Montag, 18. September 2017

Gut gegen Nordwind



Gestern nun sind wir zurückgekehrt, nach einigen Tagen Auszeit. Lange schon geplant und dennoch gerade irgendwie zum genau richtigen Zeitpunkt.
Und während der Mann sich in den visuellen Motorsport vertieft, versinke ich in den Weiten der Musik. Und muss bei diesem Video hier unwillkürlich lächeln. Ungefähr so hat es ausgesehen, als ich am Samstag zum Mann sagte "Lass uns Sonntag schon früh heimfahren, dann können wir den Sonntagabend entspannt ausklingen lassen" (Wie ewig lange hab ich mich eigentlich nicht mehr in der Badewanne geaalt? Viel zu lange nicht, wie mir schien.) Und er antwortete: "Wenn du so früh fahren willst, musst du aber heute noch alles packen." Das versprach ich und meinte es auch vollkommen ernst und ehrlich. Und dann kam mir die Musik dazwischen. Die mich dazu brachte, ähnlich durch das Zimmer zu tanzen, zu singen, die Sachen zwar zu sortieren, was kommt in welche Tasche und so weiter - aber das Einpacken selbst...
Jedoch fühle ich mich im Moment.. leichter, unbeschwerter, losgelöster von allem und ähnlich der Empfindungen nach dem Indienurlaub im letzten Jahr wünsche ich mir, diese Leichtigkeit einfangen und ein wenig bei mir behalten zu können.
Stimmungen wie gestern Abend zwar zu erfassen, aufzufangen, mich davon jedoch nicht niederbeugen zu lassen, sondern einfach zu sagen: "Oh du hast grad miese Laune, dann lass mal gut sein", mir alsdann die Kopfhörer auf die Ohren zu schieben und mich unbekümmert in die Musik zu vertiefen. Das gelingt mir auf diese Weise selten genug ;)

Dafür habe ich in den nur wenigen freien Tagen seit langem auch wieder ein Buch gelesen. Nein, es waren zwei Bücher - was für meine zuweilen (selektiv) nachlassende Konzentration tatsächlich viel ist.
"Gut gegen Nordwind" - ein Buch, das alles Erlebte, alles Fühlende, alles Denkende zweier Menschen ausschließlich in ihren Mailwechsel verpackt, die sich ungeplant und lediglich aufgrund eines Tippfehlers in der E-Mail-Adresse virtuell begegnen - und bald darauf feststellen, dass diese Art der Kommunikation durchaus.. ihre Reize hat.
Eine Buchform, mit der ich mich zunächst etwas schwer tat. Ich bin ein Augenmensch, der will erfassen, erspüren, berühren, wahrnehmen, riechen, schmecken. Selbst das nur geschriebene Wort, das vor meinem inneren Auge Begegnungen entstehen lassen kann, genügt hierbei. Wenn dieses geschriebene Wort es vermag, eben jene Begegnungen vor meinem Auge ablaufen zu lassen, das Aufeinanderzu, das Einandererkennen, das Lächeln, das Reden, ja selbst den Klang meine ich hin und wieder wahrnehmen zu können.
Gut gegen Nordwind erreichte in mir, jenen Zauber einer noch nicht real erlebten Begegnung zu erschaffen, mich wieder zu erinnern, wie war das eigentlich bei mir, solange mir ein Mensch noch nicht real begegnet war und es auch noch kein Foto hin und her gegeben hatte.
Ich lächelte, weil ich daran dachte, wie oft und wie sehr ich mir zuweilen den anderen Menschen vorgestellt hatte. Einfach nur anhand seiner Möglichkeit, sich auszudrücken, Worte zu wählen, die etwas in mir berührten, anklingen ließen. Ihn an den Farben seiner Seele erkennen zu wollen.
Dass mir das immer so gelungen wäre, kann ich nicht sagen. Ganz im Gegenteil. Wie oft bin ich an den Abenden in die Stadt gefahren, vollkommen erfüllt von dem Gedanken, nun jenem Menschen real zu begegnen, den Zauber nicht nur aufrechtzuerhalten, nicht nur auch in der realen Person zu finden, sondern vielleicht auch.. dem Gleichklang zu begegnen, festhalten...
Und dann steht man dem anderen Menschen gegenüber und ist verwundert ob der Leere im Gesicht, in den Augen des anderen. Und dann sucht man, wo war jene Farbe, wo war jener Klang, wie hat er solche Gedanken in jene Worte fassen können, die mich tagsüber lächeln und in der Nacht das Herz klopfen ließen? Dann schaut man dem anderen in die Augen und spürt: Ich kann da nicht eintauchen...
Wie oft bin ich heimgefahren, ein wenig ratlos, ein wenig enttäuscht, ein wenig mutlos mit dem Gefühl dieser zarten Flügelchen, die sich nun zerdrückt und unordentlich an die Schultern pressten.

Mit meinen allerersten Internetauftritten lebte ich noch die Überzeugung, sich zunächst ein ganzes Weilchen, vielleicht ein paar Wochen oder auch wenige Monate zu schreiben, weil ich glaubte, ich müsse erst (zwischen den Zeilen) herausfinden, wer der andere war. Doch je öfter ich diesem Trugschluss unterlag, desto eher gewöhnte ich mich daran, Menschen nicht nach einer mir auferlegten Zahl von Wochen zu begegnen, sondern dann, wenn es sich ergab - und die Neugier auf den anderen ohnehin ausreichend groß geworden war.

Und dennoch... Das Buch erinnerte mich an so viele Abende, ausgestreckt auf meinem Bett, neben mir immer eine Tasse wunderbaren Kaffees oder auch einer heißen Schokolade, zurechtgemacht, obschon das doch ohnehin niemand sehen konnte (aber es machte das eigene Wohlfühlen um so vieles größer), mit aufgeregten rosa Wangen und glänzenden Augen und fast immer einem Lächeln im Gesicht. Es hat so unfassbar viel Spaß gemacht, so vielen Menschen begegnen zu können, so vielen unterschiedlichen Menschen zu begegnen, sich ihnen zu widmen oder sie sich mir, sich auszutauschen über Gott und die Welt, über alle möglichen und unmöglichen Dinge, die man sonst kaum zu fragen wagt, und im Kopf immer diese Idee, diesen Traum, diesen Wunsch zu haben: Eines Tages finde ich ihn... oder er mich.

Auf die Empfehlung des Buches hin kaufte ich mir für den Urlaub alle beiden Bücher - und hernach befragt, musste ich gestehen: "Mit dem Eintritt in die Realität, mit dem Eintreten aller Konsequenzen verblasste der Zauber.. Nein, langweilig empfand ich das zweite Buch nicht, aber eben... entzaubernd irgendwie. Das erste Buch passte durchaus mehr in meine romantischen Verklärungen ;) Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein HappyEnd her musste, aber eigentlich nicht gesollt hätte. Schwierig zu beschreiben. [...] Aber ein Leben hat nicht immer ein HappyEnd und es ist trotzdem gut so wie es ist."
"Ach du Romantiktante", antwortete mir die Freundin und ich konnte ihr Schmunzeln deutlich vor mir sehen.

Vielleicht... ist es ja einfach auch die Tatsache, dass er einmal mehr begonnen hat, der melancholische Herbst. Da werden nicht nur all die Farben und die Klänge weicher, da fühle auch ich mich... eben anders. Und kein bisschen schlechter.

5 Kommentare:

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Ach Helma, dein Text erinnert mich an meine "heiße Suchzeit". Es gab die verschiedensten Überraschungen, doch leider waren nicht alle positiv.
Ganz intensiv habe ich noch eine Begegnung in Erinnerung, bei der der Mann die tollste, heißeste und erotischste Stimme hatte, die ich mir vorstellen konnte - und was er sagte, war klug, war witzig, war sexy - kurz, war irre.
Und dann kam er - da will ich nichts Näheres schreiben. Es gab nie mehr ein zweites Treffen, weil seine Person das ganze Gegenteil von seinem virtuellen und telefonischen Auftritt war.
So war das Leben ... und es gab noch einige andere von solchen Erfahrungen.
Liebe Grüße von Clara

ganga hat gesagt…

Ich habe selbst noch keine Internetbekanntschaft gemacht, aber ich kann mir deine Beschreibungen gut vorstellen.
Es hätte ja ein interessanter Mensch auch dabei sein können.

Liebe Grüße
Ganga

Anonym hat gesagt…

Ich hab die Bücher auch vor einiger Zeit gelesen und mir ging es ähnlich wie dir. Erst wurde ich nicht so richtig warm mit dem Erzählstil, dann konnte ich nicht mehr aufhören zu lesen und mit dem zweiten Buch schwand der Zauber.
Dein zwischenmenschliches Erleben kann ich auch nachvollziehen, das Los der hoffnungslosen (oder hoffnungsvollen?) Romantikerin, die Realität schafft es leider häufig nicht an ihre Träume heran.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara - ja genau, auch solche Erfahrungen habe ich gemacht. Aber ich sehs immer von beiden Seiten: Mein Gegenüber wird genauso seine Erfahrungen mit mir und den Frauen gemacht haben. Es ist eben doch schwierig, sich über rein virtuelle Begegnungen ein eigenes Bild zu "malen", das der Realität nicht standhalten kann. Weil man vielleicht auch zuviel reinprojeziert, das man gerne hätte.

Liebe Ganga, es waren tatsächlich wirklich einige, wirklich sehr interessante Menschen dabei! Mit einigen von ihnen bin ich bis heute - emotional eng - befreundet. Und mit einem von ihnen lebe ich gerade zusammen ;)

Aber die Bücher sind insgesamt dennoch gut, finde ich. Würdest Du sie empfehlen? Ich hab sie meiner anderen Freundin empfohlen und gesagt, sie kann meine zum Lesen haben ;)
Teil 1 ist dennoch mein Favorit. Teil 2 hätte es für mich nicht gebraucht.
Und außerdem... Was wäre der Mensch ohne Hoffnung??

gretel hat gesagt…

Habe auch beide Bücher gelesen und kann dir zustimmen. Beim ersten Buch war man irgendwann wie im Rausch und sehnte eigentlich den zweiten Teil unbedingt herbei. Aber der war dann nur noch lauwarm.
Ja, von Bekanntschaften aus dem Internet könnte ich auch eine Menge erzählen und der Mann, mein Mann, den hab ich auch da aufgegabelt oder er mich :-)
Lieben Gruß