Ich mochte es, diese beiden miteinander zu sehen, wie sie sich an den Händen hielten und vorsichtig über den Gehweg tippelten.
Mit den Jahren häuften sich die gelben Memos an seiner Schrankwand, in der Küche, im Badezimmer.
Zuletzt hing selbst ein Memo mit seinem Namen und seinen Geburtsdaten an der Schrankwand. Wie er sein Telefon bedienen sollte, vergaß er immer öfter, das kleine Notizbuch auf dem Tisch genügte irgendwann nicht mehr, um zu wissen, wie er dem Tag begegnen sollte und ob es da nicht noch etwas gäbe, das man von ihm erwartete, das er tun sollte - oder auch nicht.
Die Margarine fand man in der Waschmaschine, die Schrauben im Tiefkühler.
Der Familie sind diese Veränderungen eher aufgefallen als ihr.
Die Familie hat diese Veränderungen eher angenommen als sie.
Wenn sie da war, hing er an ihren Lippen, verließ er sich völlig auf sie.
Zwei seiner Frauen sind an Krebs gestorben, eine Frau verlor er durch die Alzheimer-Erkrankung.
Nun ist er mit seinen 97 Jahren in einem Alter, wo mir nicht ganz klar war, wie er es verkraften würde, auch die vierte Frau zu verlieren - und irgendwie ging ich auch davon aus, dass dies ihm erspart bleiben würde.
Sie wirkte so... kraftvoll. So jung irgendwie und überhaupt so lebensfroh.
Im September haben sie sich noch einmal gesehen.
"Sie haben sich gefreut wie kleine Kinder", hieß es, und es gibt zwei Fotos, die sie beide zeigen, wie sie glücklich in die Kamera lächeln.
Eine Woche später ist sie gestorben, Diagnose Lungenkrebs mit Metastasen im Hirn, während er schon nicht mehr wusste, dass er überhaupt bei ihr war.
Quelle Bild: http://www.abschied.org/images/Abschied-nehmen.jpg |
Manchmal, so wie jetzt, lümmel ich auf dem Sofa, im Schneidersitz, den Laptop auf den Knien. Dann schau ich hinaus auf die Bäume vor dem Haus, von denen ein Blatt nach dem anderen von den Bäumen fällt, die der Wind vor sich hertreibt.
Dann möchte ich gar nichts sagen, denken, hören.
Dann möchte ich nur die Gedanken treiben lassen und tief in mich hineinfühlen.
Dann denke ich an den Opa, dass er vielleicht gerade wieder die Krähen auf dem Dach beobachtet, und dann frag ich mich, was das Leben noch alles so bereithält. Und ob es nicht besser wäre, weniger zu denken und dafür mehr zu leben.
6 Kommentare:
Schei* verf*ckter Krebs. sorry für die Wörter, Helma, aber mir fällt nichts anderes dazu ein.
Ich hoffe, der Opa kriegt in dem Fall nicht mit, dass seine Gefährtin nicht mehr da ist.
Ja, mehr leben. Auf jeden Fall, leider gelingt es nicht immer so wie man will.
Das Eine bedingt das Andere.
Ich verneige mich.
Meine beste Freundin sagt immer, man müsse das Denken auf ein notwendiges Maß reduzieren und ansonsten einfach ganz viel leben, lieben, lachen. Ist halt nur nicht immer so einfach...
Die Geschichte vom Opa ist berührend. Das Leben wartet nicht auf uns, wenn wir es verpassen, laufen wir ihm vielleicht ewig hinterher. In diesem Sinne ist es doch auch schön, dass der Opa trotz der Verluste immer wieder Liebe finden und leben konnte. Ein schöner Gedanke, finde ich.
Liebe Grüsse!
Liebe Helga, ich fühle es genauso.
Scheiß. Verfickter. Krebs!
Und nein, der Opa hat es nicht mitbekommen. Mitunter weiß er nicht mal mehr, dass es sie gab. Ist jetzt Demenz an so einer Stelle... ach, ich wag es nicht auszusprechen. Denn Demenz ist andererseits so würdelos, eines Tages.
Danke Hans.
Ja Clara. Leben. Nicht immer auf der Überholspur, nicht überall dabei sein. Aber so leben, dass wir eines Tages zurückschauen und denken: Ja!
Umärmel.
Ja, Leben, so gut und intensiv wie möglich, auch wenn es manchmal scheiße verfickt schwer ist...
Ja, so ist das...
Mit dem Zug von Köln nach Mailand.
Die einen kommen ohne Probleme dort an, andere fliegen unterwegs einfach nur raus und wieder andere werden ständig kontrolliert und kommen noch nicht einmal dazu, nur diese Fahrt zu geniessen.
No dio - no state - no patroni !
LG - Wolf
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