Mittwoch, 12. August 2015

Mit Leidenschaft

Als ich damals im Alter der Berufswahl war, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht wirklich, was ich wollte. Irgendwas Kreatives auf jeden Fall. Das, was man heutzutage Werbegrafik nennt - oder so. Auf der ganzen Insel gab es dafür, glaube ich, nur 1 oder 2 Ausbildungsplätze. Hier erfuhr ich auch zum ersten Mal die wahre Bedeutung des Elternspruchs: "Man muss sehr gute Noten haben!"
Machen wirs kurz: Ich war gut. Aber zu wenig ehrgeizig. Mein Kopf war voller Träume und so, die alle nix mit Schule und Noten zu tun hatten. Meine Noten hätten besser sein können. Na gut, außer die in Mathe: Wir mögen uns heute noch nicht. Mit der Drei war ich sowas von zufrieden - denn die Drei bedeutete: Durch!!
Meine Mama war es, die damals sagte: "Geh doch ins Büro. Klimperst doch eh den ganzen Tag auf deiner Schreibmaschine rum." Ich hatte damals so ne kleine Erika Reiseschreibmaschine, kennt die noch jemand? Und mir fetzte das - irgendwie.
"Büro ist eine gute Idee", hatte meine Oma gesagt, "da hast du es immer schön warm."
Also habe ich mich um den Bürojob beworben - und ihn auch bekommen. 6 freie Stellen auf der Insel, eine ging an mich. Puh. Schwein gehabt.
Irgendwie lag mir das auch von Anfang an. Mir hat das wirklich Spaß gemacht. Selbst die Stenografie lag mir. Liegt mir immer noch - und ja, wird auch in unserer Firma oft gebraucht. Finde ich irgendwie auch angenehmer als die Phonodiktate.
Ich glaube, im Job selbst habe ich dann so etwas wie Ehrgeiz entwickelt. Es ging mir nicht darum, die Karriereleiter hochzuklettern - mir ging es darum, meinen Job zu machen, so richtig. Und neben dem Ehrgeiz entwickelte ich die Leidenschaft für diesen Job. Wenn du Glück hast und kommst in ein klasse Team, wo die Leute sich verstehen und nicht beharken, wenn du Glück mit deinem Chef oder deiner Chefin hast - was Besseres kann dir nicht passieren.
OK, ich hab alles irgendwann mal durchlaufen: super Kollegen - scheiße Chef. Scheiße Kollegen - super Chef. Jahrelanges Mobbing ist mir nicht fremd, leider. Wie ich darauf reagiert habe? Zähne zusammenbeißen, Klappe halten - und 150 Prozent leisten. Beruflich wie privat. Anerkennung gab es weder beruflich noch privat.
Also habe ich 2002 beherzt nach der Chance gegriffen, mich beruflich zu verändern - und 2003 habe ich endlich den Mut zur Trennung vom Ex-Mann gehabt.
Wenn ich zu diesem Zeitpunkt dachte, dass die Jahre bis dahin schwierig waren, dann war das eher nichts im Vergleich zu dem, was dann folgte. Beruflich wie privat.
Bereut habe ich es trotzdem nicht, niemals, nicht mal einen Wimpernschlag lang: Zurück wollte ich nie, weder beruflich noch privat. Irgendwie... ging ich auf in der Aufgabe, die ich hatte - beruflich. Oftmals war die damalige Anerkennung der einzige Antrieb, der einzige Strohhalm in dieser verrückten Zeit. Ums mal so zu sagen: Ich habe gearbeitet wie ein Pferd. Um das Leben für mich und Sohn II zu finanzieren, um den Ex zu bezahlen, damit ich vor dem meine Ruhe hatte - und vor allem hoffte ich, dass es dann leichter würde für Sohn I, der damals entschieden hatte, beim Vater bleiben zu wollen. Eine Entscheidung, die ich damals akzeptierte - aus verschiedenen Gründen - die ich aber bis heute bitterlich bereue und die wohl größte Narbe meiner Seele darstellt. Die ich aus Angst auch nicht umzukehren vermochte: "Wenn du das versuchst, war das dein letzter Tag. Dann habe ich eh nichts mehr zu verlieren."
Also habe ich mich in die Arbeit gekniet und um die Existenz von Sohn II und mir und um die Liebe von Sohn I gekämpft. Ich habe immer relativ gut verdient, jedenfalls für die örtlichen Verhältnisse. Wenn man jedoch alles allein finanzieren muss, das Leben, die Miete, das Auto, die Kinder - dann bleibt am Ende eines Monats nicht viel. Zehn Jahre lang bin ich nicht mehr in den Urlaub gefahren, abgesehen von den Zeiten auf der Insel bei den Eltern. Ist uns deshalb etwas abgegangen? Ich denke nicht. Glaube ich nicht, denn vor etwas über einem Jahr postete Sohn II auf meine Pinnwand bei FB, dass er dankbar sei für die Kindheit, in der er nichts entbehren musste und alles hatte, was er brauchte - und dass er ein glückliches Kind gewesen war.
"Wenn du nicht genug Geld für Urlaub hast oder rechnen musst, ob du mal ins Kino gehst oder einen Kaffee trinken gehen möchtest, dann musst du eben schauen, was du verändern kannst. Entweder einen anderen Job mit mehr Geld oder mehr leisten. Vielleicht arbeitest du ja auch nicht genug?"
Diesen Satz vor ein paar Jahren werde ich nie niemals in meinem Leben vergessen. Er hat mir so unglaublich weh getan. Eine Klatsche mitten ins Gesicht. Und wie habe ich reagiert? Nichts gesagt, die Zähne zusammengebissen und 200 Prozent gegeben. Beruflich wie privat. Und immer noch mit der Leidenschaft aus den ersten Jahren im Büro. Immer noch mit dem vollen Spaß an dem, was ich tue. Seit Ende 2011 endlich genieße ich die Früchte dieses Kraftaktes. Ich genieße die Anerkennung, die sich vor allem auch darin zeigt, ein Mensch des Vertrauens geworden zu sein. Der in so viele Dinge einbezogen wird, um Rat oder Meinung gebeten wird. Daraus resultierte auch ein höheres Maß an Verantwortung. Und ich stellte fest: Es liegt mir. Es macht mir Spaß. Ich mag es, mit meinen Kollegen zusammenzusein, mit ihnen zu arbeiten und auch mit ihnen zu feiern. Sicherlich verdiene ich seitdem auch 3 Taler mehr - aber ich habe mir das auch wirklich schwer erarbeitet. Schwer verdient.
Vielleicht neige ich dazu, mich oft zu sehr reinzuknien.
Vielleicht neige ich dazu, zu oft meine eigenen Grenzen zu überschreiten.
Vielleicht ist es so, dass anderes manchmal zu kurz kommt, wenn man eben erst weit nach 18 Uhr die Bürotür hinter sich zuschloss oder - wie momentan - dann und wann erst um 20 Uhr den Rechner ausknipst. Das ist nicht die Regel, aber es kommt vor. Und sicherlich kommt es häufiger vor, dass ich den Rechner erst um 17 oder 18 Uhr ausknipse, obschon mein Vertrag eigentlich etwas ganz anderes besagt. Den ich extra so gestrickt habe, weil ich vor allem eines wünschte: Umziehen, zur Ruhe kommen, gesund werden. Wieder mehr Zeit vor allem für mich haben.
Betrachte ich das eine Jahr hier in M, frage ich mich: Habe ich effektiv mehr Zeit für mich?
Und ich sage: Ja.
Es mag sein, dass man oft abends noch sitzt. Es ist aber auch so, dass es tagsüber immer mal Momente gibt, in denen ich durchatme. Wo ich die Waschmaschine befülle, das Bügeleisen aufstelle oder die Wohnung von Staub befreie. Alles Dinge, die vor M warten mussten, bis ich abends daheim war. Oder wo ich statt dreißig Minuten mal eine ganze Stunde Mittagspause mache - und keiner meckert oder stört sich daran.
Und wenn ich dafür dann doch mal eine einzige Einladung absage, weil es mir zu stressig ist, um 18.30 Uhr den Rechner auszuknipsen, in den Biergarten zu hetzen, nur um dann heute die Tasche zu packen und nach L zu düsen - dann möge man mir bitte diese Freiheit, "Nein" sagen zu dürfen, auch zugestehen. Ich hätte sicherlich nicht bis 18.30 Uhr arbeiten müssen - aber ich wollte es. Weil bis Freitag Termin ist. Weil ich heute, an diesem Reisetag, nicht arbeite. Weil die zwei Tage vor Ort im Büro bis zum Bersten gefüllt sind. Beruflich und privat. Ein Kraftakt. Weil ich seitenweise Zahlen prüfen und bewerten muss. Eine Fleißarbeit, die vor allem eins kostet: Zeit. Zeit, die ich nicht mehr habe bis zum Freitag. Weil mein Job mir nicht nur Geld verdienen bedeutet. Weil ich meinen Job auch mit Leidenschaft mache. Weil ich liebe, was ich tue.
Es ist schade, dieses Freiheit, "Nein" bzw. absagen zu dürfen, offenbar nicht zu haben. Irgendwie tut es weh. Und was tue ich? Beiße die Zähne zusammen... und sage nichts mehr. Bin müde. Enttäuscht und traurig.

3 Kommentare:

Goldi hat gesagt…

Viel erreicht, Du kannst stolz auf Dich sein.

Kann es sein, dass da jemand das "NEIN" nicht als das versteht was es ist? Einfach ein "es ist zuviel und es geht nicht" als ein "ich will nicht mit Dir/Euch"? Oder kann es sein, dass das Homeoffice als "tut ja nicht wirklich viel und hat ja Zeit" verstanden wird? Alles blöde aber vielleicht einfacher zu lösen als gedacht?

Drück Dich.

Falkin hat gesagt…

Ich verstehe das Nein als ein gelungenes "ja" zu sich selber.

Kompliment für den Werdegang
und bloß nicht aus der schwer verdienten und erarbeiteten Ruhe bringen lassen!

Mit liebstem Gruß! 🌹

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Goldi, ich denke, es ist eher Variante I, gepaart mit dem Gefühl, dass mir meine Arbeit wichtiger sei als mein Privatleben. Was definitiv nicht stimmt. Doch wenn ich unter (Zeit)Druck gerate, priorisiere ich das, was am dringlichsten ist bzw. das, womit ich mir den größten Druck zuerst nehme.

Liebes Vibes Bild, ja genau: Es ist ein Ja zu mir selbst. Bislang war das eher "nur" ein Gefühl in mir, danke, dass Du es so treffend für mich ins Wort gefasst hast :)
Es hat sich gut angefühlt, mich selber abzugrenzen, auch wenn das eine Absage an einen anderen bedeutete. Immerhin eine Einladung zum Geburtstag. Doch zu meiner Entschuldigung kann ich wohl sagen, dass das Geburtstagskind und ich uns zwar kennen, jedoch die Einladung eher der Gestalt ist, dass "ich zu jemandem gehöre und deshalb mit eingeladen werde".