"Ich habe mir dieses Buch auf eine Empfehlung hin gekauft - und es innerhalb weniger Stunden durchgelesen. Es ist nicht nur, dass man wissen möchte, was hier passiert, wie es weitergeht; vor allem: Wie es ausgeht. Es ist vor allem, dass man mitlebt, mitfühlt, die jeweilige Situation erfasst und sich permanent fragt: "Was wäre, wäre ich an ihrer Stelle?"
Eine sehr nahe gehende Geschichte, die in keinem Moment ins Kitschige oder überzogen Sentimentale abweicht, sondern realistisch und dennoch mit viel Gefühl eine Hilflosigkeit beschreibt, die man sich für niemanden wünscht."
Ich habe, glaube ich, schon mal über dieses Buch geschrieben, das ich mir vor genau einem Jahr kaufte und zu dem ich die obige Rezension abgab. Vergangene Woche wurde ich von der Sekretärin der Notfallambulanz in Vorbereitung der OP gefragt, ob ich eine Patientenverfügung besäße. Ich verneinte.
Warum eigentlich immer noch nicht? fragte ich mich in diesen Tagen, als es aktuell überhaupt darum ging, wie Herr Blau und ich eigentlich unser Leben geregelt wissen möchten für den Fall, dass.
Vor einem Jahr, nach dem Lesen des Buches, belas ich mich im Netz zu dem Thema Vorsorge etc.
Jetzt belas ich mich wieder dazu. Und musste erkennen: Es ist gar nicht so einfach, eine Verfügung auszustellen.
Was ist, wenn?
Mit dem Lesen verschiedener Muster über Verfügungen wurde mir bewusst, dass ich mein Leben, mein ganzes Ich, in die Hand eines anderen Menschen lege im Vertrauen darauf, dass dieser Mensch tatsächlich dafür sorgt, dass in meinem Sinne gehandelt wird. Solange ich lebe, wie ich lebe und wie für mich gesorgt wird - wenn ich das alles nicht mehr selbst bestimmen kann.
Ich muss mir darüber Gedanken machen, ob ich fremde Organe oder fremdes Blut annehmen möchte - und ob ich nach meinem Tod selbiges auch hergebe.
Das ist - offen gesagt - für mich die schwierigste Frage. Und ich bin mir nicht sicher, ob allein die Aufklärung dazu beitragen würde, mir eine gewisse Angst zu nehmen.
Die elementare Angst um das eigene Sein.
Was, wenn man mich zu schnell aufgibt?
Was, wenn man mich eher als "Ersatzteilspender" empfindet - und nicht als Mensch, der unbedingt leben will?
Ist es in jedem Fall überhaupt noch ein Leben, das ich gesichert wissen möchte? Oder laufe ich andererseits mit diesem Wunsch nach dem Leben Gefahr, auch dann noch leben zu müssen, wenn ich vielleicht gar nicht mehr will? So wie die 77jährige Patientin eines Altenheims, die seit Jahren im Koma liegt, inzwischen ihrer Zähne, eines Armes und eben ihres Bewusstseins beraubt - die aber nicht sterben darf, weil sie nicht sterben kann - und weil sie zu Lebzeit nicht verfügte, was sie in so einem Fall wünscht? Dass auch die Angehörigen einen ergebnislosen, verzweifelten Kampf führten, die Mutter in Würde gehen lassen zu können. Will ich das dann auch?
Wen bevollmächtige ich in dem Falle? Herrn Blau? Oder meine Söhne? Oder alle drei? All for one?
Sichere ich damit, dass mein Sein nicht allein an der Entscheidung einer einzelnen Person hängt - oder provoziere ich damit auch, dass bei drei Personen mehr gestritten als entschieden wird? Weil der eine Entscheidungen mit dem Kopf, der andere mit dem Bauch trifft und dem Dritten Lebenserfahrung fehlt?
Es waren unerwartet viele Fragen, die wir uns heut Abend stellen mussten.
Dennoch haben wir heute Abend sowohl eine Patientenverfügung als auch eine Vorsorgevollmacht ausgefüllt und gegenseitig unterzeichnet.
Schon morgen, auf dem Weg auf einer stellenweise womöglich vereisten Autobahn, kann mir etwas passieren.
Schon morgen, auf dem Weg in die Arbeit kann ein Terroranschlag verübt werden, vor dem seit zwei Tagen hier gewarnt wird - und der Herrn Blau mit einbezieht.
Alles mögliche kann jeden Tag passieren. Dass man sich nicht gegen alles und jedes versichern und schützen kann, ist uns bewusst.
Und vielleicht tritt dieser Tag X auch niemals ein.
Aber falls doch... Dann soll es dieses Papier geben, das zunächst die wichtigsten Dinge regelt - und auf dem auch keine Unterschrift fehlt.
Und so ist es seit heute Abend.
9 Kommentare:
Liebe Helma, ich trage mich auch schon eine Weile mit dem Gedanken an eine solche Verfügung. Und doch tue ich es nicht, weil da noch Ängste und auch offene Fragen sind, die ich mir wohl nur selbst beantworten kann. Ich finde es wichtig, dass man diese Entscheidung nicht einfach auf die anderen zukommen lässt im schlimmsten Fall sondern vorher klar macht, was man will. Ich finde es gut, dass ihr das nun geregelt habt. Ich hoffe, ich finde den Mut dazu auch noch.
Liebe Grüsse
Clara
Liebe Helma,
da sprichst Du ein Thema an ....
Seit mindestens 2 Jahren versuche ich, dem MannMitHut dazu eine Meinung zu entlocken. Mindestens genauso lange habe ich die entsprechende *test*-Broschüre mit den Formularen zuhause. Es ist so schwer, eine Entscheidung zu treffen, "was sollte passieren, wenn".
Ich finde es sehr gut, das nicht nur innerfamiliär zu bereden und festzulegen, sondern auch eine außenstehende, neutrale "dritte" Person mit einzubinden. Bei uns wird das wohl die Hausärztin sein. So ein ganz heikler Punkt ist ja auch, was man sich für sich selbst wünscht und was dann die Angehörigen im Fall des Falles für Entscheidungen treffen müssen, die sie so nicht treffen würden, weil sie anders handeln würden.
Ein schwieriges Thema - toll, dass Du das angegangen bist.
Drück Dich. Das wird alles gut gehen, aber ich denke auch, dass man diese Unterlagen haben sollte. Zu schnell ist etwas passiert, hat man durch die Unterlagen vorgesorgt, entlastet man auch die, die einem nahe stehen, denn sie haben "den Willen dann als Verfügung in der Hand" - nicht, dass es die Situation als solches vereinfacht, der Schmerz und die Angst bleibt, aber damit kann man den Willen der betroffenen Person durchsetzen. Ohne Papier sind alle machtlos und hilflos dem guten Willen der behandelnden Ärzte ausgeliefert.
Das mag ich an Dir, dass Deine Gedanken oft um ähnlich komplizierte Themen wie die meinen kreisen.
...ich bekam zu meinem letzten Geburtstag ein Schreiben von meinem Finanzmacker. Angebot für eine Sterbeversicherung. Ja ist es denn die Possibility? Unverschämtheit. Echt mal.
Bin dem Tod schon mehrfach von der Schippe gesprungen. Möglicherweise bin ich aber auch derart anstrengend, dass die im Jenseits einfach noch keine Lust auf mich haben. ... Na jedenfalls habe ich über meine Tätigkeit in der Schwerstpflege (während Studium) und später als Heimleiterin von einer Art Armenhospitz... viele, bizarre Erfahrungen sammeln dürfen, die die Geschichte mit dem Tod nicht gerade unkomplizierter machen. Und während ich früher noch den Tod angstfrei auslachte, überkamen mich in der letzten Zeit vollkommen meschugge Gedanken. Zum Beispiel, dass die letzte Autofahrt, die man macht, voraussichtlich die in einem Leichenwagen sein wird. Und dass mir das garnicht gefällt, wenn dann fremde Leute an mir rumsortieren können und ich nicht wehrhaft bin. Das ist ja nun schon fortgeschritten meschugge, oder?
Organspendeausweis hab ich. Sollte ich wider Erwarten zu etwas wirklich Sinnvollem nützlich sein, dann wäre es mir eine Ehre. Vor dem Tod an sich habe ich nicht wirklich Angst, aber vor dem Sterben. Eben in so einer hilflosen Position zu sein.... und dann ein Umfeld zu haben, welches Mut und Respekt aufbringt, notwendige Schritte für mich zu tuen. Da gehört ja auch so irre viel Mut zu.... Meine Mutter lag mehrere Tage im Sterben. Es war ein grauenhafter Tod. Ostern. Irgendeine verschüchterte AiP war für zwei Stationen zuständig und im Falle meiner Mutter nicht entscheidungsfähig. Solange meine Mutter noch bei Sinnen war FLEHTE sie mich an, ihr zu helfen. Das war alles so erbärmlich und grauenhaft. Und ich hätte es ihr so gerne erspart... War nicht. Ging nicht.
Eine an MS erkrankte Freundin von mir starb vor zwei Jahren. Viel, viel zu jung. Bildschöne, hochintelligente, warmherzige Person. Sie starb in einem Hospitz in der Schweiz. In Begleitung ihres Mannes entschied sie, wann für sie der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Das sind so verdammt schwierige Themen. Ich zerbrüte und zerwühl mich in Szenarien, statt Butter bei die Fische zu packen. Genau genommen hätte mein Unfall 2013 ganz anders ausgehen können.... als dieser Vollhorst mit 80 km auf unser stehendes Auto holzte..... Das kann ja alles von jetzt auf gleich vorbei sein.
Wichtig und richtig, darein zu fühlen und zu handeln.
Vielen Dank für das Anstoßen des Themas, Frollein Ziggenheimer.
Liebe Helma,
ich habe gebannt etwas vom Anfang und auch was vom Ende gelesen. Bedauerlich, daß der Wecker in einigen Stunden klingeln wird, denn so gerne würde ich die Nacht durchlesen. Nicht mehr heute, und gewiß nicht am Stück, aber ich komme wieder. Und dann werde ich ALLES lesen. Gute Nacht!
Liebe Clara - ich teile Deine Gedanken. Letztlich haben wir sicherlich auch nicht alle wichtigen Dinge berücksichtigt oder dafür eine Lösung angegeben (z. B. Thema Organspende). Zu manchen Punkten muss ich einfach noch mehr wissen als ich das bisher tu.
Aber grundsätzlich habe ich angegeben: Will ich wiederbelebt werden, will ich künstlich ernährt werden - oder nicht.
Und in der ergänzenden Vorsorgevollmacht kann ich angeben, wer sich um was kümmern darf, bis zu meinem Tod oder darüber hinaus. Damit bestimme ich nicht zwingend, was wie geregelt werden soll, nur wer. Damit Herr Blau nicht völlig außen vor ist, weil wir ja nicht verheiratet sind - und es auch in Zukunft nicht sein werden.
Liebe AnnJ, wir haben eben auch lange "nichts getan". Dass das Thema jetzt wieder hochgekommen ist, hat auch mit dem Tod des Großvaters nach Weihnachten zu tun - und mit dem, was anschließend passiert. Eins kommt da zum anderen, auch die Frage: Was ist eigentlich mit mir - und mit uns - für den Fall, dass? Und nun haben wir es zu Papier gebracht.
Liebe Goldi, ja, Schmerz und Angst bleiben - aber zumindest soll niemand hilflos und völlig außen vor daneben stehen müssen, ohne auch nur irgendetwas tun zu können oder zu dürfen.
Die Verantwortung hierfür liegt nicht allein bei Herrn Blau; meine Eltern und Söhne sind einzubeziehen. Aber wenn so ein Stück Papier es ermöglicht, ihn agieren zu lassen, ihm auch ohne Ehe Zugang zu mir zu ermöglichen, ohne dass jemand sich querstellen kann, dann soll es so eines sein.
Liebes Vibesbild, manchmal denke ich ja, ich bin zu kompliziert oder zu anstrengend oder was auch immer. Ob ich besser über Nagellack oder Schminktipps schreiben soll.
Ich meine, wer will sich zu LEBzeiten schon Gedanken um die dunkleren Stellen in sich selbst oder um einen herum machen? Oder Gedanken um Sterben und Tod? Wer will sowas auch in der Freizeit schon lesen, wenn der eigene Alltag schon selber mitunter bedrückend genug ist? Aber den Volksclown kann ich eben auch nicht machen - weil ich keiner bin.
Dann wiederum denke ich: Vermutlich liegt es auch an unserer Mentalität, unserer Gesellschaft, die den Tod immer viel mehr tabuisiert hat als andere Völker. Die den Umgang mit dem Tod viel mehr tabuisierten.
2006, nach dem schweren Unfall, sagte mein Vater: "Deine Zeit war noch nicht gekommen."
Ich hatte damals Glück, ein verdammtes Schwein sozusagen, dass mir nicht mehr passiert war als eben passierte. Erinnere mich noch an den Sanitäter, der mich auf der Trage festschnallte und den Pieper an den Finger steckte: "Nicht hinschauen bitte (zum Auto), lassen Sie's gut sein, Sie hätten auch tot sein können. Sind Sie aber nicht."
Das hat mich eine ganze Weile beschäftigt, aber beschäftigt hat es mich seither. Aktiv geworden bin ich trotzdem erst jetzt - nach dem Tod des Großvaters.
So ist das mit vielem bei mir: Manches "arbeitet" mitunter jahrelang in meinem Kopf, bis ich eine Entscheidung treffe. Ich habe zum Beispiel 9 ganze Jahre mit meiner damaligen Ehe gehadert und gedacht, man kann ja nicht so einfach aufgeben, man kann sichs ja nicht so einfach machen. 9 Jahre. Und dann hat es - genau genommen - nicht ganz 2 Monate gebraucht, um diese Entscheidung zu treffen und dann aber auch umzusetzen.
Fortgeschritten meschugge - oder ist es die Angst vor dem Kontrollverlust? Den ich übrigens auch habe. Dass man mit mir macht, was man will, weil ich mich eh nicht mehr wehren kann. Das ist mein persönlicher Horror. Oder wir sind beide komplett und fortgeschritten meschugge :)
Ein Hospiz in der Schweiz... Niemand kann vorhersagen, ob er zu diesem aktiven Schritt in der Lage ist. Aber der Gedanke, dass dieser Schritt zumindest möglich ist, dass einem ermöglicht werden KANN, in Würde zu gehen - das macht es irgendwie... trotz allem leichter.
Es beruhigt, irgendwie.
Liebes Pünktchen, ich freu mich sehr, dass Du jetzt auch "hier" bist :) Sei herzlich willkommen :)
Gute Entscheidung! Das vereinfacht viel im Fall der Faelle. Meine Frau hatte eine und es hat vieles vereinfacht - ich habe auch schon lange eine.
Genau darum ging es mir: Es zu vereinfachen, wenn es zu so einer Situation kommt - und es für alle, nicht nur für mich, zu ermöglichen, nicht vom Agieren Dritter komplett abhängig sein zu müssen.
Die Freude ist ganz auf meiner Seite!!! Warum hat der Tag nur 24 Stunden?? So benötige ich ja noch recht lange eh ich mich hier durch alles durchgelesen habe. Aber... ich freue mich darauf. Schön, daß ich den menschen entdecken darf, der hinter Helma Ziggenheimer steckt.
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