragt: "Sag mal, weißt du zufällig, in welcher Kiste..." :D
Wir haben sie ja alle beschriftet (Kreativ, Arbeitszimmer, Badezimmer etc.) - aber jede Kiste, die ich gepackt hab, wurde vom Mann wieder ausgepackt und teils in andere Kisten sortiert - und jetzt stimmt kaum noch eine Beschriftung :D
Und es stört mein ästhetisches Auge *kreisch*, wenn irgendwo noch Kisten rumstehen. Der Mann war 2009 in seine Wohnung in M gezogen. Als ich 2014 im Sommer zu ihm zog, standen da immer noch zwei Umzugskisten im Schlafbereich - umfunktioniert als Ablage, indem er einfach n Fell drüber legte. Sowas wirds bei mir definitiv nicht geben - auch wenn wir uns dann mal drei Tage lang dafür anfauchen werden :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Nova, das klappt ja im Grunde ganz gut mit uns beiden. Der Mann meinte am Wochenende, dass wir doch ein echt gutes eingespieltes Team seien. Möchte ja auch sein - nach all der Zeit ;) Funkt halt nur manchmal etwas ;)

Die Herbstfrau hat gesagt…

Puh.....Wahnsinn.....spannend ..mehr kann ich erst mal nicht zu allem sagen- nur noch eines: Kompliment!!Und ich hoffe, der Umzug nach L. klappt. Wenn das das L mit dem ehemaligen Messestern ist- hach- da wohnt Tochter und Sohn und 3 Enkel.
Ich muss erst wieder heimisch in meinem Blog werden, bevor ich -annähernd- so viel schreiben kann. Aber es wird mich erleichtern. Muss erst wieder meine im Moment vorliegende Schreibblockade überwinden. Denn Schreiben hat mir schon immer geholfen. Grüße und viel Glück!
PS: Das mit der Umzugskiste und dem Fell kenne ich von meinem Schwiegersohn. Und meine Tochter stört das auch ungemein. Nur- da liegt nicht mal eine Fell drüber:(