Heute Abend lag vor allem eines in meinem Glas Weißwein: meine Rettung.
Heute Abend waren wir zu dritt in dieser Ausstellung der Körperwelten, und während die gelben Seiten draußen in der Sonne spazierten und sich in ein Café setzten, sahen wir uns alles aus der Nähe an.
Also eins muss ich wirklich sagen: Man vergisst völlig, dass es sich um echte Menschen handelt, dass man tatsächlich echte Menschen vor sich hat. Die mal gelebt, geliebt, gelacht haben. Sie sind derart konserviert und plastiniert, dass man tatsächlich glaubt, es seien Wachsfiguren.
Und die meisten sind auch hinter Glas gesteckt.
Es war nicht zu kalt, es war nicht zu warm, auch lagen keine besonderen oder merkwürdigen Gerüche in der Luft - aber irgendwie wars einfach zu voll. Inbesondere zu Beginn der Ausstellung, wo die Geschichte der Entstehung beginnt. Mit den Föten und Embryonen. Alles drängt sich um die kleinen Kästen, jeder will alles ganz genau sehen...
Und ich habe es gesehen. Ende 6., Anfang 7. Woche. Hier, unter Glas und unter dem zielgerichteten grellen Lichtstrahl konnte ich es sehen. Ein Winzling, kaum größer als fünf Millimeter, und dennoch ließen sich schon die Ansätze der Arme und Beine erkennen.
Es ist nicht das, was ich gesehen habe, damals, vor etlichen Jahren - doch damals war es auch keine Situation wie heute. Damals stand ich im Badezimmer, die Hände voller Blut, ich habe gezittert wie verrückt, aber geweint habe ich erst viel viel später. Ich glaube auch, dass der eigene Geist einen Selbstschutz aktivieren kann, der verhindert, dass man Dinge bewusst sieht und erfasst, die man nicht verarbeiten kann. Jedenfalls nicht sofort.
Es ist nicht "nur ein kleiner Zellhaufen", wie die Ärztin damals sagte, aber irgendwie.. habe ich dennoch heute.. Ich weiß auch nicht, vielleicht sowas wie meinen Frieden gefunden?
Ja und sonst... Mir ist aufgefallen, dass die meisten Exponate männlich waren. Und irgendwie... war es mir am Ende fast ein wenig zuviel. Ich meine, wenn man eine ganze Person so sieht, mit Skelett, Muskulatur und Nervenbahnen - dann genügt es auch, finde ich. Ich muss das nicht alles in verschiedenen Stellungen sehen: den Skispringer, drei Leute, die Skat spielen und von denen sich zwei unterm Tisch mit den Zehen die Karte zuspielen; dann die zwei, von denen der eine den anderen wiederbelebt - na ja und so weiter.
Da fand ich eher interessanter der Magen mit dem Geschwür (aha, so sah das also mal bei mir aus!), die Niere mit der Zyste, die Raucherlunge. Wenn man so etwas "live und in Farbe" sieht, bekommt es - glaube ich - doch ein ganz anderes Gewicht. Ob ich doch mal versuchen sollte, mit meinen Söhnen da noch mal reinzugehen? Ob Junior I dann diese scheiß Qualmerei lässt? Wer 20 Zigaretten am Tag raucht, trinkt pro Jahr eine Tasse Teer. Habe ich dort gelesen. Junior würde sagen: "Aber ich rauch ja gar keine 20 Zigaretten" und ich würde sagen: "Ob halb oder ganz voll, Teer ist Teer und so sieht deine Lunge jetzt aus." Doch, ich glaub, ich zeig ihm das mal. Die waren ja schon mal in unserer Stadt, die kommen bestimmt noch mal dahin. Oder wenigstens in die Nähe.
Also schlecht geworden oder so ist mir da drinnen gar nicht.
Das kam dann erst, als wir anschließend zum Italiener gingen. Hach, was freuten wir uns auf Pizza und Nudeln! Allerdings registrierte ich erst beim dritten Happen, dass die Wahl der Tagliatelle nicht die beste Wahl war, wo ich doch erst einige Minuten zuvor die Gedärme gesehen hatte, die ähnlich herunterhingen wie die Nudeln an meiner Gabel...
Ganz ehrlich? Ich habe gewürgt an den Nudeln. Versucht, meine Aufmerksamkeit woandershin zu richten. An was Schönes zu denken. An Mehl und Eier. An die Pizza der gelben Seiten. Dem Pizzabäcker beim Zubereiten zusehen. Die Pizza bedauern, die er in den Müll warf, weil er die falsche gebacken hatte. Sogar an den Sex mit den gelben Seiten wollte ich denken - aber es hat mir alles nicht geholfen.
Es war der Weißwein, der mir half, den Würgereiz im wahrsten Sinne des Wortes runterzuschlucken.
Mein Fazit: Die Ausstellung war wirklich interessant, für mich persönlich auch eine Hilfe - nur essen gehe ich danach nicht gleich noch mal. Ein Käffchen genügt. Oder vielleicht ein Crepe dazu. Mit weißer Sahne. Ja. Das geht.
5 Kommentare:
Du warst danach essen?!? Hm... das muss ich sacken lassen. *g* Und zum Frühstücksfernsehen läuft dann ab morgen Freddy Krueger? ;D
Helma, ich habe lange Jahre im Institut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose gearbeitet und auch viele Lungen-Ca-Operationen gesehen. Die Ärzte, die jeden Tag solche teerschwarzen Lungen wie dort in der Ausstellung operierten, gingen raus aus dem OP und steckten sich eine an. Man sagt ja, Chirurgen und Pathologen rauchen und saufen am meisten, weil der Job so strapaziös ist.
Liebe Miss April, jetzt, wo Du es sagst, denke ich auch, dass das... nun ja... ziemlich schräg klingt :)
Freddy kommt mir nicht ins Haus, weder früh noch spät: Glücklicherweise mögen wir beide solche Filme nicht :)
Liebe Clara, wie nennt man das - abgestumpft? Ob ich an der Stelle froh sein kann, dass Junior in nem Kundencenter arbeitet - und nicht in der Klinik??
*g* Ich glaube, der fragt gar nicht, ob er ins Haus darf. ;D Aber ich mag Filme dieser Art auch nicht. Einmal mit 18 reingeschaut und beschlossen, dass ich das nicht wiederholen werde. Aber die Filmszene habe auch immer noch vor Augen, wenn ich daran denke. Wahrscheinlich habe ich mir die Körperwelten ähnlich... äh... gruselig vorgestellt. ;))
So gings mir auch, ich war zum Ende der Ausstellung hin schneller, weil man irgendwann ein wenig gelangweilt oder übersättigt ist von der x-ten Variation eines aufgeklappten Körpers. Nichtsdestoweniger ist es fazinierend, weshalb ich ja auch wiedergekommen bin mit vielen Jahren Abstand.
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