Erinnerungen können wie schwarze Krähen sein. Große dicke schwarze Krähen, die gefühlt um den Kopf herumkreisen, immer näher, immer dichter, dass man den Arm heben und sie verscheuchen möchte, bevor sie sich - gleich dem Film - auf einen niederlassen und lospicken.
Erinnerungen aber lassen sich nicht immer einfach so verscheuchen.
Auch meine Verdrängungsmechanismen funktionieren super, aber manchmal sind Erinnerungen, Taten, Worte trotzdem von einem Augenblick zum anderen wieder da. Bilder, die an einem kleben und die man einfach nicht losbekommt, so sehr man sich auch müht.
Momente, in denen man nach Atem ringt und sich verzweifelt fragt, ob man das, über das man nie niemals sprechen konnte und es vermutlich auch nie wird, je wieder in diese berühmte Kiste mit den sieben Schlössern zurückbekommt.
Gestern Abend schrieb mir meine Freundin von einem Film, der da und dort gerade liefe, eine Buchverfilmung, eine sehr schöne, eine gelungene, wenn auch traurige Geschichte.
Ich habe nicht umgeschalten. Den Film kenne ich nur vom Lesen der Kritiken - und ich wusste, jetzt hier in diesem Moment tut es mir nicht gut. Auch wenn zum Leben mehr gehört als eine Tasse Kaffee am Morgen, wohlig ausgestreckte Beine und die Musik. Ich weiß, dass zum Leben mehr gehört als ein paar rosarote Wolken und die Blümchenwiesestimmung, nach der ich mich im Augenblick so ein bisschen sehne. Ich weiß, dass das realitätsfremd wäre - und dass es vielleicht auch nicht richtig ist, sich eben der Realität zu entziehen. Aber andererseits habe ich das Gefühl, dass ich das so tun muss, weil es mich sonst erdrückt, dieses Leben. Es zerdrückt mich.
Nach gut acht Monaten ohne soziale Netzwerke, mit nur wenigen Nachrichten aus der Welt und aus unserem Land und mit nur wenigen Kontakten, die ich zulassen konnte, geht es mir inzwischen besser. Natürlich nehme ich nach wie vor Anteil - aber ich weiß auch, wie viel ich an mich heranlassen kann und wann der Moment gekommen ist, wo ich mich wieder mehr zurückziehe.
Früher fand ich es toll, viele Leute zu kennen - heute schätze ich mehr, nur wenige Menschen um mich zu haben, aber dafür verlässliche.
Menschen, deren Tür immer offen steht - egal, wie lange wir uns nicht gesehen oder gehört haben. Menschen, die nicht sagen: "Ist ja nett, dass du dich auch mal wieder meldest", sondern Menschen, die ihre Arme öffnen und ehrlich sagen: "Hey, schön, dich wiederzusehen; ich hab grad Kaffee gemacht, magst du auch?"
Schaue ich aus dem Fenster, macht mein Herz einen Hopser, weil ich mich so freue darüber, wie all die Knospen aufgeplatzt sind und ihr sattgrünes, noch so junges, frisches Blattgrün zeigen.
Zwischen all dem Regen der letzten Tage hat immer mal die Sonne hervorgelugt - und ich reagiere immer wieder völlig fasziniert darauf, sämtliche Lebensgeister erwachen, purzeln durcheinander und dann fühlt es sich so an, als könne mir nichts mehr in diesem Leben passieren. Ich lache viel mehr im Moment und bin fröhlich, bin vergnügt. So wie heute Morgen beim Termin, wo ich mir eine Mehrfachkombi Impfstoff abzuholen hatte: "Denken Sie dran, heute keinen Sport!"
"Na Gott sei Dank!"
So wie letztens mit Herrn Blau auf der Autobahn, so etwa siebzehn Uhr nach dem Einkauf: "So und jetzt hier lang, da auf die Autobahn drauf und dann zeig mir mal, was im kleinen Schwarzen steckt."
Nur um mich nach gefühlten dreihundert Metern zu erinnern: "Du hast aber schon gesehen, dass hier nur 120 kmh erlaubt sind?"
"Nu freilisch."
"Von 6 bis 22."
"Hab ich gesehen.
"Von s-e-c-h-s bis z-w-e-i-u-n-d-z-w-a-n-z-i-g!"
"Ja-ha, hab ich gese-hen."
"VON SECHS BIS ZWEIUNDZWANZIG!"
"Ach soooo, warte mal, das ist ja jetzt. Hättste doch auch gleich sagen können."
Ja ich weiß, das allein ist nicht das Leben und das allein ist auch nicht die Realität. Im Moment aber brauche ich besonders das und versuche konsequent zu meiden, das mir nicht guttut. Genauso meide ich Trigger, die die schwarzen Krähen erwachen lassen. So gut ich es kann zumindest.
Das Leben mit seiner Wucht kommt von ganz alleine zurück, das war schon immer so. Aber dann halte ich es besser aus.
15 Kommentare:
:-*
((((♥))) hier gibts Tee..und Scones. Einladung steht.
((((♥))) hier gibts Tee..und Scones. Einladung steht.
Ja das mache ich genau so. Wenn die Kraft nicht da ist, sich den Krähen zu stellen, dann tue ich es nicht. Versuche, den Deckel auf der Kiste zu halten. Meist klappt das irgendwie. Ich habe aber gelernt, dass ich die alten, schmerzhaften Dinge irgendwann rausholen muss und anschauen, überdenken und auch den Schmerz zulassen. Nur so passiert es mit der Zeit, dass die Einstellung dazu eine andere wird, man vielleicht sogar damit umgehen kann. Nur so passiert Heilung. Aber bis ich dazu in der Lage bin, zum Anschauen, bleibt der Mist in der Kiste....
Ganz lieben Gruß
Gabi
Es ist sicher eine gute Sache, die positiven Dinge zu sehen und jeden Tag zu sammeln. Das kleine und größere Glück stellt sich ein und die Krähen werden nicht mehr gefüttert.
Das sind auch keine Zeiten, wo vergangene Ereignisse nochmals betrachtet werden müssen. Ausser es gehört zur Heilung und das spürst du dann eh.
Ich wünsche dir viel Kraft und viele schöne Momente mit deinem Herrn Blau. Es wird alles gut.
Herzliche Grüße
Ganga
Finde ich mehr als legitim, nur zu machen, was einem gut tut (jedenfalls so weit das möglich ist). Dazu gehört definitiv auch das Weglassen. Letztendlich ist man doch nur sich selbst Rechenschaft schuldig. Man hat nur das eine Leben und das kann man sich auch mit Kleinigkeiten schön machen. Diese blöde Kiste trägt man ja sowieso immer mit sich rum...
Liebe Grüße
Do whatever works for you!
Manchmal kann man hinschauen und manchmal erträgt man es nicht. Manchmal gerät man unversehens mitten hinein in den Krähenschwarm ohne sich vorher für das eine oder andere entschieden zu haben. Das tut mir leid! Ich fühle mit dir und um dein Bild weiter zu malen, setz mich zum Erdbeerpicknick gerne mit dir auf die Blumenwiese. Wir schauen zu wie die Krähen am Horizont verschwinden.
Letztens las ich, "Sehnsucht und Angst sind Wegweiser", manchmal muss man einfach umkehren oder erst mal stehen bleiben.
Liebe Goldi, liebe Luna - danke!
Ja Gabi, genau so ist das: Wenn die Kraft nicht da ist.
Liebe Barbara, im Blog einer an Krebs Erkrankten habe ich mal gelesen, dass sie ihre positiven Erlebnisse aufschreibt und in einem Glas sammelt - damit sie sie dann betrachten und sich erinnern kann, wenn es eine nicht so gute Phase gibt. So ein Glas besitze ich zwar nicht - aber vom Prinzip her ist es das, was ich grad tu. Positives sammeln.
Liebe Gretel, ja das stimmt: Diese verdammte Kiste ist immer dabei. Vieles lässt sich aushalten, manches nicht. Manchmal kann mans besser aushalten, manchmal weniger gut. Deshalb "sammel" ich gerade das Sonnige, das Positive. Als "Gegengewicht", glaub ich.
Liebe Amorsolalex - es ist nicht Deine Schuld! So nicht und so nicht. Erdbeerpicknick auf der Blumenwiese? Ja, das klingt wirklich gut!
Ja der Udo..wenn er so leise und persönlich daherkommt..ist er eigentlich am Besten...
Freut mich, daß Du ihn für Dich entdeckt hast...
Sende DIR positive Energie aus Hessen...:-))))))))))))
Liebe Helma, es ist ja nicht schwer aus dem Text zu erkennen, dass es dir gerade nicht rosig geht - die Kommentare bestätigen es. Sicher kann ich die Sache nicht besser machen für dich, aber dir sagen, dass ich dich "mütterlich" in den Arm nähme, wärst du in meiner Nähe. - Dabei gibt es so viele Situationen, wo ich das Gefühl habe, du bist so viel stärker als ich. Aber auch eine starke Frau wird mal schwach. - Ich wünsche dir von Herzen, dass es nicht zu schlimm wird und da bald wieder strahlen kannst, weil es dir gut geht.
Herzlich von CC
Danke waage... Ich bin froh, Dich zu kennen!
Liebe Clara, Herr Blau sagte, es gäbe inzwischen ein konkretes Datum für den B-Trip. Sobald ich das habe, schreibe ich Dir - und dann such uns schon mal ein lauschiges Plätzchen in der Sonne :)
Ich freu mich, ich freu mich. Mit dem Sonnenplätzchen - das nehme ich noch nicht ganz so ernst, denn wer weiß, ob ihr die Sonne aus dem Süden mitbringt. Das entscheiden wir dann operativ.
Schau'n wir mal!
Ach, das wird schon sonnig, wirst sehen! :) Ist ja nicht gleich morgen oder übermorgen!
liebe Helma...mit vielen kleinen Tränen nur, kann ich antworten, auf dass, was du wunderschönst wie du so oft, in Worte gefasst hast; dass, was ich denke und fühle, Tag für Tag. du hast mein Leben, meinen Alltag, in diesen Zeilen niedergeschrieben. es ist fast erschreckend aber auch so schön, zugleich, irgendwie...dass es "da draussen", doch noch den einen oder anderen Menschen gibt, der weiss, wie es ist, dieses mächtige Leben; dieses einen fast erdrückende Leben...diese schwarzen Krähen...ja, ich spüre sofort was du da beschreibst...anders könnte ich's gar nicht besser beschreiben... ich danke dir, von Herzen, für diesen Beitrag. für das beschreiben, eines eben nicht nur aus rosa Wolken bestehenden Lebens/Alltags. vor allem auch, dafür dass es "ok" ist, sich zurück zu ziehen, sich diesem Wahnsinn für eine Weile, oder einen Moment nur, zu entziehen; sich zu verstecken, meinetwegen. bis die Kraft wieder da ist, sich dem Ganzen stellen zu können...tränenüberströmt, das Gesicht; vor Trauer, aber auch, vor Mitgefühl/Verständnis - und Verstandenwerden - sag ich danke. und drück dich einfach mal... LG L.*
Liebe L., es ist noch gar nicht soo sehr lange her, dass ich dachte, man muss funktionieren, ICH müsste funktionieren. Da gibt es doch den Job und das reale Leben mit den Söhnen und da gibt es auch die Menschen um mich herum, die für mich da sind - also muss ich doch auch für sie da sein.
Es war ein ziemlich harter, schmerzhafter Lernprozess für mich, dass ich selber permanent über meine eigenen Grenzen gegangen bin, dass ich selber mich permanent verletzt und ausgenutzt habe. Immer in dem Gedanken, es müsse so sein, das sei eben das reale Leben.
Aber das ist es nicht. Jedenfalls nicht für mich. Ich kommentiere es nicht (sofern ich nicht direkt angesprochen werde), aber Menschen, die betont tough und unbezwingbar durch die Welt schreiten, denen scheinbar nie die Kraft ausgeht - die sind mir suspekt. Tatsächlich.
Weil ich gelernt habe, nein, lernen musste, dass die Kraft, die Energie in mir selbst nicht einem Perpetuum Mobile entspringt, sondern dass ICH für diesen Kräftehaushalt verantwortlich bin. Dass ICH dafür sorgen muss, dass ich jeden Tag die Energie aufbringe, aus dem Bett zu steigen und den Tag zu bewältigen. Und wenn ICH das nicht tue, wenn ICH nicht für mich sorge, dann darf ich mich auch nicht wundern, wenn es eines Tages nicht mehr geht. Wenn Dinge, die noch gestern möglich waren, heute zu einem unüberwindbaren Hindernis geworden sind. Selbst die simpelsten.
Und wie schütze ich mich heute? Wie sorge ich für mich? Indem ich lernte, Nein zu sagen. Ich glaube, das war meine schwierigste Übung. Die langwierigste. Aber die beste. Indem ich außerdem lernte, MICH zu behaupten. Zu mir und zu meinen Überzeugungen zu stehen. Dass weder ich noch meine Überzeugungen schlecht sind, nur weil sie nicht in jedermanns Kragenweite passen. Indem ich lernte, rechtzeitig zu erkennen, wann ich die Last des Alltags nicht mehr aushalten kann, wann sie mir zuviel wird - und mich dann zurückziehe. Mich in die Welt des Schreibens und/ oder die Welt der Musik zurückziehe.
Und es ist okay. Es ist wirklich und einfach okay.
Weil wir nichts von uns geben können, wenn wir selber leer sind.
Weil wir niemanden glücklich machen können, wenn wir es selber nicht sind.
Mit diesen beiden Sätzen habe ich die Trennung von meinem Ex-Mann vor 13 Jahren begründet. Er hat mich bis heute nicht verstanden. Aber heute ist mir das auch völlig egal. Er ist nicht mehr wichtig. ICH bin MIR wichtig. Nicht über allem anderen. Aber doch wichtig genug, um mich selbst nicht wieder an die letzte Stelle zu bringen.
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