Dienstag, 28. Februar 2023

In einer Welt vor dieser Zeit

Seit ich damals aus dem Elternhaus auszog, da hatte ich diesen Wunsch:
Eines Tages wollte mir einen richtig schönen Esstisch kaufen, so einen echten aus Holz. Nichts Geschnörkeltes, nichts mit geschnitzten Verzierungen oder kunstvollen Details. Einfach einen schlichten, echten rechteckigen Holztisch.
An diesem wollte ich mit der Familie sitzen, frühstücken, zu Abend essen, Karten spielen, Backgammon oder Halma oder Scrabble spielen, Probleme besprechen.
So kannte ich das aus meiner Kindheit: Sämtliche Familienangelegenheiten wurden zumeist in der Küche besprochen, am großen Esstisch, alle ringsrum versammelt. 
Bis heute vermittelte das für mich.. ein Zuhause - und kann es nur schwer erklären oder begründen.

In meiner ersten eigenen Wohnung gab es keine Küche, nur eine kleine Nische mit einem Zweiplattenherd ohne Backofen. In meiner zweiten Wohnung gab es eine schmale Küche, aber mir fehlte nicht nur das Geld für einen Tisch, sondern schlichtweg auch der Platz. 
Platzgründe verhinderten auch in der dritten eigenen und auch in der Wohnung des Mannes hier einen solchen Tisch. 

Es hat mich einiges an Überredungskünsten gekostet, den Mann von einem solchen Tisch in der neuen Wohnung zu überzeugen. Doch dann haben wir gemeinsam einen solchen ausgesucht und eingekauft. Im Mai wird er zu uns gebracht - und in meinem Kopf formten sich schon vor dem Kauf die Bilder, die Vorstellungen, wie das dann sein würde - die Familie und ich. Der Mann und ich. Die Jungen und wir. 
Mir wurde da echt ganz warm von.

Als mein Jüngster geboren wurde, war der Älteste sechs Jahre alt. Ich sehe es heute noch vor mir, wie er in das Klinikzimmer gelaufen kam, die dicke Jacke noch an, die Mütze noch auf, keine Zeit, Hauptsache, das Baby sehen, den Bruder betrachten, der da friedlich im Glasbettchen schlief, die winzigen Fäuste rechts und links an den Wangen. 
"Oooaarrrhh ist der niedlich! Können wir den mit nach Hause nehmen? Versprich mir, dass wir den mit nach Hause nehmen!"
Und ich lachte und entgegnete: "Was denkst du, sollen wir denn sonst mit ihm machen?"
Ich sehe diese Szene vor mir, als wäre es gestern gewesen. Ich durchlebe sie, als wäre es erst gestern gewesen.

In all den folgenden Jahren haben die beiden sehr viel miteinander gespielt und mindestens genauso viel gestritten, wer was aufzuräumen hatte und wem was gehörte.
Je älter sie wurden, desto rauher wurde der Ton zuweilen.
Ich habe mich so lange aus allem herausgehalten, wie die Kraftausdrücke in ihrem Zimmer blieben und es auch nicht handgreiflich wurde. Es wurde auch nie handgreiflich, abgesehen von einigen Matchbox-Autos, die dann und wann hin und her flogen. Wirklich wehgetan haben sie einander nie.

Dann kam die Zeit die Trennung. In dieser Zeit, so empfinde ich das vor allem heute, die dieses Netz aus Sicherheit und Geborgenheit zerriss, da hatten die Jungen vor allem einander. Möglicherweise vermittelte kaum etwas anderes mehr Sicherheit und Verlässlichkeit wie der jeweilige Bruder.
Ich weiß, dass sie viele Dinge miteinander beredet haben, von denen wir nichts wissen. Es hat sie noch mehr zusammengeschweißt, nahm ich an.

All das veränderte sich, sobald der Jüngere begann, sich für Mädchen zu interessieren. Sich mit Mädchen zu verabreden oder abends mit Kumpels auszugehen. Der Ältere war noch nicht so weit zu jener Zeit, der wartete zu Hause, bis der Bruder wieder zurückkehrte und man den Rest der freien Zeit miteinander verbrachte.
Doch der Jüngere wollte mehr. Mehr leben, mehr sehen, mehr erkunden. Er war jung, die Welt stand ihm offen - und warum sollte er sich genau diese nicht anschauen und erleben wollen? Ihm fiel irgendwie immer all das in den Schoß, wofür der Ältere Zeit seines Lebens zu kämpfen hatte. Und je mehr der Jüngere sich löste, desto mehr wartete der Ältere. Ließ sich vertrösten auf "später". Nur dass dieses "Später" nie wirklich eintrat.
Es hatte schon irgendwie etwas Schmerzhaftes zu sehen, wie bemüht der Ältere war, es dem Jüngeren so angenehm wie möglich zu machen - und ihn an das Miteinander zu binden.

Ich habe mich früher oft gefragt, wie die Freundin sein würde, die die Jungs eines Tages mit nach Hause bringen würden. Ich habe mich hin und wieder gefragt, ob sie jemand sein würde, die den anderen derart beanspruchen würde, dass keine Zeit mehr für die Familie sein würde. Kein gemeinsames Käffchen nach Feierabend, kein gemeinsames Bier am Küchentisch, keine hochgelegten Beine, während man zufrieden auf dem Sofa lümmelte oder gemeinsam irgendein Spiel zockte. 
In meinem Kopf malte ich mir so einige Szenarien aus und dachte immer: "Mal gucken."

Aber auf die Idee, dass die Jungs einander entzweien könnten, darauf bin ich nie niemals gekommen.
Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass einer so rigoros mit dem anderen brechen würde.

Doch dass genau das aktuell geschieht, belastet mich enorm. Vor allem, wenn ich an den letzten Geburtstag denke, an dem der Ältere wortlos aufstand und den Raum  verließ, sobald der Jüngere durch die Tür trat -  und der Jüngere anschließend mit mir in der Küche blieb, bis er begann zu weinen. So ein Weinen ganz aus der Tiefe heraus. 

Ich fühle mich so unfassbar hilflos.. Weil ich nicht weiß, ob ich vermitteln kann. Ob ich überhaupt vermitteln soll. Sollten sie das nicht untereinander regeln - so wie früher, als noch die Matchbox hin und her flogen?
Nur.. Es sind doch meine Jungen, meine beiden Jungen, die eigentlich einander lieben. Nur dass der eine zutiefst enttäuscht worden ist - und das vermutlich einfach einmal zuviel. Und der andere sich und mich fragt: "Wie konnte das nur passieren? Wie konnte das nur so entgleiten?"
Ich habe darauf keine Antwort, ich habe ihn einfach nur an mich gedrückt und ganz sehr festgehalten.

Das Geburtstagsgeschenk vom Jüngeren hat der Ältere bis heute nicht geöffnet und das gemeinsame Geschenk lehnt der Ältere ab, solange der Jüngere dabei sei. Mir ist bewusst, dass er nicht nur Mauern um sich herum hochgezogen, sondern diese inzwischen auch mit Schlössern und Riegeln gesichert hat. Mir ist auch bewusst, dass dies sein Schutzmechanismus ist. Aber es tut weh.. Es tut unfassbar weh, beide so zu sehen und beide so zu erleben. 

Meine beiden Hasen.. Kann denn nicht alles wieder so sein wie früher? Die Bindung aneinander so wie früher, auch wenn sie heute eigene Wege gehen? Könnten sie sich nicht lieber einfach mit Matchbox bewerfen und es auf diese Weise regeln, als in kompletter Funkstille zu enden, in der der eine dem anderen konsequent aus dem Weg geht, damit ihm der andere nicht wieder zu nah kommt?
Diese frühere Welt mit zwei Brüdern, die vor allem eins hatten: sich?

Ich hatte immer diese Hoffnung, dass es möglich sein würde, beide einander wieder näher zu bringen, wenn wir wieder in L wohnen. In mir lebte der Gedanke, dass es vermutlich gerade noch so rechtzeitig sein würde. Doch nach dem heutigen Telefonat mit dem Älteren treibt mich die Sorge, dass es möglicherweise doch nicht mehr rechtzeitig sein wird. Und die Frage, was dieser Bruch mit beiden Jungen machen wird. 
Und mit mir. 
Im Moment jedenfalls.. zerreißt es mich.

Montag, 27. Februar 2023

Etikette, Contenance und Anstand

Als ich mich 2014 umzugsbedingt überwiegend ins Home Office begab, jauchzte die Seele: Endlich wieder sowas wie ein pünktlicher Feierabend. Man schiebt Stift und Block zur Seite, knipst den Laptop aus und ist in Sekundenbruchteilen im Feierabend. Was im realen Leben oft bedeutete, anschließend in ein paar Sandalen zu schlüpfen, die Korbtasche galant auf der Schulter und die Sonnenbrille auf der Nase zu balancieren und im naheliegenden kleinen, aber feinen Cafe einen Milchkaffee zu ordern, ein Buch aufzuschlagen und dort zu warten, bis der Mann aus dem Büro heimkehrte. 

Was mir insbesondere in M auffiel: Menschen schauen der Bedienung erschreckend selten in deren Gesicht. Gern auch gepaart mit dieser Kombi: "Ich bekomm dann einen Milchkaffee und das Croissant."
Noch schlimmer (finde ich): "Milchkaffee und Croissant."
Was ist mit Bitte und Danke? Was ist mit vollständigen Sätzen? Und was ist mit "Schau mich an, wenn du mit mir sprichst?"

"Sie mag es immer noch, in Cafes zu sitzen und durch das Fenster den Blick nach draußen auf die Menschen zu führen. Manchmal ist sie nicht sicher, ob die dabei in ihr ausgelösten Empfindungen misanthropische Züge angenommen hatten oder sie einfach nur genervt ist vom Umgang der Menschen miteinander.
„Guten Tag“ oder „Auf Wiedersehen“, ein „Bitte“ oder „Danke“ gehören für sie ebenso zum Elementaren wie Essen, Trinken, Schlafen oder Sex.
Wenn sie sich einen Kaffee bestellt, dann sagt sie nicht: „Einen Espresso, bitte“, während sie den Blick nicht von ihrem Handy löst und intensiv weitertippt. Wenn sie sich einen Kaffee bestellt, schaut sie der Bedienung in das Gesicht, lächelt freundlich und sagt: „Ich möchte einen Espresso, bitte.“ So viel Zeit muss sein, und so viel Respekt dem anderen Menschen gegenüber, der dir den Weg und die Aufwendung abnimmt, dich selber um deinen Espresso zu kümmern.
Als Kind wird einem beigebracht, in ganzen Sätzen zu sprechen, und sie missbilligt den Hang der heutigen Zeit, Sätze auf das größtmögliche Minimum zu reduzieren und auf diese Weise nicht nur zu zerhackstücken, sondern auch jegliche Umgangsformen vermissen zu lassen. Sie liebt ihre Sprache und sie empfindet es als ausgesprochen schade, wie sehr ihre Sprache versinkt in einem Mix aus Deutsch und Englisch, so dass sie mitunter nicht mal mehr weiß, wie das eigentliche Wort auf Deutsch lautet oder das deutsche Wort fremd und falsch in ihren Ohren klingt."

Ich habe mich auch deshalb daran gewöhnt, von zu Hause aus arbeiten zu können. Empfinde immer noch Erstaunen über mich selbst, wie diszipliniert ich sein kann. Dass ich meinen Tag strukturieren kann auch dann, wenn mir niemand dabei zusieht. Ich liebe die Ruhe, mit der so ein Tag bereits beginnt. Niemand, der den ganzen Tag lang deinen Namen ruft, nur um dich zu sich zu rufen (anstatt zu dir zu kommen); keine drei Telefone, die gern gleichzeitig klingeln und gern auch gleichzeitig von verschiedenen Menschen bedient werden.
Wenn ich abends nach Hause kam, war ich so oft müde und erschöpft - und das nicht davon, wie viel Arbeit auf dem eigenen Tisch lag. Es war die Summe des Ganzen. Im Home Office ist das anders. 

Home Office bringt jedoch insbesondere mit sich, dass man viel telefoniert. Sehr viel. Noch mehr als sonst, denn man ist zwangsläufig physisch nicht erreichbar. Alles wird am Telefon besprochen, dienstliche Belange, private Sorgen, Frust, Kummer - die ganze Bandbreite des menschlichen Seins. Manchmal über eine Stunde lang, während du nebenbei verzweifelt versuchst, Zahlen sinnvoll auf dem Papier zu ordnen, E-Mails zu beantworten und Ausgaben korrekt zu kontieren. 
Für manche Menschen hat sich die Gewohnheit eingeschlichen, dass ich immer erreichbar bin. Dass ich zumindest in der Zeit von acht bis siebzehn Uhr erreichbar sein muss - ganz gleich, für welche Angelegenheiten. 

Obschon ich nach wie vor ein Mensch bin, der nicht gern telefoniert, weil ich mich einfach nicht an einen Ort, an einen Punkt, an eine Situation fesseln lassen möchte, in der ich nur zuhören und sonst nichts anderes tun kann, ohne dem anderen zu vermitteln, nicht hundertprozentig für ihn da zu sein, habe ich mich daran gewöhnt. An das Vieltelefonieren, an das Langtelefonieren, an das Zuhören und das Zeit-für-den-anderen-haben-und-nehmen.

Nur an eines gewöhnte ich mich in all den Jahren (auch des Telefonierens) nicht:
Dass Menschen in meiner Gegenwart wiederholt geräuschvoll die Nase hochziehen. 
Dass Menschen in meiner Gegenwart sich geräuschvoll mit offenem Mund räuspern. 
Dass Menschen Dich etwas fragen, Dir aber nicht zuhören, Dich dann auch nicht ausreden lassen und mit privatem Kram dazwischengrätschen.
Dass Menschen Dich anrufen und nach ein paar Sekunden wieder auflegen mit den Worten: "Warte mal, ich melde mich gleich noch mal, da kommt grad ein wichtiger Anruf." 
Dass Menschen während eines Telefonats mit dir ungeniert ihre Flatulenzen ausleben.

Menschen sind keine Selbstverständlichkeit.
Es ist nicht selbstverständlich, dass dich im Cafe jemand freundlich bedient.
Es ist nicht selbstverständlich, dass dir jemand zuhört, ganz gleich, ob am Telefon oder in der Realität. 
Es ist nicht selbstverständlich, dass sich jemand Zeit für dich nimmt.
Warum verhalten sich Menschen dann so, als sei der andere eine Selbstverständlichkeit?

Je älter ich werde, desto weniger verstehe ich es und desto weniger dulde ich es.

Freitag, 24. Februar 2023

Ein Junkie der besonderen Art

 Letzte Nacht konnte ich ewig lange nicht einschlafen. Wieder mal nicht. Erst quälte mich die letzten zehn Tage lang bevorzugt nachts der fiese trockene Corona-Husten, der anstandslos genug war, mich schätzungsweise aller fünf Minuten dahingehend erfolgreich zu reizen, dass an Schlaf gar nicht zu denken war - und nun bin ich wieder genesen, doch die schlaflosen Nächte gehen weiter.
(Hab ja mal gelesen, dass, wer nachts nicht schlafen könne, jener in den Träumen eines anderen wach sei. Los! Raus mit der Sprache: Wer ist das Schwein? *kreisch*)

Und weil ich ja schon seit vielen Jahren bevorzugt nachts munter durch die Gegend flirre (könnte aber auch rein erblich bedingt sein, die Mama hat da ja auch so Allüren von wegen nachts um zwei noch n Käffchen kochen, weil der Krimi grad so spannend wird), wurde ich irgendwann ein Fan von Medical Detectives. Mich fasziniert daran vor allem die forensische Aufklärung. Ist es nicht irre, wie die aus kleinsten Kleinstteilen den Täter  identifizieren und nachweisen können?
Letzte Nacht allerdings überkam mich irgendwie so ein Gedanke, ob dieses doch recht kontinuierliche Konsumieren dieser Sendung vor allem in der Nacht nicht doch einen eher unguten Einfluss auf meine  mentale Befindlichkeit hätte?
Ich meine... Angst vor der Dunkelheit habe ich, seit ich denken kann.
Da fühle ich mich auch heute noch äußerst unwohl, wenn der Weg vom Lichtschalter zum Bett größer als eine Schrittlänge ist. Wenn der Mann mal außerhäusig ist, gibts den schon auch immer noch mal, diesen beherzten Satz und Sprung aufs Federbrett. 
Es gab andererseits aber eben auch diese Zeiten, also gerade in meinen wilden Singlezeiten, da war ich - wenn ich das mal so rückblickend resümiere - absolut vertrauensvoll und ziemlich unbedarft im Umgang mit anderen  Männern. Bin in fremde Städte gereist, habe fremde Wohnungen besucht, bin in fremde Autos gestiegen. Wenn ich da heute so drüber nachdenke.. ist es eigentlich unfassbar, was für ein unglaubliches Glück ich all die Jahre hatte.
Grad wenn man sich eben so diese Sendungen in Erinnerung ruft! Es ist ja tatsächlich in den seltensten Fällen ein Zufallsopfer. Meistens kannte man sich - entweder Ex-Partner oder welche aus Deinem Umfeld, die gerne Dein Partner wären. Und wenn die Dich nicht haben können, soll Dich halt auch kein anderer haben. Oder die Dich (wie in einer Folge der letzten Nacht zu sehen) für irgendwas bestrafen wollen, was Du irgendwann mal gesagt hast und dem anderen nicht passte. Oder eben Datingfeinde, die auf diesem Weg so leicht wie sonst nie an ihre Opfer kommen. 

Mit dem nunmehr so nah gerückten Umzugstermin steigt zwar die Vorfreude, aber ich stelle auch fest, dass sich mulmige Gefühle einschleichen. Wer wohnt dort mit uns, wer wohnt im Umfeld, was sind das für Menschen? Können die in unsere Fenster schauen? (Also die Fassade hochklettern wie hier in M dank dieser Holzjalousien draußen am Balkon ist da schon mal nicht möglich. Obwohl... Kommt aufs Equipment an... eventuell...) Weckt man Begehrlichkeiten? Kann sich jemand in der Tiefgarage verstecken und mich dort hinterrücks abmurksen, ohne dass mich je ein Schwein hört? Leute, ich hab so gut wie nie Bargeld einstecken - dat lohnt nich! Zahngold habe ich auch nich. Nur den Ehering und den Verlobungsring - aber das sag ich Euch, Griffel weg, Ihr Klauschweine, sonst gibts Schmorze!  
Aber mag ich in der neuen Wohnung allein schlafen, wenn der Mann verreist? Oder quartiere ich mich bei Sohnemann mit ein, der immerhin sehr bestechlich ist, wenn ich ihm dafür etwas Leckeres zu essen zubereite? 
Letzte Nacht habe ich dann beispielsweise gegoogelt, was es so für technische Schutzraffinessen an Wohnungseingangstüren gibt. Habe mir Rezensionen durchgelesen, wo einer schrieb: "Vergesst den ganzen Scheiß, klemmt Euch einfach nen Keil von innen gegen die Tür, kommt auch keiner rein."
Ich las das und dachte so bei mir: Joar... Simpel, aber geil. Wenn es denn auch funktioniert! In meiner Phantasie ist ja aber leider... ach fragt bloß nicht, was DA alles möglich ist! Da werden sämtliche physikalischen Gesetze ausgehebelt, da ist alles, wirklich al-les möglich!

Der Mann lacht nur noch über mich und rügt: "Hör einfach auf, deine Detectives-Scheiße zu gucken!" und ich glaube, er hat echt recht. Sag ich nicht so gerne, ist vermutlich aber so. Wenn ich so drüber nachdenke, vor wem und vor was ich alles so Ängste entwickle... 
Als er gestern Abend also fragte, ob ich Lust auf nen schönen Film hätte, er hätte da mal was vorbereitet, da meinte ich "Au ja!" und er startete die Serie "Wednesday". Weiß ja nicht, ob das einer von Euch schon mal gesehen hat - aber auch wenn ich weiß, dass es im Real Life keine Monster mit langen spitzen Klauen gibt: Im nebelwadernden, dunklen, lediglich wolkenverhangen-mondbeschienenem Wald damit den Bauch rasiert zu bekommen - na ich weiß ja nicht, ob DAS nun schön(er) ist!?

Vielleicht fange ich ja doch mal mit Guidos Deko-Queen an. Inspiration kann man schließlich immer gebrauchen - und bei Guido scheint die Welt immer irgendwie so in Ordnung. 

Samstag, 18. Februar 2023

Und die Spiele dauern an

 Das Lager ist zweigeteilt: Die einen verstehen, dass wir etwa acht Wochen vor dem Umzugstermin begonnen haben zu packen. Andere verstehens nicht. Immerhin hat es ja nicht lange gedauert, ehe dieser Effekt einsetzte von wegen: "Weißt du zufällig, in welche Kiste...?"
Wir haben die Umzugskartons ja gebraucht gekauft, ist ja irgendwie sonst auch schade - nur einmal benutzen und dann entsorgen. Das hatte freilich zur Folge, dass die Kartons mitunter schon ein-, zweimal beschriftet worden waren. "Reste Küche" wurde beispielsweise durchgestrichen und stattdessen "Hosen Kai" angebracht. Aus dieser hatte ich dann "Kreativ" gemacht - weils eine schöne große Kiste war, die auch schwer beladen werden darf. Und glaubt mir, Farben haben ein ganz schönes Gewicht. Grad wenn man nicht nur zehn, zwölf Tuben hat ;)
Dann aber kam der Mann, beäugte das Ganze misstrauisch und meinte dann: "Ne! Hätteste mich mal vorher gefragt, die Schwerebox hatte ich für was anderes gedacht."
Also hat er alles aus- und umgepackt und jetzt steht neben der Resteküche, dem Hosenkai und dem Kreativ "Arbeitszimmer/ LPs" *kreisch*

Inzwischen haben wir beschlossen, gar nichts mehr auf die Kartons zu schreiben. Wir werden einfach alles umziehen und dann in der neuen Wohnung die Kartons sortieren. Zumal mittlerweile in einer Box mehrere Dinge einsortiert sind: Küche, Arbeitszimmer, Schuhe.
Ich sach da schon lange nix mehr dazu - ich lass dem Stapelmonster einfach seinen Einpackmechanismus und begnügte mich inzwischen damit, mir Säcke zu kaufen und die Klamotten einzusortieren und zu beschriften. Einmal zugeschnürt, bleiben die Säcke schließlich, wie sie sind. Nebenher surfte ich ein wenig im Netz und schlich wochenlang um ein Reinigungsset herum, elektrisch und mit verschiedenen Bürstenköpfen ausgestattet, das mir insbesondere das Reinigen der Fliesenfugen und -ecken erleichtern sollte. Das ganze Bad immer nur rein manuell zu schrubben war mir auf Dauer einfach zu nervig und zu anstrengend. Könnte mich ja jetzt herausreden mit körperlichen Gebrechen und so - aber die Wahrheit ist: Wenn etwas zu lange dauert, verliere ich die Lust. Bei mir muss es in den allermeisten Fällen immer zack-zack gehen, jedenfalls dann, wenn ICH mir was in den Kopf gesetzt hab :)
Als vor vielen Jahren die Zwillinge-Geborenen mal damit beschrieben wurden, dass es ihnen zu langweilig sei, ein ganzes Haus zu bauen, sie würden stattdessen lieber drei Baugruben ausheben, da habe ich zustimmend gelacht.
Gestern dann hat der Mann gemeckert, von wegen, wir wollten uns doch immer abstimmen und so, bevor einer was kauft. Fairerweise müsste er aber wissen: ER hat das gesagt und gefordert. ICH hab darauf aber gar nix geantwortet, sondern geschwiegen und gedacht: "Öhm... nö..." ;)
Ist übrigens auch so einer der Gründe, warum ich kein gemeinsames Konto will: Wir verdienen beide unser Geld, wir wirtschaften gemeinsam, wir legen gemeinsam zur Seite - und was jeder mit dem Rest macht, will ich weder wissen noch rechtfertigen. 

Jedenfalls sind wir inzwischen eigentlich ganz gut vorangekommen. Leichte zerbrechliche und wertvolle Dinge habe ich Stück für Stück bzw. Fahrt für Fahrt mit in meine kleine Wohnung nach L genommen, das holen wir dann alles später ab, wenn wir in unsere große Wohnung in L gezogen sind. Rund 35 gepackte Kisten stapeln sich mittlerweile um meinen Home Office-Arbeitsplatz (ich errichte sozusagen Mauern um mich herum ;)), im Schlafzimmer ist auch schon einiges abgebaut - aber irgendwie... So wirklich Land in Sicht sehe ich da noch nicht. Auch empfand ich es als anstrengend, dass der Mann kleine Häufchen zu sortieren begann, die überall auf den Kisten herumlagen: "Das kommt mal in die Kiste, wenn wir das und das packen; das kommt in die andere.." usw.
Das machte mich wahnsinnig. Das machte mich nervös. Der Monk kreischt schon gar nicht mehr, der hängt demonstrativ mit den Füßen nach oben in der Ecke und heult jeden Tag ein bisschen leise vor sich hin.
Und weil der Mann gestern eh schon scheiße drauf war, habsch noch einen draufgesetzt und ihn dazu gebracht, dieses kleine Krimskrams-Zeug alles in eine oder auch zwei neue Kisten zu verpacken. Und dann hab ich mein Bürstenset rausgeholt und im Bad begonnen zu testen.
Erst hat er ja ein bisschen rumgemeckert von wegen abstimmen und so, aber dann stand er doch ganz interessiert neben mir, schaute mir über die Schultern, sprach irgendwann nur: "Hm na ja" und ging dann. 

Das Bürstenset ist jetzt vielleicht nicht ganz so wie erwartet, Fliesen zu polieren geht beispielsweise nicht so wie gedacht (wie man damit also Fenster putzen soll, ist mir echt ein Rätsel). Nachwischen mit einem trockenen weichen Lappen ist also immer noch ein Muss. Aber Seifenreste bekommt man damit super aus den Fugen geputzt, ohne sich großartig anzustrengen. Fetzt mir. Gefällt mir. Und weil der Mann und ich aktuell wieder an Corona erkrankt sind (also er erstmals, ich ein zweites Mal innerhalb von zwei Monaten - erst brachte es im Dezember der Sohn mit heim, dieses Mal der Mann), gefällt mir der Gedanke, alles ohne große Kraftanstrengung reinigen zu können, umso mehr.

Meine Mama jedenfalls lacht nur noch und sagt: "Ihr werdet das schon machen."
Das denke ich auch. Aber ich werde auch nicht drei, sondern mindestens zehn Kreuze setzen, wenn wir das hier alles hinter uns haben.

Mittwoch, 8. Februar 2023

33

 


Als ich Dir heute morgen um Null Uhr Fünf gratulierte, weil wir beide um diese Zeit noch nicht schlafen konnten, da erzählte ich Dir, dass ich vor genau 33 Jahren nachts um diese Zeit mit Deinem Vater den Klinikgang auf und ab ging und es trotzdem noch bis 9.29 Uhr dauerte, bis Du endlich auf dieser Welt warst. Ich weiß noch, wie sie Dich das allererste Mal noch im Kreißsaal in meinen Arm legten und ich spontan dachte, dass Du die winzige Miniaturausgabe Deines Opas seist :)

Ich fragte Dich letzte Nacht, ob ich die Kerzen auf Deinem Geburtstagstisch anzünden sollte, damit Du Dir etwas wünschen könntest, bevor Du sie auspusten würdest. 
Aber Du hattest keinen Bock mehr aufzustehen nach der langen Schicht in der Klinik. Überhaupt bist Du heute der Meinung, dass Du keine Feier, keine Geschenke, keine Gratulanten und auch überhaupt nix brauchst. 
Aus Deiner Sicht ist Dein Geburtstag nichts Besonderes - für alle anderen um Dich herum aber, die Dich lieben, ist er etwas Besonderes: Weil DU besonders bist. 
Ich kenne kaum jemanden, der so feinfühlig ist wie Du. Du spürst immer und immer sofort, wenn irgendetwas nicht stimmt. Meist noch bevor überhaupt jemand etwas gesagt hat. 
An Dir jedoch erlebe ich jeden Tag, was es mit einem Menschen macht, wenn er zuviel allein ist. 
"Er hat ein Herz aus Gold", hat Dein Bruder früher öfter über Dich gesagt - und absolut Recht damit.
Du selbst empfindest es überhaupt nicht mehr so, willst es auch nicht mehr so sehen und sobald Dir jemand zu  nah kommt, fährst Du sofort Dein ruppiges Schutzschild hoch. Du willst an nichts mehr glauben und willst auch nicht mehr vertrauen. 
Auch meinen Worten und meinen Gedanken und meiner tiefen inneren Überzeugung willst Du nicht glauben, dass das Leben auch für Dich noch ganz viel Wundervolles vorbereitet hat. Weil das Glück zu jedem Menschen kommt, der es auch verdient. Und Du bist einer dieser wunderbaren Menschen, die (leider) zu sehr an sich selbst zweifeln. 
Weißt Du, in Norwegen sagen die Menschen: "Alles kommt zur rechten Zeit für den, der warten kann." Mich selbst hat ja dieser Gedanke, dieses Lebensgefühl durch ganz viele schwierige Zeiten getragen, die alles andere als gut und schön waren.
Und genau das wünschen wir Dir so sehr von Herzen: dass Du das bekommst, was Dich glücklich macht - und dass wir dann bei Dir sein und das miterleben dürfen. Und auch wenn Du noch so die Augen verdrehst, abwinkst oder schroff reagierst: Ich empfinde wirklich tiefe Zuversicht darin, dass auch Du Dein Glück findest. Bei Dir hat alles immer länger gedauert als bei anderen - also was solls? :)

Heute, rückblickend, kann man doch eins sagen: 
Über das Leben hast DU mich das Grundlegendste gelernt. Wie man sich durchsetzt. Wie man sich widersetzt.
In der 4. Klasse sollte ich Dich ausschulen und auf eine Sonderschule oder wenigstens eine Sprachheilschule bringen. 
Weil Dein Geist so wendig und beweglich war, dass Du schneller dachtest als Du sprechen konntest - und Dich damit oft verhaspelt und zu oft zu viele Dinge gleichzeitig erzählen wolltest. Für mein damaliges Empfinden rechtfertigte das weder eine Sonderschule noch eine Sprachheilschule. Also habe ich Dich auch da gelassen, wo Du warst - und alles war gut und richtig so!
Deine Noten bewegten sich zwar eher immer im mäßigen Bereich - außer in den Fächern, die Dich interessierten: Astronomie und Geografie. 
Aber so war es eigentlich immer: Was Dich nicht interessierte, fiel komplett "hinten runter". Und Du sagtest selber mal: "Wär ich nicht so verspielt gewesen, ich hätte viel mehr erreichen können."
So war es auch in Deiner ersten Ausbildung zum Elektroniker. Jahre später sagtest Du mal zu mir, dass Du in der Zeit der Ausbildung noch viel zu verträumt gewesen warst - und deshalb den Bogen nicht mehr spannen konntest, um die Ausbildung nicht nur abzuschließen, sondern anschließend auch in diesem Beruf arbeiten zu können.
Deine Berufsschule bestellte Deinen Vater und mich ein und legte uns nahe, auf Dich einzuwirken, die Ausbildung abzubrechen - ein halbes Jahr vor dem Abschluss. Sie waren der Meinung, Du würdest das Ziel sowieso nicht erreichen.
Aber Du hast es erreicht. Du hast Deinen Abschluss bekommen - und im selben Jahr die Ausbildung im medizinischen Bereich begonnen. 
Nebenbei hast Du Deinen Führerschein gemacht - selbst vom eigenen knappen Geld abgespart. Und Dir von Deinem eigenen Geld ein erstes, wenn auch altes, gebrauchtes Auto gekauft. Ganz ehrlich? Menschen wie Dich liebe ich: Die brauchen keine Statussymbole, die wollen auch keine. Natürlich haben Menschen wie Du Träume - aber sie müssen sich kein Leben auf Pump und Protz und Gloria aufbauen, nur um der Welt zu zeigen: Ey, ich bin wer, ich kann was, ich hab was.
Dir war immer wichtig, dass Du Dir DEINE Träume erfüllen kannst - und nicht die anderer. 
Ich erinnere mich noch so gut an diese Jahre. Wie oft ich geflucht und mir das Haar gerauft hatte ob Deiner Unbefangenheit und Verträumtheit - aber auch unfassbar stolz auf Dich war. 
Du hast allen immer und immer wieder das Gegenteil ihrer pessimistischen Prognose bewiesen. Und auch dafür liebe ich Dich sehr!
In jeder Deiner Entwicklungsphasen erkannte und erkenne ich mich selbst immer wieder. 
Nach Deiner zweiten Ausbildung hat es Jahre gedauert, ehe Du im medizinischen Sektor Fuß fassen konntest. Zwar bist Du über etliche Umwege heute im Klinikalltag gelandet und auch in einem ganz anderen Bereich als dem, den Du gelernt hast. Aber nach zwei Jahren "Probezeit" haben sie Dich ohne Wenn und Aber übernommen - und Dein vorheriger Arbeitgeber hat monatelang um Dich gekämpft. Dass Du bleibst. Dass Du zurückkommst. 
Ich bin so, so froh, dass Du Dich nicht überreden lassen hast, weil das Vorherige einfach keine Perspektive für Dich bot. Inzwischen scheint die Zeit zu beweisen, dass ich damit auch ziemlich richtig lag.
Gleichwohl hat es mich wirklich sehr gefreut, dass da endlich mal Arbeitgeber waren, die unbedingt DICH wollten. Du hast endlich eine Wertschätzung erfahren, die Dir schon so lange gebührte. 
Und dass Du mal eines Tages mit dem Rauchen aufhörst, daran hat auch keiner geglaubt. Wenn ich ehrlich sein soll: Auch ich nicht ;) Du hast so unfassbar viel geraucht, dass es selbst für mich als Nichtraucher schwer vorstellbar war, dass Du so einen Willen auch nur ansatzweise aufbringen könntest. 
Und auch hier hast Du uns alle, wirklich ALLE überrascht: Seit dem 5. September hast Du keine Zigarette mehr angefasst - das sind allein bei diesem ersten Versuch immerhin schon fünf stolze Monate. Und ich bin auch hier wirklich wahnsinnig stolz auf Dich, mein Hase. 

Dass wir wieder nach L zurückkommen nächsten Monat, hat auch etwas mit Dir zu tun. Ich weiß, dass ich kein Ersatz bin für das, was Du eigentlich brauchst - und das versuche ich auch gar nicht zu sein. Denn ich weiß auch, dass man immer noch für jemanden da sein kann. Dass man jemanden auf zurückhaltende Weise begleiten kann. Und sei es nur, indem man sich Zeit für den anderen nimmt, wann immer der andere es braucht. Dass man an einem Tisch sitzt, dem anderen etwas zu essen bereitet oder einfach nur gemeinsam auf dem Sofa lümmelt. Dass wir miteinander sprechen oder auch einfach nur miteinander zocken können. Dass Du mit dem Mann zum Fußball gehst oder zu dritt mit dem Bruder durch die Kneipenmeile ziehst. Dass Du wieder mehr unter die Menschen kommst, wieder mehr in das Leben zurückfindest, an dem Du zu gern teilhaben möchtest, solange man keine Hoffnungen in Dir schürt, die dann gedankenloserweise wieder enttäuscht werden. 

Natürlich denkst Du, dass niemand auch nur ansatzweise nachvollziehen kann, wie Du Dich fühlst. Du siehst den Mann und mich, Du siehst Deinen Bruder mit seiner Freundin, Du siehst die Menschen in ihren Beziehungen um Dich herum. Aber weißt Du,  nicht jeder ist eben auch glücklich bzw. hat es für ganz viele auch ein halbes Leben gedauert, ehe sie sagen konnten: "Ich bin jetzt genau da, wo ich sein wollte."
Und dieses Gefühl, mein Junge, das beginnt im Kopf. Das beginnt bei einem selbst. 
Wenn man mir genau sowas früher sagte, wusste ich überhaupt nicht, was man mir da eigentlich erzählte. Ich konnte es auch dem Gefühl nach nicht "greifen". Und mir ist bewusst, dass Du Dich genauso fühlst, wenn Du das hier liest oder wenn ich es Dir sage. 
Aber eines Tages wirst Du erfahren, was ich damit meine.. Früher oder später wirst Du es wissen. Vielleicht später, weil bei Dir ja alles immer irgendwie etwas später kam als bei anderen. Auch in diesem Punkt kommst Du haargenau nach mir :) Später heißt aber nicht nie. Egal wie Du jetzt rumfauchen wirst, wenn Du das hier hörst oder liest. Mein stachliger, ruppiger, liebenswerter, empfindsamer Wassermann :) 
Ich lieb Dich wirklich sehr und bin sehr dankbar, dass wir Dich haben. Und selbst wenn Du eines Tages einhundert Jahre alt bist, bist Du immer noch mein Junge und ich..

..Deine Mama